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Sonntag, äen 23. November 1S24 IS. Jahrgang Nr. 273 /luer Tageblatt --------- Anzeiger für -as Erzgebirge r-t-m«««*» Tageblatt ftaeerzgrbirg». Enthalten- -le amtliches Sekavotmachungea -es Nates -er Sta-t ua- -es Amtsgerichts ^tae. fwn r»ip»lg a,. ISS« Protest gegen äas Nelchsgerichtsverfahren gegen Nathuftus. Berlin, 81. November. Nachdem das Liller Krtegsge- richt dien deutschen General von Nathufius in neuer Verhand- lmtg zu einem Jahr Gefängnis verurtellt hat, wird die Reichsregierung noch am Sonnabend zu dem Urteil Stellung nehmen. Nach den Aeußerungen des Kanzlers vom letzten Freitag wird gegen jedes Urteil eines französischen Krtegsge- richte» im NathustuSprozeß Revision eingelegt und erneut die Freilassung de» Verurteilten gegen Sicherheit gefordert wer. des. Inzwischen hat boS Reichsgericht in Leipzig das Ver fahren gegen NathusiuS etngeleitet zu dem Zwecke, von deut- scher richterlicher Sette Schuld oder Ntchtschuld des Generals fefwustellen. Bereit» zum 3. Dezember sind »-"i Unter- suchuugSrichter Leim Reichsgericht zwei unmittelbare Unter- geoene des Generals in Roubaix vorgeladen worden, die zur Asti bei der Reichswehr in Berlin dienen. Part», 21. November. Der Verteidiger des Generals von Nathustu», Rechtsanwalt Nicolai aus Metz, hat heute vor mittag da» Kolsationsverfahren gegen das gestern vvm Kriegs- gerichk in Lille ausgesprochene Urteil angemeldet. Vk amtliche Auffassung. Berlin, 21. Nov. To» Urteil gegen General v. Na- chasiuS hat auch Hier in amtlichen Kreisen peinlichste Ueberraschung hekoorgerusen. Ueber die Verhandlungen selbst liegt der Bericht des Vertreter« der deutschen Bot schaft in Part», der dem Prozess beigewohnt hat, noch nicht vor. Soweit aber die Presseberichte reichen, lassen sie, diese Auffassung herrscht hier in amtlichen Stellen vor, erkennen, dass von sämtlichen Punkten der Anklage dem General nicht ein einziger bewiesen werden konnte. Jedenfalls wird die deutsche Regierung jetzt alle» tun, um die Umstvßung de» Liller Urteil« zu erreichen. Ttie Beschränkung der Vereidigung de» General» dürst« Revisionsgründe genug ergeben. Sollte hingegen Na thustu» von der französischen Regierung begnadigt werden, wird zu seiner Rehabilitierung dennoch ein Ver fahren gegen ihft vor einem deutschen Gericht etnge- leitet werden. ' Di« politischen Auswirkungen de» Liller Urteils beurteilt man auch an den hiesigen amtlichen Stellen höchst ungünstig. Man ist sich im klaren darüber, dass sich nun in die deutsch-französischen Be ziehungen, die einigermaßen geklärt schienen, auf« neue stärkste» Mißtrauen auf beiden Veiten Mischen wird. Datkulwsdrleil. wenngleich man selbstverständlich! nicht verkennt, daß da!» Urteil eine» französischen OffiztevSgerichteS noch nicht al» zuverlässige» Zeugnis der französischen Bolksstim- mung gelten kann. Man bewertet aber da» Urteil ganz besonders im Hinblick auf die soeben wieder aufgenom!- menen deutsch-französischen HandelsvertragÄverhandlun- gen, die nur in einer Atmosphäre gegenseitigen Ver trauen- gedeihen können. Proteste -er -rutschen presse. Berlin, 21. Nov. Die Berliner Morgenblätter sprechen einmütig ihre Empörung über da» Schandurteil de» französischen Kriegsgericht» in Lille aus. Durch!