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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 22.02.1910
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1910-02-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19100222015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1910022201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1910022201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-02
- Tag 1910-02-22
-
Monat
1910-02
-
Jahr
1910
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Amtsblatt des Aates und des Nolizeiamtes der Stadt Leipzig. Anzeigen-^rciS rSr Inserate au« Leipzig un» Umgebung di, tzgeipaltene SO mm breite Petir^ile 2S »i, die 74 mm breite SicNamezeile > von auswärts liO Reklamen l.20 Inserate von Behörden -m amtlichen Teil die 74 mm breite Petitzelle 40 SeschäftSan,eigen mir B atzvorschristea und in der Adendau»tzab« im Preise erhSbt. Rabatt nach Tarii. Bcilagegedübr ü p. Tauseno exkl. Postgebühr. Fester«eilte Au'träge können mcht zurück gezogen werden. Für da» ilrschcinen an bestimmten Tagen und Plätzen wird keine Saranti« bbernommeu. Anzeigen.Annahme: AugustuSplatz 8, bei sämtlichen Filialen u. allen Annonceu- itxpeditionen de» In- und Ausländer. Pauvt-Siliale »erttu! 8ark Duncker, Herzog!. Bihr. Hosbuch- handlung, Lützowyiaße i0. lLeiephan VI, Nr. 4608). Haupt-Filiale Dresden: Seeslraße «, I (Telephon 4621). Nr. S2. Das Wichtigste. * Die Zweite Kammer erledigte am Montag einige Eisenbahn-Petitionen und überwies dabei die Petitionen um Bau einer Bahn von Borna nach Lausigk mit Anschluß an die Leipzig—Döbelner Linie der Regierung zur Erwägung. (S. Landtagsbericht.) * Der Reichstag hielt am Montag zum An ¬ denken an den verstorbenen Reichstagspräsidenlen Grafen Stolberg eine Trauersitzung ab und vertagte sich hierauf bis Mittwoch. (S. Reichs tagsbericht.) * Am heutigen Tage vollendet der sozialdemokra tische Reichstagsabgeordnete Bebel sein sieb zigstes Lebensjahr. (S. Leitartikel.) * Im Befinden des N e gu s M e n e l i k ist, wie aus Kairo depeschiert wird, eine erhebliche Verschlimmerung eingetreten. Das Ab leben soll nahe bevorstehen. * Die diesjährige Generalversammlung des Bundes derLandwirte fand am Mon tag in Berlin statt. (S. d. des. Art.) August Bebel. August Bebel, der heute 70 Jahre alt wird, hat einen unbestreitbaren Anspruch darauf, daß an diesem Tage von ihm die Rede ist. Ein Anspruch, der sich auf die politische Bedeutung des Siebzigjährigen an der Spitze der deutschen Partei mit der zahlreichsten Wählerschaft stützt, der ferner gerechtfertigt wird durch die geistigen Qualitäten Bebels, durch seine Persönlichleit und schließlich für ein Leipziger Blatt noch durch den bekannten Umstand, daß auf Bebels Lebensweg Leipzig jahrelang eine wichtige Station war, daß ihn bis in die letzte Zeit hinein politische und persönliche Berbindungen zu Leipzig in ein nahes Verhältnis brachten. Es ist schon im allgemeinen nicht leicht, dem politischen Gegner gerecht zu werden, es ist noch schwerer bei einem Mann wie Bebel, der sich den Todfeind der bürgerlichen Gesellschaft, den Todfeind unseres Staatswesens genannt hat. Wer die Schwierigkeit eines solchen Versuchs beurteilen will, muß sich der Urteile erinnern, die in der sozialdemokratischen Presse bei ähn lichen Gelegenheiten Uber bürgerliche Gegner gefällt worden sind. Wir brauchen nur den Namen Bismarck zu nennen, ohne im übrigen irgendwelche Parallele