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SS 1888 Erscheint wöchentlich drei Mal und zwar Dienstag, Donners tag und Sonnabend. Jn- sertionSprei»: die kleinsp. Zeile 10 Pf. Verantwortlicher Redacteur: E. Hannebohn in Eibenstock. SL. Sa-rgang. Dienstag, den 28. Februar Amts- Md Anzeigeblatt für den SM des Amtsgerichts Lidensiock . . » ten, sowie bei allen ReichS- UNd dessen Amgeöung. P°st°nst°len Der Wilson Prozeß. Das eigentliche gerichtliche Verfahren gegen Wilson, den Schwiegersohn des vormaligen Präsidenten von Frankreich, Grevh, ist beendet; nur der Urtheilsspruch bczw. die Verkündigung desselben ist um wenige Tage hinauSgeschoben worden. Wie der formelle Spruch aber auch lauten mag: die öffentliche Meinung hat ihr Verdikt über Wilson gefällt, und wenn Herr Grevh nicht bereits zurückgetreten wäre, so müßte er die« heute lhun. Zwar hat der Wilson-Prozeß sehr viel von seiner Bedeutung eingebüßt, weil eS sich in dem Hauptangc- klagten nur um den Schwiegersohn eines gewesenen Präsidenten der französischen Republik handelt; in dessen wenn die Gerichtsverhandlungen auch keine politische Bedeutung im engeren Sinne mehr bean spruchen können, so werfen sie doch ein bezeichnende» Schlaglicht auf die Fäulniß der inneren Verhältnisse Frankreichs. Gieriger und schamloser Gelderwerb war die Haupttriebfever jene» starren und unbeugsamen Republikaners, auf den sich Herr Wilson, der Schwie gersohn de» Präsidenten der Republik, hinausspielte. Hätte in unfern Zeiten wiederum die französische Deputirtenkammer al» Konvent über einen König zu Gericht gesessen, wie vor nun bald IM Jahren, — Herr Wilson hätte unbedingt für den Tod gestimmt; seine ganze parlamentarische Vergangenheit bürgt dafür. Wilson hat Millionen und Millionen an der Börse verdient; eS war ihm die» um so leichter, al» er im Eiysee bei seinem Schwiegervater wohnte und wichtige politische Neuigkeiten, die auf da« Steigen und Fallen von Börsenpapieren von Einfluß sind, oslmal« srüher empfing, al» selbst die Minister, für die sie bestimmt waren. Hei, wie hat der wackere Republikaner verdient, al» anläßlich de» Schnäbelc- Falle» ein Krieg auSzubrechen drohte; gleich darauf allerdings soll er wieder Millionen verloren haben, da der Friede erhalten blieb. Herr Wilson war nun keineswegs so unbesonnen, den Leuten, die sich um die Ehrenlegion bewarben, zu sagen: »Zahlt 100,000 Frank und ihr bekommt das Gewünschte!" Er fing die Sache weit unverfänglicher an. Da ist ein Großdestillateur, welcher sich so wohl um da« Vaterland verdient gemacht zu haben glaubte, daß er eine» Anspruch auf da» Vorrecht erhob, im Knopfloch einige Zentimeter dunkelrothen Bandes zu tragen. Man adresstrte ihn an Herrn Wilson, der auch daS Seinige dazu betzulragen versprach, dabei aber durchblicken ließ, wie angenehm eS ihm wäre, wenn der Bittsteller für 100,000 Frank Akiien auf da« von ihm (Wilson) gegründete Blatt „WeltauS- stellungS-Zeitung" zeichnen wollte. Der Bittsteller konnte oder wollte darauf nicht eingehen, — bekam daher auch seinen Orden nicht. Al« Wilson nochmal» zu ihm schickte und versichern ließ, daß er auch mit der Zeichnung eine» geringeren Betrage« zufrieden sein würde, wie» der Destillateur dem Unterhändler einfach die Thür; er glaubte die Auszeichnung ver dient zu haben und wollte sie nicht kaufen. Wo Aas ist, da sammeln sich die Adler! Da» Sprichwort wäre hier bester anwendbar, wenn anstatt de» königlichen Vogel« eine gemeine Art — Krähen, Dohlen, Raben — genannt würden. Wo ein Wilson Schwiegersohn de» Republikpräsidenten ist und seine verwandtschaftlichen Beziehungen so schamlos auSnutzt, da sammeln sich auch Subjekte, die der Spitzbuben jargon »Schlepper" nennt und welchen die Aufgabe zufiillt, die Opfer zu »stellen." In den Gerichtsver handlungen wie in der Voruntersuchung spazirt eine ganze Reihe solcher edlen Gestalten auf, von denen die »Damen" Limousin und Ratazzi die meistgenannten sind. Schon die