- weg wird auch die Erwartung ausgesprochen, daß die deutsche Regierung Protest gegen da» Urteil erheben und die Freilassung de» General« von Nathustu» nach drücklich fordern werde. — Die „Deutsch« Allg. Ltg." schreibt r Wenn Frankreich überhaupt jemals eine Spur de» von ihm so oft gepriesenen Kriege» besessen Hättet, so wäre ihm mit diesem Vorgang in Lille Pa» letzte Blatt de» Lorbeer» von der Stirn gerissen worden. —- Ta» „Berliner Tageblatt" urteiltr Der Spruch de» fran zösischen Kriegsgerichte» in Lille kann nur mit seinem Worte bezeichnet werden, da» in der französischen !Spra- che ebenso vorhanden ist, wie In der deutschen, und von allen Kulturnationen verstanden wird, mit deM Worte r „Infamie!" - Tie „Vosstsche Zeitung" schreibt» Die Welt wird in dieseck Spruch gegen den greisen deutschen General nicht ein gerechte» Urteil, sondern nur deinen Racheakt und einen Versuch! sehen, den schwindenden Glauben an die propagandistischen Greuellügen aufzu frischen. — Ter „Berliner Börsenkurter" bezeichnet da» Urteil al» ein« Unannehmlichkeit, .die nicht .nur «in Deutschland die größte Entrüstung erwecken werde. — „Vorwärts" schreibt: Tie französisch« Regierung würde Menschlich und politisch klug handeln, wenn sie diesen Fall durch eine Amnestierung rasch! Erledigen würde. — Die „Deutsche Zeitung" weist darauf hin, daß die Be richte über den Verlauf der Verhandlungen erkennen lassen, daß auch in dem Verfahren gegen den General von Nathustu» jede Spur von Gerechtigkeit fehlte. Tier General sollt« eben verurteilt werden, weil er deutscher Offizier gewesen ist. Da» Urteil tritt würdig an die Seit« der gegen deutsche Offiziere früher gefällten Ur teile. ' ! Vie Sebainbemgung »ec Ramien. Protest -er Seamtenverbän-e. Berlin, 22. November. Zur Frage der Erhöhung der Beamtengehälter wird gemeldet, daß die Tpitzenorganlsationen der Beamten beschlossen haben, heute noch einmal beim Reich», kanzler und beim Reichsfinanzminister vorstellig zu werden, um für die am meisten notleidenden Beamtengruvpen höhere Gehaltszulagen zu erreichen. Die Tpitzenorganlsationen erklä- ren, zu diesem Schritte gezwungen zu sein, da die Unterver- bände au» Men Teilen des Reiches das Angebot der Reichsre- glerung al» unannehmbar bezeichnen. Zu dem Protest der Beamtenverbände gegen die von der Reichsregierung vorge« schlagen« Gehaltserhöhung beim Reichsrat erfährt der Vor wärts, daß die württemberglsche Regierung ihren Berliner Gesandten beauftragt habe, für die Besoldungsgruppen 1—6 mindesten» die doppelte Ausbesserung zu verlangen, wie sie für di, mittleren und höheren Gruppen vorgesehen ist. Die Spitzenorganifationen hatten einheitlich bis auf eine Ausnahme folgende Forderung ausgestellt: Für die Besol- dunasgruppen 1—6 4V Prozent, für 7—S 2ö Prozent, für 10 Ä« 12 1ö Prozent und Gruppe 18 10 Prozent Erhöhung mit rückwirkender Kraft vom 1. November. Regierungsseitig wurden diese Forderungen als unerfüllbar bezeichnet unter Hinweis auf die finanzielle Lage der Reichsbahn. ! verltn, 21. Nov. Wie di« Vosstsche Zeitung meldet, haben die LohnverHandlungen bet der RetchSpost heute nicht zu einer Verständigung geführt. Sie wurden un- terbrochen, wetl der RetchApostnrinister noch mit andern Stellen Rücksprache nehmen will. Auch dt« Verhand lungen über eine Erhöhung der Löhne Her übrigen RetchSarbeiter, die gestern iw Retch'rftnanzministertum stattfanden, verliefen ergebnislos. Die Schwierigkeit liegt darin, daß die Arbeiterorganisationen auf der In kraftsetzung der Erhöhung am 1. November bestehen, während die Regierung den Dermin de» 1. Dezember sugestehen WM. Lohnforderungen in der Berliner Industrie. Verltn, 21. Nov. Freitag früh haben die Gewerk schaften der