zwischen Bismarck und Bebel ziehen zu wollen, so haben wir ein Bei spiel, wie die sozialdemokratische Presse in völ liger Blindheit oder tendenziöser Entstellung einen Namen mit Schmähungen zuzudecken ver sucht, auf daß die gegängelte Genossenschaft seines Geistes keinen Hauch zu verspüren be komme. Dieses Verfahren soll uns indessen nicht zu ähnlichen Entgleisungen verleiten, sondern es sei versucht, ein Bild des Mannes zu geben, wie cs sich dem bürgerlichen Gegner darstellt, den das Bewußtsein seiner politischen Gegner schaft bei jeder Zeile die Zeichnung korrigieren läßt. August Bebels kaum mittelgroße Gestalt präsentiert sich dem Beschauer in der klugen Schlichtheit, die dem Argusblick der Genossen die wenigsten Räsonierpunkte bietet. Bebel zeigt sich nie anders, als der Kleinbürger Sonntags nachmittags sich zu zeigen pflegt. In diesem schlichten Wesen wie in seiner Hand werkerlichen Vergangenheit ruht nicht zum wenigsten die Stärke seiner Kraft. Das ewig wache Mißtrauen würde einem früheren Akade miker innerhalb der Partei kaum je eine ähn liche Stellung gestatten, wie sie Bebel innehat. Erst dem greisen Liebknecht verzieh man einiger maßen seine Aktivität in einem Korps, und auch ihm wohl nur deshalb, weil er sich in kleinen Äußerlichkeiten geschickt den proletarischen Ge wohnheiten zu nähern verstand. MitwelchemMiß- trauen die übrigen Akademiker der Partei zu kämpfen haben, ist wohl allgemein bekannt. Auch den ärgsten Zweifler würde die Lektüre des offi ziellen Berichts über den Dresdner Parteitag in dieser Hinsicht bekehren. Bebel ist wohl der einzige Führer der deutschen Sozial demokratie gewesen, an den sich das Miß trauen der. Genossen in den langen Jahren seiner politischen Führerschaft so gut wie gar nicht herangewagt hat. Selbst die von ihm bis zum ärgsten gereizten revisionistischen Genossen aus dem schon erwähnten Dresdner Dlenstsg, üen 22. /evrusr l910. 104. Jahrgang. Tage leiteten ihre Kampfreden mit einer Ver- > beugung vor dem mächtigen Oberhaupte der I Partei ein. Ihm hat man so ziemlich das I Aergste verziehen, die Wohlhabenheit, die er I sich als sozialdemokratischer Autor zusammen- I geschrieben hat, und die im wesentlichen auf I seinem heute wohl nur noch kultur-dokumen tarischen Wert besitzenden Buch „Die Frau" I beruht. Eine der Quellen seiner Kraft haben wir schon erwähnt. Es ist seine proletarische Ab stammung, seine handwerkerliche Vergangenheit. Eine weitere ist die Zahl seiner Gefängnis strafen, mit der zu kokettieren er nicht gern unterläßt. Aber schließlich hätte doch das alles nur günstige Vorbedingungen für die Führer schaft gegeben, das Wichtigste mußte er selbst dazu tun: seine geistige Bedeutung. Bebel hat zum theoretischen Ausbau der sozialdemokratischen Lehre so gut wie nichts beigetragen. Er ist kein Denker; er ist heute noch nicht über Marx hinaus, hat ihn nicht entwickelt, hat im Gegen teil die Entwickelung nach Möglichkeit zu hemmen versucht. In allen diesen Dingen hat er sich durch nichts ausgezeichnet, als durch starkes Be tonen des Dogmas, und es ist sicher, daß ohne die körperlichen Schwächeanfälle Bebels in den allerletzten paar Jahren die Risse in der Partei zwischen den strengen Marxisten und den Re visionisten noch viel tiefer geworden wären, und daß ein äußerliches Arrangement zwischen den beiden großen Strömungen innerhalb der deutschen Sozialistenpartei ohne Bebels zeit weilige Reserve kaum