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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 07.10.1920
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1920-10-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19201007026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1920100702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1920100702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1920
-
Monat
1920-10
- Tag 1920-10-07
-
Monat
1920-10
-
Jahr
1920
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Abend-Ausgabe 114. Jahrgang Donnerstag, den 7. Oktober Nr. 46S 1V20 Beginnende französische Einsicht es, von den tn den neuen aber nach und schlimmer von wo man, was Erbe früherer lüpft ein günstiger Zufc einen Ausschnitt russischer Da« LewMrir Tageblatt eitt-att dl« amtliche«! «ekaaatmachungeu de« Ritte» und de- Polizrtamtr» der Ltadt Lelprig, de» «mtlgektchi» Leipzig und der «Schsijcheu Dlaar-Mtaiuerte« »rrpdeu towi« »erlchttdru« auverrr vebbrdeu. werden mühelos von den Maschinengewehren der bolschewistischen Leibwachen, von Letten und sogenannten Ungarn, niedergemäht. Bei der Verwüstung aller Kommunikationsmittel gibt es keine Verbindung zwischen den einzelnen Ausruhrherden, es gibt auch keine Führer. Die Empörungen und Revolten der Zarenzeit wurden von den Intellektuellen geführt. Die wurden jetzt flügellahm und halten sich zurück. Von dem engeren kreis um den Diktator abgesehen, der sich ja nicht eigentlich aus Nationalrussen zusammenseht, sind ihre Ver treter spärlich in den Reihen des Bolschewismus. 'Aber sie sind, sofern sie nicht hingemordet wurden oder flohen, ontergekrochen. Müde und apathisch geworden in dem Kampf mit Hunger, Kälte und Terror haben sie nur noch den einen Wunsch, niclft aufzufallen, nicht die Aufmerksamkeit der .Tscheka", der Außerordentlicher Kommission, aus sich zu lenken, die, nur unendlich grausamer vnd härter, die zaristische Ochrana abgelöst hat. Nicht einmal den Mut, auf einen Wandel zu hoffen, bringt diese Schicht mehr auf. Tiefste materielle und moraliscl-e Verelendung ist so das Er gebnis der dreijährigen Volschewistenl>errschast. Das ist in einem Teilausschnitt die .zur Bewunderung zwingende Größe der Dinge", die nach dem kommunistischen Sprachgebrauch in Sowjet-Rußland sich jetzt abspielen. I) .-. N. V. Anzeigenpreis: L 2 >; Anzeigen Behirde» Im «»mich,, r»N »I« Ä»»p»r«M»z,U« M. ILO, ».«»!». M. L.— : klein« Aazelge« »I« Nsnpareillezell, ÄI! »o» »»«»Sri» Mk. DelchLsilanze'gen mit Piakvoeichriiten Im P,,II« »roidl. Pla» »n» Daienoorichrii« »"»» Verdlndllchkeii. «,II«a»np„I'e f«r die Telamiauflag« Mk. !».- »«Ito, >»r reilonflng» AUi »„'« fr» M.ll«, V»!la»ll«g« Poflgediibr »zlra. :i,r»I»,«ch. pnichl.tz «r.I«»».. tenp-i. - 't'»svch«»»-«I»7?v>. Schrisileil»»« ,»» ifteichdfi««,!,- celpzig, Z-d»»»,«,»«» -AL ». <v„i«, Dr. Aeind.ld » L». t.,1,,1» Frankreich lenkt ein? (Eigener Drahtberichk.) Brüssel, 7. Oktober. Die Frage der deutschen Entschädignngszahiuna, die in dem offiziellen Konferenzprogramm keinen Platz gesunden hatte, bildete einen Hauptgegenstand der zahlreichen inoffiziellen Be sprechungen zwischen den Mitgliedern der einzelnen Delegationen, zu denen die fitzungSfreien Tag« besonders reichlich Gelegenheit gaben. Die hierbei zutage gelreleue Vermutung, daß die französischen Delegierte« in