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Zreitag, tten 2S. Marz l926 Nr. 72 21. Jahrgang MZM /lnzeiger für -as Erzgebirge ^uer Tageblatt plMMl« f», »-»«I,«- ... H-« u.» »«,,,«>» « »u— »ilrtt,, M»».«,«, « *.l»p, N«N»»I»p«I!t,,Il, «»Itpf.an!,,» «»Mch» H«»i « »»ltpfl»»«,«. r.i.gkamm«, «a,«blatt?,o«r,si»>ro«. EathaUea- -k amtlich«» Hrkauutmachoagra -er Rai« -« Sta-t au- -« ftmtrgerichtr Hur. p»m»«k «»ta Umt L.ipzig Nr. 1,,» Und en übev das Fiasko von Genf. Der Völkerbund hat einen ernsten Mißerfolg zu verzeichnen. Gtoikhoknr, 24. März. Zn der Zweiten Kammer de» Reichstages erstattete heute Außenminister Nnden einen ausführlichen Bericht über die Völkerbundsver handlungen. Untren wie» zunächst auf den belgischen Vorschlag eine» neuen nichtständigen Ratssitzes für Polen hin mit dem Bemerken, durch diesen Vorschlag, der von franzö sischer, englischer und italienischer Seite angenommen worden war, sei der Hauptzweck der schwedischen Aktion in Bezug auf die Ratssitze erfüllt worden. Der Streit um die Ratssitze hat. so führte der Minister weiter au», immer mehr den t harakter eines diplomatischen Machtkampfes angenom men. Tie schwedische Delegation hatte entsprechend ihren Anweisungen die positive Verpflichtung, für den Ein tritt Deutschlands in den Völkerbund und des Völker-» bundrat einzutreten. Sie hätte ihre Aufgabe schlecht erfüllt, wenn sie nicht gesucht hätte, jede Möglichkeit zu ermitteln, dieses Ergebnis zu erreichen, oder falls sie sich in bezug auf die Mitwirkung Schwedens im letzten Abschnitt der Verhandlungen völlig passiv Verhalten hätte. Am Freitag, den 12. d. M., abends wurde der Vorschlag eines neuen nichtständigen Sitzes für Polen von der deutschen Delegation glatt abgelehnt. Am Sonn abend nachmittag wurde von englischer und franzö- sischer Seite erklärt, daß alle Kompromitzmöglichkeiten jetzt erschöpft wären, und die Lage wurde als äußerst kritisch betrachtet. Las ganze Locarnowerk war ge fährdet. Verschiedene Vorschläge wurden erörtert, und der schwedischen Delegation gegenüber wurde betont, daß die deutsche Ablehnung des gemachten Vorschlages in hohem Maße auf den Widerstand Schwedens gegen denselben zurückzuführen wäre. An die Vertreter Schwedens wurde ein dringender Appell gerichtet, die Errichtung eines neuen nichtständigen Ratssitzes anzu nehmen. .Ich habe dann erklärt, mir erscheine es alS unwahrscheinlich, daß der Standpunkt der deutschen De legation von der Haltung Schwedens abhängig sei, ich Müsse mich deswegen einem Verfahren gegenüber ab, lehnend Verhalten, das darin bestehen würde, zunächst einen einstimmigen Kornpromißvorschlag im Rate zu er zielen und dann der deutschen Delegation denselben al» das letzte Angebot des Rates vorzulegen. Auf Er suchen von verschiedenen Seiten hat die schwedische De legation dann am Sonntag mit den Herren Luther, Dir. Stresemann upd von Schubert Besprechungen gehabt. Dabei _wurde festgestellt, daß. man deutscherseits eine allgemeine, durch Meinungsverschiedenheiten zwischen Deutschland und Frankreich veranlaßte Vertagung für das Locarnowerk als katastrophal betrachten würde Von schwedischer Seite wurde gefragt, wie sich die deut sche Delegation zu dem Gedanken neuer Wahlen zum Rate aus einer ursprünglich von belgischer Sette an geregten Grundlage verhalten würde, nach der Belgien feinen Sitz zur Verfügung stellen sollte, wenn nunmehr Schweden statt Belgiens aus dem Rate ausscheiden würde. Die deutschen