Volltext Seite (XML)
Nr. NO Donnerstag, cken 13. Mai 1S2ö 21. Jahrgang ««»IE«« Mtt»— 1 Set»»««!, ,«u>ch» ,«tt* « r.I.gramm.r Tageblatt ftaeerzgedlrge. EuthaUeaö ük amtttchsü Sekanatmachuagra 4« Rat«» ö« Staöt aas 4«, fimtrgeckcht» M»«. peMes-seM» ftl tt»r«s Lg«g» kKWWZP. Luthev der Krisenmacher. Antrag des Zentrums. — Külz und Reinhold bereit zum Rücktritt. Me Luft hängt voller Krisen. — MißtrauenSan- träge, Beratungen, Unruhe, Kampf. — Diesen ganzen Tumult hat Sucher mit der Flaggenverordnung'heraus beschworen, die er plötzlich, unerwartet und unvorbe reitet, auf die politische Bühne warf. Scheinbar wa ren es dem Reichskanzler nicht genug Nüsse zu knacken! Anderen mag die Arbeitslosigkeit, die unhal.bare wirt schaftliche Lage genügen. Auch die Außenpolitik dürfte ein Kabinett voll und ganz beschäftigen. Luther jedoch fühlt sich nicht wohl, er mußte neue Verwirrung, neuen Tumult, neue Verhetzung heraufbeschwören. Ein kluger Politiker hätte den Boden für derartige Schritte sorg fältig sondiert. Ein Politiker a la Luther dagegen pfeift auf die öffentliche Meinung, verkennt sie durch aus und schießt seine Flaggenverordnung ab. Wir wollen nicht verkennen, daß die Fahnenfrage dringend der Aenderung bedarf. Die Zustände sind un haltbar, da sie das Ansehen Deutschlands in der Welt herabsetzen. Tas deutsche Volk soll sich entscheiden, und diese Entscheidung wie sie auch ausfällt, mutz dann unbedingt durchgeführt werden. — Aber klar dürfte es sein, daß eine derartige Entscheidung nicht auf diese plumpe Art dos Herrn Luther herbeigeführt werden kann, ohne die schwersten inneren Kämpfe nach sich.zu ziehen. Ruhe und tatkräftige Arbeit fehlt uns aber vor allem. < Zlaggenbebatte im Ncichstag. Berlin, 11. Mai. Nach Eröffnung der Sitzung ergreift Abg. Dr. Breitscheid (Soz.) das Wort. Er begründet die sozialdemokratische Interpellation die sich gegen die Flaggenverordnung vom 6. Mat wen det. Diese Interpellation, so betont der Redner, ist nicht gegenstandslos geworden durch die neue Vereinbarung des Reichskanzlers mit den Regierungsparteien, daß der Flaggenerlatz zwar nicht zurückgenommen wird, aber praktisch bis zum 1. August nicht in Kraft gesetzt werden soll. (Hört, hört! rechts.) Wir stellen mit Genugtuung den Rückzug des Reichskanzlers fest und würden viel leicht auch dem fliehenden Gegner goldene Brücken bauen, aber schließlich besteht doch die Verordnung noch zu Recht, und es ist nicht recht einzusehen, wie das angekündigte Flaggengesetz zustande kommen soll, da es doch die zu Verfassungsänderungen erforderliche Mehrheit braucht. Art. 3 der Verfassung, der Schwarz-Rot-Gold als die Meichsfarben sestlegt. müßte bei Annahme eines solchen Gesetzes doch geändert werden. Inhalt und Entstehungs geschichte bleiben unverändert. Der Reichskanzler hat zunächst erklärt, der Flaggenerlaß habe gar keine poli tische Bedeutung. Herr Reichskanzler, Sie sind zu al lem möglichen fähig aber zu einem.solchen Maß der Harmlosigkeit doch nicht. (Heiterkeit.) Damit im Wi derspruch sicht die spätere Erklärung des Reichskanz lers, daß der Erlaß sich nicht gegew sjhwarz-rot-gold, sondern eigentlich gegen schwartz-weiß-rot richte. Ent^ weder der Reichskanzler hat den Freunden von Schwarz- Weiß-Rot entgegenkommen wollen, dann bringen wir ihm Mißtrauen entgegen. Unser Mißtrauensvotum wird wahrscheinlich abgelehnt werden, aber der Herr Reichs kanzler soll sich darüber nicht täuschen. Aus die Tauer kann man