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S««4»«»d, den 14. ßWz. 1874. Aetketriüische Aeil'age zum sächUcheu Erzähler. Zur gemeinnützigen Unterhaltung für alle Stände. Der Ankläger von Straßburg. Historische Novelle von Mar Ning. (Schluß.) „Soll ich ihm den Kops abschneiden?" fragte »er Scharfrichter mit heiserer Stimme, indem er mit schrecklichem Grinsen da» rothe Gesicht verzerrte und mit seiner Hand die entsprechende Bewegung machte. „Schütze ihn!" flehte Marie den Volksvertreter an, von innigem Mitgefühl bewegt. „Der Himmel -Mill nicht den Tod des Sünders, sondern daß er bereut." „Er hat zwar hundertfach den Tod verdient", Hersetzte Saint-Inst streng, aber ich habe kein Recht dazu, nurder Convent kann und muß das Urtheil fällen." „Zur Guillotine! Zur Guillotine!" brauste es Hon Neuem immer lauter, immer drohender. „Hörst Du das Rasen des Volkes?" mahnte der besorgte LebaS. „Wenn Du es nicht beschwichtigst, ^o wird es dir Geduld verlieren und das Opfer der -Gerechtigkeit mit eigener Hand zerreißen. Du mußt augenblicklich etwas thun, um die gerechte Rache zu befriedigen." „Wohlan!" befahl Saint-Just mit lauter Stimme. „Führt ihn zur Guillotine! Dort mag er zwei Stunden ausgestellt bleiben und alle Qualen seiner unschuldigen Opfer im Geiste dulden. Das soll zu nächst seine Strafe sein, über deren ferneres Maß einzig und allein das Gesetz zu bestimmen hat." „ES lebe Saint-Just!" schrie die leicht bewegte Menge. „Es lebe der Vertreter des Volkes, der -Schutz der Gerechtigkeit! Hoch Marie Grüner, die Straßburg von dem Tyrannen befreite! Hoch die schöne, die reine, die muthige Jungfrau!" Während so das Volk ihr zujauchzte, sank sie weinend in die Arme ihres Vaters, erschöpft von der überstandenen Aufregung, das Herz zerrissen von den widersprechendsten Empfindungen, von Lust und Qual, von Freude und Trauer, von Jubel und Jammer, von Abscheu und Mitleid, wie ein zartes Blatt vom Sturm gepeitscht. Länger vermochte sie nicht, das Schauspiel zu ertragen; eine wohlthätige Ohnmacht entrückte sie den folgenden Scenen. Sie sah nicht mehr, wie der Scharfrichter mit seinen rohen Fäusten den un glücklichen Eulogius ergriff und unter dem Jauchzen und Beifallklatschen der Menge mit sich fortschleppte, begleitet von dem zahlreichen Gesindel, das sonst dem gefürchteten Ankläger entgegenjubelte. Auf dem größten öffentlichen Platz der Stadt stand «in niedriges, nur einige Fuß hohes Gerüst von roth angestrichenen Brettern; darüber erhoben sich gleich drohenden Mörderarmen zwei Balken, zwischen denen das verhängnißvolle Beil blitzte. Hier auf der blutgetränkten Bühne, umschtvebt von den Geister» der von ihm Gemordeten, von t«n bleichen Schatten seiner Opfer, von den grauen vollen Erinnerungen und von den noch entsetzlicheren Mahnungen seines Gewissens, duldete Eulogius eine Strafe, die ihm grausamer als der Tod erschien. Rings um die Guillotine, auf der er ausgestellt war, drängte sich Kopf an Kopf die wilde Menge, der entmenschte Pöbel, sich an der Qual, an der Furcht des gefallenen Tyrannen weidend. Don allen Seiten tönten ihm jetzt Flüche und Ver wünschungen entgegen, verfolgte ihn der Hohn des Gesindels, aber auch manche leider nur zu gerechte Klage. „Nun bist Du, wo Du hingchörst!" schrie der zerlumpte Arbeiter. „Jetzt weißt Du, wie den armen Teufeln zu Muth ist, die Du hierher geschickt." „Kennst Du mich?" rief eine bleiche Frau, aus deren blutlosem Gesicht ein unaussprechlicher Haß hervorbrach. „Du erinnerst Dich nicht mehr an die Stunde, wo ich kniecnd mich zu Deinen Füßen wie ein Wurm krümmte und um das Leben meines Mannes im Namen meiner vier unschuldigen Kinder flehte. Ungeheuer! Sein Blut klebt noch an Deinen verfluchten Händen!" „Und meine Mutter, meine arme alte Mutter!" klagte ein kräftiger Mann und ballte seine Faust. „Was hat Dir das gute Weib gethan, die kein: Fliege zu kränken vermochte? Weil sie einem halb verhungerten österreichischen Kriegsgefangenen ein Stück Brod reichte, als er verschmachtend vor ihrer Thüre niedersank, hast Du sie angeklagt und auf die Guillotine geschickt." „Nieder mit dem Scheusal!" rief der Haufe, knirschend vor Wuth. Bleich, zitternd, das häßliche Gesicht von Furcht entstellt, mit eingefallenen Augen, die an sich schon klein, jetzt fast gänzlich verschwunden schienen, klammerte sich Eulogius au den verabscheuten Henker an, erliegend unter der Last dieser Beschuldigungen, von Todesangst gepackt, von eisiger Kälte geschüttelt. Um seine Qual noch zu steigern, fiel ein bis auf die Haut dringender Regen vom Himmel herab, gegen den ihn seine leichte Kleidung nicht zu schützen vermochte. Trotzdem es bereits dunkelte, wollte die Menge das ihr gebotene Schauspiel keineswegs aufgeben und durch die cingetretene Finsterniß verlieren. Aus den