der Kühlen Temperatur, dl« die nüchterne AuS- spräche zwischen Geschäftsleute» zu erzeugen pflegt, von der Anhalt- barkeitdesfranzösischen St and punkleS überzeugt werden könnten, finde» heute in der belgischen Presse ihre Bestätigung. Rotterdam, 7. Oktober. Der Brüsseler Berichterstatter deS «Nieuwe Rotlerdamsche Courant' meldet: Die Stimmung der Kommission ist heule sehr interessant. Alle Aufmerksamkeit ist auf die Sensation deS TageS, nämlich die wach« sende Annäherung zwischeuFraukreich und Deutsch land, gerichtet. Die deutschen Vertreter scheinen auffallend zufrieden, und im allgemeinen wirkt diese Entwicklung der Dinge auf die übrigen Delegierten sehr erfrischend. Gestern abend fand ein Empfang der Delegierten im Gebäude der Belgischen Rationaldank statt. Aach dort war die Stimmung sehr freundschaftlich, und allgemein wurde bemerkt, datz die Deutschen und die Franzosen sich einander gegenüber benehmen, als ob nie ein Kon flikt zwischen beiden Ländern bestanden habe. Man hat den Eindruck, datz die französisch« Presse «inen Umschwung vorbereitet, man weih aber nicht, welches d»e Ursachen find, die diese Aeaderung herbeigefuhrt haben, und ob eS der Druck der Umstände war oder der Druck Englands. Die verbesserte Atmosphäre geht aaS einer Pariser Zuschrift d«S .Etolle oelae" hervor, in der «S heiht: Die Alliierten behaupten, es sei nicht genügend, wenn man einem Schuldner gegenüber Recht habe; der Schuldner müsse auch in der Lage sein zu zahlen. Die Alliierten, besonders England, behaupten ferner, dah Deatschlaud nicht bezahlen könne, und mau weist ans die Notwendigkeit hin, Deutschland in den Stand zu setzen, seine Zahlungen zu leisten in der Weise, dah man jetzt ohne weitcrru Aufschub einen Gesamtbetrag festfiellen mühte, und Deutschland alles, waS nicht zu diesem Betrage gehört, für selneu eigenen Wiederaufbau verwenden könne. Mlllerand ist ein Mann der Wirklichkeit. Er hat jetzt Gelegenheit, die Nützlichkeit seiner persönlichen Macht zu beweisen. Dieser von französischer Sette stammend« Artikel wird als sehr bezeichnend für die Lage gehalten. Den Meldungen von einer Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich steht eine lange Aeuherung deS .TempS' gegenüber, nach der die Deutschen nicht hoffen sollen, Erleichterungen deS Friedens vertrages zu bekommen. Der .TempS ist oft offiziös, er soll diesmal wahrscheinlich die Erregten diesseits und senseits zur Ratson bringen. Wenn aber Frankreich wirklich eine veränderte Haltung gegenüber Deutschland einzunehmen beabsichtgen sollte, so wird die ganze Ver änderung in der Einwilligung zur demnächstigen Festsetzung der Entschädigungssumme bestehen. Vom Vertrag« selbst wird Frankreich nicht ein Iota ablassen: vorläufig wenigstens nicht. Natür lich ist eS zu begrüßen, wenn der Druck der anderen Mächte diesen Er- folg gehabt haben sollte. — ob eS zulrisft, ist noch nicht gewiß. Vor- läufig sind die Franzosen freundlicher lm Wesen geworden- wenn da eifrige Journalisten ein Verhältnis herauslesen, als .hätte «S nie einen Konflikt zwischen den Völkern gegeben", so soll unS weder dies noch das andere: .die deutschen Vertreter scheinen auffallend zufrieden" veranlassen, dem deutschen Volke zu sagen, eS möge gleichfalls auffallend zufrieden sein. Der deutsch« Diplomaten-OpttmiSmuS hat unS bisher zu solchem Vertrauen