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Nr. 237 Donnerstag, äen 10. Oktober 1S2S LMM /Anzeiger für -as Erzgebirge LM emhaUko» öl« amtlich«» vtkaalltmachungea S«s Not«« ö«r Statt »»» örs fimtsgerlchts Alle. stml ««I« «.>«« 24. Zahrgang Selbllruckr - nickt SölbMuckr Befremden ficht das deutsche Volk sich seit geraumer Zeit beinah« regelmMg im Reichstag bet der Erörterung aesetz- A^erischer Maßnahmen oder Maßnahmen allgemein- zwischen den Parteien abspielen. Was alle Angriffe der Opposition von recht« und von links niemals fertig gebracht Hütten und niemals fertig Aben die Parlamentarischen Bertre- Parteien, die sich zum demokratisch^parla« RegierungSshsteM bekennen, fertiggebracht r nicht gar die Untergrabung des ^i^ens des deutschen Reichstags im Volke. Es zeigt s^.v°n Jahr zu Jahr mit wachsender Stärke, wie über- Eigdte Wahrnehmung einseittger Parteiinteressen 1 Interessen deS Allgemeinwohls überwuchert. Beschämend waren auch diesmal wieder die Verhandlungen über die Arbeitslosenreform. Dieser kleinliche Schacher zwischen den Parteien, die Unnach- glebigkeit der einen und der anderen Partei in — gemessen an den großen allgemeinpolitischen Gesicht«- Punkten — an sich unbedeutenden Einzelheiten, sind leider nur zu sehr dazu angetan, das parlamentarische Regierungsshstem beim deutschen Volke weiter in Miß- kredit zu bringen. In dieser Richtung ist außerordent lich bezeichnend der Ausspruch! eines einfachen Mannes au« dem Volke, der unter Bezugnahme auf den Wirr warr über die Arbeitslosenreform sagte: „Was ma chen die wieder für ein Theater, und dann wundern sie sich, daß so viele Bomben geschmissen werden." Der Mann hat mit diesem Ausspruch ganz zweifellos dem Gefühl breitester Volksschichten Ausdruck gegeben. In der Tat, so geht es nicht weiter.^ ES ist da her eine sehr verdienstvolle Tat des Führers der Demokratischen Partei, des Reichsministers a. D. Koch- Weser, daß er einmal den Finger auf diese Wunde des " neudeutschen Parlamentarismus gelegt hat. Der Abg. Koch hüt auf dem.Demokratischen Parteitag in Mann heim einen Standpunkt vertreten, der ein Beweis für wahre staatsmännische Auffassung ist und zeigt, wie man bet aller berechtigten Wahrnehmung der Inter essen seiner Partei sehr wohl Rücksicht auf das Mll- gemeinwvhl zum Mittelpunkt und Ausgangspunkt sei nes Handelns machen kann. Der Abgeordnete Koch hat klar die Gefahren herausgestellt, die dem neuen deutschen Volksstaat innerpolitisch drohen. Mit- vol lem Recht hat er festgestellt, daß diese Gefahren nicht so schr bet den Gegnern der Republik liegen, als vielmehr in dem Mißbrauch, der von den Vertretern des parlamentarischen Systems selbst mit den bestehen den Einrichtungen der Republik und der Verfassung getrieben wird. Er hat mit Recht davon gesprochen, die Verfassung von Weimar sei gut, aber was die Parteien aus ihr gemacht hätten, sei ein Zerrbild. Der Mahnruf, den der demokratische Führer Koch an seine eigene Partei, ober auch an die übrigen Parteien der Mitte gerichtet hat, verdient ernstlichst« Beachtung. Seine Forderung, daß die Selbstsucht der Parteien sich in Selbstzucht verwandeln möge, ist nur allzu berech tigt. Las Wort des verstorbenen Zentrumsführers Gröber muß wieder zur vollen Geltung kommen: „Das Vaterland über Vie Partei!" Tiie