Verbindung mit solchen Leuten kenn zeichnet Wilson. »Sage mir, mit wem Du umgehst, und ich will Dir sagen, wer Du bist." Wilson wird au» dem politischen Leben zurück treten wüsten, aber wa« er zusammcngescharrt, da wird er behalten. Wa« sollte ihm jetzt auch noch die politische Laufbahn? Da sein Schwiegervater nicht mehr Präsident ist, würde natürlich auch der Schwieger sohn keinen Einfluß mehr besitzen, der sich in Geld umwandeln ließe. Und da» war doch für Wilson die Hauptsache! Am meisten zu bcvauern ist der arme Grevh, dem außer seiner ausfallenden Knickrigkeit nie in seinem ganzen politischen Leben ein Makel anhaslete und auf den nun, nachdem er sich bereit» zur Ruhe gesetzt, der Schatten jener unsauberen Gestalten fällt, mit denen sich sein sauberer Schwiegersohn umgeben hatte. Hagesgeschichle. — Deutschland. Die Nachrichten über da» Befinden de» Kronprinzen lauten fortgesetzt günstig. Der Wundverlauf ist durchaus normal und von Fieber nicht begleitet. Niemals erfolgten Stör ungen seitens der Wunde oder der Kanüle; die Ath- mung ist vollkommen frei. Husten und AuSwurf sind noch vorhanden, aber geringer. Der Kronprinz hat sich in den letzten Tagen merklich erholt, die Kräfte wurden bester, der Appetit ist gut. Der hohe Patient bringt fast den ganzen Tag außer Bett zu. — Nach übereinstimmenden Meldungen schreibt jetzt der Kronprinz sehr viel. Man kann sich nur Ver- muthungen über den Inhalt der sorgfältig verschlosse nen Schriftstücke hingeben. Eingeweihte wollen be haupten, eS befinde sich der letzte Wille darunter, sowie Rathschläge für seinen Sohn, »im Fall seine Hoffnung aus Wiedergcnesung trotz seines Wohl befindens sich nicht verwirklichen sollte." — Trotz der günstigeren Meldungen aus San Remo über das Befinden des Kronprinzen will, wie aus Berlin berichtet wird, in den Kreisen, die für unterrichtet gelten können, eine hoffnungsfreudige Stimmung nicht auskommen. Die offiziellen Bulletins berichten nur über die äußeren Symptome, geben aber über die Befürchtung, ob eine Erkrankung der Lunge vorliege, keine Auskunft. Da nun nach den Aus sprüchen de» Kaiser« alles gelban werden soll, wa« die Wissenschaft und Kunst der Aerzte vermag, ist denn auch der von den den Kronprinzen behandelnden Aerztcn in Vorschlag gebrachte Geh. Rath Prof. Kußmaul au» Straßburg nach San Remo berufen worden. DaS Auffällige in dem Befinden des Kronprinzen ist, daß, nachdem die OperalionSwunde geheilt ist, der AuSwurf trotzdem noch fortbesteht. Zu einer Begut achtung, ob der AuSwurf aus dem kranken Kehlkopf oder auS den Luftwegen, eventuell au« der Lunge herrührt, wurde Kußmaul berufen. Außerdem wird gewünscht, daß Prof. Kußmaul den allgemeinen Zu stand des Kronprinzen untersuchen und sein Uriheil darüber abgeben soll. — Dem vom Reichstag angenommenen Gesetz entwurf über Verlängerung der Legislatur perioden— Abänderung des Artikels 24 der RcichS- versassung — ist, wie nicht anders zu erwarten war, vom BundeSrathe in seiner letzten Plenarsitzung die Zustimmung crtheilt worden. — Ehemalige Militärökonomiehandwerker, die jetzt ganz ungewöhnlicher Weise aus 8 Wochen al- Reservisten eingezogen worden sind, — eine Maß regel, die unsere« Wissens noch nicht vorgekonnuen ist, — haben sich um Aufklärung an den Abg. Gabor gewendet. Diesem hat der Krieg-Minister v. Bronsart in einer Unterredung die erklärende Mittheilung ge macht, daß die Militärverwaltung allerdings wegen dringender Arbeiten zu dieser Maßregel gegriffen und inSgesammt 5000 ehemalige Oekonomiehandwerker als Reservisten eingezogen habe. Er habe angeordnct, daß diese Leute besonder» gut entschädigt würden. Sie sollen außer den üblichen militärischen Kompe tenzen einen Extraverdienst von monatlich etwa 14 bi« 1b Mk. haben, während sich sonst der Extraver dienst eine« Oekonomiehandwerker» täglich auf etwa 20 Pfennige beläuft. — Da» Kriegsgericht Mainz verurtheilte den Sergeanten Kind von der 4. Compagnie de« 2. Nassauischen