von abgelehnten Mißtrauensvoten nicht leben. Luther verteidigt. Der Reichskanzler hatte sich scheinbar porgenom- men, seinen Posten erst dann zu verlassen, bevor er sich gänzlich lächerlich gemacht hat. Er hält eine ellen- lange Rede, die er besser vor 14 Tagen gehalten, um seine Flaggenverordnung zu verteidigen. Mit starker Betonung rief er in das Haus, daß die Flaggenverord nung bleibe und Lurchgeführt werde. Und dann fing er in merkwürdig gewundenen Sätzen an, davon zu er zählen, daß dis Anwendung der Flaggenverordnung überall in der ganzen Welt zum gleichen Zeitpunkt er folgen müsse, daß die Regierung sich aber nicht auf die Zuverlässigkeit der Briesposten verlassen dürfe und des» halb einen ausreichenden Zeitraum gewähren müsse, bis es absolut gewiß sei, daß die Anweisung auch an die entferntesten ausländischen Missionen im Auslande verhan-lungen in England. Der Vollzugsausschuß des Bergarbeiterverbandes verließ daS Hauptquartier des Generalrates des Gewerkschaftskon gresses um XI Uhr nachts. Der Sekretär des Bergarbeiter verbandes erklärte, die Lage sei unverändert. Der General rat des Gewerkschaftskongresses vertagte sich kurz nach X2 Uhr nacht-. E» wurde keine Mitteilung ausgegeben. In- gelangt sei. Tas Haus konnte sich nicht halten. Go viel Ungeschicklichkeit zwang zum Lachen, auch wenn man stark das Peinliche dieser Situation empfand, daß ein deutscher Reichskanzler nicht die Kourage hatte, sich offen und ehrlich zu einem politischen Kompromiß zu beken nen, das er abgeschlossen hatte, »m eine Regierung», krise zu vermeiden. Es wäre männlich gewesen unk hätte der Auwrität der Regierung keinen Abbruch getan. Vielleicht hört Herr Luther auch einmal etwas Rund funk und Telegraph! Dieses Stückchen zeigt den augenblicklichen.Reichs kanzler in seiner Hilflosigkeit. Anstatt ehrlich, sich zu einer Farbe zu bekennen und ehrlich eine Entscheidung zwischen „schwarz-rot«gold" und „schwarz-weiß-rot" her- beizuführen, geht er Schleichwege, die zur Krise führen müssen. Ein Antrag ües Zentrums. Scharfe Worte für diese Politik des Kanzler» findet auch der Redner des Zentrums, der ehemalige Postmi nister GieSbertS. Nachdem er noch gegen die Herab setzung der schwarz-rot-goldenen Fahne sich .gewandt hatte, verliest er einen von der Zentrumsfraktton be schlossenen Antrag, dev folgenden Wortlaut hat: „Das Verhalten dev ReichSregierung in der Flaggenfrage entspricht nicht den Anschauungen des Reichstages. Angesichts des in der Erklärung des Reichspräsidenten betonten Festhaltens an den verfas sungsmäßigen Farben und dev von ihm ausgespro chenen Absicht, die Flaggenfrage einer endgültigen ausgleichenden Regelung zuzuführen, beschließt der Reichstag die baldige Einsetzung eines Ausschusses zum Zwecke einer Lösung, die dem Frieden dient und eine Beeinträchtigung der verfassungsmäßigen Far ben ausschlteßt." Berlin, 11. Mai. Tie demokratische Reichstags fraktion hielt am Dienstag abend eine vierstündige Fraktions sitzung ab, die erst 12 Uhr nachts ihr Ende sand. Sie be schloß folgende beiden Anträge zur Flaggenfrage etnzubringen:! 1. Der Reichstag begrüßt die vom Herrn Reichspräsidenten, in seinem Schreiben an den Reichskanzler gegebene An-/ regung, alle Kräfte zur Lösung der Einheitsflagge in ver-> sühnendem Sinne einzusetzen. 