Mahnung des Demokraten Koch richtet sich, aber auch an die Parteien der Opposition, wenigstens so wett sie sich als national bezeichnen und nicht, wie die Kommunisten, eine internationale Gruppe bilden. ES hat einmal eine Zeit gegeben, wo die wirklich na tionalen Kräfte innerhalb der deutschnationalen Par tei ihren Einfluß geltend machen und ihre Partei vor solchen Unbesonnenheiten — um keinen schärferen Ausdruck zu gebrauchen wie sie jetzt unter der Führung HugenbergS mit dem Volksbegehren began gen werden, In diesem Zusammenhang ist es von Interesse, daß der Abg. Koch-Weser ein sozusagen tnnerpolitt- scheS Vermächtnis des verstorbenen ReichSaußenmini- sterS Stresemann bekanntgegeben hat. In seinem letz ten Gespräch mit dem Abg. Koch hat Dir. Stresemann die Notwendigkeit betont, dem „nationalistischen Block, der Mißbrauch mit vaterländischen Gefühlen treibt, einen Block aller national bewußten Deutschen gegen- überzustellen". Wir sollten meinen, daß diese letzte politische Willensäußerung Dr. StresemannS bei den Parteien der Mitte aus fruchtbaren Boden fällt. ES ist wirklich an der Zeit, daß dem Unfug, den der Hu- genbergsche RetchSausschuß für das Volksbegehren tteibt, endlich ein fester Abwehrblock aller derjenigen Parteien gegenübergestellt wird, die mit uns in diesem Volksbegehren eine Schädigung de« deutschen Volke- nach außen und auch in seinem ^"e^olittschen Zm sammenhatt sehen-. Schr treffewd ^während Sitzung de» Hauptas-schuM de« Deutschen Industrie- und Handelstages die Verhetzungspolitik HugenbergS und seines Anhangs gekennzeichnet worden.- Tier Hu- genbergsche Reichsausschuß hatte sich daher bemüht, den Anschein zu erwecken, als ob die berufene Vertretung der deutschen Industrie und deS deutschen Wirtschafts lebens ebenfalls den Young-Plan ablehne und sich innerlich mit den Veranstaltern des Volksbegehrens einig fühle. Daß nicht dies der Fall ist, sondern das Gegenteil, hüt die jüngste AuSschußsitzung deS Deut schen Industrie- und HandelStageS in Berlin zweifels frei ergeben. Tier Berichterstatter hat ausdrücklich! an erkannt, daß „bet leidenschaftsloser Abwägung der Vor teile und Nachteile die Verbesserungen de« Young- Planes gegenüber dem Dawes-Plan nicht zu bestrei ¬ ten" seien. Aus der Erörterung über Vie Au-ftWun- gen des Berichterstatters gcht weiter unzweideutig her vor, daß es die allgemeine Auffassung de» Deutschen Industrie- und Handelstages ist, daß zwar der Young- Plan Besorgnisse wegen seiner Durchführbarkeit bo- rechtigt erscheinen läßt, daß aber trotzdem die Annahme de« Uoung-Plane» da- „kleinere Uebel" bedeutet, und daß es „außerordentlich verfehlt und gefährlich ist, da« so verwickelte Reparattonsproblem durch Schlagworte oder gar durch Aufwühlung de« Boasleidenschäften zu Verwirren". Ein vernichtenderes Urteil, al« eS hie« in durch aus sachlicher Weise über Hugenbera und sein Volk»- begehren gefällt ist, ist kaum vorstellbar. Hinter den Mauern der Pariser Sowjetbotschaft Di« Tscheka verursacht „Unglücksfälli" Von der Berliner Botschaft der Sowjetunion in Parts werden Mitteilungen verbreitet, wonach bereits am 24. September das Moskauer AußenkoMmissariat den Botschaftsrat Bessedowskh aufgefordert habe, sei nen Posten zu verlassen und sich nach Moskau zu be geben, um Rechenschaft über die