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Montag, II. Juli. IiMnI 4000 »»Inti istmikit». Rr. 1S7 Master Jahr-«; n. und /Anzeiger kür das Erzgebirge verantwortlicher Redakteur: sriS ll nftslil. Für die Inserate verantwortlich: Walter ,r<nr. Beide in Aue i. Lrzgeb. mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Sonntagsblatt, ^r NI. b. ks. Sprechstunde der RedaV^i- mit Ausnahme der Sonntage nachmittag» von 9—» Uhr. — Telegramm-Adresse! Tageblatt Aue. — Fernsprecher in Aue i. Lrzgeb. Für unverlangt eingesandte Manuskripte kann GewLhr nicht geleistet werden. Bezugspreis: Durch unsere Boten frei ins Haus monatlich so pfg. Bei der Geschäftsstelle abgeholt monatlich «o Pfg. und wöchentlich io Pfg. — Bei der Post bestellt und selbst abgeholt vierteljährlich t.so Mk. — Durch den Briefträger frei ins Haus vierteljährlich 1.92 Mk. — Einzelne Nummer io Pfg. — Deutscher Postzeitungs katalog. — Erscheint täglich in den Mittagsstunden, mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen. Annahme von Anzeigen bis spätestens Uhr vormittags. 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Die Blätter von Konstantinooel melden, daß in Damas ein Kampf zwis ch en Drusen und Arabern staltgc- funden habe, bei dem 1ü(> Drusen gefallen seien. * Meldungen aus Saloniki deuten auf V c r t c i d i g «n g s m a ss- nahme >r an der griechisch-türkischen Grenze b i n. (S. pol. Tzsch.) IW" Mutmaßliche Witterung am 13. Juli: Südostwind, wolkig, zeitweise Regen. "MU Der Rücktritt Ses Erüpr uzen Höhmlohe vvm AeichstKHszMD'mm. Erbprinz von Hohenlohe hat von seiner Absicht, vom Vizepräsidium des Reichstages zurückzu treten, nicht ein mal jene Persönlichkeiten, die er sonst zu Rate zu ziehen pflegte, verständigt. Sie erklärten, daß der Schritt wohl allein auf die Verstimmung über die Vorromäus-Enzyklika znrückzuführen ist. Es wird darauf hingewicsen, daß der Erb prinz, dessen Vater zu den G r ü n d e r n d es Ev a n g e l i s che n Bundes gehört durch die in der Enzyklika enthaltenen Schmähungen der Reformation und der Reformatoren sich ganz besonders getroffen gefühlt habe. Erbprinz Hohenlohe-Langenburg, der zweiter Vize präsident des Reichstages, wie unsere Leser des Auer Tageblattes wissen, ist aus den Präsidium des Reichstages ausgetreten und hat seinen Entschluß in einem Schreiben an den Präsidenten des Reichstages, Grafen von Schwerin-Löwitz, ausführlich begründet. Er habe durch seinen Eintritt in das Präsidium einer Wiederan näherung der alten Blockpartei dienen wollen. Eine Verwirk lichung dieses Gedankens fei über durch den Gang der Dinge unmöglich gemacht worden. Die jetzige politische Lage zeige, wie aus den Ersatzwahlen und der jüngst veröffentlichten Erklärung der N. L. C. hervorginge, sogar eine erhebliche Vertiefung der Gegensätze zwischen den einstigen Blockparteien. Als den ent scheidenden Grund aber für seinen Rücktritt gibt Erbprinz Hohen lohe Inhalt und Wirkungen der Borromäus-Enzyklika an. Er habe nunmehr nach dieser Enzyklika und ihren Folge wirkungen sich die Frage vorlegen müssen, ob er weiter einem Präsidium angehören könne, dessen übrige parteipolitische Zu sammensetzung mit seinen eigenen politischen Grundsätzen nicht vereinbar sei. Der Erbprinz hat diese Frage verneint und in Konsequenz seiner Anschauung seinen Austritt aus dem Präsi dium erklärt. Wir können die Beweggründe, die ihn zu diesem Schritte ver anlaßt haben, wohl verstehen und geben unserer großen Achtung Ausdruck für einen Mann, der in einer