Infanterieregiment» Nr. 88 wegen Re- kr ulenmißhandlung zu einer Festung-strafe von 3 Jahren, zur Degradation und zur Versetzung in die zweite Klasse de» Soldatcnstande». — München. Innerhalb de» Befehlbereich» de« 1. Armeecorp« haben am 23. d. zwölfiägige Heb ungen der Reserve behuf» Schießen« mit dem Magazingewehr begonnen. E« sind im Ganzen 2420 Mann eingezogen worden, und zwar zum Infanterie- Leib-Regiment, 1., 2., 3., 10., 11., 12., 13. und 16. Infanterieregiment je 30 Unteroffiziere und 220 Ge freite und Gemeine, dann zum 1. und 4. Jägerba taillon je 10 Unteroffiziere und 75 Gefreite und Gemeine. — Darmstadt. Eine für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleich wichtige Entscheidung hat da« hiesige Landgericht gefällt. Eine bei einer Offen bacher Firma in Diensten stehende Fabrikarbeiterin hatte ohne Kündigung den Dienst verlassen. Nach vertragsmäßiger Bestimmung und der Fabrikordnung gemäß Halle der Arbeitgeber der Arbeiterin wöchent lich je 50 Pfg. vom Lohne zurückbehalten mit der Be dingung, daß diese Beträge im Falle eines ohne Kün digung erfolgten AuStriltS von feiten der Arbeiterin zu gunsten de« Arbeitgeber« verfallen sollten. Da» Landgericht hat nun erkannt, daß eine derartige Be stimmung al« dem 8 117 Abs. 2 der Reichs-Gewerbc- Ordnung zuwiberlaufend nichtig sei, und die betreffende Firma zur Auszahlung der einbchaltenen Beträge verurtheilt. — Oesterreich-Ungarn. JnWien und Pest traut man dem Frieden nicht so recht. Die miß trauische Stimmung geg en Rußland gewinnt nach einer Meldung der »Köln. Ztg." wieder die Oberhand. Der leitende Minister Gras Kalnoky reist nochmal» an da« Hoflager de» Kaiser« Franz Joseph nach Pest. — Für offiziös geltende Melkungen stellen e« al« wahrscheinlich hin, daß die von Rußland an geregte Aktion alsbald ergebnißlo« versumpfen werde. — Schweiz. In welchem Tone man in ge wissen Kreisen der Schweiz die Beziehungen zu Deutschland zu behandeln beliebt, davon giebt ein Artikel Aufschluß, den der gemäßigt liberale und angeblich mit einflußreichen Personen in Verbindung stehende Berner „Bund" über die Rede de« Fürsten Bismarck vom 6. Februar bringt. Diese« Blatt äußert sich im Anschluß an des Kanzlers Worte: „Wir Deutsche fürchten Golt, aber sonst nicht« aus der Well" folgendermaßen: „Es ist nicht Marcel in den „Hugenotten", der sich diese Opcrnphraje leistet, sondern Fürst Bismarck wagte so etwas dem Reichs tage zu bieten. Er wird doch alt, der große Mann! Und, wenn auch die Schachzüge seiner Politik noch die richtigen sein mögen, wie wir einstweilen glauben wollen, in solchen einzelnen Wendungen der Rede tritt ein merklicher Mangel an Geist zu Tage. Denn waS kann eine solche Phrase bedeuten? Kann nicht der Engländer sie mit demselben Rechte aussprechen? Giebt es überhaupt ein Volk Europa«, dessen Selbst gefühl nicht in ähnlichen Werten der Verherrlichung seine« ManneSmutheS aufflammte — wohlgemerkt auf der Tribüne eines Volksfeste«, aber doch nicht im ernsten BerathungSsaale?! »Wenn wir angegriffen werden, dann wird der luror teutonicu8 entflammen, mit dem c« Niemand aufnchmen kann." Da« ist auch so eine Opernphrase derselben Rede Bickmarck'S. Oft genug haben e» andere Nationen mit dem „kuror tautonieuk" ausgenommen und sind Sieger geblieben. Wenn übrigen« die Deutschen „Gott und sonst nicht» auf der Welt fürchten," so mögen sie da» Lockspitzel- thum abschaffen, da« sehr nach Menschenfurcht, d. h. Anarchistenfurcht, und keinesfalls nach Gottesfurcht schmeckt." — Die „Post" hat keine Scheu getragen, diese» Srzeugniß eine« angesehenen Schweizer Organ niedriger zu hängen, damit auch unser Volk wisse, in wie abfälliger und hämischer Weise in der benach barten und stammverwandten Schweiz, die für un wichtigsten und heiligsten Lebensfragen behandelt wer den. Daß durch derartige Artikel in un« da» Ge fühl der Freundschaft für da« Schweizer Volk bestärkt werden soll, wird der Berner „Bund" schwerlich er warten.