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Mittwoch, 3V. Januar 1S07 Veit GIVIHID »diente - ider »dennenlen! Nr. 25. Zweiter Jahrgang. Nu er Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge Vrrautivolttichci Redakteur: Fritz Aruhvld. Fü, die Inserate veraiUmorlllch - Arthur Rupfer, beide iu Aue. mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Sonntagsblatt. - Sprechstunde der Redaktion mit Ausnahme der Lonniage nachmittags von s Uhr. — Telegramm-Adresse: Tageblatt Aue. — Fernsprecher 2v:. Für unverlangt enigesandt« Manuskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. Druck und Verlag Gebrüder Benthner (Inh.: Paul Lcuthner) in Aue. Bezugspreis. Durch unsere Boten frei ins Hans monatlich so Pfg. 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Die (5 i n b e r u s u n g des n eucn Reichst a g e S er- johp voraussichtlich erst aus den I!). Februar. zkvlonialdircktor Dernbu . g wird aus Ersuchen der dortigen Handelökammee am 3. Februar in Frankfurt a. M. einen Vortrag über kolonial-wirtschaftliche Verhältnisse kalten. Durch ein kaiserliches Patent wnrdc die A u j - tosung des o sl e r r eichi s ch e n Ab g c o r d n e t e n hanseS verfügt. *) Näheres siehe unten. Milde für Majestiitsbeleidiger. Wir kommen nochmals aus den Erlaß des Kaisers an seinem Geburtstage zurück, der bisher noch nicht d i e Beachtung gesun den hat, die er verdient. Der Ausgang der Reichstagswahl hatte in den letzten Tagen alles verschlungen, was sonst im politischen Leben sich zutrug. Nun ist wieder etwas mehr Ruhe eingezogcn, die Gemüter der wahlberechtigten Bürgerschast sind wieder friedlicher gesonnen, und es ist an der Zeit, den kaiser lichen Erlaß näher zu prüfen. Unsere Leser kennen ihn aus unserer Montagsnummer, außerdem sicherten wir ihn Montag sriih sHIj Uhr durch Herausgabe eines Extrablattes weitester Verbreitung. Er hat folgenden Wortlaut: Es entspricht meinem Wunsche, daß wegen Majestäts beleidigung oder Beleidigung eines Mitgliedes meines könig lichen Hauses nur solche Personen die gesetzliche Strase er leiden, welche sich jener Vergehen mit Vorbedacht und in böser Absicht, und nicht bloß aus Unverstand, Un besonnenheit, Uebereilung oder sonst ohne bö sen Willen schuldig gemacht haben. Ich beaustrage daher Tie, den Justizminister, mir, solange nicht das Gesetz eine entsprechende Einschränkung der Strasbarkeit ent hält, fortlaufend von Amts wegen über alle nach dem Ange- iührten berücksichtigenswerten Verurteilungen behufs meiner Entschließung über Ausübung des Begnadigungsrechts zu be richten. Diese Kabinettsorder wird allenthalben in deutschen Lan den mit ausrichtigem Beifall begrüßt werden. Die Ueberhand- nahnie der Majestätsbcleldigungsprozesse zeugte nicht von einem gesunden politischen Leben, ebensowenig wie sic ein Zeichen für eine gesunde Volksmoral ist. Wo der Träger der Krone sich streng innerhalb der ihm durch die Konstitution des Landes ge zogenen Grenzen hält, die zugleich ein Schutzwall für seine Per sönlichkeit und seine verfassungsmäßigen Rechte sind, wo der Monarch es vermeidet, in den Streit der Meinungen und der Parteiungen einzugreisen und herabzusteigen in die Arena der politischen Tageskämpfe, da wird er am weitesten den persönlichen Angriffen entrückt sein, da kann er cs auch am ehesten dem ge sunden Gefühl des Volkes für Anstand und gute Sitte über lassen, d i e Leute, die sich in rohen Angriffen gegen die Person des Staatsoberhauptes ergehen, s 0 zu strafen, wie es ihnen am fühlbarsten ist, nämlich mit Nichtachtung und mit der Ent fernung aus den Kreisen, die aus gesittetes Verhalten etwas geben. Wie das zum Beispiel in England ist. Dort