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Mer Tageblatt Nr. 2SS Donnerstag, äen 12. Dezewiber 1S2S LEM Mzeiger für öas (rzgebirge r... 0. ««.h-U-n» »I, -Milch.» N«„ »„ u°S - 24. Jahrgang Die große Jinanzreform Um »a« geht «»? — Di« vermeintlichen Pläne der Reichs- rrgterung — Entscheidende Besprechungen — Vor der großen AuseimurbersetzMg im Reichstag Uim wa» e» bet der bevorstehenden großen Finanz- reform geht, sagt uns niemand Lesser, als der bekannte demokratische WtrtschaftSpolitiker Gustav Stolper im neuesten Heft seines „Deutschen Volkswirts". Aber handelt es sich denn bet dem, schreibt er, was wir unter der Ftnanzreform verstehen, wirklich darum, ob nun aus Alkohol und TabLk 200 oder 300 Millionen mehr oder weniger herausgeholt werden sollen? Die Finanztechntker aller Parteien mögen darüber streiten ur.d bet dem oft verzerrten Augenmaß für die Grö ßenordnung von Kampfobjekten einander dabei die fe einschlagen. Der deutsche Staat und die deutsche Wirtschaft sind von diesem Streite unberührbar. Die Hoffnungen, die wir zu erwecken versuchen, sind auf etwas anderes gerichtet: Ihr Ziel ist nichts Gerin geres als die Behebung der wirtschaftlichen und so zialen Nöte, an denen Deutschland zugrunde geht, durch das einzige Mittel, durch das sie behoben werden tönnen. Nicht ohne Grund haben wir die Auseinan dersetzung über den Fun ktt o n swan d e l der Fi nanzpolitik an die Spitze der Betrachtungen ge stellt, die unseren Finanzplan motivieren sollten. Al lerdings sind wir der Meinung, daß eine Zeit, die ihren Stolz darein setzt, durch die Technik der Materie, durch den Geist die Natur der Menschheit dienstbar zu ma chen, nicht die Politik allein als geistigen Naturschutz park für Stümperei und Dilettantismus erhalten darf. Ebenso sind wir der Meinung, daß ein Land, das Größtes in Kunst und Technik und Wissenschaft hervor gebracht hat und täglich neu hervorbringt, nicht an der Ideenlosigkeit und Kraftlosigkeit seiner Politiker zu schanden werden darf. Wir vertreten gleichfalls die Auffassung, daß ein Land mit einem Volkseinkommen von 65 bis 70 Milliarden RM oder darüber die zwei oder drei Milliarden zusätzlicher Kapitalbildung er zwingen kann, die es braucht, um seiner Wirtschaft wieder ein Halbwegs tragfähiges Fundament zu geben. Allerdings sind wir schließlich der Meinung, daß daran die Arbeiter und just die ärmsten unter ihnen ein stärkeres Interesse daran haben, als daß man sie in Tabakdunst und Alkohol verkommen läßt, ein stärkeres Interesse, als daß man Länder und Gemeinden außer stande setzt, ihnen menschenwürdige Behausungen zu 'chasfen, die Millionen heute noch entbehren müssen. So Gustav Stolper. Das neue Finanzpro- gramm der Reichsregierung liegt noch nicht in allen Einzelheiten vor. Seit dem Erscheinen des Schacht memorandums arbeitet jedoch das Neichskabinett mit Hochdruck an seiner Vollendung. Die erste Lesung des großen Finanz- und Steuerprogramms wurde von der Regierung am Montag abgeschlossen. Um die Mit tagszeit erschienen bereits die HaushaltSreferen« ten der einzelnen Regierungsparteien im Reichsfinanz- ministerium, um die letzten .Pläne und Formulierun gen des Reichskabinetts entgegenzunehmen. Am Diens tag beginnen die Besprechungen