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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 09.06.1910
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1910-06-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19100609014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1910060901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1910060901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-06
- Tag 1910-06-09
-
Monat
1910-06
-
Jahr
1910
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Bezug»-Preis säe Lripjla u»d Üororu durch u»8re LrLg« und kvrdtieur« 2««l täglich m» Hau« gebracht : vv 2» mouaU., L.1- ^lk viertrliähri Bei »»Irr» IUiale» u. An» u-hmellellen avn^olt! 7ä monatl., R.LS »ierteliädrl. Lurch dir chok> tunrrtzald Druychiand« und der drutichen Kolonien merieliLdrl >«.>4 monatl. toi* ak auslchl. Postdeftellgkw. ferner tu Belgien, Dänemark, den Doaaultaateu, Italien. Luremdurg, Niederlande, lllor- »e«en, Lcllrnieich > Ungarn, Rußland, Schwebe», Schwel» u Spanien In alle» ädrigen Staate» uur diretl durch di, arlchä«„li«ll, <x» »laue« erhältlich. Da« neipzigee Lagedian «richeiu» 2 mal iLgltch So»», u ginerlagt «r morgen«, lttdonn« -»l^lnnadi». Lu-uttulplatz 8. bei unlerrn Lräger» Filiale» Lpedireareu uud Lnnahmeüellen !ow>» Ooftümlern uud Briel träger» E«»,,l»«rra»t«»r,t« »er Morgen. »usgad« >0 der udendautgade ii -iedakrion uud Mrschäftsftell« JohannllgaHe 8. gerulprecherr I4SSL I4SW, 14ÜV4. Morgen-Ausgabe. "eiWgerTagMM Handelszeitung. Amtsblatt des Rates und des Volizciamtes Ser Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis Mr Injerate au« llriozig und Umgedunq di« ggeipaltene hl) mw dreit» Petit,eil, 25 bi« 74 nun breit« NeName«eile l ^e vo» »»«wärt« M bieklamen l.2V ^ss; Jttserat» »»» Behärde» amtlich«» Dell di« 74 wm breit« Petit^ile 40 2z. «elchälttan^igen mit Platzvorlchristen und i» der Ldendau»gab« im Preii« erbähi. diabatt nach Daris. lSeilagegedühr 5 p. Dauiend exkl. Postgebühr. Iefterteilte «usträae k-unen nicht zurück- gezogen werden. Für da» Erscheinen an bestimmten lagen und Plätzen wird kein« Garantie übernommen. «neigen-Annahme: Augustu-vlatz 8^ bei sämtlichen Filialen u. allen vnnoncrn- Sipeditiouen de» Ja» und Autlande«. Haupt-Stllale «erlln: Larl Duncker. Herzog!, vaqr. Hosbuch- handlung, Lützowstiaße I(X iDelephon VI. «r. 4608). Haupt-Stlialr Dresden: Seestratze «. I (Telephon 462t). Nr. tS7. Donnerstsg, »en s. lnni iSlv. 104. Jahrgang. Vas Wichtigste. * Graf Zeppelin hat eine Erklärung erlassen, in der er die Gründe angibt, die ihn bestimmen, die geplante Fernfahrt Wien —Dresden zu verschieben. (8. d. bes. Art.) * Der Kaiser brachte bei der Vermählung des Prinzen Friedrich Wilhelm von Preußen mit der Prinzessin Agathe von Ratibor-Coroey einen Trinkspruch aus. lT. d. bes. Art.) * Die Reichsversicherungskommission nahm den Antrag der Fortschrittlichen Volkspartei an, das krankenversicherungspflichtige Einkommen von 2000 auf 2500 Mark zu er höhen. (S. Letzte Dep.) * Im preußischenAbgeordnetenhause stehen am heutigen Donnerstag die drei Enzy klika-Interpellationen auf der Tages ordnung. (S. d. bes. Art.) * Das italienische Königspaar besuchte das Erdbebengebiet. Die Königin wurde vom Volke mit begeisterter Verehrung empfangen. (S. Tageschr.) * Zn Zwickau begann die mehrtägige Schu man n - F e i e r. (S. Feuill.) * Am heutigen Tage begeht die musikalische Welt den 100. Geburtstag Otto Nicolais, des Komponisten der „Lustigen Weiber von Windsor". (S. Feuill) Oerndurgs Abgang unü -ie politische Lage. Die Situation ist heute so weit geklärt, daß man die Ursache der neuesten Ministerkrise bis auf Un wesentliches deutlich erkennt und daß man sogar über die Folgen schon manches sagen kann. Es ist klar geworden, Dernburg selbst hat darüber keinen Zweifel