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21. Jahrgang Donnerstag» äen 12. August 1926 Nr. 186 ^uer Tageblatt -NM- /Anzeiger für das Erzgebirge r.i.sr°mm., rag.di-.tt Nu.erzg.dira,. EothaUeaö tie omklkchen s»ka«atnrach«»s<m -e» Nate» -I» Gta-Ü uat t,» fimt-gericht» ^a». p.stfch»ck-».w. k»«' e.»p,'g Nr.'»»* Die Verfassungsfeier im Reichstag. Rede des Innenministers Dr. Külz. Berlin, 11. August. Kein jubelndes Fest ist es, das wir am! 11. August, dem Tage der Verfassung von Weimar, begehen, son dern eine Feier ernstesten Gepräges, ein Tag der Ein kehr der Selbstbesinnung, der nationalen Sehnsucht und Hoffnung, ein Tag, an dem das ganze Deutsche Volk sich eint in dem Gedanken an das Schicksal seiner selbst. Die letzten Maßstäbe für das ungeheure geschicht liche Geschehen zu finden, dessen Zeuge wir seit 1914 sind wird erst einer späteren Zeit Vorbehalten sein: eine spätere Zeit erst wird auch dem deutschen Volke unserer Tage und seinem Ringen und Streben die rich tige Inschrift setzen können. Gebe Gott, daß sie dereinst nicht lautet: Gewogen und zu leicht befunden, sondern von unserem Volke geschrieben stehe: Durch Not und Niederbruch empor zu neuer Höhe! Es hat keinen Sinn leugnen zu wollen, daß der hohe ethische Gehalt der Verfassung von Weimar auch heute noch in weiten Kreisen des deutschen Volkes ver kannt wird. Diese Erscheinung hat eine naheliegende historisch-psychologische Begründung. Die Verfassung des Kaiserreiches war der Abschluß einer über viele Jahrzehnte sich erstreckenden geschichtlichen Entwicklung, geboren in dem Augenblick, als der alte deutsche Traum von der Einheit des Deutschen Reiches sich erfüllte; sie war die im Moment ihrer Entstehung fast selbstverständ. liche Konsequenz eines historischen Geschehens und stand am Ende eines äußeren Aufstieges zur Höhe. Ganz an ders die Verfassung von Weimar. Sie kam in der Zeit der tiefsten nationalen Not, sie kam als Abschluß einer Revolution, sie kam einem im Trauergewande und Skla. venketten einhergehenden Volke. Es ist klar, daß eine Verfassung, die entstanden ist in der düsteren Atmo sphäre äußerer Niederlage und inneren Zusammenbru ches nicht von vornherein im Volke so fest wurzeln kann, wie eine Verfassung, die auf der Höhe außenpolitischen Erfolges sich gewissermaßen von selbst einstsllte; und doch ist die Bedeutung gerade einer solchen Verfassung ungleich größer. Es gibt kein zweites Beispiel in der Geschichte der Welt, wo ein Volk in einer Zeit so furchtbarer Heim suchung so schnell Willen und Kraft zu Kiner von so tiefem .sittlichen Ernst getragenen Neuordnung seines staatlichen Lebens fand. Wer richtig erkennen will, was eine solche Neuordnung in der Zeit, in der sie geschaf fen wurde, bedeutet, der muß sich einmal an die Stim mung unserer damaligen Feinde versetzen, die auf den Zerfall des Deutschen Reiches gehofft hatten und nun unmittelbar nach dem Diktat von Versailles nicht den Zerfall dieses Reiches erlebten, sondern in der auf dem Rechtsboden der Verfassung von Weimar erstehenden deutschen Republik ein neues Deutsches Reich von star kem Selbsterhaltungswillen vor sich sahen. Und er muß sich einmal in die Stimmung derjenigen Radikal-Revo lutionäre hineindenken, die die Revolution in Perma nenz erklären wollten und nunmehr wenige Monate nach dem Zusammenbruch des alten Staates eine durch das Volk selbst geschaffene neue staatliche Ordnung vor sich sahen. Wenn man die Dinge so, betrachtet, dann erscheint die Verfassung von Wirmar als der Sieg des