der Partei führer. Da kein Mensch annimmt, daß diese schon am.Dienstag abgeschlossen werden können, zumal auch die Fraktionen befragt werden sollen, wurde die an gekündete Kanzlerrede bereits vom Mittwoch auf Donnerstag verschoben. Es muß jedoch als fraglich bezeichnet werden, ob Reichskanzler Müller schon am Donnerstag da» große Finanzprogramm im Reichstag öffentlich verkünden und im .Anschluß daran die Ver trauensfrage stellen wird. Wie wir hören, handelt es sich beim Steuerpro gramm um eine Steuersenkung von insgesamt 80 0 Millionen RM, die im kommenden Haus haltsjahr an verschiedenen Steuern gestrichen werden sollen. Me neue Steuerreform will die Landwirtschaft von den Rentenbankzinsen befreien. Die Jndustriebe- lastung soll gleich im ersten Jahre des Young-PlaneS um 130 Millionen gesenkt werden. Auch die Einkom mensteuer wird in Etappen beträchtlich gesenkt Die Senkung beläuft sich für da» Haushaltsjahr 1930/31 auf etwa 200 Millionen RM, sie wird aber schon in den nächsten Jahren auf rund eine Milliarde RM stei gen. Auch die Realsteuern werden zur Entlastung de» Mittelstandes erheblich abgebaut, für da» nächste Jahr bereit» um 380 Millionen RM. Me Zuckersteuer in der Höhe von 160 Millionen soll gänzlich wegsallen. Wie sich au» diesen Zahlen ergibt, überschreiten die ge planten Steuersenkungen wesentlich die Ersparnisse de» > Aouna-PlaneS. Bei der ungünstigen Kassenlag« de» Reiche» bleibt somit nicht» übrig, al» für neue Ein nahmen zu sorgen. Al» neue Einnahmequellen kommen Erhöhungen der «iersteuer und der Tabaksteuer tu grag». La» Mnauzprogram«, von dem da» «teuev- Programm nur einen Teil darstellt, sieht außerdem Ge setzentwürfe vor, die sich mit dem Finanzgebaren der Länder und der Gemeinden befassen. Für unsere Kom munalpolitiker ist dabei von besonderem Interesse, daß zum Ausgleich der bevorstehende Ausfälle in der Finanz politik der Gemeinden ein beweglicher Faktor erschei nen soll, die sogenannte Kopfsteuer, die es den Gemeinden ermöglicht, sich freier zu bewegen, nicht aus Kosten des Reiches und der Länder, sondern auf eigene Verantwortung hin. Wie die Verhältnisse im Reichstag und tn den Koalitionsparteien liegen, ist, wie bereits angedeutet, kaum zu erwarten, daß die Koalitionsparteien sich über das Finanz- und Steuerprogramm, das der Neichsfinanzminister Dir. Hilferding am Montag den Haushaltsreferenten und Parteiführern unterbreitete, über Nacht einigen werden. Die Deutsche Volks- Partei erstrebt größere Abstriche am Haushalt des Reichsarbeitsministeriums, sie wünscht eine noch wei tergehende Senkung der Realsteuern und vornehmlich eine endgültige Bereinigung de» Streite» uml die Ar beitslosenversicherung. Die Demokraten haben ihre besonderen Wünsche schon am Sonnabend tn einem Fratz- ttonSbeschluß niedergelegt und der Öffentlichkeit un terbreitet. Da» Zentrum hat sich -war finanziell noch nicht gebunden, doch weiß im Reichstag jedermann, daß auch die Zentrumspartei ihre Sonderwünsche hegt. Die Bayerische Volkspartei erklärt jötzt wie früher, daß! für sie eine Erhöhung der Biersteuer nicht in Frage kommt. Die Sozialdemokraten ihrerseits hegen stärkste Bedenken einer Erhöhung der Bier- und Tabak steuer beizupflichten. Ohne schwere Kämpfe