Verltner Industrie beschlossen, ein« 10- prozenttge Erhöhung ihrer Bezüge sofort unter Andro hung eine» Ultimatum» bi» spätesten« 1. Dezember Pu fvckern. DK städtischen Arbeiter Merlin« bMAm ihr Ultimatum nur bis zum 28. November. Die au» den deutschen Kohlenrevieren heut« vorliegenden ilstcldungen lassen ein Ueberspringen der Bewegung auf die Kohlechf reo irre möglich erscheinen. ' Massenausttlttr aus -er deutschnatlonalen volkspartel. Herrn Wulle» Haßgesang gegen die Deutschnatlonalen. Berlin, 21. November. Der völkische Reichstagsabge- ordnetc Wulle teilt tnr „Deutschen Tageblatt" niit, daß augen blicklich Massenaustrttte aus dem Landesverband, Ber lin der Deuttsch Nation al en Volks Part et statt finden. Die Austrittsbewegung habe einen solchen Umfang angenommen, daß sich der Landesverband Berlin b-reits ge nötigt gesehen hat, ein vervielfältigtes Schreiben herzustellen, in dem nur Adresse und Datum osfengelassen sind und das an die Austretenden versandt wird. Dieses interessante Schreiben beginnt tote folgt: Sehr geehrter Herr Parteifreund! Von Ihrer Austrittserklärung vom .... haben wir mit Bedauern Kenntnis genommen. Ehe wir derselben weitere Folge geben, bitten wir freundlich, sich Folgendes zu über- legen: usw. usw." Es ist sehr verständlich, daß die Völkischen, angesichts dieses Zerfalls der Deutschnatlonalen Volkspartei, jetzt ihre Anstrengungen verzehnfachen, um die eigenen gelichteten Be stände auS den deutschnationalen Reihen aufzufüllen. Zu diesem Zweck nennt Wulle heute die Deutschnatlonalen die „schwarz-rot-gelben Jasager" und die „Partei des permanen ten Umfalles. Mesige Wahlzerfplittrrirng. Ml» bet der letzten Reichstagswahl im Mat diese» Jahre« bekannt wurde, daß tM Leipziger Wahlkreis 18 Parteien al» Wahlbewerber auftvaten, dachte man: Höher geht'» nintiner mit der Zersplitterung. Aber der Mat-Rekvrd ist jetzt schmählicherweise Überboten Warden. ES sind dteSmal im Wahlkreise Leipzig sogar 17 Wahllisten etngeretcht worden, und zwar obwohl drei Grüppchen (Ngtionalliberale Bereinigung, Repu blikanische Partei und Sozialistischer Bund) nicht wie- der auftreten. Ebenso hat Dresden 17 Listen aufzu weisen, Oberbadern 15, Magdeburg 14, Pommern 18. NalkuNus. Recht,forderung oder Wahlparole. Bon unferm Berliner Mitarbeiter. Der RechtSsprüch von Lille hat tM gesamten deut schen Volke Helle Empörung tzervorge-rufen. In der Be wertung Hiesse» Urteil», da» den Nanwn «ine» Urteil« nicht verdient, .gibt es keine Parteiunterschiede und darf e« solche Unterschiüw nicht geben. E« hat sich wieder einmal gezeigt, daß der französische Militarismus mit seinem System der Kriegsgerichte da« RM nicht achtet und den Frieden verhindert. Die sogenannten Richter von Lille sind von dem Bestreben geleitet Warden, «in« Rache zu nehmen, die Mehr al» unwürdig ist. wa» jetzt in Lille der ganzen Welt pffenbar geworden ist, ist st» nur «in Teil diese» System». Dt« Tontumatialverfahren, die in Frankreich durchgeführt worden find, waren ins gesamt ein Hohn aus die Gerechtigkeit. Außerdem haben wir ja noch in schlimmer Erinnerung all« jene furcht baren Krieg»gertcht»urtejle, die während de« Ruhr- kämpfe» gegen diejenigen Deutschen ausgesprochen sind, die nicht» anderes getan haben, äl» an ihrer deutschsen Gesinnung festzuhalten. Die Methode, Kriegsgericht« zu politischen Zwecken zu benutzen, ist ja auch, schon früher in Frankreich Mich! Lewefen, und in dieser Hin sicht braucht nur an den Tireyfuß-Prozeh erinnert zu werden. Zu