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Ein illustrirtes Fachjournal für die Wollen-, Baumwollen-, Seiden-, Leinen-, Hanf- und Jute-Industrie sowie für den Textil-Maschinenbau; Spinnerei, Weberei, Wirkerei, Stickerei, Färberei, Druckerei, Bleicherei und Appretur. Redaktion, Expedition u. Verlag: ————Fernsprech-Anschluss: No. 1058. Le i PI i g , Bromine*u'asseo, Chefredakteur und Eigenthümer: Theodor Martin. Ecke Johannis-Allee. vuoixv o Textilmartin, Leipzig. Organ der Organ der Sächsischen Textil-Berufsgenossenschaft. Norddeutschen Textil-Berufsgenossenschaft. Organ der Vereinigung Sächsischer Spinnerei-Besitzer. M 1. XX. Jahrgang. Nachdruck, soweit nicht untersagt, ist nur mit vollständiger Quellenangabe gestattet. Leipzig, Redaktionsschluß: 31. Januar 1905. Zur Warenhausfrage. [Nachdruck verboten.] Die vor kurzem neu begründete „Mittel standspartei“, eine im wesentlichen aus Hand werker- und Kleingewerbtreibenden zusammen gebraute Partei, die den altbekannten Mittel standsforderungen zwar keine größere Klarheit, dafür aber größeren Nachdruck zu verleihen hofft, diese neue, zur notwendigen Konzentration unsres politischen Lebens wohl kaum beitragende Partei der unbefriedigten wirtschaftlichen Mittelmäßig keit, gedenkt auch die Warenhausdebatte aus ihrer latenten Agitationskraft zu neuem Leben zu erwecken. Auf der anderen Seite aber regen sich auch der Stimmen immer mehr, welche zu nächst ruhiges Abwarten fordern, nicht etwa, weil sie die reichliche Portion Talmi verkennen, die sich hinter den prunkhaften Außenfassaden bei der überwiegenden Mehrheit der in den letzten Jahren als lockendes Betätigungsfeld spekulativen Handelskapitals flott gegründeten Warenhäuser dürftig genug verbirgt. Aber diese besonneneren Kreise, die sich übrigens auch zum guten Teil aus dem zunächst be drohten Detaillistenstande rekrutiren, über blicken die bisherigen Versuche, der Hydra „Warenhaus“ zu Leibe zu gehen, und sie sagen sich daraufhin nicht ohne sehr triftige Gründe, daß die seitherigen Praeventivmittel doch noch recht viel, wenn nicht alles zu wünschen übrig lassen. Sie sind Musik geblieben zur Beruhigung aufgeregter Mittelstandspolitiker, aber eine Musik, die für geschultere Sinne des Taktes, der Kraft und selbst der Melodie entbehrte. Und was man von den Hornisten der neuen Partei bisher vernahm, läßt ihre größere musi kalische Befähigung vorläufig noch recht sehr in Zweifel ziehen. Für die Textilindustrie aber liegt kein geringes Interesse vor, wie dieser Kampf sich entwickelt und welchen Ausgang er nimmt, (Originalbeitrag von Dr. S. Tschierschky.) denn ihre Produkte sind es qualitativ und quantitativ in erster Linie, um deren Absatz es sich hier dreht. Auch in den Kreisen der deutschen Textil warenfabrikanten begegnen wir keineswegs einem klaren eindeutigen Urteil, aber natürlich nicht etwa infolge subjektiver Urteilslosigkeit dieser Kreise. Der Grund der Unklarheit in der ganzen Waren- hausdebatte, der Grund für die so ungleiche Be wertung derselben, der Grund namentlich auch für die unklare und wechselnde Stellung der nächst interessierten Fabrikanten- und Detaillistenkreise scheint mir einzig und allein darin zu liegen, daß dieses Ding an sich, um das sich der ganze Kampf dreht, dieses Waren- oder Kauf haus, dieser Großbazar oder dieses Großmagazin, in einer so wandlungsreichen Form sich uns dar stellt, daß man es gar nicht so leicht am rechten Ende zu packen kriegt. Ich versäume niemals, wenn mich der Weg zur Reichskapitale führt, keinen geringen Teil meiner freien Zeit bei Wertheim zuzubringen, dessen sich ständig vergrößernder Riesenpalast ebenso, wie das neue Herrenhaus dem Pots damerviertel, der Leipziger Straße das Gepräge weltstädtischer Monumentalbauten verleiht. Ich betrachte es als Genuß, durch einen solchen Jahrmarkt von Verkaufsständen hindurchzuwan dern, durch einen Jahrmarkt im besten Sinne des Wortes, der mir eine seltene Gelegenheit bietet, die Erzeugnisse der Weltindustrie in den ver schiedensten Qualitätsstufen vergleichend zu prüfen. Ich bewundere das Organisationstalent dieser kapitalistischen Unternehmung, die es zu Wege bringt, auf immerhin beschränktem Raum einen Millionenumsatz zu schaffen und gleich zeitig einen so hohen Grad auch künstlerischen Genusses durch die Riesenräume zu verbreiten, sodaß scheinbar das Ganze nicht mehr dem Zwecke des Kundenfanges, sondern dem Behagen des Besuchers gewidmet ist. Und in der Tat, man besuche Wertheim vormittags zwischen 11 und 12 Uhr und nachmittags um die Tee stunde, und man wird über die Qualität der drängenden, aber trotzdem bequem schlen dernden Massen staunen. Natürlich bilde ich mir nicht ein, bei Wertheim billiger bedient zu werden, als in einem guten Spezialgeschäft, ja ich rechne immer mit der Notwendigkeit, für eine größere Auswahl und apartere Sachen das letztere vorziehen zu müssen. Wertheim hat eben — und deswegen ist er als Beispiel typisch — den landläufigen zweifelhaften Ruf des Warenhauses längst eingebüßt ; was man von ihm erwartet, ist einzig, in unerreicht viel seitiger reeller Weise, d. h. zu angemessenen, vielfach immerhin nur im Wege eines so riesen haften Betriebes möglichen Preisen bedient zu werden. Wertheim ist für Deutschland offenbar zu nächst der Gipfel der Entwicklung, ihm streben die Tietz, die Schmoller, und wie die Warenhaus pioniere alle heißen, nach; erreichen, scheint es, werden sie ihn nie. Schon darum nicht, weil es keine zweite solche Lage an der Pforte von Berlin W. gibt. Der Tenor, das ganze Geschäfts parfum ist bei Wertheim eben ganz anders, feiner', als sonst in Warenhäusern. Aber von diesem Gipfel herab erstreckt sich dann über diese Tietz, Schmoller eine lange absteigende Kurve, die schließlich in einem Gewimmel von Bazaren endigt, über deren wirtschaftlichen Wert ebenso wenig noch Zweifel erlaubt sind, wie sieh ihre mehr oder minder bedenkliche kaufmännische Technik in ihrem ganzen inneren und äußeren Auftreten bloßstellt. Vernünftige Mittelstandspolitiker werden niemals die Donquichotterie eines Feldzuges