Volltext Seite (XML)
/luer Tageblatt /lnzeiger Mr öas Erzgebirge mit -er wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Muer Sonntagsblatt. Spwchftmtt« «wecküw mit fi»»a<ch«e o— «oanta-e nachmittag, 4—» Uh». — Letegmoun-tz-e-ff», Loggia« stuwiM-ft-e. gamfpwchw a. JO» mwewmzt ^ag»saa»t» Manoftrtpt, kann Aea-H» nicht zel-istet «»»-«r. Nr. 47. Donnerstag» 26. Februar 1914. 9. Jahrgang. Dies« Nummer umfaßt 8 Seiten. Das Wichtigste vom Tage. Der Krieg-Minister und der Minister de- In. nern haben die Beschtoerde de» sozialde mokratischen Redakteur- Stöcker wegen Nichtzulassung-um Stnjährigendien st« abgewiese«. a In der Budgetkommission de» Reichstage» teilte der Kultusminister mit, daß in Berlin im letzten Jahr« 80821 Austritt« au» der Kirche angemeldet worden seien. H In Berlin trat gestern unter Beteiligung aller eu ropäischer Staaten die europäische Wagen« beistellungS-Konferen- zusammen. * In O«7t«reich.Ungarn beglnnen demnächst groß angelegt« Manöver, denen die Idee eine» Zukunst-kriege- zugrunde liegt.«) In walona sind zehn holländisch« Offizier« zingetroffftn, die an der Organisierung der albanische« Gendarmerie Mitwirken wer den. » Di« bulgarisch« Regierung erklärte sich bereit, di« diplomatischen Beziehungen mit Griechenland wieder aufzunehmen. -l fl«-« «i mU««, Die Reform äer ersten Nammer. Kein Geringerer unter den Geistesfürften dieser Erbe al» der ernste und nüchterne Realpolitiker Macauvay sprach es mit erschreckender Deutlichkeit in feinen Reden: Die große Ursache der Revolutionen ilst di«, daß, während die Völker forischretten, di« Verfassungen stille stehn. Die Worte verdienten, als politischer Haussegen in allen Ex- zellen-emstuden und Mirristersalons an die Wände ge schrieben zu werden; sie sind da» Alpha und Omega, der Wesensinhalt des politischen Geschehen». Man hatte in Sachsen besondere Gelegenheiten, sich ihrer zu erinnern, als kaum vor Jahresfrist die Erste Kammer der Stände versammlung ein Gesetz scheirern lieh, das aus dein Volle geboren und vom Deswillen getragen, keineswegs an ge sunden Ueberlieferungen rüttelte oder überhaupt in politi- cis neuen, vielleicht gar revolutionären Zielen dienen wollte: Wir meinen die Volksschulreform. Die sächsische 'Lehrerschaft und di« führenden Politiker, sowie die besten Teile da» Bolle» standen geschlossen hinter diesem Gesetz; di« Mast« der Bevölkerung, in den städtischen Gemeinden sowohl wie in den ländlichen, hatte «ine einzige Meinung in dieser grasten Pildung-frage des Voll« und selbst Wider, strebend« wurden von diesem einen mächtigen Willen mit fortgerissen, der der allgemeinen und gleichen Schule, dem Htnauawollen au» der Privilegien- und Beoorzugungswtrt. schäft au» dem Reiche, wo sie al» giftigster Schädling auf« tritt, dem dm Kinde», galt. Di« Erste Klammer de» säch sischen Landtag« verstand nicht, wa» die Zeit forderte. Durch ihr Veto fiel die Volkeschplrefovm. Damals tat sich — so lesen wir in der Leipziger Abendzeitung — aufs neue und vielleicht am mächtigsten di« ganze ungeheure Kluft auf, di« heute zwischen dem volksempftnden und Volks- wollen und jener Körperschaft herrscht, di« nach «iner s« t zwei Menschenalter bestehenden., im wesentlichen nie r«v«. vierten und nie korrigierten Staateverfassungsurkund« d.e Geschicke de» sächsischen Staatsleben» entscheidend bestimmt und ohne deren Zustimmung auch kein Iota an den bestehen dm öffentlichen Einrichtungen geändert werden darf. Die Körperschaft hat sich Nicht geändert; in ihr leben dank ihrer Zusammensetzung noch dieselben Anschauungen und Ideen, die den deutschen Vormärz noch