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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 16.05.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-05-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19050516022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1905051602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1905051602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-05
- Tag 1905-05-16
-
Monat
1905-05
-
Jahr
1905
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BezugS-PreiS i» tz« od« der« Lrr»qab»> stell« abgrhslt: vierteljährlich 8.—, bei zweimaliger täglicher Zostelliog tu» Hau» 8.7L. Durch dir Post bezog« für Deutsch land a. Oesterreich vierteljährlich LLO, sür die übrig« Länder laut AettungspreiSliste. Liese Rm»»« «siel - tN k auf all« Bahnhvfm >»d III ^1 bet den Zettuogr-Berkäufe« V fs Artzatti«» Er»eZttteui 123 Fernsprecher 222 Johanntsgafs« 8. Haupt-Filiale LreSVe«: Marirnstraße 84 (Fernsprecher Amt I Nr. 1713). Haupd-Ftltale verlt«: LarlDnncker, tzerza UBayr^ofbuchvandlg, Lützowstraß« 10 (Fernivrechrr Amt VI Nr. 4603). Abend-Ausgabe. MMr.TaMM Handelszeituug. Amtsblatt -es ÄSnigl. Land- und -es KSnigl. Amtsgerichtes Leipzig, -es Aates nnv -es Nolizeiamtes -er Lta-t Leipjig. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 2L Familien- und Stellen-Anzeigen 20 Finanzielle Anzeigen, iSeschüftSanzeig« unter Text oder an besonderer Stelle nach Taris. Di« «gespaltene Sieklamezeil« 78^. Nuuahmeschlutz für Anzeigen: Abend-An-gabe: vormittag- 10 Uhr. Morgeu-Au-gabe: nachmittags 4 Uhr. vnzeig« find stet» an die Expedition zu richten. Ertra-Vetlagen (nur mit der Morgen- Ausgabe) nach besonderer Vereinbarung. Lte Erpedtltoa ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von G. Volz in Leipzig (Inh. vr. B„ R. L W. Kliukhardt). Herausgeber» vr. Victor Nliukhardt. Nr. 2i7 Dienstag den 16. Mai 1905. 99. Jahrgang. Var Wichtigste vom rage. * Nach einer Melduna der „Liberty" kündigte Graf Tattenbachfür einen der nächsten Tage dem franzö- fischen Gesandten Taillandier inHez seinen Be such an. * Im nordwestlichen Obersteiermark wurden letzte Nacht zwei Erd stöbe verspürt. (S. Letzte Nachr.) * Der Polenklub richtete an den Grafen G o - luchowski eine GIllckwunschadresse. * Der Konflikt, der zwischen Rumänien und der Türkei wegen der Verhaftung zweier rumänischer Beamten in Janina ausaebrochen war, ist durch Nachgiebigkeit Türkei behoben worden. (S. Ausland.) * Nach einer Meldung aus Saigon vereinigte sich Roschdjestwenskp nach seiner Ausfahrt auS der Honkohebai, 50 Seemeilen nördlich vom 10. Parallel kreis, mit dem Ergänzungsgeschwader des Admirals Nebogatow.» Vie Zchutrröllner imä Sie «Kutsche hanOelspolitilr. Die Dclegicrtenversammlung des Zentralverbandes Deutscher Industrieller, die kürzlich in Berlin stattfand, suchte den Zentralverband von dem Vorwurfe zu rei nigen. datz sein Eintreten für die agrarischen Fjorde- rungen dazu beigetragen habe, den für die Industrie so ungünstigen Ausfall der Handelsvertragsverhand- lungen herbeizuführen. Mit der Rechtfertigung des Zentralverbandes war der General-Sekretär Bueck be auftragt, der sich seiner Aufgabe auch zur Zufrieden heit der Delegierten erledigte, außerhalb des Kreises derselben und ihrer näheren freunde aber nicht auf Bei. fall rechnen darf. Nach dem Berichte der „Dtsch. In- dustrie-Ztg.", des Organes des Verbandes, betonte Herr Bueck wiederholt, daß der Zentralverband stets die Berücksichtigung des Gemeinwohles als oberstes Gesetz, als Grenze des Zulässigen vorangestellt hätte. Deshalb erklärte er, nachdem in den Caprivischen Handelsver