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40. Sonnabend, den S. Oktober. 1888. Aelletrrßische Aeitage zi!M sächsischen Erzähler. Zur fl eme-nnütziflen Unterhaitung für alle Stände. Unter -en Sternen. Roman von Paul Böttcher. (Fortsetzung.) „Das trifft sich ja sonderbar", warf hier die junge Dame ein und eia gewinnendes Lächeln umspielte bei diesen Worten ihre Mundwinkeln. „Dann bin ich wenigstens darüber beruhigt, daß Sie un« Ihre Hilfe nicht auf kosten Anderer angedeihen ließen und ich hoffe kein« Fehlbitte zu thun, wenn ich Sie ersuche, zu Mittag unser Gast zu sein." Hermann war ziemlich überrascht von dieser unerwarteten Einladung und er wußte anfangs nicht, wie er sich dazu verhalten solle. Aber die schönen Augen der Sprecherin, die ihn schon längst gefangen hielten, dazu der naiv-kindliche Ausdruck ihrer Züge, mit dem sie ihre Worte begleitete, machten ihn widerstandslos und er acceptirte dankend diese Ein ladung, in welche auch die ältere Dame einstimmte. .Wenn ich nicht sehr irre,' fuhr die Sängerin in heiterem Geplauder fort, «so darf ich in Ihnen einen Freund der Muse begrüßen, denn ich glaube Sie noch bei meinem jedesmaligen Auftreten im Theater gesehen zu haben. Und ebenso gern, wie Sie nach meinem Dafürhalten der Kunst huldigen, ebenso gern führe ich die Kunst aus, und diese SiunenSverwandtschaft berechtigt und crmuthigt mich zu der Einladung, falls Ihnen diese überraschend gekommen ist. Außerdem aber sehen wir gern, meine Mutter und ich, Gäste in unserm Hause, denn es geht bei uns, da wir allein sind, immer sehr eintönig zu und wir müssen, um uns Zer streuung zu verschaffen, sehr oft die Güte Anderer in Anspruch nehmen". Hermann fühlte sich beglückt von der natürlichen Anmuth und Liebenswürdigkeit der Sängerin; in ihrer Ausdrucksweise lag nichts von jener Gefallsucht und Koketterie, welche Eigenschaften das W-ib oft so unliebenswürdig machen. DaS im Gegensatz zu ihrem Beruf rein kindliche Wesen, dem nichts Unlauteres anhaftete, ihr einfaches und natürliches Auftreten, dem ein hoher Grad von Bildung noch die nöthige Festigkeit und Sicherheit verlieh, das «lleS waren Eigenschaften, die Hermann ungemein fesselten und durch welche er sich lebhaft zu der jungen Dame hingezogea fühlte. Aber auch die ältere Dame war von so gewinnender Freundlichkeit, daß er sich bald ganz heimisch in diesem Kreise fühlte. Während die Patientin den verwundeten Fuß auf dem Sopha rnhea ließ, hatte Hermann in einem Sessel neben der Sängerin Platz genommen und bald waren alle drei in einer recht lebhaften Unter haltung verknüpft, so daß die Verwundete bald den leidenden Fuß, und Hermann seinerseits vergaß, daß er hier nur ein Fremder, Geduldeter war. Auch wollte es ihm scheinen, als wenn er der älteren Dame schon irgendwo begegnet sei, nur vermochte er über das .wo' und .wann', soviel er auch nach sann, keinen Snhaltepunkt zu finden. Auch während die schöne Gastgeberin da« Esten servirte, da» diesmal, um der Verletzte» da« Aufstehen zu ersparen, anstatt im Speisezimmer im Wohnzimmer geschah, fand Hermaon Gelegenheit, in seinem Be kanntenkreis nach einer Aehnlichkeit mit jener Dame zu suchen; er griff zurück bi« in die Zeit seiner Jugcnderinnerungen, — da tauchte vor seinem geistigen Auge die Gestalt der Tante Agne« auf. Die Erzieherin der kleinen Franziska, seiner einstigen Jugendgespielin, mußte eS sein, in deren Haus er heute auf so sonderbare Weise Einlaß gefunden, es war dieselbe Haltung, dieselben Gesichtszüge, das gleiche mildfreundlichc Wesen, das seinerzeit in dem Faber'schen Hause waltete. Er erschrak fast über sich selbst, als er an den Namen .Faber" dachte. Wenn seiue Patientin wirk lich die war, wofür er sie hielt, dann konnte auch Fräulein Frigga Weise seine ehemalige Gespielin, Franziska Faber sein. Die Jugendjahre verändern den Menschen am ehesten und es war wohl möglich, daß er hier diejenige wiedergcfundcn, an die er schon so oft gedacht hatte. Aber gab e« nicht auch Sehn lichkeiten, konnte er sich nicht eben so gut täuschen? Hermann war in seinem Jdeevgang so vertieft, daß er es beinahe überhört hatte, wie seine schöne Gastgeberin ihn zu Tische bat. .Jetzt Herr Doctor, müssen Sie uns auch Ihren Namen nennen," sagte Frigga schelmisch lächelnd, und man konnte dieses Lächeln für eine schonungs volle Rüge halten, dafür, daß er es bisher versäumt hatte, sich den Damen vorzustellen. .Wir wüßten sonst nicht einmal, wie wir Sie finden sollten, wenn wir wieder ärztliche Hilfe bedürfen." Hermann fühlte, daß er hier eine Taktlosigkeit begangen und er beeilte sich nun, da« Versäumte nachzuholen. Der Vorstellung eine passende Ent schuldigung vorauSsendcnd, sagte er: .Mein Name ist Hermann Faber!' Hermann beobachtete dabei scharf und er ge wahrte, wie beide Damen beim Nennen diese« Namen- die Farbe wechselten;Ie« wurde ihm nun- mehr zur Gewißheit, daß er Franziska Faber gegen überstand, — der Tochter desjenigen, durch dessen Hand nach seiner Ueberzeuguug der Vater gefallen