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47 tttt. Dienstag 18. Navember. AMrißische Aeitage zum Sächsischen Erzähler. Zur gemeinnützigen Unterhaltung für alle Stände. AI Was du als wahr erkannt, A Verkünd' es sonder Zagen, 2 Nur trachte Wahrheit stets Wit niildem Wort zu sagen. s, . Betty parli. W ^ZZXs>XTXZ>AXs>Zr«TZ-E»rTZ-iSrKXs>Z-<TSXK« Zur Sonne. Skizze von B. Rittwege r. (Nachdruck verboten.) Seufzend läßt Bernd Martens das Zeitungsblatt sinken und starrt mit leeren Augen vor sich hin. Dann rafft ers wieder von seinen Knien auf und liest nochmals: Bei Schulte ist augenblicklich ein Gemälde ausgestellt — Das Gewissen, von Fritz Baldinger — ein von modernem Geist erfülltes, von gereistem Können Zeugnis ablegende Werk des nicht mehr unbekannten Malers, dem wir eine glänzende Zukunft prophezeien möchten. Hat er sich doch mit diesem seinem neuesten Bild bereits einen Platz in der Reihe unse rer ersten Künstler erworben. — Ja, so stehts da. Das ist aus Fritz Baldinger geworden, aus ihm, den man damals auf der Akademie fast über die Achsel angesehen. Wen? Wer? Nun ja, viele, und er selbst. Bern- Martens, das Genie, dem alles nur so zuflog, der alles so aus dem Hand gelenk schüttelte, was andere erst mit Fleiß und Ausdauer erringen mußten. Und auch sonst — im Leben, in der Ge sellschaft flogen ihm die Erfolge nur so zu. Die vornehmen Frauen in den Salons rissen sich um den hochbegabten Maler, den schönen Mann, und ans der Straße drehte sich manch hübsches Kind nach ihm um. Und dann kam eine so liebliche Blüte, ein Mädchen wie Milch und Blut, und so herzig im Wesen, und sein Künstlerauge entflammte sich an ihr — im Frühling! Und er malle sie, und das Bild hieß auch Frühling, und es brachte ihm reichen Lohn. Nicht gerade, daß es tvirklich ettt'as Bedeutendes gewesen wäre, aber es gefiel; es war ihm so gut geglückt, die frische Mäd chenblüte auf die Leinwand zu bannen zwischen junges Grün und bestrahlt von Lenzessonnenschein. Ein reicher Kunst schwärmer — wohlverstanden, nicht Kunstkenner — kaufte das Bild zn einem verhältnismäßig hohen Preis. Bernd Martens war nicht bescheiden gewesen, denn er brauchte Geld, nm seinen Hausbestand gründen, der holden Blume sein Wort halten zu können. Sie hatte ihm so ganz ver traut, und sie stand allein in der Welt. Ein anderer hätte das Geld eingestrichen, sein Nänzel geschnürt und wäre gen Süden gepilgert zum gelobten Land -er Kunst. Und er, Bernd Martens, er handelte wie ein ehrsamer Philister, er heiratete sein Lenchen und wurde ein solider Hausvater. Und begrub seine Kunst. Und der andere, der Fritz Baldin ger, den er einst über die Achsel angesehen, der wurde ein Künstler, von dem die Well redete. — Un- was fällt ihm nur ein, solange müssig zu sitzen und zu träumen? Einen langen, schmerzlichen Blick wirst Bernd Martens auf die Staffelei in der Ecke, über die ein alter Vorhang geworfen ist. Ganz malerisch. Er hat sich nicht entschließen können, sie aus dem Atelier herauszubringen. Trotzdem er sie nicht braucht. Zum Herstellen von Ehrenbürgerbriefen, Wid- mungen, Adressen, zu Zeichnungen für Reklamezwecke und Büchereinbän-en braucht man keine Staffelei, da genügt ein Reißbrett. Monatelang denkt Bern- Martens gar nicht dran, daß es anders sein könnte; monatelang sitzt er gedul dig am Reißbrett und zeichnet und schattiert und mall aus, un- dazwischen gibt er Stunden — Zeichenstunden. Lenes Höchstes wäre es, wenn er eine feste Stellung hätte, als Zeichenlehrer vielleicht, aber dazu fehlt ihm die vorgeschrie bene Ausbildung. Er muß sich auf Privatunterricht be schränken. Zwei Stunden arbeitet Bernd eifrig an einer Adresse, dann ist sie fertig. Wirklich eine saubere Arbeit. Ein in den Ruhestand tretender Oberbaurat bekommt sie von sei nen Untergebenen zum Andenken. Der kann befriedigt aus seinem Amt scheiden — er hinterläßt vollwichtige Zeugnisse seines Schaffens. Lene, ich gehe, die Adresse abzuliefern. Erwarte mich nicht gleich zurück — ich muß Lust schnappen hellte. Der Kopf ist mir so schwer. — Damit geht er und hat bald darauf die Adresse abgeliefert. Es war ein Mindest- Honorar von achtzig Mark verabredet, aber der Besteller, ein Kunsthändler, ist so befriedigt von der Ausführung, daß er es freiwillig auf hundert Mark erhöht. Doch Bernd Mar tens ist heute nicht fähig, sich darüber zu freuen. Immer muß er an Fritz Baldinger denken, an den Genossen von der Akademie, dem jetzt die Palme des Sieges zugefallen, wäh rend er — Wie das schmerzt. Und der Kopf — dieses Häm- niern und Klopfen in den Schläfen! Die frische Lust wird ihm gut tun. Doch erst zu Schulte. Das Bild — er will das Bild sehen. Vielleicht ists gar nicht so well her, das Bild. Er ist ja kein Künstler, aber soviel wird er doch wohl noch verstehen, ein Gemälde richtig zu beurteilen. Un- dann steht er davor — wortlos, atemlos: Nein, da gibts nichts auszusetzen. Es ist ein Bild von packender Wirkung. Wie man den, Schläfer in dem zerwühlten Kissen die Oual vom Antlitz abliest, die er empfindet beim Erscheinen der aus nächtlichen Schleiern auftauchenden Traunigestalt, seines Opfers, der alten Frau mit der klaffenden Wunde am Haupt! Geleerte Flaschen zur Seite des Lagers beweisen, daß der Verbrecher, den irdische Gcrechtigkit nicht ereilt hat, nur in der Betäubung des Trunkes Ruhe findet. Goldstücke und Silbermünzen — sein Raub — sind ringsum verstreur, und ein paar liegen auf seiner Brust. Das Bild könnte einen verstockten Mörder zum Geständnis bringen. Bernd denkt gar nicht mehr daran, daß er hat tadeln wollen; alles kleinliche Menschentum ist von ihm abgefallen — er ist nur Künstler jetzt! Und so, in dieser Stimmung, wandert er die Linden entlang, durchs Brandeirburger Tor iu den Tiergarten, des sen verstecktere Wege menschenleer sind. Ihm, Bernd, eben