trägen, ohne daß der Zentralvercin dagegen opponiert hätte, die Getreidezölle auf 3,50 Mark herabgesetzt war- den waren, diese Herabsetzung für einen großen Hehler, deshalb war er mit einem höheren Schutze der Land- wirtschaft einverstanden, deshalb sprach sich der Zentral- verband für die Einführung der Minimalzölle für Ge treide aus. Nach dem Zentralverband erheischt das Ge meinwohl hiernach hohe Getreidezölle, die sogar in Ge» stalt von Minimalzöllen festgelegt werden müssen, da mit die Regierung verhindert wird, in den Vertrags verhandlungen Konzessionen auf diesem Gebiete zu ge- währen. Daß neben hohen Getreidezöllen auch hohe Schutzzölle für die Industrieprodukte von den Rücksichten auf das Gemeinwohl erheischt werden, sagte Herr Bueck nicht, darin war er aber der Zustimmung seiner Zu hörer selbstverständlich ganz sicher. Ebenso schwieg er darüber, daß der Zentralverband bei den Agrariern die selbe Auffassung von dem «Gemeinwohl" voraussetzte und deshalb glaubte, die Agrarier würden ihm für sein Entgegenkommen außerordentlich dankbar sein. Aber auch als diese „in unglaublich feindseliger Weise" gegen die Industrie vorgingen. beharrte er auf seiner Hör- derung höherer Getreidezölle: daS Gemeinwohl ver langte sie ja. Ebensowenig machte ihn die schon lange vor der Beratung deS neuen Zolltarifs hervortretende Neigung der Regierung stutzig, bei der Neugestaltung der handelspolitischen Verhältnisse in erster Linie die Landwirtschaft zu berücksichtigen. Er arbeitete munter mit im Wirtschaftlichen Ausschüsse — noch heute ist er stolz darauf, daß dieser seiner, des Zentralverbands. Anregung seine Entstehung verdankt —, er sprach sich für die Annahme des Zolltarifs auS, seine Mitglieder, die im Reichstage saßen, stimmten dafür, und in seiner Presse und seinen Versammlungen wurden die Gegner der Handelspolitik der Regierung in derselben Weise angegriffen wie in der agrarischen Presse und in den agrarischen Versammlungen. Jetzt will der Zentralverband alles auf die Regie- rung abwälzen. Die Regierung hat die Grenze über schritten. sie hat den „angeblichen" agrarischen Inter essen nicht allein die Interessen der Industrie, sondern die weiterer Volkskreise geopfert. Die Regierung hat die Zölle auf Vieh und Fleisch, auf Mais. Gerste. Malz. Hopten und andere Erzeugnisse des Held- und Garten baues zum Teil „ungeheuerlich" erhöht und „auf den Gebieten der Grenzsperren und Seuchenkonventionen weitgehende Zugeständnisse" erzwungen, deren Kosten der Industrie auferlcgt worden sind. Also tragen nur die Agrarier und die Regierung die Schuld an den Helgen der handelspolitischen Aktion, die sich in der „Verteuerung des Verbrauchs" zeigen. Sollten die vom Zentralverband empfohlenen Minimal zölle. sollte der ganze neue Zolltarif, für dessen Annahme der Zentralverband sich ins Zeug legte, nicht etwa auch eine Verteuerung des Verbrauchs herbeiführen? Und konnte irgend ein vernünftiger Mensch glauben, daß die erhöhten Zölle auf landwirtschaftliche Produkte von den jenigen Vertragstaaten, die auf den Absatz der Erzeug nisse ihrer Landwirtschaft in Deutschland daS größte Gewicht legen müssen, durch den Abschluß neuer Ver träge sanktioniert werden würden, wenn nicht die deutsche Regierung weitgehende Zugeständnisse bei den Industriezöllen gewährte? Die Agarier haben keinen Augenblick daran gezweifelt, daß es nicht möglich sein würde: sie wollten die Industrie die Kosten bczah- len lassen. Der Zentralverband Deutscher Industrieller dagegen bat es geglaubt und ist hinterher entrüstet darüber, daß die Sache nicht so verlaufen ist, wie er es sich auSgedacht hatte. Daß