staatlichen Selbsterhaltungswillens des deutschen Volkes gegenüber dem von außen und in nen andrängendcn Vernichtungswillen. jGewiß: eine Verfassung ist nichts Ueberirdisches und nichts Unvergängliches, aber ihr Bestand wird umso gefestigter sein, je stärker ihr Inhalt die Politischen, sitt-t lichen und wirtschaftlichen Kräfte des Volkes der Ge samtheit dienstbar macht. Die Verfassung von Weimar tut das. Sie ist als Staatsgrundgesetz die magna carta der deutschen Republik. Aber sie ist weit mehr als das: sie gibt neuen und tiefsten Inhalt der Staatsidee, der Volksidee, der Menschheitsidee. Das Deutsche Reich ist eine Republik; die Staatsgewalt geht vom Volke aus. In diesen kurzen Worten ist der neue deutsche Staatsgedanke gegeben. Seinen Inhalt zu erfüllen ist nicht Sache der Verfassung, sondern des Volkes. Es soll uns fern liegen, ein Pharisäertum der Republik aufzu richten und kritiklos alles das schmälern zu wollen, was der Kaiserstaat auch an Großem und Bleibendem geleistet hat, aber Achtung und Ehrfurcht vor der Vergangenheit und ihren Leistungen entbinden uns nicht von der Pflicht, dem Staate der Gegenwart und Zukunft unter Ein ordnung des ganzen Ich zu dienen, denn die beherr schende Idee auch für diesen Staat ist nicht verkörpert im.eigenen armseligen Ich oder in der Partei, sondern im Leben der Nation, deren Glück und Zukunft unsere Arbeit und unsere Hoffnung gilt. Der Staat bin Ich, dieser Satz gilt auch für di- Republik, aber hier nicht nur für einen, sondern für jeden, hier nicht im! Herr-, schenden,.sondern im dienenden Sinne, denn jeder ist selbstverantwortlichcr Mitträger am Schicksal seines Volkes. Es gibt keinen höheren und tieferen Inhalt für einen Staatsgedanken als diesen, bei dem der Ein zelne mit seinem Wollen und Können bewußt aufgeht im Staate als der Zusammenfassung der Leistunqskraft der Gesamtheit, und die politische Gesundung unseres Volkes wird umso sicherer sich vollziehen, je restloser alle Schichten des deutschen Volles von der Größe die ses Staatsgedankens ergriffen werden. Der Staat soll nach der Verfassung nicht der Bo den sein, auf dem selbstsüchtige Interessen sich hem mungslos austoben können, sondern er ist eine Erzie hungsanstalt zur Menschheitspflicht, und die Verfassung ist hierzu das Hand- und Lehrbuch. „Jeder Deutsche hat unbeschadet seiner persönlichen Freiheit d'd Psl'cht, seine geistigen und körperlichen Kräfte so zu betätigen, wie es das Wohl der Gesamtheit erfordert" An der Spitze alles Denkens und Handelns sicht der nationale Gedanke, aber das Zusammenleben der Völker bringt mit Naturnotwendigkeit internationale; Berührungspunkte und Gemeinschaftsbedürfnisse. So lange die Erde um die Sonne kreist, so lange wird es ! in den verschiedenen Räumen dieser Erde mit ihren ; mannigfaltigen Daseinsvoraussctzungen verschiedene! Menschen und damit Menschen- und Völkertrcn.nung ge-! ben aber das Ziel der Menschhcitsentwicklung muß; sein, das Völkervereinende stärker wirken zu lassen als das Völkertrennende. Dieses Ziel hat die Verfassung erkannt, wenn sie den Geist der Völkvrversöhnung als Erziehungsziel aufstellt. Man hat diesen Geist als einen solchen des Pazifismus gescholten. Nun, es kommt darauf an, was man unter Pazifismus versteht. Wenn Pazifismus eine Weltanschauung ist, die kein Verständnis dafür hat, daß der natürliche Selbsterhaltungswille eines Volkes au^ seine Wehrhaftigkeit bedingt, daß es eines .Menschen und eines Volkes unwürdig ist, sich ohne Widerstand knechten zu lassen, dann