Verwendung .eines ihm unterstehenden Fonds abzulegen. ES wird weiter aus das Entschiedenste behauptet, daß! Bessedowskh nie mals irgend welche Meinungsverschiedenheiten mit der Regierung oder mit anderen Mitgliedern der Bot schaft gehabt habe. Die garye Affäre sei von ihm nur deswegen inszeniert, um die Aufmerksamkeit von seinen Unterschlagungen abzulenken. Wenn das Moskauer AußenkoMmissariat am 24. September Bessedowskh aufgefordert hcchen will, über etwaige Veruntreuungen Rechenschaft abzulegen, so muß man in Moskau doch mindestens am 23. Sep tember schon von diesen Veruntreuungen gewußt haben und zwar hätte man sie eigentlich nur durch! den Chef der Pariser Sowjetbotschaft, Dowgalewski, erfahren ha ben können. Merkwürdigerweise hat aber Dowga- lewski, als er am Abend de« 23. September seine Reise nach London antrat, Bessedowskh noch zu sei nem Stellvertreter ernannt iHv mit der Geschäftsfüh rung beauftragt und dies auch dem französischen Außen ministerium offiziell zur Kenntnis gebracht. Ferner muß auffallen, daß dem französischen Außenministe rium erst nach dem skandalösen Vorfall in der Pariser Sowjetbotschaft, nämlich am Donnerstag, dem 25. September, die offizielle Mitteilung von der Abberu fung BessedowskhS zugegangen ist. Man muß also zwar zugeben, daß! man in Moskau ziemlich rasch ge arbeitet hat, es bleibt aber kaum zu bezweifeln, daß man in der Eile vergessen hat, sich die einzelnen Tat sachen richtig zu vergegenwärtigen und daß man in folgedessen zur Unschädlichmachung BessedowskhS eine Taktik eingeschlagen hat, die sich! selbst Lügen straft., Unter diesen Umständen gewinnen andere Tinge, die bei dieser Gelegenheit bekannt werden, doppeltes Gewicht. Wie jetzt bekannt wird, ist nämlich im fran zösischen Außenministerium schon aM Montag, dem 23. September, also noch vor dem Ausbruch der Skan dalaffäre eine offizielle Mitteilung eingegangen, wo nach die Sowjetbotschaft bekanntgab, daß „infolge der Abreise BessedowskhS der zweite Botschaftsrat Ahrens das Amt eines Geschäftsträgers antritt". Nun war damals Bessedowskh keineswegs verreist, war vielmehr von Dowgalewski soeben erst mit der vertretungswet- sen Leitung der Geschäfte beauftragt.. Man kann sich hier also in der Tat kaum der Vermutung entziehen, daß diese Mitteilung schon die Vorbereitung für die Verwischung etwaiger Spuren einer geplanten Exeku tion an BessedowÄkh darstellt, einer Exekution, der Bessedowskh nur durch seine rasche Flucht entronnen ist. Wie der Berichterstatter der „Neuen Zürcher Zei tung" wissen will, ist e« Übrigens für die Lage be zeichnend, daß auch Dowgalewski eine Begegnung mit dem von der Tscheka nach Parts entsandten Roiso- mann fürchtet, weil dieser die Pariser Botschaft al« ein Nest der Opposition und ihren Letter al« diplo matisch und parteipolitisch äußerst untätig bezeichnet. Ueber die Position de» Botschafter« gegenüber derarti gen Tscheka-Delegierten wird ferner mancherlei bekannt, wa« geeignet ist, die dunklen Umtriebe in russischen Auslandsvertretungen zu kennzeichnen. So soll der ständig« Shef der Tscheka bei der Pariser Botschaft, «in gewisser LanWttsch, berechtigt sein, mit der Mos kauer Regierung in einer Geheimchiffre zu Verkehren, die nicht einmal der Botschaftsrat kennt, der aber seinerseits derartige Ehiffretelegramme