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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 15.06.1920
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1920-06-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19200615020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1920061502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1920061502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1920
-
Monat
1920-06
- Tag 1920-06-15
-
Monat
1920-06
-
Jahr
1920
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Nr. 27S 1S2V Dienstag, de« IS. 3uni Hauptschriftletter: Dr. Ev«rth, Leipzig Verlag: Dr. Reinhold L To» Leipzig Trimborns vier Dr. Trimborns Verhandlungen Berlin, 15. Juni. sDrahtberlcht unserer Berliner S chri s t l«i 1 u n g.) Der heuiige Tag dürfte über daS dritte Stadium der Regierungskrise entscheiden: aber man fleht vorläufig noch Hein« Möglichkeit, wie Herr Trlmborn, der jetzt al- «ehrlicher Makler' zwischen den Parteien unterhandelt, zum Ziele kommen wird. Herr Trlmborn hat, wie man uns versichert, gestern bei einer kurzen Fühlungnahme Herrn Heinze angedeutet, daß er zunächst versuchen werde, «ine Kombination mrt Einschluß oder Duldung der Sozial« drmokraten zustande za bringen, daß er aber, falls diese scheitern sollte, seine Aufgabe nicht als erledigt ansehe, sondern pe weitgehender aussasse als die Herren Müller und Heinze. Die .Germania' fleht .feine Aufgabe nicht zuletzt Larin, der Ileberzeugung, daß schließlich doch eine Regierung zustande gebracht werden müsse, bei einer ausreichenden Zahl von Parteiführern zum Durchbrach und zur praktischen Auswirkung zu verhelfen'. Beschwörend wendet sie sich nochmals an di« Sozialdemo kraten, wobei sie ihnen für ihre ablehnend« Haltung der Deutschen V? lkSpartei gegenüber ihre Billigung zum Ausdruck bringt, indem i pe schreibt: < i «Niemand hat lauter als sie im Wahlkampf und schon lange vor- her das Zusammengehen mit der Sozialdemokratie, obgleich es für sämtliche Koalitionspartelen nichts als taktischer Art war, als A Schmach und Verrat am Vaterlands zu brandmarken versucht, und U nun, da der Wahlkampf vorüber ist und «ine ungewöhnlich große Zahl von Wählern diesen Leuten ihr Vertrauen geschenkt hat, hatten sie nichts Eiligeres zu tun, als ihrevseits die Mitarbeit -er Sozial es demokratie für unumgänglich notwendig za erklären. Wenn die Sozial- j demokratie diese Schwenkung benutzt hat, den VolkSparteilern klar zumachen, daß von der sozialdemokratischen Seite aus keinerlei Grundlage für ein« gemeinsame Arbeit zu sehen sei, so wird man ehr- -j licherweise nicht bestreiten dürfen, daß den «Wahlsieger' diese De- sZ mütigung nicht unverdient trifft.' Aber mit einem Seufzer fährt sie - fort- «Leider haben die bisherigen Verhandlungen dle politische Lage !<; wenn vielleicht auch geklärt, so doch nicht gebessert.' Vier Kombinationen hat Herr Trlmborn bei isetnen Verhand lungen mit den verschiedenen Parteiführern angedeatet. Erstens die nach rechts erweiterte alte Koalition. Sie wind von -en Sozialdemo kraten glatt abgelehnt. Zweitens die Fortführung -er alten Koalition, dl-. mit Einschluß der Bayrischen Volkspartei 243 Mandate, also eine knapp« Mehrheit umfassen würde. Trlmborn hat sich vergeblich bemüht, die sozialdemokratischen Unterhändler Müller und Löbe dafür za gewinnen, indem er sie darauf hinwies, daß mit