Zeit wie der unsrigen, die so reich ist an öffentlicher und politischer Heuchelei, den Mut fin det, seine politischen lieber,Zeugungen konsequent durchzudenken und das Reiultat seiner Ueberzeugungen auch praktisch zu ver wirklichen. Wir haben vorausgesehen, daß der mit ehrlichem Wol len unternommene Versuch des Erbprinzen, durch seinen Eintritt in das Präsidium einer Wiederannäherung der Blockparteien vor zuarbeiten, werde scheitern müssen. Wir ersehen wieder aus diesem umsonst gebrachten Opfer, daß jeder Wrsuch, parteipoliti sche Situationen zu verschleiern, oder notwendige Konsequenzen einer parteipolitischen Neuorientierung zu hemmen, vergeblich bleiben muß. Das letztere muß, mit untauglichen Mitteln unter nommen, immer scheitern. Es sei denn, daß ein wirklich großer Staatsmann die Lösung einer solchen Aufgabe übernehme. Wir haben oft in den hinter uns liegenden Monaten die Frage immer banger und immer zweifelnder sich erheben hören: Haben mir in der gegenwärtigen politischen Lage, die sich — darüber wollen wir uns nicht täuschen — nicht nur zu einer mo mentanen, in absehbarer Zeit zu überwindenden, innerpolitischen 1 Krisis gestaltet hat, sondern die uns in Zustände Hinei. treibt, bei denen vielleicht die Grundlagen unseres Staatsmannes und die wirtschaftliche Zukunft unseres Volkes auf dem Spiele steht wir fragen: haben wie in dieser Lage den Staatsmann, der mit großen Mitteln, und nur solche kommen noch in Frage, den Bürgerfrieden im Lande wieder Herstellen kann? Wir haben volle Sympathie mit dem aufrichtigen Bestreben des Reichs kanzlers, den jetzigen Parteihader zu überwinden. Wir haben auch volles Verständnis dafür, daß seine so ungemein schwierige Lage durch den Rücktritt des Erbprinzen Hohenlohe sich noch wei ter verschlechtert hat. Diese Verschlimmerung einer an sich schon fast aussichtslosen Situation würde einen kleinmütigen, seinem eigenen Können mißtrauenden Staatsmann zur Resignation brin gen. Wir wollen hoffen, und unser ehrlicher Wunsch spricht aus dieser Hoffnung, daß der leitende Staatsmann eine solche Resig nation nicht in sich aufkommen läßt. Der Reichskanzler muß sich dann aber gleichzeitig auch darüber klar sein, daß eine Poli tik wohlwollender, passiver Neutralität unser Staatsleben nicht mehr zur Gesundung führen kann. Das Volk, in allen seinen Schichten von Unzufriedenheit und Mißmut erfüllt,, will endlich und muß endlich wissen, wohin die Fahrt geht. In Zeit läufen, wie den unserigen, bedarf e,s mehr denn je eines energischen Willens, der durch Zusammenfassung aller positiv schaffenden Kräfte jeder politischen Gefahr einen wirk samen Damm entgegen zu setzen imstande wäre. Wir wollen hof fen, daß die Erkenntnis dieser Gefahr und die Ueberzeugung von der schweren historischen Schuld, die die bei- der Erledigung der jetzigen Reichsfinanzreform beteiligten Faktoren auf sich genom men haben, in allen Kreisen und auch bei den Personen wachse, die an verantwortlicher Stelle die Geschicke des Vaterlandes zu leiten berufen sind. Einer energischen und zielbewussten Regie rung, die von ihrer Autorität den rechten Gebrauch macht, die diese Autorität einsetzt, nicht zur Konservierung unhaltbar ge wordener Zustände, sondern zugunsten einer gesunden Fortentwi cklung des Staatsgedankens, einer solchen Re gierung wird unser Volk Vertrauen entgegenbringen, und die ihrer Verantwortlichkeit bewussten Parteien werden sich der Mitarbeit an einer solchen Gesundung unseres politischen Lebens nicht entziehen