Vertreter, die sich gegenüber, dem belgischen Vorschlag ablehnend verhielten, erörterten mit der schwedischen Delegation diesen Gedanken eines Ausscheidens Schweden» eingehender, und ' schließlich stellte es sich heraus, daß dieser Weg von deutscher Seite als gangbar betrachtet wurde, falls außer Schweden »och ein anderer Staat aus sein Ratsmandat verzichten würde. Dieser Vorschlag fand den Beifall der anderen Mächte, und schließlich erhielt die schwedische Delegation dies bezügliche Anweisungen von ihrer Regierung. Bei kei ner Gelegenheit ist auch nur der geringste Druck auf die Vertreter Schwedens ausgeübt worden, um da» Aus scheiden Schwedens aus dem Rate herbeizuführen. Als so alles in Ordnung zu sein schien, stellte §ich Brasilien» Haltung als ein Hindernis für eine Verständigung heraus, worauf sich die Locarnomächte auf eine Vertagung der ganzen Frage betreffend Deutschlands Eintritt einigten. Unden betonte, daß die Instruktionen für die schwedisch« Delegation kxine Anweisung bezüglich eines Verzichtes Schwedens auf seinen Ratssitz enthalten konnten, da diese Frage nicht aktuell war, als die Instruktionen er- teilt wurden. Er bestritt aber, daß die schwedischen Per treter in ihrem Handeln so gebunden gewesen feien, bah nicht einmal eine solche Eventualität hätte gesprächs weise erörtert werden dürfen, und bemerkte, die schwe-k dische Delegation habe es sogar zu einem gewissen Zeit punkt als erwünscht betrachtet, freiere Hände gehabt zu haben. Laß durch die schwedische Haltung ideelle und moralische Werte nicht gefährdet wurden, dafür ist, so sagte Unden, die Aufnahme ein Beweis, dis unsere Anregung in anderen Ländern gefunden hat. Ter Stoß den her Völkerbund durch die Haltung Brasiliens er litten Hal, ist schwer genug. Biel schwerer wäre er ge worden, wenn die Vertagung infolge einer deutsch-fran zösischen Kontroverse mit der Folge eines Zurücktreten Deutschlands von seinem Eintrittsantrag auf lange Zeit stattgefunden hätte. Im Vergleich hier mit hätte es wenig bedeutet, wenn Schweden den Rat einige Monate früher als sonst verlassen hätte. Zu- sammensassend stellte Unden schließlich fest: Es ist den schwedischen Vertretern gelungen, an dem Zustandekom? men eines Vorschlags mitzuwirken, der, ohne die grund sätzliche Haltung Schwedens "zu kompromittieren, von allen Seiten als annehmbar betrachtet wurde. Zwar vereitelte ein anderes Hindernis die Einigung, die be reits in Sicht war. aber es ist erreicht worden, daß die Vertagung nicht auf Grund eines Gegensatzes zwischen Deutschland und Frankreich erfolgt ist. So wurde es den Locarnomächten möglich, ihr Festhalten an dem Ver trag von Locarno gemeinsam kunttzugoben. Daß die Völkerbundversammlung aussinandergehen mußte, ohne über die Ausnahme Deutschlands beschließen zu dürfen, bedeutet einen ernsten Mißerfolg des Völkerbundes und bildet einen bedrückenden Beweis der Stärke nationaler Sonderinteressen und falscher Prestigerücksichten. Tat- fache ist jedoch, daß eS den kleinen Staaten gelungen ist, die Angriffe gegen den Völkerbundpakt zurückzuweisen. Vor der ganzen Welt wurde dargetan, daß die gehei men Versprechungen und privaten Vereinbarungen der Großmächte für den Völkerbund nicht Gesetz sind. Eine amerikanische Stimme über deutschlanö un- -en völkerbun-. Newhork, 24. März. .