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II« I,«« 27. Zahrgang Frankreich imZahlungsitreikaeaen Amerika beschließt, ckie Dezemberrste an Amerika nicht zu zahlen — Herriots Sturz aber seine Ishlungs- Willigkeit Der Vertragsbruch Als die Kammer am frühen Morgen des Mittwoch dem Ministerpräsidenten Herriot die Gefolgschaft ver- sagte und ihn damit zum Rücktritt zwang, stimmten auch zahlreiche derjenigen Abgeordneten, die gegen ihn gestimmt hatten, mit in die Rufe „E- lebe Herriot!" em. Man stürzte ihn und bereitete ihm Ovationen! Denn nicht ihm und seiner Regierung Falt ja diese Feindschaft: man veranstaltete Äetmehr eine außen« Politische Demonstration, man protestierte gegen di« Alliierten des Weltkrieges, gegen die Bereinigten Staa ten von Amerika. Und -war tat man da« in der schärfsten Form, die denkbar ist — man zerriß einen Ver trag, den man einstmals freiwillig unterschrieben hat, Frankreich, das stets so schön von der Heiligkeit internationaler Verträge zu sprechen weiß, ist ver« tragsbrüchig geworden. Herriot selbst hat Wohl er kannt, wie folgenschwer dieser Schritt sein mutz. Nur deshalb — nicht etwa, weil er sachlich, anderer Meinung als die Kammermehrheit gewesen wäre — hat er ver zweifelt gegen den Kammerbeschluß angekämpft. Ein- dringlich schilderte er die drohende moralische und politische Vereinsamung, er malte auch die aus Deutsch land kommenden „Gefahren" mit alter Meisterschaft wieder aus, — dieses Mal aber nützte alles nichts. ES will in die Köpfe der Franzosen nicht hinein, daß sie selbst zahlen sollen, ohne von Deutschland weitere Zahl, lungen zu erhalten. Da« erscheint dem satten Rentner geist der Franzosen unmöglich; seine Vorstellungen von Gerechtigkeit, wie sie sich in den fetten ersten 13 Zähren nach Kriegsende gebildet haben, wehren sich dagegen und machen ihn unfähig zu logischem Denken und Die französische Kamme, beschließt: Keine Zahlung am 13. Dezember Paris, 14. Dez. Nachdem nach dem Sturz der Regierung die Minister da« Kammergebäude verlassen hat, len, Mumie die Kammer über den Entschließunasentwurf ab, den der Auswärtige Ausschuß und der Finanzausschuß der Kammer vorgeschlagen baden und der versteht, am 15. r teine Zahlung zu leisten. Dieser Entwurf wurde mit 380 gegen 57 Stimmen angenommen. Dir geänderte Schlußformel der Entschließung lautet: „Die Kammer ist ^nstM, daß eS angebracht ist, die am 15. Dezember fällige Zahlung zu verschieben." -erriots Sturz Parts, 14. Dez. Nach einer Sitzung, die mit kurzen Unterbrechungen über 15 Stunden dauerte, hat die franzö sische Kammer in einem Zustand ungewöhnlicher Erregung und Verwirrung den Vorschlag der Regierung,, mit Vor behalt an die Vereinigten Staaten zu schien, mit 402 gegen 187 Stimmen wbgelehnt. Das Ergebnis stand feit gestern fest. Ueberraschen muß nur, in welchem Maße die zur Debatte stehende Frage zersetzend auf die Regierungs parteien, ja sogar aus die Partei Herriots selbst gewirkt hat. Stellt man die Frage: was nach dem Sturz der Regierung Herriots?, so weiß niemanid eine Antwort, außer der einer nationalen Regierungsbildung unter Hinweis auf einen analogen Zustand, wie er 1926 nach dem Stünz des Fran ken eingetreten war und der zur Regierung der nationalen Einigung unter Poincars führte. Aber es gibt im Augen blick keinen Poincarö in der französischen Kammer, und es dürfte dem Präsidenten der französischen Republik schwer fallen, eine Persönlichkeit zu finden, die eine Sammlung vornehmen könnte. Herriot ist nicht wegen einer politischen Frage gestürzt worden, sondern wegen einer nationalen Frage. Gesamtrücktritt der Regierung Herriot vom Präsidenten angenommen Paris, 14. Dez. Ministerpräsident Herriot hat sich in Begleitung der Regierungsmitglieder heute früh ins Elhsse begeben und dem Präsidenten der Republik die Ge samtdemission des Kabinetts überreicht. Präsident Lebrun hat die Demission angenommen und das zurückgetretene Kabinett mit der Erledigung der laufenden Geschäfte be auftragt. Bereits heute früh um 9 Uhr hat der