können. * — Die Berliner Morgenpost wandte sich telegraphisch direkt an den Erbprinzen von Hohenlohe und erbat Auskunft über dis entscheidenden Motive, die den Prinzen bei seinem Entschluss ge leitet haben. Das Blatt erhielt darauf aus Langenburg (Württemberg) folgende telegraphische Auskunft: « Die foldene Freiheit. Humoreske von Lothar Vrenkendorsf. (Nnchr ruck i-reboten ) Als Dr. Paul Neinick aus der Bahnhofshalle aus die Straße hinaustrat, klangen ihm noch die letzten zärtlichen Abschieds worte seines jungen Weibchens im Herzen nach, und ein Gefühl liebevoller Rührung durchzitterte seine Seele. „Und nicht wahr, Schatz, du versprichst mir, während dieser drei Wochen jeden Abend zu Haus zu bleiben? Wenn du Langeweile hast, kannst du ja zu den Rembolds hinüber gehen, um mit ihnen Sechsund sechzig zu spielen. Es sind so liebevolle Menschen." „Ich brauche die Rembolds nicht, Herzensmaus, um mir die Zeit zu vertrei ben. In dem treuen Gedenken an dich werden mir die Stunden rasch genug verfliegen." Ein langer Kuß hatte ihm diese Er widerung gelohnt, und bis der Zug an der ersten Kurve ver schwunden war, hatte ihm ihr wehendes Tllchlein ihre letzten Liebesgrllße gewinkt. Kein Wunder also, daß es ihm gar nicht sehr angenehm war, als er sich plötzlich von einem Bekannten an geredet hörte. „Neinick! — Altes Haus! Lebst du denn wirk lich noch? Man hat ja seit Menschengedenken nichts mehr von dir gehört. Es war der Amtsrichter Körner, der ihn auf solche Art begrüßte, ein wackerer Kumpan aus der lustigen Junggcsel- lenzcit und von jeher ein heilloser Spötter. Hätte er nicht gleich seinen ersten Worten eine ironische Bemerkung über das trüb selige Aussehen des alten Freundes hinzugefiigt, so würde ihm Dr. Neinick wahrscheinlich erzählt haben, dass soeben seine Frau auf drei Wochen abgereist sei. So aber behielt er es lieber für sich. Und er war froh, dass er es getan, ass der andere gleich in seiner burschikosen Weise sagte: „Ich würde dich für heute Abend gern zu einer famosen Kneiperei einladen, wenn ich nicht gehört hörte, dass du hoffnungslos unter dem Pantoffel stehst, und dass solche Freuden darum für dich nicht mehr existieren." Paul Neinick wurde rot vor Verlegenheit. Wie war es nur möglich, daß alle seine ehemaligen Freunde ihn für einen Pan- toskelbeldeg hielten, nur weil er immer zufällig keinen Haus- hatte» wenn ihn mal einer beim Abendschoppen festhalteu wollte, und weil er auch sonst eine gewisse verliebte Nachgiebigkeit gegen die Wünsche seines energischen jungen Frauchens nicht verlangen konnte! So faßte er plötzlich den heroischen Entschluß, den Mythus von seinem Pantoffelhelden tum ein für alle Mal zu zerstören. Mit einer stolzen Eeberde warf er den Kopf in den Nacken und sagte: „Ich finde allerdings nicht mehr viel Gefallen an stumpfsinnigen Zechgelagen; wenn mich aber einmal die Lust dazu anwandeln sollte, brauche ich wahrlich niemanden um Erlaubnis zu fragen. Um was handelt sich's denn heute?" Ein paar Minuten später hatte er sein Erscheinen bei der Abschiedskneipe für einen nach ausserhalb versetzten gemeinsamen Bekannten aus das bestimmteste zugesagt, und er nahm mit einiger Genugtuung wahr, daß er dadurch un verkennbar in der Achtung des Amtsrichters gestiegen war. Diese Genugtuung brachte denn auch die leisen Vorwürfe seines Gewis sens zum Schweigen; und als er sich am Abend zum Au^gehen an kleidete, fühlte er beinahe etwas von dem Wohlbehagen eines Gefangenen, der sich zur Rückkehr in die goldene Freiheit