gelassen, daß nicht, wie insbesondere das Zentrum es gern daraestellt leben möckste, Frik tionen auf dem Kolonialgebiete die letzte Ursache der Demission sind, sondern daß Dernburg in der Fest legung der Regierung auf die klerikal-konservative Union die Unmöglichkeit gedeihlichen Wirkens er kannt hat und daher das Feld räumt. Nun pflegt jeder Abgang, der freiwillige wie der unfreiwillige, eines Ministers mit bestimmten Kulissen umgeben zu werden, und in der Betonung der allgemein politi schen Gründe durch Dernburgs Vertrauensmänner braucht noch nicht die Garantie dafür zu liegen, daß nun auch wirklich die echten Motive angegeben wer den. Man braucht nur an die üblichen Ministerkrank heiten zu denken, die sich am Tage des Demissions gesuches einzustellen pflegen, um die Skepsis berech tigt zu finden. Nebenbei wollen wir hoffen, daß Dernburg von diesem nicht immer schönen Brauch ab gewichen ist und sein Gesuch mit aller Deutlichkeit so begründet hat, daß es auch vor dem Richterstuhle der Geschichte und der Ethik bestehen kann. In diesem Falle sprechen aber zu viel innere Gründe dafür, daß tatsächlich die Mißlichkeit der allgemeinen politischen Lage kein Vorwand für den Mann liberaler Ver gangenheit gewesen ist, sondern daß die ungesunde Parteilichkeit der Regierung ihm ein Weiteramtieren verleidet hat. Es ist bereits der Einwand erhoben worden, daß die Zusammensetzung der Negierung ja bereits seit ziemlich Jahresfrist, seit den Tagen der sogenannten Reichsfinanzreform und Bülows Ab gang, sich nicht geändert habe, daß also Dernburg schon mit dem Fürsten Bülow hätte demissionieren müssen, wenn dis angegebenen Gründe stimmten. Dieser Einwand ist aber nicht stichhaltig. Man könnte es einem Mann, dem sein Werk am Herzen liegt, nicht verdenken, wenn er nicht schon beim An schein einer bedrohlichen Entwicklung sein Werk auf gibt, sondern erst greifbare Beweise für seine Be fürchtung abwarter. Aber Dernburg hat dafür ge sorgt, daß auch jeder Verdacht in dieser Beziehung zerstreut werden kann. Don parlamentarischer Seite wird nämlich dem „Berl. Tagebl." mitgeteilt: „Be reits im August 1900 hat Staatssekretär Dernburg mehreren ihm nahestehenden Politikern seinen Ent schluß mitgeteilt, den neu eingeschlagenen Kurs nicht mitzumachen. Er beabsichtige, nach Erledigung der bedeutendsten kolonialen Aufgaben sich zurückzuziehen, und hab« dem Reichskanzler bei dessen Ernen nung hiervon amtlich Mitteilung gemacht. Als Termin seines Ausscheidens habe er den Schluß der nächsten Reichstagssession bezeichnet. Diese Tat sachen stehen authentisch fest, und damit erledigen sich die offiziösen Fragen, warum der Rücktritt erst jetzt erfolgt. Daß die seitherige Entwicklung an dem Ent schluß Dernburgs nichts ändern konnte, liegt auf der Hand. Ueber seine Stellung zur Wahlrechtsvor lage hat er die ihm nahestehenden Politiker nie im Zweifel gelassen." Bravo, Exzellenz! Das nennt man kaufmännisch klug, rechtzeitig und entschlossen handeln. Der Naive dürfte hier fragen: Was hat das doch völlig unpolitische Kolonialreichsressort mit der poli tischen Haltung der Regierung, mit der preußischen Wahlreform zu tun? Aber auch nur ein absoluter Neuling in allen politischen Dingen hat das Recht, so zu fragen, denn für jeden andern sind die Zu sammenhänge absolut klar. Das Reich ist von Preußen nicht zu trennen, und die preußische Mahl reform hat den neuen Block auch im Reiche erst recht zusammengekittet. Das alles hätte sich natürlich auch in der weiteren Geschäftsführung auf kolonialem Gebiete immer schlimmer bemerkbar gemacht, und Dernburg wäre kaum etwas anderes übrig geblieben, als entweder seinen Frieden mit der alten Zentrur»s- fcindschaft und dem konservativen Mißtrauen zu machen, oder gegen beide anzukämpfen und sich damit in strikten Gegensatz zu der