möglich gewesen wäre. In der Orthodoxie seines politischen Glaubens kann aber unmöglich seine Bedeutung beruhen, j Er ist in der Tat weit stärker in der Agitation wie überhaupt in der Praxis der politischen Parteiführung, denn als Theoretiker. Bebels Einfluß und seine Stellung in der Partei ist untrennbar verbunden mit seinen rednerischen Erfolgen. Bebel in früheren Jahren reden zu hören, war ein ästhetisches Ver gnügen, und es ist bemerkenswert, daß vielfach seine Volksreden bedeutender waren als seine Parlamentsreden. Die Fähigkeit eines großen Redners, die schwierigsten Begriffe auf die ein fachste rednerische Formel zurückzuführen, besitzt Bebel in ganz hohem Maße. Zwar vermeidet er nicht etwa die Fremdworte in jeder Gestalt, sondern er arbeitet ganz ruhig mit den bei seiner Hörerschaft fest eingebürgerten fremd sprachlichen Begriffen, wie Kollektivismus, Sozialismus, aber er gibt diese Begriffe nur in Verbindung mit greifbaren Tatsachen, die ihre Bedeutung ganz klar werden lasten. Bebel beginnt seine Reden in wenig gehobenem Ton, spricht stark akzentuiert mit künstlich verhaltener Erregung, wie er überhaupt zu den kalten Fana tikern gehört. Nach manchmal langen und nicht immer sehr unterhaltenden Ausführungen packt er plötzlich das ganze Thema in scharf formulierte, kurze Sätze zusammen, schleudert sie mit großer Wucht in die atemlos lauschende Maste und peitscht dadurch die Gefühle der Hörer im Moment zu gewaltiger Leidenschaft. Diesen Ausbrüchen des rhetorischen Temperaments folgt der stürmische Beifall der Menge so sicher wie die Explosion der Patrone auf den harten Schlag. Man hat das deutliche Gefühl, daß das Auditorium völlig in der Gewalt des Redners ist, daß er mit ihm machen kann, was er will. Im Parlament, wo das Plenum doch'nicht nur aus Genossen besteht, wo schärfere Kritik Ge danken und Gefühle reguliert, und wo Gewöh nung die Motionen abstumpft, war die Gewalt der Bebelschen Rede wohl nie ganz so groß. Aber sie blieb auch da groß genug, um die allgemeine Aufmerksamkeit zu fesseln, um stellen weise die schärfste Abwehr hervorzurufen, und um überhaupt den Verhandlungen Bewegung und Höhe zu geben. Ein Vorzug Bebels als Redner ist seine Fähigkeit, aus dem Detail sofort den Schluß aufs Ganze zu ziehen und so den Zusammenhang mit der großen Politik herzustellen. Mit Ausnahme der allerletzten Jahre, die ihn nur noch sehr selten am Rednerpult sahen, gab Bebels Auf treten einer Reichstagssttzung meist ein beson deres Gepräge, wie denn überhaupt nicht zu bestreiten ist, daß er zu den begabtesten Rednern des Parlaments gehört. Geradezu klassisch sind häufig seine persönlichen Bemerkungen nach Schluß der Debatte, die ihn als Meister in der Beschränkung zeigen. Wer schaudernd erlebt hat, wie häufig sich sonst ganz tüchtige Sprecher bei solchen Gelegenheiten in endlosen Aus führungen verstricken, so daß sie nicht zum Ende gelangen können, der wird gerade diese Fähig keit Bebels richtig schätzen. Der Autoditakt Bebel verfügt über ein achtenswertes Wissen, das freilich in formaler Beziehung manchmal auch billigen Ansprüchen nicht genügt. Es macht ihm gelegentlich nichts aus, Kothurn und Katheder glatt zu verwechseln, und auf sprachliche Korrektheit legt er nicht immer Wert. Aber das sind Schön heitsfehler, die gegen den gedanklichen Inhalt das eigene Urteil, das positive Wissen in den Reden Bebels verschwinden, so daß das Ee- samturteil über Bebel als