„Newhork Times" führt au», in Deutschland sei man über den Genfer Zusam- Menbruch nicht so erregt, wie in London und Washing ton und stellt die Frage, ob das Urteil über den Völker bund gesprochen sei. Da» Blatt schreibt, dies sei ge wiß nicht au» dem Grunde der Fall, daß Deutschland die Auslösung de» Völkerbundes wünsche. Im Völker bund erblicke die große Mehrheit der deutschen Oeffent- ltchkeit und die Verantwortliche Leitung der deutschen Politik seit langem da» einzige Mittel, um Europa aus zwei feindlichen Lagern in eine allumfassende Arbeits gemeinschaft umzuwandeln. Die Führer de» Zentrum», der Demokraten und der Sozialdemokraten hätten! den Hinweis de» Reichsaußenministers auf die Notwendig keit der Zugehörigkeit Deutschland» zum Völkerbunde nachdrücklichst betont. Ta» Blatt schreibt weiter: Bei den voreiligen Nachrufen aus den Völkerbund ist über sehen wyrden, daß die Ausnahme Deutschland» im Sep- tenrber schon jetzt beschlossene Sache ist. C» wäre zweck, los, die Enttäuschung über die in Gens begangenen Fehler zu unterschätzen, aber e» ist bemerkenswert, daß dasjenige Land, da» den meisten Grund zur Klage hat, sich am wenigsten beklagt. Deutschland, da» lange der Leidenschaft dsn «Vortritt vor der Vernunft gelassen hat. hat gelernt, den Völkerbund und seine eigene Lage irw besten Sinne des Wortes realistisch auszusassen. Lurch den Völkerbund "kann es sich wieder zur Gleichberechti gung unter den Mächten verhelfen, durch den Völkerbund hofft cö eingestandenermaßen die Erleichterung einiger seiner BertragSlasten zu erreichen, und im Völkerbund erblickt es den Ausdruck jener Weltmeinung, die es ent- sprechend den Ausführungen des Reichsaußenministers nicht wie in früheren Zetten unterschätzen will. < Noske gegen kommunistische Umtriebe. Hannover, 24. März. Oberprästdeni NoSke nahm wiederholte Zusammenstöße zwischen der Polizei und Erwerbslosen zum Anlaß., im Provinziallandtag zu erklären, er werd«, solange er in der Provinz Han nover etwas "zu sagen habe, rücksichtslos und nachdrück lich für Ordnung sorgen. Len kommunistischen Abge ordneten machte er den Vorwurf, sie seien im Autobus in die 'Frühlingsluft gefahren, während hie von ihnep ausgehetzten Demonstranten don der Polizei Schläge be zogen. „Und al» "ein Teil der Demonstranten abgeführt wurde, saß ein anderer Teil der kommunistischen Abge ordneten mit mir zusammen an der Kaffeetafel." Tie Demagogie habe ihre Grenzen. Deshalb stelle er fest, wo die Leute bleiben, „wenn sie die Massen vor die Gummiknüppel der Polizei getrieben haben". Die Berliner Presse zur Chamberlain-Nette. Chamberlain hat nicht mit offenen Karten gespielt. Tie „Deutsche Tageszeitung" erklärt zu der gest rigen Unterhausdebatte Über Genf, daß diese keine Entj-i scheipung darüber gebracht habe, ob Chamberlain bis! zum Herbst "noch in der Lage sein werde, die britischen Interessen in Genf zu vertreten. Wenn man ihn mit! dem schweren Borwurf, daß entweder seine Redlichkeit oder seine Intelligenz nicht ausreichen, stürzen wird, so wird jedenfalls weder sein Genfer Mißerfolg noch eins andere außenpolitische Frage den »unmittelbaren Anläß zu seinem Sturz bilden. Gegenüber dem ver< steckten Vorwurf Chamberlain» gegen Deutschland, daß e» die Schuld an dem Mißverständnis Von Genf trage, weil es nicht von Anfang an seins Forderung auf Nicht veränderung des Völkerbundrate» geltend gemacht habe. Weist die „Teutche Allgemeine Zeitung" auf den von allen Setten al» gerechtfertigt anerkannten deutschen Standpunkt hin, daß es «ine Selbstverständlichkeit.ist, daß sich Deutschlands Eintritt in den