verkörpert ein solcher Pazifis mus keine berechtigte Idee. Wenn aber Pazifismus eine Menschheitsbewegung ist, die darauf abzielt, daß ! aus der Entwicklungsgeschichte der Menschheit der Krieg ! mit all seinem unvermeidlichen Elend und Jammer > immer mehr verschwindet, daß im Zusammenleben der i Völker immer mehr die Macht des Rechtes und nicht ! das Recht der Macht das bestimmende Gesetz werde, daß ! die aus dem Nebeneinander der Völker sich ergebenden Streitfragen soweit möglich durch friedlichen Ausgleich und nicht durch mechanisch-physische Gewalt entschieden werden — dann ist dieser Pazifismus die größte Mensch heitsidee. die es gibt, eine Menschheitsidee, die gerade einem christlichen Volke nicht ferne liegen sollte. Noch auf Jahre hinaus wird das Deutsche Volk einen Dornenvollen Weg wandern müssen, aber wenii am Ende dieses Weges die innere und äußere Freiheit steht dann soll uns keine Mühe zu groß, keine Arbeit zu schwer sein. Wir werden unser hartes Schicksal mei stern ...wenn uns eine Zusammenfassung und eine rich tige Einstellung der politischen, wirtschaftlichen und kust turellen Energien unseres Volkes gelingt. Noch haben wir dieses Ziel nicht erreicht. Ein Blick in die Parla mente, in das Alltagsgetriebe des politischen und wirt schaftlichen Lebens genügt, um zu erkennen, daß staatsbürgerliche Solidarität und nationales Gemeinschaftsgefühl noch der Vollendung harren. Diejenigen, die eS aufrich tig .r.clnen mit der Verwirklichung des Geistes der Wei marer Verfassung, sollen ger-de an. Lcrfassungstage an diesen Mißerscheinungen, als seelische Krankheitsfol- gen unseres Volkes nicht vorübergehen, sondern sich um so fester die Hände reichen zu gemeinsamer Arbeit an den großen und hehren Zielen der Weimarer Verfas sung, damit es nicht nur Programm bleibt, sondern Tat werde, was an der Spitze dieser Verfassung geschrieben steht: „Das Deutsche Volk, einig in seinen Stämmen und von dem Willen beseelt, sein Reich in Freiheit und Ge rechtigkeit zu erneuern und zu festigen, dem inneren und dem äußeren Frieden zu dienen und den gesell schaftlichen Fortschritt zu fördern, hat sich diese Ver- fassung gegeben." Der Äte Staat ist gestürzt, ein neuer Staat ist gekommen das deutsche Sols ist geblieben. „Staken stürzen im Sturme der Zeiten, 'chalfende Völker trotzen der Welt." Der 11. August. Von Dr. jur. Albrecht Gras Montgela». Aus der Liebe zur Heimat, aus der Anhänglichkeit an das Vaterland müssen nationale Feiertage ihren In halt bekommen und ihre äußere Gestaltung. Arm und armselig das Volk, das nur der Haß -usammenkittet oder die Erinnerung an den Hatz. Und deshalb mutz der Anlaß des ewigen Gedenkens menschlich würdig sein. ES ist kein Zufall, daß der 18. ;Ianuar, der Tag an dem durch die Kaiserproklamation zu Versailles der endlich errungenen Einheit sichtbarer Ausdruck verlie hen wurde, daß dieser Tag auch heute noch ein Gedenk tag geblieben ist, wert der Erinnerung, wenn man da bei des Wesentlichen. Zeitlosen gedenkt und von allchn Unwesentlichen, nur mit der Zeit Verbundenen absteht. Das Wesentliche aber an diesejm Tage bleibt die Erfül lung — die teilweise wenigstens — der Sehnsucht und der Forderung der nationalen Delmokratie nach der Einheit des deutschen Staates. Kein Zufall, ebenso wenig wie e§ ein Zufall ist, daß der — nicht in allen Bundesstaaten — als Feiertag befohlene Gedenktag von Sedan nie Volkstag war und heute nur mehr Propa gandalag einer Clique ist. Denn während der eine Tag an den Sieg erinnert, den der deutsche