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1890. Eornrabend, den S«. April. Aettetrißische Aeitage zum sächsischen Erzähler. Zur gemeinnützigen Unterhaltung für alle Stände. (Wird jeder Sonnabends-Nummer ohne Preiserhöhung des Hauptblattes beigegeben.) Mir lo sMt ruh« doch öio ToötM? Wie so sanft ruhn doch die Tobten j Auf dem Grab die Weißen Rosen ! Aus der Ferne Grüße bringend Aus dem stillen Friedhofsfeld; S Läuten sanft den Abend ein, Säuselt leis der Abendwind, Aksmuu, Blumenduft durchwoben Philomelens Klagelieder s Koset mit der Trauerweide, Wölbt der Himmel drob sein Zelt. s Haucht herüber uns der Hain! -Ist entflohen schon geschwind. Schon zur Rüste geht die Sonne, Menschen- u. auch Himmelsthränen - Von dem Thurm der alten Kirche Und mit ihrem Purpurstrahl Funkeln hell vom Mond bescheint; ; Tönt der Glocke Nachtgesang, Küßt sie scheidend jetzt die Erde, Ob aus wortlos höchstem Glücke, Traurig ernst mit vollen Klängen, Grüßt sie noch ein letztes Mal. zOb aus stummem Schmerz geweint?s O, wie wird mein Herz so bang! Warum schlaf ich nichtschonfriedlich ; O, wie sanft ruh'n doch die Tobten Mit den Sel'gen, fern der Welt? s Auf dem heil'gen Friedensfeld. Viala Cahm. Zwei Mal vermählt. Von A. Lütetsburg. (Fortsetzung.) Miß Alice Deane — er hatte auch bald ihren Vor namen in Erfahrung gebracht — war eine sehr wohl erzogene junge Dame, denn Lord Deane's Vermögens verluste datirten erst aus der jüngsten Vergangenheit, und genoß einen ausgezeichneten Ruf. Sie gab in mehreren Sprachen Unterricht und war eine vor zügliche Klavierlehrerin. Es wäre ihr sicherlich nicht schwer geworden, durch ihre kleinen Einnahmen die nothwendigsten Bedürfnisse für sich und ihren Vater zu befriedigen, aber Lord Deane konnte sich nicht in den Gedanken finden, daß er nicht mehr in seinem ölten, wenn auch hochverschuldeten Stammhause der Deane's wohnte, einen Haufen Diener zu seiner Ver fügung hatte und von silbernen Tellern die köstlichsten Leckerbissen aß. Er war im Stande, Miß Alice's Honorar für ein Dutzend Klavierstunden in einigen Augenblicken in einem vorzüglichen Restaurant zu verzehren. Nie hatte Harry Aberdeen sich so namentlich un glücklich gefühlt, als an dem Tage, wo er Genaueres über Lord Deane und seine schöne Tochter erfuhr. Das war kein gewöhnliches Interesse, was er für das schöne, anmuthige Geschöpf empfand, sondern tolle Ge danken durchbraüsten sein Gehirn, und er ballte die Hände, als er zum Bewußtsein seiner Machtlosigkeit einem grausamen Geschick gegenüber kam. Gleichzeitig aber war auch sein Entschluß gefaßt — er durfte Alice Deane nicht Wiedersehen. Was ist der menschliche Wille gegenüber einer höheren Gewalt? Zwei Tage später bezog Harry Aberdeen eine Wohnung am entgegengesetzten Ende der Stadt, wo er Alice nie begegnen würde, und am Abend dieses zweiten Tages, da hielt er sie in seinen Armen, und er fühlte, daß er eher sterben könne, als ihr entsagen. „Den Handkoffer, Junge!" schrie Harry die Treppe hinab. „Oh Sir! oh Sir!" wimmerte ihm eine Stimme entgegen. „Es ist ein Unglück geschehen! Oh Sir, der alte Lord Deane ist überfahren!" „Lord Deane?" Der junge Dragoner-Lieutenant wußte nicht, was er gedacht hatte: er fand sich selbst erst wieder, als er den armen alten Mann aus seinem Bette liegen sah, und den Chirurgen beschäftigt, einen Verband anzu legen. Der eine Arm wär gebrochen, und man wußte nicht, ob nicht noch andere Theile verletzt waren, denn Lord Deane lag in Ohnmacht, und alle Wiederbe lebungs-Versuche erwiesen sich als erfolglos. Harry hatte absichtlich nicht zu Miß Deane geschickt, und den Jungen aus ihrer Nachbarschaft, welcher ihm sein Gepäck besorgte, da behalten, damit er nichts verrathen könne. Er wollte das wiederkehrende Bewußtsein des Verletzten abwarten und dann selbst zu ihr gehen, um sie auf die schonendste Weise von dem Vorgefallenen in Kenntniß zu setzen. Jetzt dachte er nicht mehr daran, sie zu meiden. In dem Augenblick, als er die Macht einer höheren Hand fühlte, fügte er sich, und nicht ungern, in das unvermeidliche. Harry hielt gerade dem Chirurgen ein Instrument