innerhalb der bestehenden RegierungSkoalition de» Reiche» und vornehmlich in einzelnen Fraktionen, wird schwerlich, eins Einigung erzielt werden. Dien Aus schlag gibt wenigstens im gewissen Sinne die sozial demokratische RetchStagSsraktion, die darüber zu ent scheiden hat, ob sie die finanzpolitischen Wege einzu schlagen gedenkt, die ihr sozialdemokratischer Finanzmt- ntster Dir. Hilferding verschlägt. Sinn« des beutschnationalen Parteiprogramm- die sträst« erneut k zu einer großen Bewegung zusammenzufassen, so hat oer VeMch iD-ttsparte! nur Zweck, wenn erstens der gegenwärtig« Part^ovrsltzende sofort ^rats H »»» Amz »urücktritt. -weitens die Parteileitung neugestq)- g«a«niider u A aniaht auch schneiden. der Fraktionen Der „Vorwärts" sagt in seiner Abendausgabe do« Dienstag schon die Schwierigkeiten Vorau», die leicht Vorauszusehen sind. Me sozialdemokratische RetchStagSsraktion möchte eine Krise vermeiden. Sie wird der Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zustim men, zumal sie eine Forderung der Sozialdemokratie darstellt. Auch eine Erhöhung der Steuern auf Alko hol und Tabak läßt sich schwer ablehnen, schreibt „Der Abend", zumal diese Steuern in anderen großen Län dern viel höher sind, als bet uns. Fraglich bleibt jedoch, ob sich, die Fraktion zu einer Dorwegncchme eines Teiles der Finanzreform und zu einer Festle gung auf ihre übrigen Teile entschließen wird. Hier scheinen uns, so weit die sozialdemokratische ReühS- tagssraktion in Betracht kommt, die allergrößten Schwie rigkeiten zu liegen. Einen besonderen Streitgegenstand bildet die sogenannte „Kopfsteuer", die Verwaltungs gebühr. die in den Gemeinden die Gewerbesteuer ganz oder teilweise ersetzen soll. „Die Sozialdemokratie kann dieser unsozialen Steuer ihre Zustimmung nicht geben. Alles in allem wird man trotz de» ziemlich allgemein nen Bestrebens, die Regierung unbeschädigt durch dis zweite Haager Konferenz zu bringen, die augenblickliche innenpolitische Lage nicht al» gefahrlos bezeichn nen können." Me ReichSregierung will, wie verlautet, dreierlei: 1. ein Vertrauensvotum, zweitens die Beitragserhöhung zur Arbeitslosenver sicherung und die Erhöhung der Konsum steuern auf Bier und Tabak bis zum^l. Januar, also noch in diesem Jahre, und dritten» ein Ver sprechen der Regierungsparteien, daß sie die Finanzreform im Sinne der vom Kabinett be schlossenen Erklärung erledigen wollen. Me hinter der Reichsregierung stehenden Fraktionen haben jetzt da» Wort! Zweck, wenn erstens der gegenwärtig« oarwirvriisenv« von seinem Amt -urücktritt, -weitens die P^eMwng neugest tet wird drittens die Partei auf der gan-en Lini« zurückkehrt, ikrer allen Grundlage: für Vaterland, für Christentum und s gesunde So-Ialresorml, und vierten, di, Blutung der Arb^t- uebmerschast al» »ine, in jeder Beziehung gleichberechtigti« Tei- 1«, der Vvllsgemoinschast gnmdfMch and praktych auerkermt. Der Parteivorstanb der Deutschnativnalen Dolkwartei de, Landesverbandes Düsselövrf-Ost «beschäftigte sich mit denAu»- trtttenn aus der Fraktion und Partei und erklärt«, er steh« fest -u den Abgeordneten seines Wahlkreises. Die beiden Abgeordneten, denen der Parteivorstanb sein Vertrauen aussprach, sind Minister a. D. Dr. Koch und Dr. Rei