Volltext Seite (XML)
Tageblatt für die Stadt Aue Und Umgebung «rscheint «»glich Rachmillags, außer an Sonn. u. Feiertagen. — Preis pro Monat frei ins HauS 20 Psg., auswärts 25 Psg. — Mit der Sonntagsbeilage: „Der Zcitspiegel" k Pfg. mehr. — Bei der Post abgeholt pro Vierteljahr 1 Mk. — Durch den Briestrüger 1.40 Mark. Billigste Tageszeitung im Erzgebirge. Verantwortlicher Redakteur: Ernst Funke, Aue (Erzgebirge.) Redaktion u. Expedition: Aue, Marklstraße. Jnsekcktr die einspaltige Petilzeile 10 Pf-^, amtliche Inserate die CorpuS-Zeile 2b Psg., Reklamen pro Zeile 20 Pfg. Bei 4 maliger Ausnahme 2bo/a Rabatt. — Bei größeren Inseraten >. mehrmaliger Ausnahme wird entsprechend höherer Rabatt gewährt. Alle Postanstallrn und Landbriesträger nehmen Bestellungen an. Nr. 155 Mittwoch, den 13. September 1899. IS. Jahrgang. «Ee* * Wien, 7. Sept. Tschechischen Blättern zufolge ist der österreich-ungarische BotschasterinPetersburg,Baron Ehrenthal, zum Nachfolger des Grasen Thun auser sehen. Graf GoluchowSti soll eisrigst seine Ernennung unterstützen. * Rennes, 11. Sept. Dreysus hat gestern Bor- mittag das Reoisionsgesuch gegen das Urteil des Kriegs gerichts unterzeichnet. * Rennes, 1i. Sept. Dreysus wurde gestern Nach mittag von seiner Frau und seinem Bruder Mathieu besucht. Diese letzte Unterredung mit srinem Bruder verlies sehr bewegt, doch zeigte sich Dreysus voller Mutes und, wie auch seine Familie, über den End- auSgang seines Prozesses sehr beruhigt. Die Stadt Rennes ist ruhig; allgemein beschäftigt man sich mit der Frage nach Dreysus' weiterem Schicksal. * Rennes, 11. Sept. Der weitere Gang der Dreysus- Angelegenheit dürste, folgender sein: Nach Einrei-aung des Revisionsgesuches werden die Akten sofort nach Paris, dem Sitz des Revtstonsgerichtes, abgehen. Die zuständige Behörde wird die Akten prüfen und einem von dieser zu wählenden Berichterstatter zustellen, der einen eingehenden Bericht liefern wird. Eine zu diesem Behuse eingesetzte Kommission wird über die Begrün dung deS Revisionsgesuchs alsdann in letzter Instanz urteilen. Wenn dieses das Urteil des Renner Kriegs gerichts kassiert, wird der Angeklagte vor ein neues Kriegsgericht gestellt werden. Im andern Falle wird die erkannte Strafe Bollstreckung erhalten. * Paris, 10. Sept. In der ganzen Hauptstadt, wie auch in der Umgebung der Rue Chabrol herrscht voll kommene Ruhe. Btsher sanden keinerlei Kundgebungen statt. * Paris, 11. Sept. Der Ministerpräsident Waldeck- Rousseau wird heute Demange empsangen, der mitihm über die aus dem Renner Prozeß sich ergebenden Rechts- fragen beraten soll. * Paris, 11. Sept. Der Advokat Mornard teilte einem Berichterstatter mit, es verlaute, das Kriegsge richt habe ein Gnadengesuch abgesagt, dahingehend, daß DreysuS nicht von neuem dem Degradationsakte unter worfen werde. * Havre, 11. Sept. Gruppen von Sozialisten und Revolutionären veranstalteten eine Kundgebung gegen die Verurteilung Dreysus'. Die Polizei trieb die Ruhe störer auseinander. - * Barcelona, 11. Sept. Der Klub der Autono- mtsten in Katalonien verbreitet eine Proklamation, in der die Aulonomie der Provinzen gefordert wird, welche das einzige Mittel sei, durch welches Spanien gerettet werden könne. Die Proklamation wird in der erreg testen Weise besprochen. * London, 10. Sept. Mehrere Blätter teilen mit, daß unter der Munition, welche nach Südafrika ge sandt wurde, auch Dum-Dum-Geschosse sind. * Es verlautet, der Regierung Transvaals sei eine zehntägige Frist für die Beantwortung der Depesche Chamberlains gestellt worden. * Belgrad, 9. Sept. In der weiteren Verhandlung des AttenlatSprozesses widerruft zunächst der Haupt angeklagte seine «n der Voruntersuchung gemachten Angaben, daß er von politischen Persönlichkeiten zur Thal angestistet worden sei. * Die Sitzung des Kriegsgerichtes am Sonnabend wurde »um 71/, Uhr eröffnet. Ter Saal ist vollstän dig gefüllt. Nur 3 Damen, Besitzerinnen von Jour, nalistenkarten, sind zugelassen. Alle anwesenden Jour- naltsten und Zuhörer werden einer Durchsuchung ihrer Kleidungsstück« unterzogen. Zahlreiche Gendarmen bewachen das Publikum. Jede Bewegung der Zu schauer «vird beobachtet. Der Präsident erteilt Ver- tAdtger Demange