solchen Knappen Mehrbeilen in Bayern 5 Jahre, in Belgien 4 Jahre mit Erfolg reg'ert worden sei. Löbe hat ihm erwidert, daß die sozialdemokrat sche Fraktion auch an solchen Konstellationen nicht keilnahmen könne, erstens weil d'e Sicherheit der zukünft'gen Mehrheit nicht auf di« Bayrische Volkspartei mit Dr. Heim begründet werden könnt«, und zweitens gebe diese Ziffer nur ein« Scheinmehrheit an, welche durch das Nichtwählen der Abstimmungsgebiete hcrbet- «csahrt worden sei. Müller fügte hinzu, daß «ne von solch geringer Mehrheit getragene Regierung nicht mit der nötigen Autorität nach Spa gehen könne. Darauf brachte Trlmborn ein« dritte Möglichkeit zur Sprache, nämlich einen Block der Mitle, der auS Demo kraten, Zentrum und Volkspartei bestehen würde. Zwar könnte derselbe nur 188 Abgeordnete zählen, aber vielte cht auf wohl wollende Neutralität der Nachbarparteien, befondert der Sozialdemo- kraten, rechnen. Di« Sozialdemokratie, die doch sicher auch die 5>er- ' Peilung eines regierungsfähigen Katünetts wünsch«, dürfe eine solch« Bildung nicht schroff ablehnen, sondern müss« di« Verbindung m t der Vergangenheit und Zukunft aufrechterhalten. Sie könne ja «ventuell «'nen Facbminisier als Sijcherbe'tSwache im K^K'nekk ruröcklasten. Ein ollen genehmer Rrlchskanzler sei vielleifcht in Herrn F«hr«n- dach zu gewinnen. Besonders heroortvetende Vertreter oeS Groß kapitals oder deS AstdeutschfnmS würden in e'"«m solchen Kabinett nicht «nthaltrn fein. Da die sozialdemokratische Fraktion zu einer solchen Koalition noch nicht Stellung genommen hatte, mußten ihre Vertreter ihre Antwort diS nach erneuter AoSsprajche mit ihren Auftraggebern vertagen. Müller versichert« aber im voraus, daß ein« solche Re gierung von den Sozialdemokraten noch Ihren Taten beurteilt werden müßte, und daß feder Versuch, auswärtige Politik noch dem Rezept der Deutschen VolkSnarte! zn treiben, non Innen auf dos schärfst? bekämpft werden würde. Dl« «Sozialistische Korrespondenz' erteilt dem Gedanken, E Da« Kabinett Renner bleibt Men, 15. Juni. (Drahtbericht.) Dl« österreichisch« Regierungs krise ist beendet. Es bleibt alles beim alten. Die Parteien, die noch gestern rrklärien, sie seien nicht in der Lage, zusammenzu arbeiten, Haden sich wieder gefunden. Nur wird die Koalition in Zukunft «inen anderen Namen führen: sie heißt von nun an «Kooperation'. Die Regierung bleibt im Amte; ihr Arbeltsprogramm soll aber begrenzt bleiben, und über diese Grenzen wird noch verhandelt. Neuwahlen sollen lmHerbst fiatlsinden. Stalken beansprucht SS Milliarden Lire Rom, 15. Juni. lDrahtbericht.) Es verlaotek, Italien benötige für die Wiedergutmachung 66 Milliarden Lire. Rlttl beabsichtige, diese Summ« den Alliierten bei Erörterung der Verteilung d«s darch Deutschland zu zahlenden Betrages zu nennen. Amsterdam, 15. Zunt. (Drohtdertcht.) «Daily Ehronici«' bemerkt in Besprechung der deutschen und der italienischen Kabinettskrise, in erster Linie werd« dadurch das Datum der Konferenz in Spa beeinflußt. Wir hoffen »nd nehmen an, so schreibt das Blatt, daß fl« doch noch stattfinden wird, aber ihr weiterer Aufschub erscheint unvermeidlich. Di« Inter national« Finanzkonferenz in Brüssel war ursprünglich ganz unabhängig »oa der Zusammenkunft in Spa gedacht, «ar aber dann aufgeschoden worden, um Spa den Vorrang zu lassen. Muß sie neuerdings verschoben »nd von