Regierung, deren Mit glied er war, zu stellen. Diese Alternative mußte wenig erfreulich sein für einen Mann von einiger Haltung, und es ist daher gar nichts Auffälliges da bei, wenn dieser Mann ein drittes vorzog, nämlich seinen Abschied. Man kann nicht umhin, hierbei eines fundamen talen Fehlers der Dernburgschcn Politik zu gedenken, wenn es auch leicht ersichtlich ist, daß dieser Fehler weniger auf das Konto Dernburgs, als auf das seines politischen Meisters Bülow zu setzen ist. Dernburg hat genau wie Bülow geglaubt, die Attacke gegen das Zentrum vor der Reichstaqsauslösung als Episode hinstcllen zu können, und er hat es immer mit Heftig keit zu bestreiten versucht, daß hier etwas Grundsätz liches vor sich gegangen war. Dabei ist gar kein Zweifel, daß die Wahlen des Jahres 1907 ausschließ lich auf Grund der allgemeinen Zentrumsgegnerschaft erfolgreich geworden sind, und daß die ganze Popu larität Dernburgs auf dieser Grundlage beruhte. Daran vermochte selbst der Wahlbrief des Fürsten Bülow, der die Front ausschließlich gegen die Sozial demokratie zu drehen suchte, nichts zu ändern. Und Dernburgs peinliches Bemühen, sein Ressort un politisch zu verwalten, erwies sich als vergeblich. Es bleibt ein Vorwurf für die Führung der damaligen Blockära, daß sie die Unmöglichkeit, sich des Anscheins der Zentrumsgösinerschaft zu entkleiden, nicht erfaßt hatte. Hätte sie die Konseauenzen aus dieser Situa tion gezogen und sich völlig rücksichtslos auf diese Zentrumsgegnerschaft festgelegt, hätte sie auf allen Gebieten diese Zentrumsoeanerschaft offen zum Aus druck gebracht, die ganze Gesetzgebung nach diesen Gesichtspunkten orientiert, so wäre es vielleicht mög lich gewesen, besonders bei der damaligen großen Be geisterung ein Kulturbollwerk gegen das Zentrum zu schaffen und damit zugleich eine Antizentrums regierung so fest zu verankern, daß ihr die Ultra montanen nichts hätten anhaben können. So indessen saß schon der Wurm in der Blockfrucht, ehe sie reif war. Alles mußte kommen, wie es gekommen ist. Die Folgen jener Halbheit konnten nicht ausblcibcn. Konservative und Ultramontane verbündeten sich aufs neue, und die Regierung war am Ende ihrer Kunst. Insofern ist auch der Rücktritt Dernburgs vom Amte die letzte Folge einer tragischen Schuld, wobei man freilich, wie schon gesagt, die ganze Situa tion des neuen Mannes unter Bülow zu berücksich tigen hat, um das persönliche Konto gerecht zu be lasten. Der Rücktritt Dernburgs ist die Folge, aber auch die Sühne dieser Schuld. Denn es wird stündlich klarer, daß dieses zunächst nur persönliche Ereignis einen historischen Moment darstellt, und daß, was za so überaus selten ist, das Volk diesen Moment versteht. Es ist ein blendendes Licht auf die Zu stände gefallen, und alle Welt sieht auf einmal klar, wie parteipolitisch wir regiert werden. Das ist das große Verdienst, das sich Dernburg mit seinem Rück tritt gerade in diesem Moment erworben hat. Wäre die Demission unter dem leisesten Schein äußeren Zwanges erfolgt, wäre sie als Konsequenz kolonialer Mißerfolge zu deuten gewesen, so hätte der Abgang nie die Bedeutung gewinnen können für die allge meine politische Lage, die er jetzt hat. Daher ist es auch so überaus verständlich, daß dieser Rücktritt den regierenden Mächten gerade jetzt so peinlich ist. Und die Peinlichkeit wird vermehrt durch die famose Enzyklika des Papstes, die die Gefährlichkeit des Zentrums auch den Stumpsesten enthüllt, und die den Konservativen wie der Regierung die Unnatur, die Unpopularität, die Häßlichkeit ihrer Zentrums blockpolitik so unangenehm deutlich ins Gewissen ruft. Die Enzyklika hatte gerade noch gefehlt, dis Lieblichkeit des Bundes zu illustrieren. Das deutsche Volk steht also vor der nicht mehr zu verhüllenden Tatsache, daß es dem klerikal-feudalen Regiment