Redner nur mit einer ersten Note gerecht zu erteilen ist. Daß sein Parteistandpunkt Bebel nicht zur Höhe des modernen Kulturideals emporsteigen läßt, dessen erste Eigenschaft der Wille zur objektiven Würdigung auch des Gegners ist, wird wohl selbst von seinen eifrigsten Freunden nicht be stritten werden. Wie im großen und ganzen verdunkeln auch hier die Leidenschaften seinen Blick, und es hat manchmal lange genug gedauert, bis er seiner Voreingenommenheit die Pflicht des Anstandes dem Gegner gegen über in dem Bekenntnis eignen Fehlens ab gerungen hat. Aber meistens hat er doch über ' seine Leidenschaft auch hier gesiegt und sich da durch erst recht den Respekt seiner Gegner erobert. Bebels Lebenslauf ist von Arbeit erfüllt gewesen, und der Siebzigjährige mag heute mit Genugtuung auf die Entwicklung der sozial demokratischen Partei blicken, die in vielen Punkten seine eigne Entwicklung markiert. Er wird nicht erwarten, daß der Staat, daß die bürgerliche Gesellschaft, daß der bürgerliche Politiker ihm, dem Destrukteur, Lorbeerkränze winde. Aber es ist sicher ein großer und ein schöner Erfolg, daß ihm an diesem Tage wohl von keiner Seite ein Wort der Verachtung oder auch nur der Herabsetzung entgegenschallen wird, daß im Gegenteil wohl überall die Anerkennung der Geschlossenheit dieser Persönlichkeit, der ehr lichen Arbeit und des ehrlichen Wollens ihm begegnet. * Level in Leipzig. Am 22. Februar 1840, also heute vor 70 Jahren, wurde der Sozialistenführer August Bebel als der Sohn eines preußischen Unteroffiziers in der Kase matte zu Deutz geboren. Und damit der Ironie, die hierin liegt, kein bißchen fehle, so war auch sein Taufpate, oer Zwillingsbruder des Vaters, ein Kgl. Preußischer Unteroffizier. Also ein Soldatenkind durch und durch. Auch seine ersten Lebensjahre ver flossen in der Kaserne, und es wäre Bebel später in das Militärwaisenhaus zu Potsdam eingetreten und würde nicht nur wahrscheinlich, sondern ganz sicher nach erlangtem Zioil-Nersorgungsjchein irgendwo die Stelle eines Subalternbeamten bekleidet haben, wenn er nicht auf Grund ärztlicher Untersuchung als körper lich zu schwach befunden wurde. So ist lener unter suchende Arzt die Ursache, daß in Bebel, der schließ lich als einziger seiner Geschwister am Leben blieb, dem monarchischen Prinzip und der bürgerlichen Ge sellschaft ein so grimmer Feind erstand. Es war in Wetzlar, wo Bebel, der damals schon zur Waise geworden war, das Drechslerhand- merk erlernte. Von dort aus begab er sich im Früh jahr 1858 auf die Wanderschaft, arbeitete in verschie denen Städten szuletzt in Salzburg) und kehrte nach zwei Jahren wieder nach Wetzlar zurück. Er arbeitete zunächst in Butzbach. Einige Schulfreunde veranlaß ten ihn, mit nach Leipzig zu wandern. Hier traf er am 7. Mai 1860 ein. Er fand Arbeit bei dem Drechslermeister Hahn in der Tauchaer Straße und es verging fast ein Jahr, ehe der immer noch blutjunge Mensch an ein Ein treten in das öffentliche Leben denkt. Da liest er eines Tages in der „Mitteldeutschen Volkszeitung", daß am 19. Februar 1861 im Wiener Saal feinst in der Nähe des Rosentales gelegen) eine Volksver sammlung zur Gründung eines Bildungsver- eins stattsinden sollte. Jene Versammlung, die von der Polytechnischen Gesellschaft einberufen wor den war, war die erste öffentliche Versammlung, der Bebel beiwohnte. In dem Verein, dem er sofort beitrat, lernte er Männer wie Hirzel, Roß- mäßler, Wuttke