Völkerbund nur aus der Grundlage der Zusammensetzung de» Rate», wie sie bei VertvagSschluß in Lovarno war, vollziehen konnte. Diese Selbstverständlichkeit sei auch Von dev öffentlichen Meinung England» von Anfang an hsr- vorgehoben worden. Chamberlain allein trage di« Ver antwortung für da» Genfer Fiasko, denn or habe e» an der nötigen entschlossenen Erklärung fehlen lassen, daß zur Zett nur die Aufnahme Deutschland» in den Rät in Frage komme. Auch die „Täglich« Rundschau" stellt fest, daß Chamberlain keinen Widerspruch gegen die Briandschen Pläne zugunsten' Polen» erhoben habe. Ferner habe er aber auch Spanien, wenn auch keine formell bindenden, so doch sehr bestimmte Zusagen we gen der Zuteilung eine» ständigen Ratssitze» gemacht. Erft durch die Absprachen. Priand» mit Polen und von ^Chamberlain Mit Spanten sei der wüste Streit um die Ratssitze entfesselt worden, der dann zu dem Kläglichen FiaSko von Genf habe führen müssen. Das .ist dev Kernpunkt der Sache, so schreibt da» Blatt, und Mer diesen Kernpunkt ist Herr Chamberlain sehr geschickt hinweggeglitten. Die „Germania" schreibt: Nicht Deutschland hat sich eines Irrtums oder einer Unterlassung schuldig ge. macht, sondern Frankreich, das vor oder in Locarno den Polen den Ratssitz versprach und das Versprechen den Deutschen verheimlichte, ein Verfahren, das Mit dem vielgerühmten Geist von Locarno schwer in Einklang !zu bringen ist. Wer will sagen, wie die Tinge gelaufen wären, wenn der polnische Anspruch in Locarno offen angemeldet worden wär«? Chamberlain beruft sich aus Stresemann als Kronzeugen dafür, daß er nicht unloyal gegen Deutschland "gehandelt habe. Die politische W-Vk Deutschlands gibt nicht der Illoyalität, sondern -er Schwäche Chamberlains die Schuld. Ter „Berliner Börsen-Courtkr" betont, "daß im Gegensatz zu Chamber lain der britische Premierminister Baldwin das Künf tige und Positive betont: die erhoffte Mitarbeit Leuksch- lands an der Kommission, deren Aufgabe es sein wird, eine Wiederkehr der Genfer Unglücksfälle vorzubeugen. Lite „Rassische Zeitung" unterstreicht die Worte Cham berlains: „Tie Deutschen und wir stehen fest zu Lo carno" und sagt: Tatsächlich ist das Hauptergebnis der Genfer Tagung die Feststellung, daß die Gruppierung unter den Völkern nicht mehr durch da» starre Schema bedingt ist, da» durch den Vertrag don Versailles ver ewigt werden sollte. Ta» Ergebnis von Gens ist die endgültige Beseitigung der Scheidung nach Siegern und Besiegten. Der !,Vorwärts" schreibt: Bet der Zusam mensetzung des Unterhauses war ein anderer Ausfall der Abstimmung undenkbar. Aber die Frage, wie die öffentliche Meinung in England die Rolle Chamber lains beurteilt, ist damit nicht beantwortet. Tie Tat sache, daß nicht "nur die OpposittonSpresse, sondern auch ein Teil der konservativen Zeitungen zu den Au»fülhq rungen Chamberlain» kritisch Stellung nimmt, beweist, daß seine Stellung keineswegs definitiv gesichert ist, Vir Srziehungen -er Vereinigten Staaten zu -en europäischen Mächten. Newhork, 24. März. Wie die „Newhork Tim«»" au» Washington melden, sind weitere Anzeichen dafür vorhanden, daß "in der bisherigen Politik der Aufrecht erhaltung herzlicher Beziehungen "zu den europäischen Mächten keine Aenderung etntreten wird. Alle Aeuhe- rungen sm Weißen Hause geben den Eindruck, daß Coo- ltdge der in Europa herrschenden Aufregung Mer den sogenannten ^oughton-Zwischenfall mit außerordentli cher Ruhe tzegenübnsteht.