allen Risikos, denen Spa autaesetzt ist, abhängig gemacht «er-enk Wir verwögen nicht recht einzufehea, «an» dies uooonrdig Kombinationen wonach «Parteigenossen auf Urlaub' einem bürgerlichen Ministerium angehören könnten, bereits eine scharfe Absage. Bliebe noch eine vierte Kombination, die Lrimbvrn Heinze gegen über angedeutet hat: der genannte Block der Mttte unter wohlwollender Duldung der Deutfchnationalen. Diese Möglichkeit ist in Kreisen der Deutschnationalen Volkspartei nicht ohne Erregung ausgenommen worden, und die Meinungen, wie man sich einer solchen Löfung gegen- über verhalten solle, scheinen geteilt za fein. Helfferich hat sich gegen jede Konzession ausgesprochen, und die «Deutsche Tageszeitung' lehnt heule eine solche wohlwollende Neutralität entschieden ab, indem sie sagt, daß der klare Ausfall der Wahlen der Deulscynalionalen Volks. Partei ein Anrecht auf gleichberechtigte Mitarbeit am Wiederaufbau gebe. Sie ist ehrlicher als die Tägliche Rundschau', die in ihrer Ver legenheit nichts anderes weiß als die Demokraten zu schmähen, obschon diese überhaupt noch keine Stellung genommen haben und gemäß der ihnen durch den Wahlrnssall auserlegten Zurückhaltung vorläufig ad- warten, waS die anderen zu tun gedenken. Die «Tägl. Rundsch.' aber enkblödet sich nicht, zu erklären, die Demokraten hätten die Bemühungen Dr. Heinzes gelähmt, wiewohl dieser st« überhaupt nicht gefragt hat. * * Berlin, 15. Zunt. (Drohtdericht unserer Berliner Schrtftleitnng.) TrimbornS Bemühungen haben bis zur Mittags stunde insofern zu einer Klärung geführt, als von all feinen Kom binationen nur dl« letzte übrigbleibt, d. h. ein Kabinett der drei bürgerlichen Parteien mit schweigender Billigung der Sozialdemokraten. In demokratischen Kreisen wird, wie sich die «B. Z.' wohl zu treffend berichten läßt, diese Lösung nur dann für möglich gehalten, wenn die Sozialdemokraten entweder direkt im Kabinett durch «ine Sicherhettswach« vertreten sind oder doch das Kabinett stärker unter stützen als nur durch neutrale Haltung. Als dos Mindestmaß von Unterstützung wird di« Beteiligung an einem Vertrauensvotum für daL Ministerium angesehen, mag dieses Votum auch mit gewissen Vor behalten versehen sein. Dies allein würde nach demokratischer Ansicht daS Kabinett davor bewahren, zu sehr nach rechts zu rutschen und vor der Lösung der drängendsten Aufgaben in einen schroffen Gegensatz zu der Sozialdemokratie zu kommen. Wenn di« Deutsche VoikS- partet etwa als Deotngung für ihren Eintritt in daS Kabinett die Ernennung von Fachmännern für gewisse Aemter, Abschattung des Beutesyfiems' in der Politik usw. aufstellt, so wird in führenden demokratischen Kreisen daran erinnert, daß derartige Forderungen von der Demokratischen Partei immer vertreten worden sind, »nd daß es sich nicht um Bedingungen handeln würde, die etwa von den Demokraten erst zu erfüllen wären, sondern um Forderungen des eigenen Programms der Demokraten, die selbst die bestehenden Mißstände immer sehr be klagt und bekämpft hoben. Große Hoffnungen bringt man heute wie gestern der Mission Trimborns in keiner Weise entgegen. Die Sozialdemokraten scheinen übrigens wenig geneigt zu sein, die von ihnen geforderte schweigende Billigung gegenüber einem solchen Kabinett zuzugestehen. Wie wir hören, würden sie höchstens bis nach der Konferenz von Spa sich der Abstimmung enthalten, um