behenschten, Klein« Konzessionen, Lapalten von Kompromissen mit der neuen Entwicklung mögen ja gewählt worden fein; der G« i st und dttG«dankeN aqo lt der Ersten Kammer find feit länger denn sechs Jahrzehnten die gleichen geblieben. St« blieben di« gleichen, während ringsum di« Welt, der Staat, das Verhältnis der Bürger zueinander von Grund auf sich er. neuert« und «in neue» Sachsen entstand, da» mit dem der Zett de» tollen Jahr« nicht» mehr gemein hat. Au» der reiinen Agrarwirtschaft find wir in dem Maste heraus, al» «in neuer Erwerbszweig, di« Industrie, sich langsam den nationalen Markt erobert« und nun aus dem Welt- markte von Sieg zu Sieg eilt. Sech» Si ebentel der sächsischen Bevölkerung finden heute ihr Brot in Handel, Gewerbe und Industrie, während im Jahre 1845 noch mehr al» zwei Drittel der Bevölkerung in der Land- wirtschaft tätig war. Da» bedeutete auch eine Verschiebung der sozialen Verhältnisse, wie sie unser Vaterland überhaupt noch nicht erlebt hat. Der vierte Stand der Lohnarbei ter ward geboren und die Kämpfe, die er nicht nur um seine wirtschaftliche, sondern auch um seine politische Existenz geführt hat, bildeten wohl das augenfälligste, bedeutungs vollste lKttterium der jüngsten Zeit. Bon alledem ist die Erste »Kammer kaum berührt wor den. Bon den 47 Mitgliedern der Ersten Kammer gehörten noch im Jahre 1911 nur fünf Len Kreisen des Handel», des Gewerbe» und der Industrie an und vertraten demgemäß deren Interessen; es waren die» damals die vom Köniz nach freier Wahl auf Lebenszeit ernannten Mi Melder, nämlich der Vorsitzende der Handelskammer Zittau, Geh. Kommerzienrat Maentig, der Geh. Kommerzienrat Er be r t in Plauen, .der Vorsitzende der Handelskammer Leip zig, Geh. Kommerzienrat Zweininger, Kommerzienrat Hoesch-Hütten und Kommerzienrat R«ineck«r-Eh»m- nitz. Dazu kommen noch di« ersten Magistratapetsonen der größeren sächsischen Gemeinden, acht an der Zahl. Diesen stehen aber nicht weniger al» stebenundzwanzig Ritter- gutsbesitzer gegenüber, und zwar fünf al» Mitglieder, zwölf al» di« gewählten Abgeordneten der Besitzer von Ritter gütern und anderen größeren ländlichen Gütern und zehn als die durch königliche Ernennung der Ersten Kammer zu geordneten Rittergutsbesitzer. Weiter sind dann noch in der Kammer vertreten Mitglieder de» königlich» Hauses, die GeistUchket' und di« Universität Leipzig. In dieser Zusam- mensetzung. wie sie im Jahre 1911 noch bestand, ist im wesentlichen eine Veränderung nicht «ingetreteN. Da» Grundprinzip aller deutschen Verfassungen ist da' Aweiknm- merlystem. Davon abgehon hieße «inen Sprung in» ungr- wisse Dunkle machen, vor allem in Sachsen, wo mehr al« sonst irgendwo, dem ernsthaftem Politiker «in Gegengewtch gegen die ständig fluktuierenden, beweglichen Tendenzen einer aufgeklärten Arbeiterschaft erwünscht sein must. Gin solches soll di« Erste Kammer stet» bleiben. Schon durch di« Mitgliedschaft auf Lebenszeit must in ihr «in« Garantie dafür geboten sein, Last sie weniger abhängig ist von den Tiajgeometnungen und dem über Rächt oft wechselnden Partei willen, So Lang« Stetigkeit und bi» zu einem gewissen Grad« auch Beharrungsvermögen mit zu den Grundpfeiler« ein«» geordneten Staatsleben» gehören, Joubert» Wort besteht, dah ^Politik di« Kunst ist, die Massen zu führen, nicht wo sie hin wollen, sondern wo sie hin sollen, so lange wird man auch an der Notwendigkeit der Existenz einer Ersten Kammer festhalten müssen, die da» statische Moment im Staatsleben nicht zunächst in der Erneuerung, sondern «in der Erhaltung de« nach ihrer lloberzeugung Guten und Bewährten erblickt. Was aber