kennt man das Verbrechen der Majestätsbeleidigung nicht, und wer pöbel haft über den König spricht, der wird von allen anständigen Leu ten gemieden. Je mehr aber wegen Majestätsbeleldigung prozessiert wird, um so größer wird der Anreiz für die gemeine Rachsucht, für das schäm- und gesinnungslose Denunziantentum, ihr Müt chen zu kühlen an Leuten, denen sie aus irgend einem Grunde gern ein Bein stellen möchten. Der Denunziant schießt dann feige aus dem Hinterhalt den Pfeil ab gegen den Mann, mit dem er gestern noch mit biedermeicrischer Miene über Kirche und Staat gesprochen, den er vielleicht in böser Absicht zu einem unbedachten LVorte gereizt hat. Die gemeine Angeberei, die uns in de» Eerichtssälen nur zu oft ihre widerlich grinsende Fratze zeigt, sieistes, die durch die rücksichtslose Prozessiererei wegen Majestätsbeleidigung förmlich groß gezogen wird. Der Kaiser erklärt nun, daß er allen denjenigen, die aus Unverstand, Unbesonnenheit, Uebereilung oder sonst ohne bösen Willen gegen den Majestätsbeleidigungsparagraphen verstoßen haben, seine Gnade zuteil werden lassen wolle. Daraus wird hossentlich der Justizminister die Anregung entnehmen für eine Anweisung an die Staatsanwaltschaften dahin, daß sie nicht wegen jedes törichten Wirtshausgercdes oder wegen jedes alber nen Weiberklatschcs gleich die hochnotpeinliche Anklage erheben. Jedenfalls aber werden die Denunzianten wohl in der Regel des Vergnügens beraubt werden, diejenigen, die sie sich zum Opjer ihrer Bösartigkeit ausersehen hatten, ins Gefängnis wandern zu sehen, und damit werden sie dann auch die Lust an den Denunziationen verlieren. Der Kaiser deutet in seinem Erlaß an, daß uns die Reform des Strafrechts eine gesetzliche Einschränkung der Strasbarkeit wegen Majestätsbeleidigung bringen wird. Das ist ganz besonders wichtig und wertvoll. Aber bis dahin wird bereits dank der Milderung der Straf praxis, wie sie in der kaiserlichen Kabinettsorder angeordnet wird, zur Ausrottung der Denunziantenseuchc viel gewonnen sein. Polltisch genommen ist es ein kluger Schachzug, daß man die Kabinettsorder des Kaisers just in diesen Tagen zwischen den Schlachten hat ergehen lasten. Daß sie mit Rücksicht aus die bevorstehenden Stichwahlen ergangen ist, braucht man nicht anzunehmen, sicher aber ist, daß sie aus den Ausfall der Stich wahlen im Sinne der Regierung stark einwirken wird. Einer Regierung, die dem Volke eine,so wertvolle Gabe dar ¬ bringt, wie e» die Reform der Majestätsbeleidigungs-Straf praxis ist, gibt aber auch das Volk williger. Fragt sich nun nur noch, inwieweit die Regierung auch späterhin, wenn sie den „guten" Reichstag erst hat, den Wünschen des Volkes Rechnung tragen wird. Und das ist — wir haben's schon an dieser Stelle gesagt — eine bange Frage. Line weitere kaiserliche Kabinettsorder. vv. Der Kaiser hat an seinem Geburtstage folgende Ka- bincttsorder ertasten: Ich will mit den uns anläßlich unserer Silberhoch zeit von Schülern und Schülerinnen höherer Schulen für Marinezwecke gesammelten Geldmitteln den Betrag von 1VVVV0 Mark zu einer beim Reichsmarineamt zu verwal tenden Stiftung für die Schiffsjungen meiner Marine vereinigen, deren Zinsen für Unterstützungen und zur Förderung von Berufssreudigkeit und gesunden Sinn verwendet werden sollen. Ich bin überzeugt, daß ich mit einer solchen in erster Linie der Marinejugend aus den unbemittelten Schichten des Volkes zugute kommenden Stistung, welche als eine Hebung des so wichtigen Unterossizierersatzcs der Marine wirken wird, im Sinne der sreundlichen Spender der Geld mittel zu handeln. gez. Wilhelm I. U. Politische Tagesschau. Aue, 30. Januar 1807 Dir