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17. Sonnabend, den SS. April. 1887. Aettetrißische Aeitage zum sächsischen Erzähler. Zur gemeinnützigen Unterhaltung für alle Stände. Zuruf au Jünglinge. Vor dir liegt die Bahn des Lebens, Ohne Kampf und ohne Mühen ! Laß den Frühling deiner Tage, Tritt nur muthig in sie ein; -Kam noch keiner durch die Welt, ! Jüngling, nicht vergebens flieh'n, Laß das Ziel des ernstern Strebens - Mag dich auch Gefahr umziehen, - Daß dich nichts in Fesseln schlage, Stets die echte Weisheit sein; - Bleib, wohindie Pflicht dich stellt. -Sei dein emsiges Bemüh'n, Ringe nach der Tugend Krone, ; Zittre vor dem Unglück nimmer, ! Frei und Hellen Geistes schaue Weih' dem Edlen Herz und Sinn; Nur die Sünde schrecke dich, -Auf zu Gott, der dich erschuf, Gieb, ob dich auch Niemand lohne,; Denn dem Guten lenkt doch immer; Immer fest auf ihn vertraue, Für die Wahrheit Alles hin! ; Alles nur zum Besten sich. - Folge seinem sanften Ruf. Willst du wahres Glück erringen,! Dann wird Friede dich umblühen Brauche wenig — leiste viel! - Bis zum späten Alter hin, So allein wird dir's gelingen, ; Ja, selbst dieser Erde Mühen Dies nur führt dich hin zum Ziel, z Werden dann dir zum Gewinn. Weih'st du dich mit reinem Triebe - Dann, sind dieses Lebens Stunden Ganz der Nebenmenschen Glück, ! Einst ins Meer der Ewigkeit Dann kehrt jeder gern mit Liebe ; Wie ein Traum dahingeschwunden, Und mit Dank zu dir zurück. Lohnt dich ew'ge Seligkeit. Ein dunkler Schatten. Erzählung von F. L. Reimar. (Fortsetzung.) Sie kämpfte sichtlich noch mit einer gewissen Be fangenheit, dann aber entgegnete sie: „Nun wohl, wenn ich denn ganz klar reden muß, hat sein Wesen immer die trübe Seite gehabt, die es jetzt trägt?" Einen Augenblick lang hielt er die Antwort zurück; es ward ihm zu schwer, der jungen Frau, die ihn mit Spannung anblickte, etwas zu sagen, das ihr vielleicht weh thun, das sie auf keinen Fall gern hören konnte; dennoch verlangte die Wahrheit ihr Recht. „Wenn ich ganz ehrlich sein soll, gnädige Frau," sagte er, „so muß ich gestehen, daß ich den alten Wüsten nicht wiedergefunden habe: Gustav war früher ein heiterer, lebensfreudiger Genoß." „Und wann war das, wann sahen Sie sich zuletzt, wann trennten Sie sich?" fragte sie hastig. Er sagte ihr, daß dies Alles vor vier Jahren ge wesen sei, als er selbst die Residenz, ihren bisherigen gemeinschaftlichen Aufenthalt, verlassen habe, ein Jahr etwa vor Gustav's eigenem Fortgänge von dort. „Glauben Sie, daß irgend etwas Besonderes, ein bestimmtes Ereigniß auf ihn eingewirkt hat?" fragte sie nach einer kleinen Pause langsamer und mit leiserer Stimme. „Ich muß das annehmen," äußerte er sich entschieden, „ja, nach einzelnen Andeutungen, die er heute machte, bin ich dessen fast gewiß, obwohl er selbst jede genaue Mittheilung ablehnte. Denke ich aber jenen Winken nach, so muß ich ohne Weiteres behaupten: einem seiner Freunde — und sogar eine Almung über die Person desselben hat er mir gegeben — ist der Vor wurf zu machen, ihn auf sehr empfindliche Art, in seinem tiefsten Gemüth vielleicht gekränkt zu haben. Da ist ihm denn, um es kurz und bündig auszudrücken: die Galle übergelaufen und ein Tropfen von ihr rumort eben noch in seinem Blute." Offenbar hatte Dilling seine Erklärung nur abgegeben, weil er ihr nicht auszuweichen vermochte, und sich nicht darüber getäuscht, daß sie kaum geeignet sein konnte, der jungen Frau besonderen Trost zu bringen; daher durfte er jetzt ein wenig staunen, daß der angstvolle Ausdruck ihrer Züge sich plötzlich milderte und sie wie erleichtert ausrief: „Ein Freund also — ein Freund hätte ihm Kummer bereitet! O mein Gott, dann könnte cS ja doch ge lingen, daß Treue und Hingebung seinem Gemüth Heilung brächten!" Die fast wie im Selbstgespräch und mit so warmer Innigkeit gesprochenen Worte hätten Dilling sicher zu reinster Rührung bewegt, wenn sich seiner daneben nicht ein unbehaglicher Gedanke bemächtigt hätte. War cs denn möglich, daß Wüsten auch seinem Weibe gegen über seine Vergangenheit mit einem so völligen Schweigen bedeckte, daß dasselbe sich an der Ursache seiner Ver düsterung abmarterte wie an einem Räthsel? Warum hatte er Anna nicht gerade und offen um das gebeten, was sie, wie es ja ihre eigenen Lippen eben jetzt noch äußerten, so herzlich gern thun wollte? Warum nicht zu ihr gesprochen: mache Du gut, was Andere an mir gesündigt haben? — Oder sollte etwa gar — die