von Lag zu Tag dringender der Reform bedarf, La» ist die Arider Zusammensetzung der Ersten Kammer. Der Großgrundbesitzer strickt nun einmal nicht mehr die Rolle des Vertreter» de» ersten und maßgebendsten Standes; an sein« Stelle ist Längst der Fabrikant und Kaufmann ge treten, als Steuerzahler wie al» Inhaber und Letter der Triebkräfte, die «inen entscheidenden Einfluh auf den Gang unserer wirtschaftlichen und politischen Entwicklung haben. Er sowohl wie die, die in den kaufmännischen und indu striellen Betrieben ihr Brot fiiüren. Ihre wirtschaftlichen und politischen Interessen zielen anderswohin, al» die agra rischen, vor allem als die der Großgrundbesitzer; oft genug sogar stehen sie sich feindlich gegenüber. Und auch im Han del und in der! Industrie Ist es nicht so sehr der Großbetrieb, der die entscheidende Rolle spielt, als »er mittlere, der kn feiner Gesamtheit dem Bild unsere» wirtschaftlichen Sein» Gestalt und Farbe verleiht. Er ist aber mit den vielen Die wunäerbare Heilung. Humoreske von Getmofu». Na«d«-< Auf der Hohen Schul« zu Barcelona befleißigt« sich Don R-amiro del Punco seit erheblichen Semestern de» Stud um» der Medizin. Er war ein Neffe de» ordentlichen Professors und Vorsitzenden der Prüfungskommission der medizinischen Fakultät, Pedro del Punco; aber trotz der o rwan>tschift- l-chon Beziehungen zu dem grasten Manne getan <s dm nicht, jenem ähnlich zu werden; sintemalen er «ine um ilLerwindltche Abscheu vor der grasten Staatsprüfung hatte, nachdem er durch das Physikum mit Hilfe eines in eiligem tervn Kommilitonen geschoben worden war, und zwar m.t Aufwendungen an Zeit, Kraft und Geld, mittels deren man auch «in Kamel da» bewußt« Nadelöhr hätte passieren lassen können. Don Ramtro also war im besten Sinne des Worte» «in bemoostes Haupt; «r war der Mentor aller Füchse, di« die Hohe Schul« von Barcelona unsicher machten. Er rauhte, wo es den feurigsten Deras gab, spielt» di« Mando line mit musikalischem Feingefühl und würdevollem An- stand, wußte allerlei Mittelchen, dem mag«»«» Monats wechsel durch «inen Pump aufzuhelfen, di« biegsamen Tole- danerklingen rostfrei zu erhalten, di« Herzen der glut- Lugigen Schönen zu knicken und sich ohn« Aufwendung barer Mittel wie ein richtiggehender Grande zu kleiden, kille dies« Wissenschaft aber befähigte ihn nicht, einer hohen Prüfungskommission unter di, bebrillten Auam zu treten, und über sein« Studta einigermaßen befriedigende Aue- kunft zu geben. So bracht, er nun schon da» zwanzigste Gemüter hin, ohne «ine irgendwie begründete Auesicht zu haben, sich in absehbarer Zett sein Brot al» Medizinmann verdienen zu können. Der Geheimrat Pedro del Punes war ketnwweg» er- baut von der passiven Resistenz feine» Reffen. Selbst in seiner Stellung «'s Vorsitzender der Prüfung»tommisston kann'« er dem ewigen Etudmten nicht helf.-n, alld eweil Ramtro in des Ntchp» durchbohrendem Gefühl« der eigenen Verblödung sich erst gar nicht zur Prüfung meldete, sondern infolge chronischer, pessimistisch angehauchter SeWerkemnt. nis auf all« Würden der auch im Land de» Wein« und der Gesänge Nicht gerade sehr einträglichen ärztlichen Lauf bahn veyztchtete«—> oder vielmehr verzichten wollte. Pedro del Punco überlegte also in seinem untadeligen Gemüte, wie er dem Neffen helfen könnt«, und da er «in einfluß reicher Mann war, so nahm er mit den Mitgliedern der Prüfungskommission Rücksprache, um dem ewigen Studen ten über den Himalaya des S'aatsexamms himoegz.ihelfen. Mer -wie d e gelehrten Herren auck übe'leot-n, st« kamen zu keinem Resultat, dmn Don Ramtto del Punco war in allen ärztlichen Dingen von «iner so absoluten Unwissen, heil, daß es Massenmord g wesen wär«, ihn a's appro- bi er »en Mediziner auf die Menschheit loszulass.