Präsident seine politischen Beratungen ausgenommen und die Präsi denten des Senats und der Kammer empfangen. Stürmische Strabenrundgebungeir Parts, 14. Dez. Wie schon an den beiden letzten Tagen war auch während dieser langen Nachtsitzuna die Kammer in Saal und Tribünen vis auf den letzten Platz gefüllt. Biele Hunderte von Zuschauern, die noch in später Stunde Einlaß begehrten, mußten ab- gewtesen werden. In den späten Nachtstunden kam e- erneut zu stürmischen Kundgebungen der „Action Francatse" in der ganzen Umgebung des Parlaments gebäudes, das immer von Tausenden von Schutzleuten, Gendarmeriemannschaften und von rings um da- Palais Bourbon verteilten Kraftfahrerabtetlungen ge schützt wurde. Wiederholt entspannen sich .heftige Schlägereien/ wobei ein Polizist und ein Demonstrant schwer verletzt wurden. Unter den Hunderten von Ber- hakteten befinden sich auch die Führer der Action Fran- caise, Leon Daudet und Pujol. Sie wurden nach eini gen Stunden wieder freigelassen. »eMMg In Washington Washington, 14. Doz. Die Entwickelung in Paris bildet hier das Tagesgespräch. Die Ueberraschung ist groß, da man noch bis gestern fest nwaftet hafte, daß Frankreich Englands Beispiel folgen und »cchlcnZwecke Man bezweifelt, daß Hoover nunmchr den Plan Mer Sonderbotschaft auSsühven wibd, da sie HWMich Vor Es ist, für den deutschen Leser, kaum nötig, immer wieder nachzuweisen, daß die deutschen Tribute und die Schuldenabtragung der früheren Verbündeten in Wirk lichkeit nichts miteinander zu tun haben. Di« Tribute beruhten auf einer Erpressung, auf dem mit dem Friedens-„Bertrag" ausgeübten Zwang.unserer Gegner. Ihnen stand keinerlei Gegenleistung! gegenüber. Sie hat ten den ausgesprochenen Zweck der „Wiedergutmachung" der im Kriege entstandenen Schäden. Zahllose Milliar den sind hierfür von Deutschland abgeführt worden» viel mehr, als zur Beseitigung der Krte^Sschäden tat sächlich notwendig war. Und trotzdem ist die Tribut zahlung erst eingestellt worden, als Deutschland — da« zudem seine eigenen Kriegskosten voMommen selbst «ge tragen hat — so ausgesaugt war, daß auf keine Weis« mehr aus ihm herauSzuholen war. Ganz anders He gen die Dinge bei den Schulden der Franzosen, Eng länder, Belgier usw. an die Bereinigten Staaten. Ihnen liegen richtige Anleihen zugrunde, die freiwillig Z-- gehrt wurden und zu deren Verzinsung.und Tilgung sich die Empfänger freiwillig verpflichtet haben. Ge wiß find mit den auf diese Weise von Amerika geliefert- ten Riesensummen zum guten Teil kerne produktiven Gegenwerte geschaffen worden, sie dienten vielmehr in der Hauptsache der Kriegsführung, aus dem Gold wurden Granaten. Aber erhebliche Mrlliardenbeträge sind doch auch ander- verwendet worden, woran «ine der amerikanischen Noten an England kürzlich erinnerter Rohstoffe und Lebensmittel wurden, nach dem Kriege, in Amerika dafür angekauft, Handelsanleihen wurden damit zurückbezahlt, als Währungskredite wurden sie behandelt, — kurz, dieser Teil hatte die echte, normale W^r"str die Amerikaner ist das überhaupt nebensäch lich: sie haben als Geschäftsmann, all» Bankier gehandelt, sie wollen das Geld Wiedersehen, das sie einst geschickt haben. Nicht um der „guten Sache" der Alliierten zu helfen, halben sie seinerzeit ihren Dollarsäckel geöffnet, sondern weil sie in diesem Kriegerin gutes Geschäft sahen, und sie haben keine Luft, sich jetzt, wveSchne-n sMtfchbscht geht - mit zwei Milliarden Dollar FeWetrag im Staats- haushalt und 12 Millionen Arbeitslosen! dAeS GeschSst. noch zerstören zu lassen. Und ein anderes ist schließlich noch wichtig: Die Schuldner, die sich h^te beim Zahlen so sttäu- ben, sind ja zahlungsfähig. Frankreich vor allem! Rund 80 Millionen Mark beträgt nur di« Dumme, di« Frankreich an diesem 15. Dezember zu zahlen hätte. Tin geradezu lumpiger Betrag wr da» reiche Franfteich,do^ im Gold« schwimmt, da» sich in diesen Tagen «st noch er» b!ten hat, England ^°ld v»r^^ßsn,^it d^e» sein, eigens SchMenrate bezahlen könnte! Nicht well sß nicht „«ndankberkeit und