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Redaktioneller Teil. ^s 1S4, 6. Juli 1916. Verluste durch den Tod in seiner Kundschaft zu verzeichnen ha ben. Freilich sind die Schwierigkeiten der Sicherung eher größer als geringer geworden, und bei Handlungen, die mit Privatper sonen arbeiten, wird sich nur sehr schwer eine Form finden las sen, die der Regierung die Möglichkeit gibt, bet dem Friedens schluss, der doch einmal erfolgen mutz, die Rechte ihrer Ange hörigen wahrzunehmen. Ich möchte deshalb diese Frage ganz besonders dem Nachdenken der betroffenen Kollegen unter breiten. Die Papiernot steigt, ebenso die Preise für Papier. Es ist eben Krieg. Aber das Schlimmste ist nicht der hohe Preis, sondern die mangelhafte Beschaffenheit des Papiers. Wenn unge nügend haltbares Papier bei Zeitungen verwandt wird, die doch im allgemeinen nur für den Tag bestimmt sind — ob wohl gerade Zeitungen der Kriegszeit doch auch wichtige Quel len für die spätere Geschichtsforschung sind —, so mag dies hin gehen. Aber auch bei Zeitschriften und anderen wertvollen Ver öffentlichungen sieht man dem jetzt verwendeten Papier an, daß seine Lebensdauer nur eine außerordentlich beschränkte sein wird. Es sollte darauf Bedacht genommen werden, diesem Übelstande abzuhelfen — wenn es möglich ist; jedenfalls wollte ich die An regung hierzu gegeben haben. Die Verdeutsch ungs liste fremdsprachlicher Schilderbezeichnungen ist nunmehr im Verlage des All gemeinen Deutschen Sprachvereins erschienen. Datz die Ver deutschungen vielfach recht unglücklich ausfallen würden, war Vvr- auszusehcn, da sich vieles, namentlich Dinge, die wir von anderen Völkern übernommen haben, nur sehr schwer verdeutschen läßt, außerdem zum Verdeutschen eine gewisse dichterische Ader gehört, die nicht jeder sein eigen nennt. Ich möchte nur einige Proben unglücklicher Verdeutschungen anführen: Baiser heitzt jetzt Süß- sahner; Confiserie: Slltzkost; Parfümerie: Duftwaren. Eine Jardiniere ist ein Pflanzenstillcben; eine Modistin wird zur Klei den«, Smoking zur Abendjacke; der Chignon ist ein Nackenstück geworden. Von medizinischen Ausdrücken führe ich den Heil gürtler — oder Beutler an, den man bisher mit Bandagist be- zeichnete, während der Masseur sich als Heilkneter, der Desinfektor als Keimtöter vorstellt. Ob es viel« Leute gibt, die diese neuen »deutschen« Ausdrücke im Gedächtnis behalten werden, ist fraglich. Berlin, Mitte Juni 1916. R. L. Prager. Schattenriffe deutscher Antiquare. Persönliche Erinnerungen aus den Jahren 1879—1915. Von Max Zieg« rt. lFortsetzung zu Nr. isg.j Da ich einmal halbwegs bin, springe ich nach München über. Auch hier herrscht «ine Antiquar-Dynastie, die Familie Rosen thal. Als ich nach München kam, lebte noch JosephRofen- thal, der Vater von Ludwig Rosenthal, der Antiquitäten kaufte und verkaufte. Ich habe ihm noch di« Beschreibung zweier Trum- scheite geliefert, die er erworben hatte. Damals in den siebziger und achtziger Jahren waren die drei Brüder Rosenthal, Lud wig, Nathan, Jakob, noch gemeinsam Besitzer des Ge schäfts, das sich in der Hildegardstraße befand, im Hinterhause, das als Geschäftshaus erbaut war. Im Vorderhause wohnte die Familie. Heute befindet sich das Ludwig Rosenthalsche Geschäft noch in diesen Räumen, nur daß das Vorderhaus auch zu Ge schäftszwecken benutzt wird. Der Gründer des Hauses, Ludwig Rosenthal, der älteste der Brüder, nimmt im Münchener Antiquariat eine eigene Stellung ein. Denn nicht nur seine eigenen Brüder, sondern fast alle bedeutenderen Münchener Anti quare sind Schüler von ihm. Damals ein Mann in den besten Jahren, zeichnete er sich durch sein stilles, sachliches Wesen aus; ein klarer, kluger Blick aus großen : dunklen Augen