er es nicht anerkennen will und die Schuld der Regierung zuzuschieben sucht, ändert aber nichts an der Tatsache, daß wir die ungünstigen Holgen der neuen Handelspolitik zum großen Teil dem kurzsichtigen Verhalten der im Zentralverbande Deut scher Industrieller organisierten Schubzöllner verdanken. Von dieser Schuld können sie sich nicht befreien, wenn sie auch noch so viel von ihrem Bestreben reden, nur dem Gemeinwohl zu dienen. ver rurrircd-japsnische Krieg. Nachrichten über Rosch-jeftwenrky. Nach einer Pariser Depesche aus Saigon ver- einigte sichNofchdjestwensky nach seiner Ausfahrt auS der Honkohe-Bai, fünfzig Seemeilen nördlich vom zehnten Parallelkreis mit dem Ergänzungs-Ge schwader des Admirals Nebogatow. — Ein Tele gramm des,,Daily Telegraph" behauptet, eS stehe fest, daß die baltrsche Hlotte auf französischem Ge biete eine Station für drahtlose Telegraphie errichtet hat und mit deren Hülfe Nachrichten über Saigon nach Petersburg gesandt werden. Signaltsirnng. Wie der „Daily Chroniclc" aus Hongkong vom 15. Mai meldet, sind auf der Höhe von Gaprock und Hongkong in vergangener Nacht 12 Kriegsschiffe gesichtet morden, deren Lichter verlöscht waren. Die Nationalität und Bestimmung der Schiffe blieb unbekannt. — Wie dem „Daily Telegraph" aus Lon don gemeldet wird, ist nach dem Bericht eines Dam pfers, der am 12. Mai hier angekommen ist. zwischen dem 8. und 11 Mai zwischen 8 und 11 Uhr morgens unter 33,45 Grad nördlicher Breite und 129,20 Grad östlicher Länge G e s ch ü tz f e u e r gehört» worden. In folge dos Nebels war aber die Aussicht be schränkt. Da» „Lchs -e pari»" meldet aus Petersburg. eS verlaute dort, Noschdjest- wensky sei durch Uobcrarbeitung erkrankt, der Admiral Alexejew solle nach Wladiwostok abreisen, um demnächst das Kommando über die Seestrcitkräfte zu übernehmen. Das Gerücht verdient wohl nicht den mindesten Glauben. Line Havarie. Der „Daily Telegraph" meldet auS Tokio vom 15. Mai: Während des Sturmes der hier mehrere Tage wütete, ist der Hülfskreuzer „Nekko Marn" auf der Höhe von Husan auf ein Riff aufge laufen. Drei Dampfer sind mit den Rettungsarbei ten beschäftigt. Jagd auf Kontrebanbe. Die „New Nork Preß" meldet, Admiral Kami- mura sei bemüht, für die Russen bestimmte Kontre- bande zu kapern. Er soll bisher vier Schiffsladungen mit Munition und Geschützen, die aus San Hrancisco abgingen, gekapert haben. Roschdje st wensky, dem es gelungen ist. Nahrungsmittel und Kohle zu er- halten, kann angeblich Geschütze und Munition nicht be- kommen. Man habe eine weitere Lieferung ab- bestellt, weil der japanische Informationsdienst gut bedient ist. Jir tlevHiuHuvg mit -en Frie-enroepefchen meldet der „Daily Telegraph", er erblicke in der uner warteten Ernennung des Barons v. Rosen zum rus. fischen Botschafter in Washington und der Kaltstel lung des Grafen Cassini in Madrid An- zeichen, die zu neuen Hoffnungen ermutigen könnten. Besonders sei die Abschiebung Cassinis, der immer die früheren Hriedensgerüchte in Abrede gestellt hat, nach Madrid, von besonderer Bedeutung. Herr v. Rosen habe sich in Tokio die Achtung und daS Ver trauen der Regierung des Mikados erworben. politische Tagesschau. Leipzig, 1k. Mai. Aendcrungen der Wehrorduuag. Die deutsche Wehrordnung hat verschiedene Aendcrungen erfahren. Von Bedeutung sind zunächst einige Bestimmun gen, die sich auf das Verhältnis des württemoergischen zum preußischen Kontingent beziehen. Es ist neu angeordnet, daß die Zahl der an das württembergiscke Kontingent auS den preußischen Kontingentsverwaltunasbezirken abzugebenden Rekruten durch das württembergische Krieasministermm