Ehrlosigkeit" ..Washington, 14- Dez. Die Weigerung Frank reichs an Amerika, die <mn 15. Dozemiber fällige Kriegs schuldenrate im Betrage von rund 19 Millionen Dollar zu zahlen, hat nicht nur ave Stimmung des Kongresses gegen eine SchuLdenrevision außerordentlich verschärft, sondern Mich zu Hefti Men Angriffen gegen das „undankbare Frank reich" geführt. Senator Watson greift Frankreich wegen seiner HMiiug in einer Sprache an, die man gerade als un geheuerlich bezeichnen muß, wenn man an frühere Zeiten denkt. Er erklärte unter anderem: „Ich hätte ein solches Verhalten nicht für möglich ge halten. Frankreich ist zwar immer der einsame Wolf unter den Völkern gewesen und seine Haltung uns gegenüber ist unentschuldbar und nicht zu verteidigen. Wer ich dachte, Frankreich würde wenigstens seine Ehre und seine Unantast barkeit wahren. Jetzt hat es sich der schnödesten Undank barkeit und nationaler Ehrlosigkeit schuldig gemacht." Mit Sicherheit wird für morgen nnr mit den Zah lungen Englands und der Tschechoslowakei gerechnet, Ita lien hat bereits heute, einen Tag vor Fälligkeit, seine Schul denrate bozaihü,. alles., übrige ist Mvgewiß.. Die - Zahlungs verweigerung Belgiens dürste nach Ansicht der amerikani schen Regierungskreise auch bei anderen Schuldnerstaaten Nachahmung finden. Die bisher bestehende scheinbar ge schlossene Front Europas gegenüber dem amerikanischen ..... - Gläubiger ist damit freilich gesprengt. Wer durch die Zah-'. blind für'die Folgen/ die" sich irgendwie auf Hetzen Fall lungsverweigerung eines Teiles der Gläubiger ist nach einstellen müssen, amerikanischer Auffassung die Aussicht ans eine spätere Re-I Vision der Schuldenverträge nur noch verschlechtert worden, s Die Regierung der Vereinigten Staaten wird offiziell die Nichtzahlung der französischen Dezemberrate ignorieren. Der Zahltag in Zahlen Washington, 14. Dez. Das amerikanische Schatz amt wird von den am 15. Dezember fälligen Schulden zahlungen nach Lage der Dinge vier Fünftel einkassieren können. Der Erhalt von 98,3 Millionen Dollar ist bereits praktisch sicher, während 26,6 Millionen Dollar zweifelhaft sind. Auf der Liste der zahlenden Länder steht England mit der weitaus größten Summe (95,5 Millionen Dollar) an der Spitze. Die französische Zinszahlung, die nach dem Sturz der Regierung Herriot voraussichtlich nicht geleistet wird, beläuft sich auf 19,26 Millionen Dollar. Hoovers voraussichtliche Antwort an Frankreich und Belgien Washington, 14. Dez. Präsident Hoover wird wahrscheinlich am Donnerstag eine Sonderbotschast an den Kongreß richten, in der er diesem davon Mitteilung machen wird, welche Maaten die am 15. Dezember fällige Zahlung nicht geleistet haben. Gleichzeitig wird er vielleicht an kündigen, daß er zu einer neuen Prüfung der Schulden frage bereit sei. Da es kein Organ gibt, das die Zahlun gen der Schuldner erzwingen könnte, werden sich die Partei führer im Kongreß damit begnügen müssen, Mutmaßungen über die mögliche Rückwirkung der Nichtzahlung aus den Kredit der nichtzchlenden Staaten anzustellen. Aufhebung cier Tsrif- lockerungsveroränung Berlin, 14. Dez. Die Reichsregierung hat heute die Aufhebung der Verordnung zur Vermehrung und Er haltung der Arbeitsgelegenheit vom 5. September 1932 be schlossen. Als Beendigungstermin ist der 31. Dezember 1932 vorgesehen. Um jedoch Arbeitgebern, d^ von der Verordnung Gebrauch gemacht haben und ihre Arbeit nehmerschaft vor wirtschaftlichem Schaden zu bewahren, kann der Schlichter unter gewissen Voraussetzungen die Be- rechtigung zur Tariflohnunterschreitung noch bis zum 31. Januar 1933 verlängern. Entsprechende Anträge müssen ftiätestens am 31. Dezember 1932 beim Schlichter ein- - t^aanaen sein. Der zweite Teil der Verordnung, der den . Schlichter ermächtigt, für gefährdete Betriebe auf tariflichem l Gebiet Erleichterungen zu gewähren, kommt mit Ende Ja- . nu« 1SSS -um Wegfall. Mit der Verordnung verliere« wettere- ihrs Wirkung. Auer Tageblatt Anzeiger Mr Aas Erzgebirae «MZZs Hreitan, äen 16. Dezemder 1932