EinhettSwille über dynastischen ParttkulariÄmuS errungen, bedeutet der andere nur das Datulm eines Schlachtenerfolge». Wichtig gewiß, aber von Wesentlichkeit doch nur für jene, die die Geschichte ihres Volkes nur in General»- naimen und Schlachtendaten einteilen und für die Ueber- schätzung «militärischer Dinge und kriegerischer Erfolge öm Volke notwendige Voraussetzung für die Haltbarkeit ihres SystelmS und die Wirksamkeit ihrer Methoden war. Sie und ihre Anhänger iM Land sind es auch, die den 11. August als nationalen Gedenktag, als Volks feiertag ablehnen, weil er geschichtlich «mit einem ver lorenen Krieg verbunden ist. Soll Man mit ihnen strei ten? Soll Man sie fragen, was ihnen am 18. Januar 1871 wichtiger ist: der Waffensieg nach einem blutigen, verlustreichen Krieg, oder die Einheit, die er Deutsch land brachte? Fragen, ob sie diesen Tag weniger hoch halten würden, wenn diese. Einheit durch den Steg des demokratischen Einheitswillens errungen worden wäre, statt nach der Niederwerfung eines äußeren Feindes? Fragen, ob sie die Einheit höher anschlagen, weil sie in Versailles vor dem gedemütigten Feind proklamiert wurde und nicht in der deutschen Stadt Frankfurt vor dem überwundenen Rangdünkel deutscher Fürsten? Oder nach Beseitigung der Thronsessel, die das Tor zur deut schen Einheit jahrzehntelang, ja jahrhundertelang ver stellten? Wir brauchen sie nicht zu fragen. Wir wissen, daß sie so denken. Wir wollen uns nicht Mit ihnen streiten. Wir wissen, daß nur die Zeit und das Beispiel einer wertvolleren Vaterlandsliebe sie belehren und bekehren kann. Wir wollen nicht urteilen, heute nicht, weil wir gleichfalls wissen, daß auch bei Manchen von denen, die heute den 11. August feiern, diese Liebe noch nicht frei von parteipolitischer Schlacke ist. Sie reiner und reiner zu Machen, den 11. August, den Tag, an dem das in seinem sozialen und staatlichen Bestand erschüt terte und zerrüttete Vaterland sich aus eigener Kraft erhob und in der Verfassung von Weimar das Funda ment legte, durch das die Einheit erhalten und die Zu kunft vorbereitet wurde, diesen Tag immer mehr zum nationalen Feiertag zu machen, das muß das Bestreben aller wahrhaft deutsch und national fühlenden Deut schen sein. Der Verfassungstag ist ein nationaler Feiertag erster Ordnung. „Man muß die Nation daran gewöh nen, ihre eigenen Geschäfte zu verwalten." Wenig mehr als hundert Jahre vor Weimar schrieb der Freiherr von Stein diese Worte nieder. Der „Jakobiner", der „Revolutionär", wie seine konservativen Zeit- und Stan- desgcnossen diesen großen Deutschen nannten. Mehr als hundert Jahre, während derer man nur widerwillig und zögernd der Nation eine teilweise Mündigkeit all- i' ählich gewährte. Ein furchtbarer Krieg mußte kom men, ein entsetzliches Erleben mußte ein geduldige» und opferfreudiges Volk aufrütteln und durchschütteln. Alles, was man bisher für vertrauenswert und glau benswert gehalten, mutzte zusammenstürzen, ein unfaß bares Unglück mutzte über das Vaterland hereinbrechen, der völlige Untergang der Heimat als Staat und ein heitliches Reich mutzte drohend vor den Augen stehen, bevor die Nation sich entschloß, „ihre eigenen Geschäfte zu verwalten", sich für mündig zu erklären. Keine glän zende, glorreiche Zett. Aber eine Zett inneren Herois mus, innerer Willenskraft, inneren Glauben» an die Zukunft Deutschlands. Eine Zett, tn der Millionen von Volksgenossen, die dem alten Staat mit aufgenöttgtem Mißtrauen und allzu b richtig ter Bitterkeit gegenüberstanden, ein »f-