nicht durch die Verlängerung der Kris« außenpolitisch dem Reiche schweren Schaden zuzufügen. Das nützt natürlich gar nichts und ist nur eine Ausflucht: denn Spa ist vorläufig verschoben, und niemand weiß, wann di« Konferenz stattfindon wird. Im deutschnattonalen .Lokal anzeiger' taucht der Name Schiffer auf, und es wird von ihm ge- sagt, daß er die Absicht habe, «in Kabinett zu bilden auf Grundlage der alten Koalition. Wir halten diese Nachricht für grundfalsch. Gerade Herr Schiffer hat in der demokratischen Fraktion von Anfang cm ent schieden den Standpunkt vertreten, daß die Demokraten nach dem offen- sichtlichen Mißtrauen ihrer früheren Wählerschaft gegen alle bisherige Politik sich setzt äußerste Zurückhaltung auferlegen müssen, und daß sie erst dann aus dieser abwartenden Rolle heraustreten können, wenn ste von d«r Ration dazu berufen werden. DieS erscheint uns als durchaus richtig. Bildung eines Notstandskabinetts? Derk«, 15. Juni. (Dnahkdericht.) Nach der «Neuen Berliner Zeitung' glaubt man in parlamentarischen Kreisen, daß ein Not- standskabtnett aus den alt«n Koalitionsarteten ge- bildet werden wird, da der Versuch Trimborns, eine andere Regierung zu bilden, scheitern dürfte. Die Zusage der Mehrheittsoztalisten soll durch das Zugeständnis erkauft werden, daß dieses Notstandskabinett nur dazu berufen sein soll, di« dringendsten auhenolittschen Fragen za lösen, nach deren Erledigung sofort Neuwahlen erfolgen sollen. Der Plan eines unpolitischen WirlschafkS-KabineNS ist völlig beiseite gelegt, da er bei allen Parteien Widerspruch gefunden hat. wäre. Vieles spricht dafür, die Brüsseler Konferenz erforderlichen Falls vorauSgehen zu lassen. Der Stand der internationalen Wechsel kurse. mit denen sie sich in erster Linie zu befassen hat, ist besser als im Vorjahre, aber noch immer ernst. Das englisch-russische »LustgeschSft" Kopenhagen, 15. Juni. sDrahtberlchl.) Nach einem Telegramm der «BerlingSke Tidende' aus London rechnet man tn England mit einem endgültigen baldigen Abbruch der Verhandlungen mit Krassin. Krassin sei dis jetzt außerstande gewesen, die geforderten Garantien zu beschaffen, und die Vertreter der Entente hätten den bestimmten Eindruck gewonnen, daß man, selbst wenn «tn« Ver einbarung mit seiner Abordnung getroffen werden sollte, nicht mit der Zustimmung der Moskauer Sowjetregierung rechnen könne. Bestimmte Anzeichen deuteten darauf bin, daß Krassin augenblicklich auf ge spanntem Fuße mit Lenin »nd Trotzki stände. Kein Umsturz irr Rußland Berlin, 15. J-ni. (Drahibericht.) An Berliner amtlichen Stellen liegen, wie der Vorwärts' mitteilt, Nachrichten vor, aus denen hervor geht, daß die Reutermeldung aas Tokio über einen angedllchen Um sturz in Rußland auf unwahren Gerüchten beruht. D«r Funkendienst mit Petersburg funktioniert wird« regelmäßig. — Die «aderns»»- des neuen bayerischen Lcnedtaaes wird zwischen 28. Juni und 18. Juli erfolgen. Der Landtag wird dis Mitte August bei- sammen sein. Di« Hauptaufgaben sind: Hcueshallplan, Besoldungsgesetz uad Vereinfachung der Stoatsrerwait»»-. Pariser Vries Mas ein Generalstreik kostet. — Deschanel and die guten Freaad«. —" Taxen und Sievern. — Vom Theater. <Von unserem Pariser Mitarbeiter.) Der Generalstreik hat mit einem solchen Fiasko geendigt, daß er in absehbarer Zeit keine Wiederholung erfahren dürfte. Und Frank reich hat