in Regierung und Gesetzgebung ausge liefert ist, daß dec letzte Mandatar nichtagrarischer und nichtklerikaler Interessen ausgeschaltet ist, und es muß jetzt die Frage in das Bewußtsein des Volkes eingebrannt werden: Soll das so bleiben? Mit dem Rücktritt Dernburgs hat der Wahlkampf für 1911 seine Signatur bekommen und seinen Anfang ge nommen, und wenn das Bürgertum jetzt nicht seine Pflicht tut, so verdient es so regiert zu werden, wie das unter Herrn v. Bethmann Hollweg so glor reich geschieht. * Oerndurgs koloniales Werk. Dernburgs viele Gegner mögen frohlocken, der ehrliche Kolonialfreund aber kann sich eines pein lichen Gefühls nicht erwehren, auch wenn er in manchen Punkten sachlich em Gegner Dernburgscher Politik war. Er gedenkt der traurigen Umstände, in denen sich die Kolonien vor Dernburgs Amtsantritt befanden, und vergleicht damit die sichere Position im Rahmen der Ecsamtpolitik des Reiches, der sie sich jetzt bei Dec '.burgs Abgang zu erfreuen haben. Ge wiß, Dernburg hat viel Glück gehabt und ist der Günstling einer guten Konjunktur gewesen: es fragt sich aber nur, wieviel Leute die Konjunktur mit solcher Energie auszunutzen verstanden hätten. . . . Die Geschichte unserer Kolonialpolitik ist allzureich an guten aber verpaßten Gelegenheiten, als dag man das Glück bei Dernburgs Erfolgen allzusehr in die Wagschale legen dürfte. Man kann viel eher sagen, daß er eine von den Persönlichkeiten war. die es verstehen, das Glück zu zwingen. Daß dabei manch mal der „smarte" Kaufmann der amerikanischen Schule mit all seiner Rücksichtslosigkeit zum Vorschein kam, war nicht anders zu erwarten. Man hatte das am Ende ja sogar von ihm erwartet. Und solange sein energisches Zugreifen, seine Energie den kolo nialen Aufschwung auf der ganzen Linie zur Folge hatte, jubelte man ihm zu. Anders als er die prak tische Ausnutzung des Ausschwunges, ganz seiner Art und Vergangenheit entsprechend, in die Wege zu leiten begann. Wir sind gewohnt, als ersten Grund satz des Beamten in leitender Stellung strengste Objektivität zu betrachten. Und die konnte eben Dernburg, dem Großfinanzier, unmöglich zu eigen sein. Er oetrachtete die Kolonien, wie er oft ver sichert hat, als ein Geschäft, das nur mit Hilfe des Großkapitals zu gedeihlicher Entwickelung gebracht werden könne. Und wo sich eine Gelegenheit fand, das Großkapital heranzuziehen, da hat er es, wie bei den Diamanten, mit rücksichtsloser Energie getan. Niemand kann eben aus seiner Haut heraus. Der Kaufmann ist nicht, wie der Beamte, zur Objektivität erzogen, sondern er wird zu jeder Zeit den Vorteil seines Geschäfts wahrnehmen. Und so hat Dernburg, als das koloniale Geschäft durch ihn in Schwung ge bracht war, immer zuerst darauf gesehen, daß die In teressen der heimischen Kolonialverwaltung gewahrt wurden, daß er jedes Jahr ein möglichst gutes Ee- samtresulrat vorweisen konnte, gleichgültig, ob dies gerade im Interesse der einzelnen Kolonie lag. Auch wir waren oftmals gezwungen, der Dernburgschcn Politik im einzelnen energisch entoegenzutreten, ohne dabei zu verkennen, daß trotz vereinzelter Hemmnisse und Ungerechtigkeiten im ganzen ein stetiger Fort schritt zu beobachten war. Auch die Tatsache, daß Dernburg hartnäckig alle Fäden in der Hand behalten wollte und sich dem Drang unserer kolonialen Landsleute nach politischer Betätigung, den er selbst geweckt hatte, energisch widersetzte, ist echt kaufmännisch. Kein Kaufmann wird ohne weiteres die Entscheidung in wichtigen Fragen den Filialen, was die Kolonien für Dernburg waren, überlassen, zumal wenn diese Filialen noch nicht die nötige wirtschaftliche Unabhängigkeit er rungen haben. Diese Auffassung ist der fundamentale Irrtum seiner Politik, der bekämpft werden mußte. Aber heute, wo Dernburg geht, muß ihm gerechterweise be scheinigt