rüstet. Er war schon in Hut und Ueberrock, als ihm plötzlich einfiel, daß er keinen Hausschlüssel besitze, und er beeilte sich, nach dem Msid- chen zu klingeln. Die treue Dienerin des Hause, eine dreißig jährige Jungfrau, die auf den wohlklingenden Namen Eufemia hörte, sofern sie eben überhaupt geneigt war, auf irgend etwas zu hören, erschien nach einer geraumen BHile und musterte den Doktor mit einem ebenso erstaunten als strengen Blick. „Geben Sie mir bitte den Hausschlüssel!" sagte er, eine in ihm aufstei gende eigentümliche Verlegenheit hinter dem Ton des Gebieters verbergend. Eufemia aber rührte sich nicht vom Fleck. „Den Haus—schlüss—el?" wiederholte sie mit einem unnachahmlichen Ausdruck höchster Verwunderung. „Es ist ja bis zehn Uhr offen. Wozu braucht der Herr Doktor denn da den Hausschlüssel?" „Lassen Sie das nicht Ihre Sorge sein und tun Sie, was ich Ihnen befehle. „Aber mit einiger Beschleunigung, denn ich habe kurze Zeit." Eufemia ging, und nach Verlauf einer guten Viertelstunde kehrte sie mit einem dreißig Zentimeter langen Instrument zurück, das Dr. Neinick nur unter grossen Schwierig keiten in einer seiner Taschen unterbringen konnte. Sein Ab- schiedsgruss blieb unerwidert, und obwohl er es geflissentlich ver mied sie anzusehcn, fühlte er Eufemia^ strafenden Blick auf sich gerichtet, bis er glücklich die schützende Koridortür zwischen sich und sie gebracht hatte. Auf dec Abschiedskneipe ging es sehr lustig zu, so lustig, dass sich Dr. Neinick wie im Himmel fühlte ,und dass er nicht einen Augenblick zögerte, freudig zuzustimmen, als einige seiner alten Freunde für den folgenden Abend eine Wiederholung in Gestalt eines kleinen Nachbummcls vorschlugen. Er musste doch auch zei gen, daß er kein Pantoffelheld war, und es war sehr verständlich, daß er diesen Beweis lieber während der Abwesenheit seiner Frau erbringen wollte, als nach ihrer Heimkehr. Die dritte Mor- stunde war schon vorbei, als er vor seiner Hapstür den ungefügen Schlüssel aus der- Tasche zog. Anfangs setzte er es auf Rechnung der genossenen Spirituosen, dass es ihm durchaus nicht gelingen wollte, ihn in das Schlüsselloch zu bringen; nach ungezählten! vergeblichen Versuchen alber mußte er sich doch überzeugen, daß die Ursache eine andere sei. Es wäre jedenfalls nutzlose Zeitver geudung gewesen, sich mit weiteren Versuchen zu plagen, und er musste sich wohl oder übel entschliessen, den Portier herauszu klingeln. Das Gesicht dieses Wackeren verzog sich zu einem fata len Grinsen, als er den Einlass Begehrenden erkannte, und er lachte sogar laut aus, als er das gigantische Werkzeug in seinen Händen erblickte. „Sie haben ja den Kellerschlüssel statt des Hausschlüssels mitgenommen, Herr Doktor! Ihre Frau Gemah lin hat sich wohl vergriffen?" Des Doktors Gehirn war nicht mehr klar genug, dass er den Sarkasmus der letzten Bemerkung hätte begreifen tönnen; aber es war immerhin noch so klar, dass er die teuflische Bosheit dieser unverschämten Eufemia durch schaute. Im ersten Augenblick nahm er sich vor, sie deshalb ener gisch zur Rede zu stellen, im nächsten aber dachte er an den Blick, mit dem sie ihn heute angesehen hatte, und seine Absichten erfuh ren eine plötzliche Wandlung. Während er in seinem Portemon naie nach einer angemessenen Belohnung für den Zerberus des Hauses suchte, brachte er beklommen heraus: „Sollten Sie nicht vielleicht noch einen überflüssigen Hausschlüssel in Ihrem Besitz haben, Herr Mischke? Ich würde Ihnen gerne fünf Mark dafür zahlen."