bis zum 1. Mai jedes Jahres dem preußischen Kriegsministerium mitgeteilt wird. Dem Gesamtbedarf an Rekruten für das preußische Kontingent ist bei der Verteilung auf die Armee- torpsbezirke die Zahl der an daS württembergische Kontingent abzugebenden Rekruten zuzusetzen und der Gesamlbedarf an Rekruten für das württembergische Kontingent entsprechend zu kürzen. DeS weiteren haben die Bestimmungen über die Landwehrübungen andere Fassungen erhalten. Mannschaf ten der Landwehrinfanterie können nunmehr während der Dienstzeit in der Landwehr ersten Aufgebots zweimal zu Uebungen in besonderen, mit Mannschaften des Beurlaubten standes gebildeten Formationen auf 8 bis 14 Tage, vom Tage des Eintreffens beim Truppenteil an gerechnet, ein- berufen werden. Die Mannschaften der Landwehr ersten Aufgebots aller übrigen Waffengattungen üben in demselben Umfange wie die der Infanterie in besonderen Formationen oder im Anschluß an die Linientruppenteile. Neu ist die Anordnung, wonach die Zeit für die Uebungen der Personen bes Beurlaubtenstandes unter möglichster Berücksichtigung der Interessen der bürgerlichen Berufskreise, namentlich der Ernteverhältnisse, sestzustellen ist. Schließlich ist neu be stimmt, daß bei Anmusterung von Mannschaften des Beur laubtenstandes der Marine die in deren Besitz befindlichen Kriegsbeorderungen und Paßnotizen einzuzicyen und den kontrollierenden Bezirkskommandos zugleich mit der Mit teilung der erfolgten Anmusterung zu übersenden sind. Agrarische Vertrauenssorgen. „Die Forderungen der Landwirtschaft sind nicht erfüllt worden," sagte Dr. Hahn am Montag kühn und sechst- bewußt im preußischen Abgeordnetenhaus. Auf deniechen Ton ist auch ein »Festigung des Vertrauens'?" überschriebener Leitartikel der „Dtsch. Tgsztg." gestimmt, der in der be kannten agrarischen „Bescheidenheit" vom Grafen Bülow und seinen Beratern verlangt, sie sollten durch Taten das wankende Vertrauen der Agrarier zur Regierung wieder zu stützen suchen. Der Artikel beklagt bitter, daß der MeiswAünsti- gungsvertrag mit Argentinien deutscherseits nicht gekündigt worden ist und daß man auch über die Neugestaltung unserer Handelsbeziehungen zur nordamerikanischen Urnon nichts Zuverlässiges hört. Mehr noch schmerzt es die treuen agra rischen Herzen, daß die Regierung sich zum Antrag Kanitz aus Beschränkung der Getreweeinsuhr bis zum 1. Marz 1906 noch nicht Deutlich und entschieden" Nies: «stimmend) ge äußert hat. Wer dem Blatt ist ein süßer Trost geblieben, es meint nämlich: Die Regierung muß willen, wie unumgänglich not wendig solche Maßregeln sind, und sie muß die Pflicht empfinden, in zweckmäßiger Weise vorzMehen. Es ist uns auch von verschiedenen Seiten mitgeteilr worden, daß so wohl jene Einsicht als auch dieses Pflichtbewußvein vor handen sei. Demnach dürfen wir mit einigem Recht er warten, daß das Erforderliche rechtzeitig geschehe. - Daß die Regierung so vernünftig gewesen ist, bereits vor einiger Zeit den Antrag Kanitz als gegen Treu und Glauben verstoßend zu bezeichnen, haben die Getreuen Dr. Oerrels anscheinend vergessen oder es ficht sie augenblicklich weniger an, denn ihre Hauptsorge ist jetzt, bas Börsengesetz nicht zur Verabschiedung kommen zu lassen. Die Erleichterungen, die durch die Novelle geschaffen werden, „kann der Landwirt nicht verstehen, sie müssen ihn im höchsten Grade mißtrauisch machen", besonders wenn die Regierung das Gesetz „durch peitschen" will, während sie eS doch nach agrarischer Ansicht am besten zurückzöge. Daß dabei der Handel nicht gedeihen kann, ist ja für die Bündler völlig Nebensache, wenn nur ihr eigener Weizen recht schön