werden, daß er in der heutigen wirtschaft lichen Organisation einen stolzen Bau aufgerichtet bat, der die Grundlage für eine gedeihliche Entwicke lung der Kolonien bilden wird. Man darf nur daran erinnern, daß das heute Tausende von Kilo metern umfassende Eisenbahnnetz der Kolonien fast allein sein Werk ist. Ohne ihn wären wir ohne Zweifel in den Kolonien nicht viel weiter, als vor fünf Jahren. Wenn er sich etwas mehr um die öffent liche Meinung gekümmert und seine eigene groß kapitalistische Auffassung von Kolonialpolitik ein klein wenig Hand in Hand mit der unter ihm groß gewordenen politischen und wirtschaftlichen Energie unserer kolonialen Landsleute revidiert Hütte, so wäre er ein idealer Staatssekretär gewesen. Dernburg ist eben, trotz seiner freisinnigen Ver gangenheit, eine Herrennatur, und es ist ihm in ge wisscm Sinne ebenso ergangen, wie manchem von den alten Kolonialpionieren, die wohl Bahnbrecher waren, aber in der neuen Aera ruhiger wirtschaft sicher Entwickelung kein rechtes Feld für die Betäti gung ihrer Energie fanden. Das soll uns aber nicht hindern, Dernburgs her vor'agende Verdienste in dankbarer Erinnerung zu behalten. Es wird jetzt vielleicht manches anders werden und vielleicht wird auch das eine oder andere Lieblingswerk Dernburgs einer Revision unterzogen werden. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß er für sich allein das Verdienst in Anivrucb nehmen darf, den kolonialen Karren aus dem Sumpf gezogen zu haben. Die Trauung -es Prinzen Meürich Wilhelm von prenhen. Wie bereits kurz in der gestrigen Abendnummer von uns gemeldet wurde, sand am Mittwoch im Neuen Palais bei Potsdam die Vermählung des Prinzen Friedrich Wilhelm von Preußen mit der Prinzessin Agathe von Ratibor-Coroey unter Teilnahme des Kaiserpaares, der Kron prinzessin, der kaiserlichen Prinzen, der Prinzessinnen, der Anverwandten, einer großen Gästezahl, des Reichskanzlers, der Minister usw. statt. Im Apollo saale wurden die Ehepatten abgeschlossen. Die standesamtliche Eheschließung wurde durch Oberhof marschall Eulenburg vollzogen. Die kirchliche Trau ung vollzog in der zu einer Kapelle umgewandelten Iaspisgalerie v. Dryander, der seiner Ansprache den vom Prinzen Friedrich Wilhelm ausgewäblten Spruch Kolosser 3, 14: „Ueber alles ziehet die Liebe an. die ist das Band der Vollkommenheit" zugrunde legte. Darauf fand Galatafel im Marmorsaale statt. Der Kaiser brachte folgenden Trinkspruch auf das Hochzeitspaar aus: Meine siebe Agathe! Du hast am heutigen Tage Deine Hand Meinem Vetter gereicht und trittst damit aus dem trauten Verwandtenkreise Deines Elternhauses heraus und in das unsrige hinüber. Ein vorbildliches Familienleben, ein Kreis Dich innig liebender Geschwister, an den verehrten Eltern hängend, hat Dich bisher um hegt. Und Du kommst nun zu uns, um Dir selbst ein neues Heim und Haus zu gründen. Ich brauche wohl dem nicht Ausdruck zu geben, daß Meine Frau und Ich und alle Meine Kinder von ganzem Herzen Dich hier willkommen heißen und Dich mit offenen Armen freudig ausnehmen. Das Leben wird sich Dir nun an der Seite Deines Gemahls von andrer Seite zeigen: bisher in sorgenlos froher Jugend dahingebracht, wird es sich nun Dir mit seinen ernsten Anforde rungen und Pflichten nähern. Für jeden ist in seinem Leben und Streben einBeispiel ange bracht und nötig, nach dem er sich richtet. Es ist heute schon in Deiner Traurede der hohen Frauengestalt Erwähnung geschehen, die in unserem Hause und Bolle erner Heiligen gleich verehrt wird und die der gute Genius unseres Landes war. Ich kann nur nochmals Dir die Königin Luise als Vorbild vor stellen, dann wird es Dir gelingen, tat kräftig und stets freudigen Sinnes den Pflichten entgegenzutreten, die sich Dir darbieten. Mögest Du Deinem Manne ein sonniges Heim bereiten und, wenn