nun Muße, den Schaden zu besehen. Der Minister der öffent lichen Arbeiten hak darüber eine Berechnung anstellen lassen, die natür lich weit unter dem wirklichen Betrag bleibt, weil sich die zahllosen Schäden der einzelnen 2ndustri«n gar nicht übersehen, geschweige denn genau berechnen lassen. Immerhin sind die vorgebrachten Zifsern von erschreckender Deutlichkeit. Die Einschränkung des Bahn- verkehrS oom 1. bis 24. Mai hat eine Verminderung -er E n- nahmen von 24 Millionen Franken verursacht. Diese Summe wäre aber mindestens zu verdoppeln, wenn man bedenkt, daß Abertausende von Sendungen leichtoerderblicher Waren in den Stationen aufgestapeit blieben und den Absendern vergütet werden müssen, ferner die zurück gehaltenen Löhn« an die Streikenden. Man kann also die Gesamt summe aus 50 Millionen veranschlagen, und -les nur für die Folgen des Bahnstreikes. Wenn man dagegen den Streik der Bergarbeiter ms Auge saßt, so sind dle Schäden noch viel gewaltiger. In den Kohlen bergwerken streikten 120 000 Arbeiter, waS einen Lohnverlust von 40 Millionen darstellt. Was die Schäden betrifft, die hierdurch daS Amze Land erlitt, so betrug der Fehlbetrag an Kohlen 782 000 Tonnen. Dies« Kohlenm«nge muß aus England und Amerika eingeführt werdem. Zu dem gegenwärtigen Kurse sind eS mehr als 280 Millionen Franken, dle dadurch in das Ausland abfließen. Dazu kommt der Schaden, der den unzähligen Industrien zugesügt wurde, die sich infolge deS Kohlenmangels zu ein«r Einschränkung -er Produktion ent schließen mußten. Wenn also der Minister den Gesamtschaden auf eine halbe Milliarde Franken schätzt, so ist eä klar, daß er tu seiner Berechnung recht bescheiden ist. . . . Wird der Präsident Deschanel in Bälde einen Nach folger erholten? Dies ist die Frage, welch« die Oeffentlicbkett in Frankreich sehr beschäftigt, obzwar sich die Blätter vorläufig noch eine weis« Zurückhaltung auserlegen. Natürlich wurde der so burleske Zwischenfall von Montargis von allen Parteien weidlichft zu den eigenen Zwecken auSgeschrolet. Die konservativen Blätter sahen darin ein anarchistisches Attentat, den Sozialisten schwebt« die Affäre Syveton vor — obgleich Deschanel ein unentwegter Republikaner ist --- «nd d « nach Skandal lüstern« Boulevardpresse lieh sich allerlei Histörjch«» zuflüflern, die ihr dle gulen Freund« des Präsidenten zotrugen. Dem» Deschanel hak unendlich viele Neider, wie dies ,ja menschlich nur zu verständlich ist, und die Nachfolger zeigen sich schon jetzt recht ungeduldig. Falls man d esen Andeutungen glauben darf, so wär« der Präsident heillos neurasthenisch. Di« leere Paraderolle im Elyfee. dieses ewig« Repräsent eren bei DenkmatSenthüllungen, Ausstellungen, Festen usw. hätte den geistig beweglichen Mann, der als Präsident der Kammer mitten im politischen Getriebe stand, seelisch gebrochen. Man häkle hm in den letzten Wochen vor dem Unfall keine wichtigen Dekret« zur Unterschrift oorgelegl, um ihn nicht auszuregen, und sein Unfall sei in Wirklichkeit ein Selbstmordversuch in einem Anfall geist ger Ver wirrung. Di«s wird natürlich von anderer Seit« heftig bestritten, wenn aber ein so weit verbreitetes Blatt wie das «Petit Journal' eine Aenderwng der Verfassung ankündigt, wonach die gesetzgebenden Körper schaften nach Versa lleS pilgern und daselbst einen Vizepräsiden- t e n wählen sollen, so dürste schon an der