blüht! Ebenso erbittert ist man in Bündlerkreisen, zu denen vorsichtigerweis« auch der städtische Mittelstand gerechnet wird, über die ablehnende Haltung der Regierung gegenüber den konservaliv-mittelstandlichen Vor schlägen für die Gestaltung der Warenhaussteuer. Das bringt die „Dtsch. Tgsztg." völlig auS dem Häuschen. Grimmig erklärt sie, zu Herrn Möller hätten di« Landwirte niemals Vertrauen gehabt, und das Blatt versucht nun, den Grafen Bülow gegen Möller scharf zu machen, indem es schreibt: Sie (die Landwirte) haben aber daS Vertrauen zudem Leiter der Reichspolitik und der preußischen Politik, daß er di« Gesetzgebung auch aus diesem Gebiete in Einklang bringe mit der Wandlung, die zugestandenermaßen durch die Neuen Handelsverträge begonnen oder doch in szeniert werden sollte. Mit einer kraftvollen Heimats politik, mit einer zielklaren Agrarpolitik, mit einer, wenn auch maßvollen, so doch wirksamen Mittelstandspolitik ist weder die Börsennovelle noch die Haltung des preußischen Reaierungsvertreters in der Warenhaussteuerfrage ver- «inbar. Glücklicherweise scheint die Regierung doch anderer Mei nung zu sein, als die Herren Bündler, denn offiziös wird mitgeteilt: Die Novelle zum Börsengesetz findet in der „Dtsch. Tgsztg." lebhaften Widerspruch, allein man wird er warten dürfen, daß die Mehrheit des Reichstages, so agrarisch sie ist, sich nickt in der unbefangenen Würdigung der Regierungsvorlage beirren lallen wird. Man wird sich erinnern müssen, daß die „Dtsck. Tgsztg." in gleicher Weise den Zolltarif von 1902 und den Antrag Kardorff durch den er zustande gebracht wurde, bekämpft hat, während man jetzt doch auch in den Kreisen deS Bundes der Landwirte mit der mrf der Grundlage jenes Zolltarifs geschaffenen Ge staltung unserer Zoll- nnd HandelSverhältnisse zum Aus- Feuilleton. L) And es erhob sich ein Sturm. Erzählung vonENsabethMöhring. Nachdruck verdat«. Wenn die Kinder sich nicht in der Wohnstube nebenan um den schäbigen Nest Torte balgten, würde Jes durch die Decke hören können, wie Frau Luise vor Vergnügen kreischt, da die Haube, deren Moment jetzt da ist, zu groß für Marret ist. Nun kommt Marret und spricht laut in die Stube hinein: „Ich danke dir, HanneS, und dir, Luise, daß ihr so gut für mich gesorgt habt. Und nun gehe ich." Aber der Pastor wird nicht wach davon, und da er sicherlich Trau-, Tauf- und Sterbepredigten zu einem großen Unverstand zusammenbringen würde, weckt Luise ihn auch nicht. Als der Schiffer nun bei seinem Hause war. wich Marret von ihm fort und tief in Nebel hinein, der auch mit diesem Abend über die Küste gekommen war. Aber Jessen griff nach ihr und schob sie in den Flur und ver schloß und verriegelte die Tür, als ob er fürchte, sie könne ihm entgleiten in dieser diesigen Nacht. Er hörte wohl einen bangen, tiefen Ton hinter sich, wie daS Auöklingen einer kleinen, trancigen Glocke, die zu einem harten Ktndersterben ihre jammerschwere Zunge bewegt; und er lachte. Aber eS war nicht gut, daß der starke Mann in der Stunde, wo die Kindheit sich unter Krämpfen aus einer Seele rang, nichts hatte als ein Lachen, das mit lauten, lustigen Herrentritten über die Schwelle von Marrets neuem Leben schritt. Wäre da eine weiche Bitte gekommen, eine auf scheu - zärtlichen Füßen, vielleicht wäre der davongeschlichen, der auf der Lauer vor diesem Herzen lag wie die Sünde vor KainS Tür, und sich freute an der Geschichte von Gesine Vynsen, deren Gebet solche Macht hatte, und der nun über JeS Jessens Lachen hinwegschrie: „Herr, einen Sturm — einen gräßlichen Sturm — einen Sturm, der das Schiff dieses ManneS umarmt, wie er Marret