er von seiner Arbeit zurück kommt, ihm die krausen Falten seiner Stirn glätten, die ihm die Pflicht und der Dienst des Vaterlandes gegraben haben. Vor allem aber hoffe Ich, daß Du mit ihm zusammen Dein Haus begründen wirst auf dem festen Grunde, auf dem wir alle stehen, der Persönlichkeit unseres Herrn und Heilanoe», dem wir alle ergeben sind. Mit den innigsten Glück- und herzlichsten Segenswünschen erhebe Ich Mein Glas und trinke auf Dein und Deines Mannes Wohl. Nach dem Schluß der Feierlichkeiten begaben sich die Neuvermählten nach Schloß Seitenberg. Zur Sorromsus-Lnzykliks Pius' X. Motto: Auch Entrüstung läßt sich nicht auf Eis legen. Ein evangelischer Geistlicher schreibt uns: „Der Bischof von Keppler in Rottenburg hat ein Buch „Mehr Freude" herausgegeben. In diesem kleinen Werk, das auch für Protestanten gut zu lesen ist, sintemal in der Hauptsache protestantische Ge währsmänner benutzt sind, findet sich über den Streit der beiden Konfessionen die für einen Katholiken bedeutsame Aeußerung: Stellen wir den wahnsinnigen Kamps gegeneinander ein. Wenn kein anderer Be weggrund uns dazu vermögen sollte, stellen wir ihn ein um der Freude willen. Alle Kraft und Zeit, die wir in diesem Kampf verbrauchen, geht der Freude verloren, und dieser Kampf selber ist ein solcher Freudenmörder, daß er das schmählichste Ende in Schande und Verachtung verdient hätte. — Lasset uns ihm ein Ende machen: er wird sonst die Schande des Jahrhunderts. Nicht durch Untersuchungen und Erhebungen, welche nur Oel ins Feuer gießen. Nicht indem wir fragen: Wer hat angesangen? sondern indem wir jagen: Wir wollen aufhören." S. 147. Es scheint doch in einsichtigen Kreisen der katholischen Kirche die Uebcrzeugung durchzudringen, daß der blinde Eifer gegen den Protestantismus zu nichts Gutem führt, dachte ich als geborener Optimist beim Lesen jener Zeilen. Die Taten der Reformation sind zu gewaltig, als daß sie auf die Dauer nichts als Ver unglimpfung und Entstellung erfahren sollten! Im übrigen: kro ts uro stuki oro Idins« <das heißt: Gescheh nisse der Vergangenheit sind nicht ungeschehen zu machen.) Von meinen Illusionen bin ich durch die Enzyklika Pius' X. ganz gründlich abgekommen und der alte Haß gegen Luther und alles, was deutsch protestantisch Heintz ist mir in widerlicher Weise ins Bewußtsein von neuem getreten. Rom ist und bleibt unversöhnlich. Unser Karl Lamprecht hat in seinem tiefgründigen Ergänzungsbande „Zur jüngsten deutschen Vergangenheit" tB. 2 Hälfte 2 S. 87 u. 88) über die Reformation und die Großtaten Luthers die schönen Worte geschrieben: Die Spannung zwischen bestehender Kirche und fortschreitender Frömmigkeit war zu groß, um durch einfache Fort bildung des Bestehenden überbrückt zu werden. Und ist dies die richtige Erklärung: was hat dann die allzugroße Spannung verschuldet? Man wird dafür halten müssen, daß es neben dem sittlichen und wirtschaftlichen Berfall der alten Kirche, gegen den sich die Borbeweaung sHon der großen Konzilien wandte, vornehmlich doch die zuweitgehende Ratio nalisierung des Wesens der alten Frömmigkeit ge- wesen ist, wie sie sich in der Scholastik und in dem von ihr durchgcbildeten Dogma vollzogen hatte: Gegen diese wandte sich eine neue, reinere Form der Frömmigkeit, ohne zu ihr noch ein inneres Verhält nis finden zu können. Wir Protestanten erwarten nicht von der römischen Kurie und dem jeweiligen Papste, daß sie zu einer solchen Höhe weltgeschicht- Betrachtung sich auffchwingen. aber was wir zu ver- langen berechtigt sind, ist Takt und vornehme Gesin. nung, Achtung derForm gegenüber dem Gegner und die unter Gebildeten geltende feine Lebensart. Die Borromäus - Enzyklika ist nicht anders als ein« durch nichts provozierte Ar.rempelung zu bezeichnen.
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