Erubenkatastrophe zu Reden. Die furchtbare Katastrophe in dem Kohlenbergwerke zu Reden, die uns mit Einsetzen und jammervollem Milleide erfüllt, wurde ebenfalls durch den tückischsten Feind des Bergmannes in Kohlengruben, durch schlagende Wetter verursacht. Solche Explosionen führen iu der Regel zu furchtbaren Katastrophen, denn es folgt ihnen säst immer ein Grubcnbrand, dem die Men schenleben zum Opfer fallen, die nicht sofort durch die schlagenden Wetter getötet werden, aber in seinem fortgesetzten Kampfe mit den Naturgewalten hat der Mensch auch sinnreiche Mittel erfun den, nm Grubcngasexplosioncn zu verhüten. Man sorgt für eine ausreichende Ventilation der Bergwerke durch sogenannte Werlermaschinen, man hat Schlagwetterindikawren iu Verwendung, die das Entstehen von Grubengasen selbsttätig sowohl in den Schächten und Stollen ivie oberhalb zu Lage «»zeigen, und inan hat auch die Sprengpatronen s 0 instruiert, daß sie bei der Explo sion Grubengase nicht in Brand stecken können. Schließlich bcugt auch die Konstruktion der Grubenlampen einer Explosionsgefahr durch schlagende Wetter vor, unter der Voraussetzung natürlich, daß die Beleuchtungskörper richtig funktionieren. Es bestehen also soviel Schntzmaßregeln, daß größere Unglücke in Kohlengruben geradezu ausgeschlossen erscheinen sollten. Wenn sich trotzdem Jahr sür Jahr derartige Katastrophen ereignen, so kann man wohl mit Sicherheit behanpteu, daß faßt immer das Versagen der S ck, u n m a ß n a l> m e n die Ursache bildet. Und dies wird lci- Schlagenve Wetter.*) Novelctte von Robert Kirchmair. (Nachdruck verboten.) Es war immer still in dem kleinen Städtchen. Mit Ruhe und Bedacht gingen die Leute ihren Hantierungen nach. In gleichem Geleise spielte sich das Einerlei des Alltags ab. Nicht so heute. Trotz des Werktags und trotz der Mitter- nachmittagsstunde standen da und dort Gruppen laut redender Leute in den Straßen und an den Straßenecken. Am dichtesten drängten sich die Menschen aber aus dem Marktplatze zusammen. Dort war an zwei Stellen, am Rathause und an der Redaktion des Tageblattes ein Anschlag angebracht, der von den Neu gierigen förmlich belagert wurde. Ruse des Schreckens, des Mit leids tönten aus dem Schwarm der Lesenden. Der Anschlag verkündete nämlich, daß in der etwa sechs Wegstunden entfernten Zeche Hubert« schlagende Wetter einen Hauptstollen wäbrend der Arbeitszeit völlig zerstört hätten: sämtliche Bergleute wären Verschüttet; die Sachlage laste wohl mit Recht den traurige» Schluß zu, daß kein einziger mit dem Leben davonkommen werde. Das Städtchen nahm lebhaften Anteil an dem Rettungs werke. Die Feuerwehr hatte sich alsbald nach dem Unglückstage ausgemacht, andere junge Leute schlossen sich an, die Wirte und Kaufleute stellten Lebensmittel zur Verfügung, die Geistlichen gedachten vorschauend der Not der Witwen und Waisen und sam melten für sie, bittend von Haus zu Haus. » Diese ergreifende, in lebenslreiieu Hägen gezeichnete Erzählung uird unseren werten Leserinnen nnd Lesern in» sc> iuleressnutcr sein, als dar furchtbare Grnkeuunglllck im ^aargebiet erst jetzt wieder die gnnzcn Erfahren in Erinnerung gebrach! Kat, von denen das Bergmauusleben mngebeu ist. Nicht umsonst hat der Nolksmnnd dar kurze und -och so viel unsägliches lvek in sich schließende ivorl geprägt: Bergmannslos r Die Red. Auch in das Dachstübchen eines Hauses in einer kleinen Ne benstraße drang die wehmütige Kunde. Ein altes Mütterchen saß dort in der Ecke des großgeblümten Sofas. Sie strickte. Es scheint Heuer einen frühen Winter geben zu wollen, sagte es leise vor sich hin, so kalter Tage zu Oktoberansang kann ich mich garnicht erinnern. Die