Rickmersk" Weil Marret diesem Flehen keinen Laut geben konnte, hob sie die Hände, als wollte sie eS zu Gott emportragen. „DaS war, als ob Möwenflügel längSstrichen", sagte JeS, als er ein Streichholz anzündete, und Marret fchnell die Hände sinken ließ. Und er lachte wieder dabei, weil er natürlich an die Wonne dachte, die nun für ihn kommen würde von dieser kleinen Möwe, deren Zittern und Bangen ihn stolz machten. Mutter Jessen hatte ihre Schlafkammer, in der JeS immer geschlafen batte, wenn er bei ihr gewesen, für ihre- SohneS Glück eingerichtet mit -Wei neuen, schmalen Betten. Denn sie hatte zu Luise RickmerS gesagt, der Mensch müsse sich im Schlaf nicht breiter machen als im Tode, und daß außerdem nacht- zwischen Mann und Frau kein Raum sein dürfe, wo Unfrieden oder Betrug oder andere Eheteufel sich ein Lager suchen möchten. Die Kammer war zu dieser Sommernachtsstunde fast hell von dem weißen Bettzeug und den weißen Decken auf Tisch und Kommode, aber eS war etwas Kaltes in der Helligkeit, und von dein großen Reinmachcn der letzten Tage war die Luft noch herbe. Vielleicht legte sich das kalte Licht und die strenge Luft auch auf deS Schiffers Hochzeitsstimmung, als er Marret über die Schwelle schob. Er hatte eigentlich mit einem derben Witz über Erik EbertenS Frau Marret schämig vergnügt machen wollen, und nun kam weder ein Witz auS seinem Herzen, noch ein Lachen, nun schob er schnell und hart den Riegel an der Tür und fragte, was das bedeute, daß Marret alle Augenblicke in die Luft greife. Aber Marret antwortete nicht und konnte auch nicht ant- Worten, denn alles, was sie an diesem Abend tat, kam aus einem Winkel ihres Bewußtseins, der ihr fremd war wie eines andern Menschen Geheimnisse. AIS Jes Jessen nach einigen Tagen von seiner jungen Frau ging, küßte er sie nicht und sah sich auch nicht um nach seiner Mutter, die in der Tür stand und ihm den Deichweg hinunter nachsah. Sie war ge- kommen, um Marret auf den Schoß zu nehmen, wenn die jammern und weinen würde.. Aber die jammerte nicht —- die saß mit einer Handarbeit in dem großen Stuhl am offenen Fenster, und ihr« rotblonden Wimpern zuckten nur auf, al- st« di« Mutter laut hinter Je» herrufen hörte, datz er's Glück mit an Bord nehmen möge. Und nun sagte die Alte in die Stube hinein: „Kannst du denn nicht vor die Tür kommen und schreien? Der Wind ist so, daß er's hören würde. Ich möchte sein Gesicht noch einmal sehen, Marret." „Mutter, in zehn bis zwölf Tagen —" „Du mußt schreien, Marret, dich wird er hören." Aber Marret schüttelte den Kopf. »In zehn bis zwölf Tagen ist er ja wieder hier." „Schrei doch, Marret!" Da stand sie auf, ging vor die Tür und rief den Namen ihres ManneS. Dreimal rief sie ihn stoßend und herrisch und hart, daß er wie ein Stein durch die Luft sauste und irgendwo niedcrfiel. Dor JeS Jessen aber fiel er nicht nieder. Der wäre umgekehrt — wahr- hastig. Denn er ging durch den Morgen wie einer, dem daS Ruder gebrochen ist, und wie einer ohne Kompaß, der nicht weiß, in welchen Breiten er treibt. „Datz du eine solche Stimme hast!" — sagte die alte Frau, die sich in die Schwellcnecke gekauert und die Augen geschlossen hatte. Denn da, wo der Weg nach dem Hafenort zu sich biegt, schlug der Wind den Strand- Hafer und den gelben Ginster und trieb Nebelschwaden wie mit Rutenhicben in« Dorf, und sie mochte den Wind und den Nebel nicht sehen, dem ihr Sohn nun wieder in die Hände gegeben war. „Daß du solch eine Stimme hast!" sagte die Alte noch «inmal und schlich in die HauSdiele zurück. „Und er hört mich doch nicht, Mutter!"
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