chert, di« au« der Fraktion auotrattn. «s bröckelt weiter Sin« Reihe d«ut!schna1ionaler F ü h r er au, der christ lich-nationalen Gewerkschaft«- und der«van. gelischen Arheitervereinsbewe-u«» veröffentlicht folgend« Erklärung: .. - katastrophale Entwicklung, die die Deutschnanonat« unter Führung ihres derzeitigen Dorsitzenden. De- helmrats -ugsnberg, genommen hat, insbesondere dasVvrgehrn gegenüber unseren Freunden Hartwig, Lamibach Md HMr, der gemeins chaft in und durch di« Parisi bemüht, es mar pWßMst- Die Gärung bei den Deutschnationalen Reichstagsabgeordneter Behren« aus der D.R.B.P. ausgetreten Di« Wähler stehen fest zu den Ausgetre^neu Der Reichstagsabgeordnete Behren», der vor einigen Tagen gemeinsam mit dem Abgeordneten Mumm aus der deutschnativ- nalen Reichotagsfraktion ausgeschieden war, teilt/der Deutscyen Tageszeitung zufolge mit, daß er jetzt auch seinen Austritt au» der Deutschnationalen Volkspartei erklärt hat. Der Deukfchnationale Ardetterbund gegen Hugenberg Die „Germania" berichtet Über eine Entschiießung des Deutschnationalen Arbeiterbundes im Wahlkreis Düsseldorf-Ost, dem Wahlkreis des deutschnationalen Reichstagsabgeordneten und früheren Reichsverkehrsminifter» Koch. Jn ihr. heißt es u. a.: Wenn es noch ein« Möglichkeit geben sollte, im Rahmen und im Schwieriger Weg Ker Reichsfinanzreform Di« Bedenken Das Neichskabinett hat in der Nacht zuni Montag auf Dienstag noch einmal seine Pläne der Finanz- und Steuerreform durchberaten, und sich ge einigt. Daraufhin sind am Dienstag vormittag die Fraktivnsführer von Reichskanzler Müller empfangen worden, um die Projekte der Regierung zur Kenntnis zu nehmen. Unmittelbar darauf tagten einige Fraktionen. Me Mehrheit der Fraktionen befaßte sich aber erst am Dienstag abend eingehend mit dem Finanzprogramm der Reichsregierung. Von de^ Er gebnissen dieser Fraktionsberatungen hängt die weitere Entwicklung wesentlich ab. Me Reichsregierung selbst hält ihre Beratungen für abgeschlossen, sie ist jedoch bereit mit den Parteiführern erneut zu verhandeln, falls diese es int Verlauf des Mittwoch wünschen soll ten. Im übrigen hält Reichskanzler Müller daran fest, daß am Donnerstag die Regierungserklärung abgegeben werden soll. > Wie zu erwarten war, machten die Bayerischen Volksparteiler durch ihren Vertreter im Kabinett. Reichspostminister Schätze!, schon große Schwierigkeiten gegen die Erhöhung der Biersteuer. Schätze! stimmte schließlich dem FiuanzProgramM zu, doch ist niemand sicher, ob die Fraktion der Bayerischen Volkspartei seine Auffassung teil. Wie wir hören, beabsichtigt der Neichsfinanzminister M. Hilf er di ng, von dem Auf kommen der Biersteuer 70 Prozent den Ländern zu überweisen, um dadurch den lebhaften Widerstand der Bayerischen Volkspartei zu brechen. Ohne schwere 'Kämpfe in dn Fraktion der Bayerischen Vokkspartei wird das Bteropfer kaum gebracht werden. Aehnliche Kämpfe werden auch in anderen Frak tionen durchgeführt werden müssen. Hart auf hart geht es besonders bei den Sozialdemokraten zu. Tas zeigt schon rein äußerlich die Zusammensetzung der sozialdemokratischen Vertretung, die am Menstag vor mittag beim Reichskanzler erschien. Es waren die Her ren: Löbe, Wels, Mttmann, Breitscheid und Hertz.