und Böck, aber auch Fritzsche unv Dahlteich kennen. Als die beiden letzteren nach etwas mehr als einem Jahre an der Spitze der radikalen Elemente ausschieden und *,en Verein „Vorwärts" begründeten, blieb Bebel bei den Gemäßigten. Erst 1865 näherten sich wieder beide Vereine: der „Gewerbliche Bildungsverein" I und der „Vorwärts" gingen auf in dem bekannten „A rbr i te rb i ldu n a s ve re in". Dieser erhielt eine jährliche städtische Unterstützung von I 500 Talern: sie wurde später auf 200 Täler herab gesetzt, aber ganz entzogen, als sich der Verein 1869 I der zu Eisenach begründeten „Sozialdemokratischen l Arbeiternartei" answloß. Die Wandlung hatte Bebel nicht nur mitgemacht, I sondern er gehörte wohl ganz hauptsächlich zu denen, die sie veranlaßten. Allerdings war er zu dieser veränderten Stellungnahme nicht ganz ohne äußere Einflüsse gekommen. Lassalles Erscheinen in Leipzig (1864) und auch die damalige Gründung des „Allge meinen deutschen Arbeitervereins" hatten freilich keinen erheblichen Eindruck auf ihn gemacht. Aber die Bekanntschaft mit Liebknecht, der im Juli 1865 aus Berlin ausgewiesen wurde und Anfang August nach Leipzig kam, wurde für ihn entscheidend. Daß Bebel damals schon auf dem Wege war, Sozialist zu werden, mag seine Richtigkeit haben. Zu einem ausgeprägten Parteiführer machte ihn jedoch erst der Umgang mit Liebknecht, der bis zu dessen Lebens ende (1900) währte. Ein „waschechter" Sozialist war Bebel um diese Zeit noch nicht; jedenfalls rechnete er sich noch 1867, als er im Februar und im August von dem Wahl kreis Glauchau-Meerane in den Norddeutschen Reichs tag geschickt wurde, wie alle Angehörigen der damals bestehenden Sächsischen Volkspartei, mehr den Demo kraten, oder auch, wenn man so sagen will, den Re publikanern zu. Aber aus dem Nürnberger Arbeiter vereinstag im September 1868 erfolgte das offene Hinübergleiten ins sozialdemokratische Fahrwasser, das 1869 zu der schon erwähnten Gründung der Eisenacher Partei führte. An dieser Stelle seil uns jedoch weniger Bebels politisches Wirten, als vielmehr das persönliche Ver hältnis, das ihn mit Leipzig verknüpfte, beschäftige.!. Im Jahre 1866 dachte er daran, sich selbständig zu machen. Sein Meister, dem etwas davon zu Ohren gekommen sein mochte, kündigte ihm daraus, und Bebel errichtete nun Anfang 1864 im Hofe der „Drei Könige" (Petersstraße) eine „eigene Werkstatt". Sie war aus einem Pferdestall zu einem Arbeitsraum um geschaffen worden. Da er das zur Naturalisation nötige Geld nicht besaß, so betrieb er sein Geschäft unter der Firma eines befreundeten Bürgers Erst als er sich 1866 verheiratete, ließ er sich naturalisieren und erwarb das Bürgerrecht. Im Adreßbuch von 1867 war zum ersten Male sein Name aufgeführt. Seine Tätigkeit — er fertigte Tür- und Fenster griffe aus Büftelhorn — war halb seinem Geschäfte, zur anderen Hälfte aber öffentlichen Angelegenheiten, d. h. alsbald der sozialdemokratischen Partei gewid met. Unter diesen Umständen wollte es mit dem Ge schäfte nicht recht vorwärts gehen und er dachte schon daran, im Jahre 1874 sein Geschäft, das zudem als Handbetrieb mit anderen Fabrikbetrieben nicht mehr gleichen Schritt halten konnte, auszugeben und in eine Parteistellung zu treten, als er in der Person eines Parteigenossen, des Kaufmanns Ferd. Jßlcib in Berka a. W., einen Sozius fand. Gemeinsam mi: diesem begründete er 1876 die Firma Iß leib k Bebel, die in ihrer Branche