das Wort. Es ist mäuschenstill im Saal. Demange betont, er habe seine Rede gestern in dem Augenblick abgebrochen, wo er die direkten Beweis« besprechen wollte, nämlich den technischen Wert des Bordereaus. Die Anklage behaupte, nur der Angeklagte habe die erwähnten Schriftstücke in seinem Besitz haben können. Dieser Beweis müsse aber noch erbracht werden; die Beschuldigung allein genüge nicht. Um den Beweis erbringen zu können, müsse man natürlich Schriftstücke ausweisen können, die vom An geklagten ausgeliefert wurden. Bis jetzt sei dies aber noch nicht geschehen. Es handele sich seitens der Anklage nur um Vermutungen, welche gänzlich grund los seien. Ec sei doch geradezu unmöglich, zu erklären, wie ein Artillerieoffizier, der eine Note über eine by- drovneumatische Bremse des Geschützes „120 kurz" senden wolle, von einer hydraulischen Bremse spreche und so den Wert seiner Ware herabdrücke. Man könne daraufhin erklären, daß der Autor des Borde reaus kein Artillerist war. In dieser Beziehung tappe man im Dunkeln. Aber nicht mit dem Schatten schaffe man Wahrheit, sonde»n nur mit dein Licht. Nachdem Demange auch die verschiedenen Behauptun gen des Generals Mercier als Hypothesen hingestellt, wendet er sich zum Regierungskommissar und sagt: „Nur die Verteidigung allein hat das Recht, Hypothe sen aufzustellen, Sie, der Kommissar der Regierung, dürfen nichts beibringen als den Beweis, den das Gewissen des Richters braucht, wenn es eine Verur teilung aussprechen soll. — „Ich glaube", fo fährt Demange fort, „alle Hypothesen der Anklage zerstört zu haben. Damit Sie verurteilen könnten, dürften Sic nicht den geringsten Zweifel darüber haben, daß DrcyfuS allein die Dokumente des Bordereaus habe kennen können.." Es tritt nun eine Bause ein. Wäh rend derselben ergeht man sich natürlich von allen Seiten in Prophezeiungen. Nicht wenig wird auch das militärische Aufgebot besprochen, welches der Um gegend des Lyceums das Aussehen eines Kriegslagers giebt. Nach der Pause bespricht Demange die Schrift des Bordereaus. Sir sei alles, was von der Anklage bleibe. Und was sei dieser Beweis wert? Selbst die Experten hätten zugeben müssen, daß das Bordereau nicht die natürliche normale Schrift Dreyfuc' sei. Als Demange zum Schluffe seines Plaidoyers kommt, spricht er mit Donnerstimme. Das Publikum im Saal ist tief erschüttert. „Wo sind die Gründe für den Verrat Dreysus'? General Boisdeffre hat von psycho logischen Gründen gesprochen. Ah! Psychologische Gründe! „Dieser Mann hatte Reichtum, Kinder, die sein Stolz sind, eine unvergleichliche Frau. Dort auf der Teuselsinsel in allen Martern ist er stolz und ausrecht geblieben. Ich frage, ob das ein Verräter thut. Sie werden ihn freisprechen, weil Sie Menschen sind. Ich bitte Gott, Frankreich den Frieden zurück zugeben, Ihnen allen aber (zum Saale), ob Sie mit mir oder gegen mich sind, sage ich: „Wir sind einig in einem Gefühl, in der Liebe zürn Vaterlande!" (Stürmischer Beifall.) — Präsident Jouaust will Labori das Wort erteilen. Dieser verzichtet. Die Sitzung wird auf nachmittags 3 Uhr vertagt. Als Dreysus den Saal verläßt, ruft ihm das Publikum: „Mut! Nut!" zu. Um 3 Uhr nachmittags beginnt die neue Sitzung, in welcher zuerst Regierungskommis- sar Carriere nochmals das Wort ergreift und wiede rum die Verurteilung des Angeklagten beantragt. — Alsdann zieht sich, nachdem Verteidiger Demange nochmals kurz sür die Freisprechung Dreysus' plaidiert, der Gerichtshof zurück. Nach 40 Minuten erscheint er wieder und Präsident Jouaust verkündet folgendes Urteil: „Die Richter haben mit fünf gegen zwei Stimmen Dreysus zu zehn Jahren Gefängnis unter Gewährung mildernder Umstände verurteilt." — Nach der Verurteilung: Nach der Verkündung dieses Urteils, das vom Saale mit stummen Entsetzen angehört wird, fordert Jouaust in einigen Worten die Anwesenden aus, den Saal ruhig und mit Vermeidung jeder Kund- gebung zu verlassen. Dieser Aufforderung kommt das Publikum wortlos nach. — Labon war es, der Dreysus als erster seine neue Verurteilung mitteilte. Demange war zu bewegt und durch die Anspannung zu erschöpft, er überließ deshalb Labori die peinliche Mission. „Sie sind verurteilt", sagte Labori leise zu Dreysus, indem er ihn in seine Arme schloß, „Sie sind zur Detention (zu Haft in einem befestigten Platz, nicht Gefängnis, wie es in den ersten Meldungen hieß), verurteilt, werden aber nicht nach der Teufels insel zurückkehren." Nach der Umarmung schüttelte DreyfuS seinem Verteidiger die Hand und sagte nur: „Trösten Tie meine grau t" Irgend welcheBeiyeguug zeigte der Verurteilte nich>. Einige Minuten daraus las der Gerichtsschrei!