2. Der Reichstag m'ßbilligt die Haltung des Reichskanzlers, der durch sein Verhalten in der Flaggensrage eine Gesamtlöfung dieser Frage erschwer« und in einer so schweren Zeit einen neuen Konflikt herauf beschworen hat. Wie von demokratischer Seite mitgeteilt wird, Hal die Fraktion sich zu diesen Anträgen äußerst schwer entschloßen. Die Mehrhect der Fraktion war aber der Anschauung, daß die Schuld an dieser Krisis der Reichskanzler zu tragen hat. Der Fraktionsredner Koch'wird in seiner Reoe am Mittwoch betonen, daß er eine Zusammenarbeit mit dem Reichskanzler auf Grund der vorliegenden Beschlüsse nicht mehr für mög lich hält. Wie WTB. aus demokratischen Kreisen hört, werden die demokratischen Reichsminister aus dem Kabinett zurückgezogen werden, aber erst nach der Abstimmung. Dies gilt auch von dem Finanzminister Dr. Reinhold, der vielfach als Fach minister angesehen wird. Auf den Reichswehrminister be zieht sich diese Entscheidung nicht, da Geßler nicht von der Fraktion gestellt ist. Die demokratische ReichstägsfrEon be- schloß ferner, da sie nun einen eigenen Mitztrauensantrag ein gebracht hat, nicht für den sozialdemokratischen zu stimmen, wohl aber für den Zentrumsantrag. Die für Dienstagabend vorgesehene Fraktionssitzung der Deutschnationalen, in der sie ihre Stellung gegenüber der zweiten Rede des Reichskanzlers festtegen wollten, ist, wie das VDZ.-Büro meldet, auf Mittwoch vormittag vertagt worden. Die Zentrumsfraktion des Reichstages tritt ebenfalls am Mittwoch vormittag zusammen. Wie das Berliner Tageblatt hört, haben die beiden Minister Dr. Külz und Dr. Reinhold in der FrakttonSsttzung der Demokraten nach dem Beschluß der Fraktion ein Miß trauensvotum gegen dm ReichSkanAer elnzubringen, die Er klärung abgegeben, daß sie nach der Abstimmung im Plenum des Reichstages sofort dem Reichskanzler ihre Portefeuilles zur «eriügung stellen werden und für sie eine Mitarbeit im Kabinett Luther nicht mehr in Frage kommt. zwischen hatten der Premierminister und andere Regierungs mitglieder nach einer' Sondersitzung des Kabinetts im Unter-, Haus die über I X Stunden dauerte, den ganzen späten Abend, in Downtng-Street konferiert. Es verlautete, daß heute eine' Zusammenkunft zwischen Vertretern des Kabinett- und dem Generalrat de- Gewerkschaftskongresses stattftndew solle. Der Generalrat de» Gewerkschaftskongresses und der Bergarbeiter > werden ihre Erörterungen hellt« vormittag sortsetzen. i Der zweite Tag in Genf. Sin« Rod« -oesch'». Genf, 11. Mat. In der heutigen Sitzung des Prüfungsausschuss«» für die Zusammensetzung des Rats sprach al« erster Redner der belgische Senator de Broucquere. Mach längeren Betrachtungen über die grundsätzliche und praktische Bedeutung der Einstimmig- kett-klausel sowie di« Einrichtung von stündigen und nichtstündtgen Rat-Mitgliedern, kam er zu der Schluß folgerung, daß die Aufrechterhaltung der Einstimmig- keitsklausel immer schwieriger sein werd«, und daß die Zahl der nichtständigen Rat-mitglieder immer höher fein müsse als die Zahl der ständigen. Im besonderen müßt«, erklärte de Broucquere, bet einer späteren Erhöhung der ständigen RatSsttze durch den Eintritt Deutschlands, der Vereinigten Staaten und Rußland» auf sieben, die Zahl der nichtständigen RatSsttze auf acht gebracht wer den. Er sprach sich ferner grundsätzlich dafür au», daß die nichtständigen Rat-mitglteder jährlich neu gewählt worden sollen, gab aber zu, daß in bestimmten Fällen gewisse Gründe dafür sprechen könnten, daß ein Staat länger im Rate vertreten bleibe, Me Wiederwahl müßte aber überdies in einem solchen Falle mit der