auch außerhalb Leipzigs weitverbreitetes Ansehen genoß. Jstleib, ein statt licher Mann von vornehmem Aeußeren, mit langem rötlichen Bart, dürfte heute noch, nachdem er wob! schon ein Jahrzehnt tor ist, vielen Leipzigern in der Erinnerung sein. Wer übrigens denkt, daß Bebel über die Partei sein Geschäft vernachlässigte, irrt sich sehr. In den ersten Jahren — dis sein Assocft- ein- geweiht war — beaufsichtigte er die Arbeiten, später wurde seine Haupttätigkeit die Kunden auszusuchen, und in dem Verhältnis eines Reisenden verblieb er auch nach seiner auf Grund des sog. kleinen Belage rungszustandes erfolgten Ausweisung aus Leipzig (1881) bis zum Jahre 1889. Von da ab widmete er sich ganz der Schriftstellerei. Daß Bebel am Orte seines Wohnsitzes auch als Reichstagskandidat austrat, versteht sich am Ende von selbst. Von 1871 ab bis 1890 kandidierte er in acht Hauptwahlen und einer Nachwahl, denen sich noch zwei Stichwahlen (1881 und 1890) anschlosien. Später hat er nicht mehr kandidiert, da nach den Be schlüssen der Parteitage niemand in mehr als einem aussichtsreichen Wahlkreise kandidieren sollte, Bebel aber längst in einem Hamburger Wahlkreise eine ge sicherte Vertretuiig für den Reichstag gefunden hatte. Seit fast 20 Jahren hat Beoel Leipzig verlassen. Erst hat er sicherlich gemeint, daß die erzwungene Ab Wesenheit nur eine vorübergehende sein werde. Aber sie wahrte länger, als er dachte, und als er hätte zurückkehren können, da schlug er anderwärts, in Ver lin, dem Brennpunkte des politischen Lebens in Deutschland, sein Domizil auf. Dort lebt er, politisch und schriftstellerisch wirkend. Seinem letzten Werke „Aus meinem Leben" sind manche Angaben des vor stehenden Aufsatzes entnommen. Ob sein Name in der Geschichte dem eines Lassalle gleichgestellt werden wird, läßt sich heute nicht entscheiden. Seine Tätig keit für die Partei hat aber jene des ersten Agitators bei weitem übertroffen, nicht bloß in der Zahl der Jahre, sondern auch in den Erfolgen. H. la Lhsnterler. Vielleicht wird Edmond Rostand über seinen jüngsten Sieg in der Porte Saint-Martin, den er jo sorgsam mit vorbereiten half, jetzt selbst ein wenig lächeln, wenn er zusieht, wie „Chantecler", der Viel gepriesene, so recht eigentlich der Hahn im Korbe — der Modedamen geworden ist. Sein „Kokoriko!" hat nicht allein die Moderegisseure an der Seine ver wirrt: die Modediktatoren in Regent Street und Piccadilly an der Themse haben sich den Hahnschrei übersetzt und denken sich krampfhaft jede Beziehung aus, die auch eine englische Lady zu einem veritadlen Hühnersteig haben könnte. Und man weiß noch nicht, ob sich Chantecler bloß auf die beiden Reiche der Entente cordiale wird beschränken wollen. Unter den Modedamen in ganz Europa wird sich zum Beginn der Frühjahrssaison vielleicht ein internationales Hahnengeschrei erheben. Die Polinnen werden „Cucurlcu"-Hüte tragen. Die Schönsten unter den Deutschen stimmen ihre Gewänder auf „Kikeriki". Selbst der selbstbewußte Rostand hat es nicht geahnt, daß seine Verse mit solch inspirativer Kraft zünden werden. Man trägt zunächst den großen Hut L la Chante cler: den Hühnersteigkut, als ein Symbol des stolzen, siegreich krähenden unv doch von zarter Hand gefangen gesetzten Hahnes. Fasanenfederrronen von ungeheu ren Dimensionen über dem kleinsten Köpfchen, und zwischen den Kronteilen Rostands triumphierendes
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