mit seinem Botschaftersiegel für die diplomatische Beförderung le» gittmieren muß. Bezeichnend genug dafür, wie un behaglich man sich aus russischer Seite bet dieser An gelegenheit fühlt, ist die Tatsache, daß man russischer seits mit keinem Wort mehr von dem angekündigten Protest gegen das Eingreifen der Polizei in der russi schen .Botschaft spricht. Auch dies übrigen» ein Beweis dafür, daß! Bessedowskh in der Tat noch die Leitung der Botschaftsgeschäfte in der Hand hatte, weil er sonst die Aufhebung der Exterritorialität nicht hätte fordern, geschweige denn durchsetzen können. Da» fran zösische Außenministerium hat nämlich deutlich, zu Vev- stehen gegeben, daß ein solcher Protest die französi sche Regierung veranlassen würde, ihre Auffassung über den ganzen Vorfall, also auch über die Inan spruchnahme der Exterritorialität zu offenbar verbre cherischen Zwecken, mit aller nur denkbaren Eindeutig keit zum Ausdruck zu bringen. Zu diesem letzten The ma hat Bessedowskh erklärt, daß ihm zwar von vev- brecherischen Anschlägen in den Räumen der Pariser Botschaft nichts bekannt sei, doch wisse er von ähn lichen „Unglücksfällen" aus anderen diplomatischen Ver tretungen der Sowjets, so z. B. von dem Fall de« Sekretärs der Wiener Botschaft, Jaroslawskt, der.ver giftet wurde. Im übrigen will Bessedowskh den fran zösischen Behörden ein umfangreiches belastende« Ma terial zur Verfügung stellen, das allerdings nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sein soll.. Man wird da« diesem Mann schwerlich verdenken können, der zur Er klärung der Skandalaffäre zunächst al« geisteskrank, dann als undiszipliniert gegenüber seinen Vorgesetzten, dann als konterrevolutionär und schließlich, <ü» alle« nichts half, als Dieb bezeichnet wurde. Amtlich unterstützte Hetze Me Veröffentlichung der zwischen der Reich» regierung und der Preußischen StaatSregterung kürz lich vereinbarten Richtlinien für die Auswahl von Zeitungen zur Bekanntgabe amtlicher Veröffentlichungen hat einen neuen Entrüstungssturm in der Rechtspresse Grvorgerufen, die diese Richtlinien al« die Vorberei tung zu einem Anschlag auf die Pressefreiheit zu deu ten versucht. Man beruft sich insbesondere auf den Artikel 118 der Reichsverfassung, der da» .grundsätz liche Recht der freien Meinungsäußerung festsetzt und bestimmt: „Niemand darf ihn (den, der von seinem Recht zu freier Meinungsäußerung Gebraucht macht) benachteiligen, wenn er von diesem Recht Gebrauch macht." Abgesehen davon, daß die Erteilung von Druckaufträgen eine Angelegenheit ist, deren Regelung vollkommen im.freien Ermessen der betreffenden amt lichen Stellen steht und stchen mutz, aus die also keine Zeitung einen Anspruch erheben kann, sollte man mit allem, was nach Boykott auSsieht, gerade in Rechts kreisen sehr vorsichtig sein, denn niemand kennt besser den Bohkotterror in gewissen Gebieten de« Reiche», als wer etwa in Pommern von seinem Recht der freien Meinungsäußerung Gebrauch machen will. AM übrigen sei darauf htngewiefen, daß Punkt 2 der ver öffentlichten Richtlinien eine paritätische Regelung M den Fall Vorsicht, wo an einem Ort oder in einem Verwaltungsbezirk .mehrere Zeitungen verschiedener Po litischer Richtungen erscheinen. Daß kein« Regierung stch danach drängt, *!« im redaktionellen Teil «in«