-n Und schließlich hatte man doch auch «ine gewisse Verantwortung Schließlich kam «iner au» dem Kollegium auf den Gedanken, man soll« Don RaMivo del Punco approbieren, wenn er sich ehrenwvrtlich verpflichte, kein« Praxi» auazuvben, und dieser Ausweg fand di« freudige Zustimmung aller, nur Onkel Pedro war von diesem Vorschlag nicht ganz erbaut, denn der Neff« sollt« doch nicht bonorte oanee, sondern der zu vertonenden Däüser wegen Arzt werden. Und «feder überlegten sie all« scharfsinnig, wa» zu tun sei, und schließ lich wurde der Vorschlag dahin modifiziert, dast Don Rttmiro approbiert werden sollte, wenn er sich «hrenwörtltch ver pflichte, in allen in feiner Praxi» vorkommenden Zöllen ausschließlich ayua laurovereei zu verordnen, denn damit könne er auch gegen seinen Mllen keinen Schaden anrtchten. Und Pedro ml Punco lieh stch den bemoosten Reffen kom men, wusch ihm ergiebig den Kops für sein» chronische Satz!- -eit, und liest ihn «inen heiligen Eid schwören, daß er über allea war sich in den nächsten Tagen ereignen würde, Stillschweigen gelobe« «oll« und tun, wie ihm aehetßen würde. And Don Ramtro, der lieber da» Jubiläum des 106, Semester» auf der Hohen Schule von Barcelona ge feiert, denn den wirklich anstrengenden Beruf eines Arzte» ergriffen hätte, merkte, dast er mtt dem Onkel Ped-o nicht spaßen durfte, und daß es diese» Mal um di« Wurst ging. So leistete er denn den schweren körperlichen Eid sogar ohne Blitzableiter und ohne di« sonst sehr praktisch« reservatio mevtaU», und Nahm tn diesem Augenblick iv Gedanken Abschied von sein«, sorglos verlebtem Jugend, von der Mandoline, vom blitzenden Schläger und den ihm in zwei Generationen bekannten Schönen Barcelonas. Len wirk^chen Abschied feierte er nach bestandenem Examen dann so gründlich, dcch er einige Tage sein eigener Patient sein mußte. Onkel Pedro hatte alle» klug und fein eingefädelt, und nachdem Ramiro in einer geheimen Sitzung der Prüfung», kommission das große und da» klein« Ehrenwort verpfändet hatte, in seiner Praxi» sich nicht nur jedweder chirurgischer Eingriffe zu enthalten, sondern auch in ollen Millen schließ lich aqua lauroeeraet zu verschreiben, bestand er nach mehr fachen Arrangierprüben da» Staatsexamen, und durfte stch nun Visitenkarten mit vr. weä. Ramiro del Punyo, prak tischer Arzt machen Men, da man, um di» Sache kl« zu machen, -ihn auf demselben Weg« und «unter denselben Um- ständen ritö hätte promovieren lassen. Dem wohlbestallten neuen Doktor, dem Neffen de» Geheimen Rate» Pedro d, Punco, wurde trotz seiner bereit» in die Erscheinung treten den Glatze manch verkackender Antrag gemacht, aber Onkel Pedro blieb unerbittlich und bestand darauf, daß Dr. Ramiro sich ein« Landpraxt» in «in«r Gegend suchte, ws nach den statistischen Angaben der Gesundheiiuaustand der BeviN- ftrung ein so günstiger war, dost di» Leute unt« hundert Jahren Seltenheiten waren, wobei allerding» dahingestellt bleib«, ob di« Führung der Kirchenbücher üb«, jeden Gin wand erhaben war. So mußte denn Dr. Ramtro del Punco nach 34 Semestern die Stätte seiner längjährigeh erfolg reichen Wirksamkeit räumen and verschwand auf Rimmer- Wiedersehen irgendwo im Land». In Puerto, einem Flecken, den selbst di« spanisch« Generalstabskarte nicht kennt, tat er sich stl» praktischer Arzt auf, und siehe, e» gedieh ihm, wa» er auch angriff. Di« Leute waren van einer «husten Gesundheit, aber e« gab viele, die sich einbildeten, sich interessant zu machen,