keine Berechtigung gegeben. Einstimmige Beschlüsse in de« Kommisfiorrerr (Ltgener Drahtberichk.) Brüssel, 7. Oktober. Di« Fiuanzkvufereuz »aht ihrem Ende. Dke Kommissionen habe« gestern nachmittag ihre Beratungen abgeschlossen. Präsident Ador empfing am Abend die Pressevertreter und teilte ihnen mit, dah die Verhandlungen im Geiste der Verständigung geführt vnd dah gute Ergebntsf« erzielt worden feien. Sämtlich« Resolutionen wurden einstimmig angenommen, nnd man Kana deshalb hoffen, dah sie auch in der Vollsitzung di« Billigung der Konferenz finde« werde». Bastel 7. Oktober. Di« Sickluhsitzang der Konferenz findet wahrscheinlich morgen nachmittag statt. Di« Versammlung wird den vom Sekretariat auS gearbeiteten Bericht -er VöikerduwdSoersammlang besprechen und darauf die Schlußrede AdorS «chüraw. ya»1 »»bracht. S»«»I»,« «IlMor-«na»»,ad» »anatl. »t«ri»l!Idrl. «AI.w— sä! NSd»l«r m,»a«I. M. »so. eN-ra«» B»1eas« »I»l» M. 7^ „natllch, Nbent-Ait-av« alle!« L— m»»»iltch. virch »»I»r« ,»«>»SrU,<» 8»<ai«a >»» da»! ««- diachl «oiratllch M. l".—, »I»rI»IISdrItch M. SN.—: d»rch »I» Dop »nnerhal» L«»llchland» Peiamt-A-taab« mom>t!Ich M. 7HN, »lertegSdr- »ch Al. L!.S0 <a»11chll»bllch P»Ild»st«llA«btdr). A»sl»»d1»«rl»nd« tnaiatllch M. M—Dr»LIach»ii-P»ri» «i»z<1»»»m,r»: M»r,e». E««,»d» w P», N PI- e»»,!a,t-A»«gad, « Pf. Der Kampf im Berliner Zeitungsgewerbe lDrahtbe richt unserer Berliner Schrtftleitung.) Berlin, 7. Oktober. Die Lohnbewegung im Berliner Zeitungsgewerbe hat, wie bereits kurz gemeldet, am Mittwoch abend infolge eines Be schlusses des Vereins Berliner Zeitungsverleger zu einer Schließung sämtlicher Berliner Z e i t u n g S be t r i ed e geführt. Nachdem der SchiichtungSausschuß am Mittwoch bet den Verhandlungen mit den Vertretern der Asa infolge airderer Zu sammensetzung einen anderen Schiedsspruch gefällt hatte, als zwei Tage vorher bei den Verhandlungen mit dem Gewerkschaftsdund kaufmännischer Angestelltenverbände, hatten di« Arbeitgeber es ab gelehnt, diesen zweiten Schiedsspruch anzuerkennen. Inzwischen hatte sich eine Zuspitzung der Lage bemerkbar gemacht, indem technisches Personal daS bisher nicht behinderte Wettererscheinen der Zeitungen durch allerhand Widerstände in Frage zu stellen versuchte. Es wurde der Begriff der indirekten Streikarbeit geprägt und dauernd erweitert, und z. B. die Entgegennahme von Anzeigen, Manu skripten seitens der Scher obgelehnt, weil diese durch die Hand von Angestellten gegangen sem müßten, die sich dem Streik nicht angeschlossen hätten, oder damit andere Arbeit verrichteten, als die gewöhnlich«. Da auf diese We se dis Berliner Zeitungsbetriebe allmählich lahm gelegt zu werden drohten, stellten die Verleger am Mittwoch abend bas technische Personal vor die Frage, ob es seine Arbeit vollständig ver richten wolle oder nijcht. Da bas technisch« Personal an seiner Weige rung fesch eit, haben di« Zeitungsverieger das Personal entlasten. Die Zeitungen können daher bis auf «oeiiereS nicht erscheinen. Diesem Be schluß Haden sich all« Mitglieder des Vereins Großberliner Zeitungs- verlege-r ange-jchlossen, auch diejenigen, bei denen bisher daS technische Personal kein« Arbeitsverweigerung gezeigt hatte. In Berlin sind in folgedessen heute morgen nur vereinzelt Blätter erschienen. Di« beiden M tkigsblätter werden gar nicht hcrauSkommen. Die .Freiheit" will diesen Streik politisch ausnuhen. St« schreibt: ^>cunit ist ein Kampf entbrannt, der große wirtschaftliche und politische Folgen zeitigen kann. Es unterliegt keinem Zweifel, daß das Unter nehmertum oeS Zeitungsgewerbes den Augenblick für günstig erachtet, um die Arbeiterschaft dieser Betriebe auf die Knie zu zwingen." Sie sei sich darin einig mit dem gesamten übrigen Unternehmertum, daS, wie die reaktionäre Presse, deutlich erkennen lasse, schon lange auf einen günstigen Augenblick warte, um der Arbeiterschaft einen entscheidende» Schlag zu versetzen. Die Arbeiterschaft ganz Deutschlands müsse dies« Absicht erkennen und den Arbeitern der Zeitungsbetriebe Berlins ihr« Solidarität beweisen. Es handele sich nicht um eine Sach« von nur beruflicher, sondern von großer allgemeiner Bedeutung. Wenn die «Freiheit" ihren gesunkenen Kredit bei der radi kalen Arbeiterschaft dadurch auszufrischen versucht, daß sie der wirtschaftlichen Auseinandersetzung in den Berliner Zeitungen eine politische Absicht unterzuschieben versucht, so ist das in ihrem Dilemma zu verstehen, wenn auch nicht zu entschuldigen. In ihrem heißen Bemühen, radikal zu gelten, verliert die «Freiheit" aber den Blick für die Grenzen des Lächerlichen: ein General streik in Deutschland als Sympathie für die Berliner Zeitungs angestellten ist in seinem ersten Motto unsinnig, in seinem zweiten komisch, denn es hieße, den rühmlichst bekannten Willen des starken Armes zu betätigen, um die vom selben starken Arm im allgemeinen, und von der «Freiheit* im besonderen bekämpfte «reaktionäre Presse" zu zwingen, ihre «vergiftende Tätigkeit* wiederaufzunehmen. Bei der «Freiheit* scheint die Gewitter schwüle von Halle arge Störungen angerichtet zu haben. Das Errdederrusfisch-polnifchen Feindseligkeiten Kopenhagen, 7. Oktober. Nach einem Telegramm auS Warschau werbe« nach ven Be stimmungen deS Waffenstillstandes die Feindseligkeiten zwischen Rahland und Pole» am Sounadea», dem 9. Oktober, e^»- testet kl werde». Riga, 7. Oktober. Folgend« Friede«Sbedi»gu«ge», dte da Ver lauf« der russisch-polnische» Verhandlung«, tn Ri^i sestgefiellt worden find, werden bebanni: Die »e»e Grenz« läuft östlich der Elseabahnlinie Kowno—Sarny—Lynine« an der Man ischen Grenz«. Die Unabhängigkeit Weißrußlands anb der Ukraine wird anerkannt. Polen ist von allen Schulden an Rußland frei «mb hat das Recht, seinen Anteil an bemrnffischeii Gold schatz zu verlangen. Rußland verpflichtet sich, bi« Schäden» bi« pol nischen Zivilist«» b«ch Kcke-sraie» vemrsnch« wwckm sstr^ «tebergDt« Warentransporte und für feine Funktionäre und Truppen zur Verfügung steht. Die Propaganda -es Bolschewismus liebt Schwierigkeiten zu berichten, die die Uederleitung «höheren Gesellschaftszustand" ihm bereite, die man nach za überwinden lerne. In Wahrheit wird es Tag zu Tage. Wo Neues nicht geschaffen wird, Industrie und Gewerbliches angeht, nur von dem Zeiten lebt, muß mit mathematischer Notwendigkeit der Verfall wachsen. Auch die Schule ist trotz den schönen Reskripten nun vollends verkommen. An Andrang freilich fehlt es selbst aus den Kreisen der höheren Semester nicht. Man läuft eben in die Schule, um dem Arbeitszwang zu entgehen. Selbst alte, Tatarenweiber, die kein Wort russisch verstehen, dünkt der Aufenthalt in der Schulstube noch vergnüglicher