Zetten Poineare» befanden sich dt« fran zösischen Kriegsgerichte in inniger Seelengemeinschaft mit deM Ahes der französischen Regierung. Poinear« Machte von diesem Kampfmittel wie von jedem andern Kampfmittel, da» sich ihm gegen die Deutschen bot, rück sichtslos Gebrauch. Wie sehr er selbst die Urteil« Pies« Gerichte einsWtzte, da» geht ja darau« Hervor, daß er die Krupp-Direktoren, die zu langjährigen Gefängnis strafen verurteilt worden waren, in dem Augenblick frei ließ, in dem er sich von dieser Freilassung Nutzen Ver sprach. > V. Inzwischen hat sich aber doch einige« geändert. Wir haben den 11. Mai erlebt. Da» französische Volk hat durch die Wahlen zur KamMer damals kundgegeben, daß e» nicht gesonnen ist, diese Gewaltpolitik, die.in« .ver derben führen mutzte, .fortzuschen. Poinear« ist gestürzt und Herrtot ist gekommen. Herrlot hat gewiss« Beweis« dafür gegeben, daß er gesonnen ist, eine Politik der Ver ständigung durchzufahren. Au» Anlatz de» .jetzigen un geheuerlichen Unrechte» vou Lille ist e« mun an Her rtot, sich zu erklären, wa» er zu tun gedenkt, um diese« Unrecht wieder gut zu Machen. Meso» Unrecht muß wie der gut gemacht werden, denn sonst steht M al» «in drohendes Hindernis zwischen zwei Völkern, die an sich!, sechs Jahre nach dem Waffenstillstand, au« hem Weg» räumen wollen, wa» einem wirklichen Frieden hinder lich ist. > ! > ! ! Mr Verlauf de» Prozesse« hat ja tM einzelnen, zur Genüge gezeigt, daß der greise General v. Nathustu« nicht der Mann ist, um ein Tafelserviee zu stehlen. Wie lächerlich diese Anklage war, da« geht st» auch! au« deM ersten Verfahren, Pa» in Abwesenheit de« General» ip. Nathustu« geführt worden war, hiervor L»nd in dem der 70jährtge Mann beschuldigt worden war, .«inen Kinderwagen gestohlen zu haben. Eine solche Anklage schon richtet sich selbst. Un« aber genügt s« nicht und kann e» nicht genügen, wenn Herriot seinen Willen HuM Recht und zur Gerechtigkeit, zur Verständigung stnd zum Frieden nur durch Worte kundtut. Der Liller Pro zess hat gezeigt, in welchem Lager in Frankreich! di« Geg ner der Verständigung zu suchen sind. Dt« überstürzt» Ansehung de» Verhandlungstermin» scheint ja.in der Absicht erfolgt zu fein, »M der französischen Regierung die Möglichkeit zum Eingreifen zu nehmen und fvrmal- juristisch bestand nun leider nach! der-französischen Pro zeßordnung keine Möglichkeit Mehr, da« Unrecht zu ver hindern. Aber auch daN kann für unsere RechtSfvrde- rung nicht maßgebend sein. G» ist selbstderständltch, daß wir von der deutschen Regierung die Maßnahmen ver langen, die notwendig sind, um Viesen, gelinde gesagt Justizirrtum zu beseitigen,. Wir haben auch keinen An laß, daran zu zweifeln, daß die deutsche Regierung die sem selbstverständlichen »erlangen Folge leisten wird. Wir fordern da» Recht tM Interesse de» unschuldigen Nathustu» und im Interesse de« deutschen Volke». Wir fordern da» Recht an sich! urid jvrdern «» qKne all« Nebengedanke«. ' ! Leider aber gibt e» in Deutschland Kreise, di« solch« Nebengedanken haben, Kreise, die im Zusammenhang mit einer ehrlichen Entrüstung, die gewiß: nicht ange zweifelt werden soll, glauben, diese« Urteil zu partei egoistischen ^Zwecken ausnutzen zu können. Wenn Mm die deutschnationale Presse liest, kann Man sich 1>e« traurigen Eindrücke» nicht erwehren, al« ob hi« Vech urteilung de» unschuldigen General« gewissen Leuten sehr gelegen kommt. So wird Wied« einmal di« ein heitliche Front aller Deutschen gefprengt ßugunsten «st« D