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Freitag, den 18. October Anzeiger und Glbebtatt für Riesa, Strehla und deren Umgegend. Wochtnschrisl WM zur Belehrung und Unterhaltung. 84. Freitag, den 18. Oktober 1850. DerSiredeHanau. (Erzählung au- dem XVU. Jahrhundert.) Nach Henry de SauclivreS, deutsch von H. (Fortsetzung.) In diesem Augenblicke näherten sich dem jun gen Manne zwei Nonnen. „Der Herr sei mit Euch, meine Schwestern," sagte er zu ihnen. „Amen," anworteten die Nonnen. „Die Regel Eures Klosters scheint nicht sehr streng zu sein, da sie Euch erlaubt, bei diesem weltlichen Feste zu erscheinen?" „Wir sind auf einer Wallfahrt begriffen, un sere Sendung ist die, arme Seelen zu retten und arme Sünder zu Gott zurück zu führen. Nebmt dieß Meßbuch, betrachtet es und thut Buße." Mit diesen Worten überreichte ihm eine der Nonnen ein elegantes, in Sammet gebundnes Gebet buch; dann verschwanden sie selbander in der Menge. „Die Jntrigue verbirgt sich sogar unter dem Mantel der Religion; selbst dieses heilige Gewand wird zum Ballputz entweiht," murmelte der Greis zwischen den Zähnen. „Meiner Treu, Du hast Recht, alter weißhaa riger Prophet, denn in diesem heiligen Buche be merke ich ein duftendes Billet. Lebe wohl, mein alter Mentor, ich verlasse Dich. Ein solches Bil let muß gelesen werden, wenn man allein ist; aber sei ruhig, ich verspreche Dir, wen» dieß eine Lie besbotschaft ist, wieder zu kommen und Dir mein Glück zu erzählen; sollte es aber eine Botschaft sein, welche mich zum Kampsplatze ruft, Dich um Deinen Arm und Deine Freundschaft zu bitten." Der Greis suchte vergebens, ihn zurück zu halten; dann that er einen mächtigen Zug und murmelte: „Geh', junger Thor, und verbrenne Dir die Flügel an der Flamme der Liebe und des Vergnügens, während Dein Feind im Dunkel schleichend, die Schlinge legt, in die Du fallen mußt!" Die Kühle der Nacht hatte die Spaziergänger aus deut Garten verjagt. Ein einziger Mann durcheilte vorsichtig die Schallen der Linden in der großen Allee, welche «ur durch einige hie und da angebrachte Fackeln erhellt wurde, deren dü- ftes rothes Licht die Dunkelheit der umgebenden Orte noch greller hervor hob. Unser Spaziergän ger war in einen braunem Mantel gehüllt, sei» Hut ganz über das Gesicht gezogen. Bei eine» kleine», fast ganz in einer Hecke verborgenen Pa villon angekommen, zog er ein Papierblättchen aus der Tasche und trat an eine der Fackeln heran. „Hier ist es," sagte er, nachdem er eS durch lesen, „der kleine Pavillon rechts'am Ende des Gartens. Wer zum Teufel kann mir ein Rende^ vouS an diesem einsamen Platze geben wollen? Es ist das zweite, was ich heute habe. Wollen doch einmal sehen!" Bald stürzte eine junge Frau in den KioSk und rief mit bewegter Stimme: „Um Gotteswillen geht nicht zu dem Rendez vous, welches man Euch heute Nacht auf dem Balle geben will .... es gilt Euer Leben!" Bei dem Klange dieser Stimme bebte das Herz des jungen Mannes, denn sic war ihm nicht unbekannt: aber die Dunkelheit verhinderte ihn die Gestalt welche gesprochen hatte, zu erkenne», und als er seine Zweifel heben wollte, ertönte das Geräusch der Tritte von zwei Personen, welche sich dem Kiosk näherten. „Ich bin verloren, wenn man uns sieht," rief die junge Frau, ich beschwöre Euch, sucht Ret tung und was auch geschehen mag, vergeßt m««e Worte, vergeßt meine flehentliche Bitte nicht!" Dann verschwand sie rasch. Die Schritte näherten sich immer mehr und mehr. Der jung« Mann hatte kaum Zeit, durch ein Fenster zu sprin gen und sich hinter einen dicken Baum zu verber gen; von hier aus vernahm sein lauschende» Ohr folgendes Zwiegespräch: „Ich sage Euch, ich bin ganz gewiß» auf die-, ser Selle sprechen gehört zu haben..... «er kann zu dieser Stunde in diese» entlegenen Pa villon kommen, während alle Welt in den Sa lons ist?"