als Straßenkehren und Lasten schleppen. Die Institutionen verkommen, die Menschen aber nicht minder. Natürlich fehlt es nicht an Auflehnung wider das Schreckensregiment, an Ausständen und Empörungen. Die sind sogar viel häufiger als in der Zarenzeit. Heute flammt der Auf ruhr hier auf, morgen dort. Aber das Land wurde mit schonungs loser Unerbittlichkeit entwaffnet. Die Notwehr der Verzweifelten kann -^Sensen mv- Knütteln greisen, und derlei Erhebungen Eiv Bericht aus SWjet-RlGM Wir veröiientltchien dieser Tage eine Unterredung mU einem -urzett »n Lctpzm watenden Petersburger cr>e- tehrren, der zusolge die Lage der russischen Intelligenz günstig wäre. Im scharfen Äegeniav dazu steht nacb- loigendcr Au>sav, der von furchtbarer Bedrängnis der Gcvsidcten in Lowzct-Rusiland zu erzählen weid. irS ist schwer, sich von hier aus ein richtiges Bild zu machen, weshalb wir auch bewen «chsidcrunzeu Raum gehe». (Dte SchrtstlcUung.) Rußland ist für den Westeuropäer, den deutschen Anrainer nicht ausgenommen, im Grunde immer ein geographischer Begriff gewesen. Seit es sich in das große Sowjet-Zuchthaus wandelte, ist es das mehr denn je. Eine undurchdringliche Nebelwand ent zieht seither alles politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Geschehen in der sarmalischen Tiefebene den Blicken des außen stehenden Beobachters. Nur ab und zu lüpft ein günstiger Zufall den tiefen Schleier. Dann erhascht man Wirklichkeit, ohne daß sich dort) sagen ließe, ob es die ganze Wirklichkeit und die volle Wahrheit ist. Die bolschewistischen Großgebietiger freilich sind ungemein redselig. Die einzige Hoch schule, die tatsächlich in Rußland in Betrieb ist, ist dte bolsche wistische Akademie in Moskau, der Herr Karaclxm Vorsicht. Die brütet unablässig Wanderredner und Werber aus, die, mit Geld und falschen Pässen ausgerüstet, sich über alle Länder aus breiten und den Himmel auf Erden künden, den St. Lenin (und dist du nicht willig, so brauch ich Gewalt) den Gläubigen bereite. Aber auch jeder der mehr oder weniger akkreditierten Gesandten, die Sowjet-Rußland an den Hauptpiätzcn der Welt unterhält, ist so ein Werber, und da eS zumeist sehr geweckt« und geschickte Herren sind, die sich nach dem Bedarf der Stunde ihrer Umgebung und dem politischen und gesellschaftlichen Klima anzupassen wissen, finden sie als Leute, mit denen zu diskutieren immerhin sich lohnt, Eingang selbst in Kreise, -enen bolschewistische Ge- dankengäNge sonst ein Greuel sind. Dann kann es vorkommen, daß sogar Staatsmänner über der unlenc.baren Gescheitheit dieser brünetten jungen Leute vergessen, daß sie skrupellose Agitatoren vor sich hoben und daß die Funklior.dre der Sowjet-Republik, -ie so ziemlich alles Schlechte vom -aristischen Rußland, vor allem «btt dessen politische Sittenverderbnis, übernahm, noch immer meisterlich die Kunst verstehen, Pokemkinsche Dörfer zu bauen. Im einzelnen dankenswerte Aufschlüsse haben in der letzten Zeit Lie Berichte der englischen Gewerkschaftler und der enttäuscht und verbittert heimgekebrten deutschen Sozialisten erbracht. Aber sie krankten doch darar<, Laß ihren Verfassern der Zusammenhang mit der Vergangenheit des Landes, die Kenntnis von Sprache und Sitten fehlte. Auch bet einem Aufenthalt von ein paar Monaten sieht man ein fremdes Land, das in diesem Fall zu gleich doch e«ne