Sach« irgendetwas daran fein. Llemenceau, den der Groll über die entgangene Präsidentschaft nach Aegypten getrieben hatte, dürfte sich jetzt inS Fäustchen lachen. . . . Seit einigen Tagen soll daS neue Papiergeld zu einem Franken und 50 Centimes im Verkehr sein. Man bemerkt noch nicht - viel davon, und die Kleingeldmisere dauert ungestört an. Wir möchten d ober wetten, daß der Finanzminister darüber gar nicht ungetalten ist. Wenn der Pariser nicht mehr wie früher über die notwendigen Kupfer- und Nickelmünzen verfügt, so hat er seine Brieftasche dafür mlt dem ? .Ersatz' ungefüllt, Heftchen mit Briefmarken, Abonnentenschcine für ' den Metro und dergl. mehr. Nun möchte mar wetten, daß jemand, der für 20—80 Franken Briefmarken bei sich trägt, dadurch unwillkürlich zu einer regeren Korrespondenz angetriebsn wird, w>.S dem Staate zu gute kommt. Anderseits wird mindestens die Hälfte dieser Briefmarken verloren oder aus Unachtsamkeit wezgeworfrn. Abermaliger Gewinn für den Fiskus! Die Valuta steigt, und dies erregt in weiten Kreisen seltsamer, weise große Bestürzung. Die Volkswirtschaftler sind da völlig uneinig. Die einen frohlocken: .Der Wechselkurs steigt? Um so besser, dies fördert die nationale Produktion!' Die anderen da gegen jammern: .Ein hoher Kurs ist unser Ruin, weil dies die Ver mehrung unserer Produktion verhindert und wir mit Verlust arbeiten!' Dergestalt wissen die Pariser nicht, welchen Heiligen sie anrufen sollen: Erelgt die Valuta, so verkrachen dte fremden Wertpapiere, in denen seit einem Jahre eine ungeheure Spekulation getrieben wurde. Bleckt dte Valuta auf ihrem jetzigen Stand, so wird daS Leben Immer teurer. Die. - selbe Ungewißheit herrscht hinsichtlich der Fremdenfrage. Soll man dle Ankunft der Touristen wünschen? ES ist zu fürchten, daß sie Frankreich Kraft der Valuta auskaufen. Anderseits hoffen weite Kreise aus daS Zuströmen dieser Kapitalien. ES gibt noch andere Sorgen: die Wohnungsnot, die immer bedrohlicher werdende Teuerung und die neuen Steuern. DaS letztere Kapitel würde eigentlich «inen ganzen Band als Kommentar bedürfen. Einen Sleuerbogen ge wissenhaft auSzufüllen, Lazu gehört daS mathematische Genie ^ines Henri PoinoarL! Für das Theater blüht daS Geschäft wie immer, trotz der Androhung der Direktoren, die Bud« endgültig zu sperren. Denn auch da wüten die neuen Steuern in verheerender Weise. Aber zum Glück bleibt den Be troffenen ein wehrloses Opfer als Sünc«ndock, daS liebe und schafS- geduldige Publikum, daS letzten Endes alle neuen Abgaben aus seinem Säckel zahlt. Ein« Zeitlang schien es, als würde man mlt d«n sich amtSmüd« gebärdenden Theaterdirektorrn gewaltsam aufräumen. DaS Beispiel von Sacha Guitry, der drei Theater besitzt, verleitete auch eine Reih« von Autoren, ihre eigen« Bühne bewirtschaften zu wollen. Henry Bernstein erwarb das Gymnase, Abel Deval und Gbeuft machten «S sich im Vaudeville heimisch, und auch die Dariöt^S, das Th^ätr« der Porte St. Martin, die Athenöe usw. wurden mono- polissert. Aber dies« schöne Begeisterung ist bald verflogen, als di« frischgebackenen Direktoren mit den neuen Forderungen d«r Syndikat« Bekanntschaft mochten. Denn nicht nur das technische Personal, sondern Schauspieler wie Musiker sind heute zu einem festen Verbände zusauunengeschloss«. -er s«tn« Wünsch, «tt kaltlächelnder
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