qualifizierten Mehrheit von zwei Dritteln oder drei Vierteln erfolgen. Der tschechoslowakisch« Vertveter B« verka erklärte, daß seine Regierung ohne vorgefaßt« Meinung an einer jeden praktischen Lösung Mitarbeiten werde, wobei allerdings radikale Aenderungen de» Pak, teS ausgeschlossen bleiben sollen, wie da» auch Lord Ro bert Cecil gestern verlangt habe. Bet der Zusammen setzung Les Rate» müßten zwei Gesichtspunkte in Rech nung gestellt werden. Einmal müsse der Rat in seiner Zusammensetzung die politischen Gruppen im kleinen darstellen gmd dänn müsse er unbedingt arbeitsfähig bleiben und jederzeit in der Lage sein, di« in ihm und im Völkerbünde vereinten Kräfte für ein gemeinsames Ziel zusammen zu fassen. Hierauf gab Botschafter von Hoesch eine Erklär rung ab, in der er etwa ausführte r Die deutsche Regierung hat die Einladung des Völkerbundrates zur Teilnahme an den Arbeiten de» Ausschusses unter gewissen Vorbehalten angenommen. Ich möchte die heutige Gelegenheit nicht benutzen, um auf Einzelheiten einzugehen, da Deutschland in seiner besonderen Stellung zur Beobachtung einer gewissen Reserve genötigt ist. Es ist selbstverständlich, daß ich angesichts dieser Zurückhaltung im Augenblick keine formellen Borschläge mache. Ich behalte mir aber vor, wenn sich im Laufe der Verhandlungen be stimmte Vorschläge herauSzukristalltsieren beginnen, dazu Stellung zu nehmen. Aus dieser Zurückhaltung darf nicht der Schluß gezogen werden, daß Deutsch land die Bedeutung der Arbeiten unterschätzt. Leutffch- land ist im Gegenteil von der großen Bedeutung die ser Arbeiten für die Zukunft de» Völkerbünde» und für die Stellung Deutschland» im Völkerbund über zeugt. Ich gebe zum Schluß der Hoffnung Ausdruck, Laß dke Verhandlungen zu einem befriedigenden Er gebnis führen, die Deutschland erlauben werden, sei nen Eintritt in den Völkerbund ohne Schwierigkei ten zu vollziehen. Palacios-Spanien wie» in einer Erklärung auf die von sieben Ratsstaaten Spanten gemachten Zusagen hin und gab in sehr entschiedener Weise der Meinung Ausdruck, daß Spanien als wichtigste neutrale Macht Anspruch aus einen ständigen RatSsitz habe. Der pol nische Vertreter Sokal brachte, ohne direkt von dem Anspruch Polens auf einen RatSsitz. zu sprechen, Argu mente vor, die nach seiner Auffassung für eine stän dige Vertretung bestimmter Staaten im Rat sprächen, sofern sic eine besondere Bedeutung für den Weltfrieden haben. Präsident Motta erklärte, im bisherigen Laufe der Debatte sei eine Bestimmung von hervorragender Bedeutung noch nicht erwähnt worden, nämlich die Be stimmung de» Art. 4 des Völkerbundpakte», wonach jeder Staat in Fällen, in denen seine Interessen beson der» berührt werden, al» gleichberechtigte» Mitglied an den Beratungen de» Rate» tetlnehmen soll. Wenn diese Bestimmung in der seitherigen Praxis großzügig angewendet worden wäre, so hätten wahrscheinlich we niger Staaten ihre Wünsche, auf Vertretung im Rate ongemeldet. Unter Berufung auf dies« Bestimmung ver langt Motta, daß in dieser Hinsicht für die Zukunft Wan del geschaffen werde. Auch müsse dafür gesorgt werden, daß die in solchen Fällen zugezogenen Staaten wirk lich da» Gefühl der Gleichberechtigung mit den übrigen Ratsstaat«n erhalten und nicht nur al» Zeugen vor Yen Rat gerufen werden. Rach einer längeren Debatte Über di» VWeutu«- der Einstimmigkeitsklausel im Mate, an der sich Palaetotz (Spanien) und Ssialoja (Italien) hauptsächlich beteilig-