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ö AH. Lomraberrd, »0. September. 1898. Aettetrißische Aeitage zm sächsischen Erzähler. Zur gemeinnützigen Unterhaltung für alle Stände. (Wird jeder Sonnabends-Nummer ohne Preiserhöhung des Hauptblattes beigegeben.) Uebeq qiq Knmlleill. Dulde, gedulde Dich feinl Ueber. ein Stündlein Ist Deine Kammer voll Sonne. Ueber den First, wo die Glocken hangen, Ist schon lange der Schein gegangen, Ging in Thürmer's Fenster ein. Wer am nächsten dem Sturm der Glocken, Einsam wohnt er, ost erschrocken, Doch am frühsten tröstet ihn Sonnenschein. Wer in tiefen Gaffen gebaut Hütt' an Hüttlein lehnt sich traut, Glocken haben ihn nie erschüttert, Wetterstrahl ihn nie umzittert, Aber spät sein Morgen graut. Höh' und Tiefe hat tust und keid, Sag ihm ab, dem thörigten Neid: Andrer Gram birgt andre Wonne. Dulde, gedulde Dich feinl Ueber ein Stündlein Ist Deine Kammer voll Sonne. Paul Heyse. Wie es endete. Roman von Maria Theresia May, Verfasserin des preisgekrönten Romans „Unter der Königstanne." (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Sie mochte durch den Umgang mit Herbert und auf ihren Reisen viel gelernt haben; aber — selbst die Voreingenommenheit der Gräfin - Mutter verhehlte sich dies nicht — wenige Monate des vorzüglichsten Umganges reichten nicht hin, aus einer Bäuerin eine wirklich große Dame zu machen, und Gertrud gab sich als vollendete Weltdame, bis auf die schreckliche Rücksichtslosigkeit ihrer Antworten an die Gräfin- Mutter. Nie würde sich eine Dame der guten Ge sellschaft dergleichen erlaubt haben! Nur vergaß die alte Gräfin-Mutter bei ihrem Entsetzen über diese Rücksichtslosigkeit völlig, daß sie lediglich «ine Art der Nothwehr gegen ihre, der Gräfin, ebenso rücksichts losen Angriffe bildeten. Gertrud ahnte, was in der Seele ihrer Schwieger mutter vorgehen mochte, und je gereizter diese erschien, desto ruhiger wurde die Tochter des DorfarzteS, aller dings nur äußerlich; innerlich hatte sie einen furcht baren Kampf zu bestehen, um die äußere Ruhe zu bewahren. Jetzt glitt auch ein leichtes Lächeln über ihr Gesicht, dem ein sehr aufmerksamer Beobachter wohl den Zwang angemerkt hätte, den Gertrud sich auf erlegen mußte, als sie um auf die letzten Bemerkungen der Gräfin zu antworten, sich dieser zuwandte. „Die Fabel vom Fuchs und den Trauben kenne ich sehr gut," sagte sie mit ihrer wunderbar klaren, wohllautenden Stimme. „Es widerstrebt mir, zu wiederholen, was ich über Rang und Reichthum von jeher dachte und noch immer denke. Wer zu oft ein und dasselbe versichert, geräth leicht in den Verdacht, daß er seine Ansichten sich selbst versichern muß. Aber Sie wollen mir auch zu verstehen geben, daß Herbert mich einzig und allein meiner Schönheit wegen ge- heirathet hat. Ich kann nicht annehmen, daß Sie selbst dies im Ernste glauben; eS wäre eine Beleidigung für die Urteilskraft Ihres Sohne-, Vie JhnenMemand zutrauen wird." Trotz der Entrüstung, die sich deutlich in den Zügen der alten Gräfin zeigte, lachte Graf Körting laut auf: „Liebe Gertrud, Sie hätten Advokat werden sollen, ich mache Ihnen mein Compliment über Ihre Schlagfertigkeit." „Es wird wohl am besten sein, wenn ich mich ent ferne, damit Du Deine Complimente mit noch weniger Reserve anbringest kannst," warf seine Schwester beleidigt ein und machte Miene, sich zu entfernen. Doch Herbert hielt sie zurück. „Mit einem Mißton darf der erst« Abend, den ich mit meinem Weibe im Vaterhause verlebe, nicht schließen; bleibe, Mama, ich erzähle Euch von Taormina; Du mußt bald einmal mit Menti dorthin, es ist zu schön dort." Herbert erzählte mit Lebhaftigkeit und Wärme, und schließlich gelang eS dem jungen Grasen wirklich, ein allgemeines, unpersönliches Gespräch in Gang zu bringen, woran sich alle der Anwesenden betheiligten, wenn auch die Gräfin-Mutter es stets vermied, Gertrud direkt anzusprechen, um einer Entgegnung auSzuweichen, und jedes Mal finster blickte, wenn sie ihre Tochter und Gertrud sich einander Du nennen hörte. So trennte man sich an diesem Abend anscheinend in besserer Stimmung, als nach dem ersten Zusammen stoß zwischen der alten Gräfin und ihrer Schwieger-