ganz fremde Welt ist, bis zu einem gewißen Grade imme^ noch aus dem Elsenbahnfenster. In den Mechanis mus der bewegenden Kräfte einzudringen, mangelten den meisten zudem Berus und Begabung. Unter solchen Umständen behält jedes Zeugnis eines Flüchtlings aus der bolschewistischen Hölle feinen Wert. Man braucht es nicht zu verallgemeinern, aber indem man Stein zu Stein fügt, rundet sich am ehesten das Bild des Rußlonds von heute. Vor ein paar Tagen war solch ein Flüchtling wieder einmal bei mir. Ein gebildeter und intelligenter Kaufmann, im Baltikum geboren, tn Finnland stoatszugehörig, von seinen Lehrjahren an ln Innerrußland, das ihm zur Heimat wurde, in verschiedenen Stellungen tätig. Den hat an der Ural-Grenze nacheinander die Welle der Koltschak-Bewegung und des Bolschewismus erfaßt. Der einen hat er gedient, der anderen, um sein und der Seinen Dasein zu fristen, als Beamter in irgendeinem Wirtschaflsrat auch. Als dte bolschewistische Wette ihn dann zu verschlingen drohte, das heißt: als er kaum noch etwas besaß, durch dessen Veräußerung er das Defizit zwischen seinem Gehalt — einem Höchstgehalt von einigen 3000 Rubeln monatlich — und seinem Verbrauch hätte ausgleichen können, hat er sich auf die Wander schaft begeben und ist über Moskau in aben'euerlicher Fahrt hierhergekommen. Und dieser Mann, der für wirtschaftlich« Dinge einen Blick hat, erzählte mir: 2n Sowjet-Rußland wird überhaupt nichts mehr produziert. Die Fabriken sind nationa lisiert, aber sie stehen still. In den gleichfalls nationalisierten Magazinen herrscht das Grauen, will sagen haust die bolsche wistische Soldateska. Die Manufakturen sind rationiert. Ä)er Glück hat, bekommt im Jahr auf seine und seiner Angehörigen Karten ein paar Arschinen Kattun, gelegentlich zu märchenhaften Preisen auch ein Stück Wollstoff. Der Bauer aber, der einzige kaufkräftige Faktor, erhält überhaupt nichts und ist mit seinem Warenhunger auf die Trödelmärkte angewiesen, auf dem Groß bürger und Mittelstand von ehedem die Reste ihrer einstigen Habe verschachern. Zu Deutsch also: dieses Land der Zukunft und der aufgehenden Glückssonne lebt von dem Verkauf seiner Vergangenheit. So sehr von ihm, daß man neuerdings an gefangen Hal, olle kaufmännische Bücher zu plündern, um aut den unbeschriebenen Rückseiten Ukase und .Verlautbarungen" der Sowjets zu drucken. Auch diese Trödelmärkte sind illegitim, ober sie blühen wie der Schleichhandel überhaupt und wie auch sonst allerlei, was bolschewistische Weltordnung und Gesetze ver bleien, blüht und gedeiht. Das alte Natlonalübel der Rusten, die Bestechlichkeit, haben die Sowjets nicht ausrotten können, vielleicht nicht einmal aus rotten wollen. Wie früher der Meuchelmord den Despotismus, Hilst jetzt eine wüst« Korruption den Bolschewismus mildern. Dabei kann es dann geschehen, daß inmitten der grauenvollen all gemeinen Armut der eine oder andere, der sich die Gunst und Freundschaft hochgebiekender Kommissare zu sichern wußte, mit Prosten und Gastereien ein Haus macht. Daß man die Möglichkeit erhält, den Spiritus, der angeblich nur noch zu gewerblichen Zwecken abgegeben werden soll, in erlösenden Branntwein zu wandeln. Daß man — und dann gratis und franko — die Dahn benutze» darf, die von Rechts roege» nur »och dem Staat für feto«
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