Finger sind mir schon ganz klamm ge worden. Ich will lieber doch noch ein paar Scheite in den Ösen legen, damit das Stübchen warm bleibt bis zum Abend. Unter diesen Worten erhob sie sich langsam, legte den groben Strickstrumpf zur Seite und schritt vorsichtig zum Ofen. Plötz lich hielt sie inne und warf einen fürsorglichen Blick nach dem Bette hinüber, in dem ihr Mann, ein kleiner, silberhaariger Greis, sein Mittagsschläfchen hielt. Väterchen, fragte sie leise, schläfst du auch noch? Keine Antwort erfolgte und so mußte sie die tiefen rege näßige" Atemzüge des Ruhenden für ein Be jahen nehmen. Da klopfte es leise draußen an die Tür. Die alte Frau ging zu öffnen: eine Nachbarin stand draußen und bat sie, ein wenig mit ihr zu kommen, sie habe ihr etwas Wichtiges zu sagen. Sie folgte ihr und zog die Türe sachte hinter sich zu. Nach ge raumer Weile erst kehrte sie zurück. Ihre Hände zitterten vor Erregung, ihr Gesicht war tief bleich und die Furchen ihrer welken Wangen zeigten die Spuren frischer Tränen. Mütterchen, bist du endlich da? klang es vom Bette her. Der Alte war inzwischen erwacht und eben daran, sich zu er heben. Ich komme gleich, ries die Frau mit verstellter Munter keit, ich will nur eben dem Feuer ein bischen nachhelfen. — Das hatte sie aber nur getan, um Zett zu gewinnen, sich ein wenig zu sammeln. Wo hast du denn nur gesteckt vorhin? forschte da der Mann wieder. Mit mühsam trippelnden Schritten trat er zu ihr. Und nun mußte sie ihm alles sagen. Viel Kummer und Leid zog in das friedliche Dachstübchen ein mit der Nachricht von dem Unglück in der Hubert«. War doch Bernhard, der Enkel der beiden Alten, dort als Bergmann beschäftigt, der fleißige, brave Bursche, dem kein Mensch gram sein konnte, die Freude ihrer Greisentage! Innig umarmten sich die guten Leutchen, als wollten sie sich gegenseitig schützen vor dem grausamen Ge danken, der doch unabänderlich vor ihrer Seele stand. Nun mußte sie auch das noch treffen. Und sie hatten's wahrlich nicht leicht gehabt in ihrem Leben. Bis in ihre späten Tage hatten sic Mühe und Arbeit in Fülle gehabt. Aber treu hatten sie zusammengehalten und sich, das eine als Stab des andern, im Unglück und in der Not gestützt. Und gespart hatten sie, ja ge darbt in den Tagen ihrer Kraft, um im Alter zu haben, was sie bedurften. Aber einsam war ihr Alter geworden. Den Sohn hatte des Kriegs furchtbare Sense gemordet, sein Weib hatte sich dann in der Sorge um ihr Kind, ihren Bernhard, aufge rieben; ihr, die ihnen eine liebende Tochter geworden, mußten die Alten ins frühe Grab sinken sehen. So war ihnen nichts geblie ben aus der Welt als ihr Enkelkind. Schlecht und recht zogen sie es groß in überschwenglicher Liebe. Alle Opser brachten sie gern, am eigenen Munde sparten sie sich die Groschen ab. Aber sie hatten die freudige Genugtuung, Bernhard zu eineni guten Menschen heranwachsen zu sehen, und das lohnte sie reichlich. Dann war Bernhard Bergmann geworden, nicht ganz im Einverständnisse mit den Großeltern, die über die Gefahren die ses Berufes nicht im Unklaren waren. Aber da sie seine Lust zu der erwählten Tätigkeit sahen, wollten sie ihm nicht im Wege sein mit ihren Einwänden und willigten endlich ein. Es ging ja auch lange alles gut. Bei Vorgesetzten und Kameraden gleich beliebt, füllte Bernhard seinen Posten voll und ganz aus und die beiden Alten hatten an ihrem dankbaren Enkel eine kräftige, treffliche Stütze. Und jetzt sollte alles aus sein. Die Leutchen konnten es nicht fasten. Fragend schauten sie sich in die greisen Augen und drückten sich stumm, leise weinend, die welken Hände. Du, wenn's nicht wahr wäre? sagte endlich der Mann. —