-er ihm das Urteil vor, Frau Dreysus nahm die Verurteilung ihres Gatten mit Fassung avs. — Das Urteil wurde DreyfuS gleich nach Schluß der Sitzung im Gefängnishof vor ver sammelter Wache vorgelesen. Er hörte wie geistesab wesend zu, und keine Muskel seines Gesichtes zuckte, kein Laut entlang sich seiner Brust. Er drückte nur dem neben ihm stehenden Demange die Hand, der bewegter schien als Dreysus. — Während der Sitz, ungspause besuchte Frau Dreysus ihren Gatten und verblieb unter vier Augen eine Stunde bei ihm. Ihr Wagen ivurde durch vier Gendarmen zu Pferde ge leitet. - Gerüchtweise verlautet, DreyfuS werde nach Korsika in den festen Platz Corte übergeführt werden. — Die Nachricht von Dreysus' Verurteilung wurde in Paris durch Extrablätter rasch verbreitet und von" einem Teil der Bevölkerung mit unverhohlener Be friedigung ausgenommen, wenngleich die Zubilligung mildernder Umstände Erstaunen erweckte. Abends fan den keinerlei Straßenkundgebung'n statt. Die radi kalen Kreise kritisieren das Urteil aus das schärfstem Sie sagen, die Richter hätten durch Zubilligung mil dernder Umstände eingestanden, daß sie DreyfuS im Innersten ihrer Seele für unschuldig halten und ihn" nur verurteilten, um die Generale zu decken. — Drey- fus hatte 24 Stunden Zeit, die Revifionsbeschwerde einzulegen. Rechtskundige behaupten, die zehnjährig« Strafe sei fast als verbüßt anzusehen, da die Strafzeit aus der Teufelsinsel natürlich angerechnet werde und zwar doppelt. Denn die Verschickung hat diese Wir kung der Verdoppelung. Da Dreysus etwa vier Jahre und drei Monate auf der Teuselsinsel verbracht hat, so wären 8^ Jahre verbüßt und er hätte noch ändert- halb Jahre in einer Festung des festländischen Frank reichs zu verbringen, die durch Begnadigung abgekürzt oder unterdrückt werden können. Mit diesem Kniff sollen die Milikärrichter die Absicht verfolgt habest, das, was sie die Ehre des Heeres nennen, zu verteil-» digen, ohne Dreysus einer neuen wirklichen Strafe zu unterziehen. D e * in L f etz t « 8 Thorn, 10. Sept. Eine schwere Grenzverletzung wurde von einem Offizier der russischen Grenzwache des Städtchens Dobrzyn verübt. Er verfolgte zu Pferde aus preußischem Gebiet zwei desertierte russische Grenz soldaten. Beim Gute Ostrowitz holte er dieselben ein und transportierte sie zurück, ohne den diesseitigen Behörden Kenntnis davon zu geben. 8 Berlin, 10. Sept. In Deutsch Ostafrika ist die Werft, welche die Expedition mit dem Dampfer „Hedwig von Wißmann" am Südostuser des TanganykaseeS angelegt hat, vollständig abgebranut. 8 Teplitz, 10. Sept. Infolge fortdauernder Straßen- kundgebungen müssen aus Anordnung der Behördedie Hauptthore der Staat bereits um 8 Uhr abends ge schlossen werden. Es herrscht giotze Erregung; viele, Kurgäste sind abgereist. Z Wien, 10. Sept. Der Sterbetag der Kaiserin Elisabeth wurde im ganzen Reiche in stillex Trauer begangen. 8 Oporto, 11. Sept. Gestern sind zwei Personen an der Pest gestorben. Einer der französischen Aerzte sprach sich dahin aus, daß die Pest noch lange andauern könne, ohne jedoch an Umfang zuzunehmen. 8 Oporto, 10. Sept. Drei mit Serum behandelte Pestkranke befinden sich aus dem besten Weg zur Ge nesung. 8 New-Aork, 9. Sept. In Kcywest sind in den letzten 24 Stunden 30 Erkrankungen am gelben Fieber zur Anzeige gelangt; insgesamt sind bisher 127 Er krankungen und zwei Todesfälle vorgekommen. 8 Konstantinopel, 10. Sept. In Kumanowa herrscht große Erregung. Der Kaimakan hatte den Serben Grund und Boden zum Bau einer Kirche übergeben- Die Serben weihten ihn em und versahen ihn mit einem Kreuze. Da entfernten bulgarische Weiber diese» Kreuz. Sie wurden deshalb von Serben geschlagen und von den Behörden verhaftet. Infolge diese» Vor gang«» herrscht grotz« Erregung.