hinter Brillengläsern richtete sich auf ^ den mit ihm Unterhandelnden, und in den spä- ^ teren Jahren, als er an die Sechzig, Siebzig war, trat das fast stille Versonnene seiner Natur noch stärker hervor; mit nie erschöpfender Geduld konnte er antiquarische Lager und Biblio theken durchgehen, um Passendes zur Vermehrung seiner Vor räte in Manuskripten, Inkunabeln und Seltenheiten zu finden. Ans Italien und Spanien, England, Frankreich hat er viel er worben und zahlreiche Klosterbibliotheken wurden durch ihn versorgt. Ein anderes Naturell war der jüngere Bruder Jakob oder Wie er sich nennt Jacques. In seiner Jugend feurig und schwarzlockig, ein wenig der schöne Mann, unermüdlich In- und Ausland bereisend, bildete er eine wünschenswerte Ergän zung des älteren Bruders. Dritter im Bunde war Nathan, der mehr im inneren Betriebe tätig war. Die Brüder trennten sich später. Jeder übernahm einen Teil des Riesen-Lagers. Jacques baute sich vor einigen Jahren ein vornehmes, praktisches Geschäftshaus in der Briennerstraße, schuf sich eine Spezialität, den Handel mit kostbaren Manuskripten, ohne die übrigen Zweige des bibliophilen Antiquariats zu vernachlässigen, und wurde zum Hofantiquar S. M. des Deutschen Kaisers ernannt. Nathan, der Junggeselle, führte das Prinzip durch, nichts zu kaufen, nur sein Lager jahraus, jahrein zu verwerten. Mittlerweile sind die Söhne der Brüder Männer geworden, sind in den väterlichen Geschäften tätig oder füh ren sie bereits. Di« Rosenthals haben eine unbedingt leitende Stellung in bezug auf Preisbildung für Seltenheiten und Her anbildung des Nachwuchses im deutschen Antiquariat innegehabt und haben sie noch. Viele ihrer hervorragenden Kataloge dienen als Nachschlage-Bücher. Aus der Rosenthalschen Schule gingen hervor die Mün chener Antiquare Halle und Hirsch. Der ältere Halle, ein flei ßiger, kenntnisreicher Fachmann, nahm seinen jüngeren Bruder als Gesellschafter aus; während der ältere vorwiegend Buchanti quar war, setzte der jüngere mit Auktionen und Preis-Kata logen von englischen und französischen Farbstichen ein, mit denen er außerordentliche Erfolge erzielte. Er bildete sich zum gründ lichen Kenner dieses Spezialfaches aus, und starb viel zu früh, erst ein Vierziger. Er hatte ein bewegliches Geschäftsnaturell, vorzüglich den ruhigeren, kühl wägenden älteren Bruder ergän zend. — Wer kennt in München und dem umliegenden Deutsch land nicht Emil Hirsch in der Karlstraße? Hirsch hat es verstanden, sein Geschäft zum Treffpunkt des bibliophilen Mün chens zu machen. Er fesselt sein Publikum durch seine liebens würdige und stets hilfsbereite Persönlichkeit. Deutsche Lite ratur, die romantischen Künstler des neunzehnten Jahrhunderts, Kunsteinbände und anderes sind die bevorzugten Gebiete, auf denen er tätig ist; in Berlin, Wien, Paris ist er zu Hause, wie am Münchener Dult-Platz, man muß ihm gut sein. — Der dritte Münchener, Gottlieb Heß, auch frühzeitig dahingerafft, war eine ganz einzigartige Erscheinung. Ursprünglich mit Hirsch assoziiert, ein Sohn und Schüler des weitbekannten Ellwanger Antiquars Heß, führte er sein Geschäft, Architektur in erster Linie betonend, wie andere auch. Da warf ihn eine schwere Krankheit nieder, und nach schmerzensreichem, monatelangem Krankenlager stand der außerordentlich kraftvolle, starke Mann auf als ein auf einer Seite Gelähmter, der nur mühsam am Stock sich soktbewegen konnte. Und in diesem körperlichen Zu stande entfaltete Hetz eine Geschäftstätigkeit wie nie in seinen gesunden Tagen. Er war dreiviertel des Jahres auf Geschäfts reisen; hingebend unterstützt von seiner intelligenten Frau und begleitet von einem Diener, war er heute in Berlin, morgen in Wien, ging von da nach Paris und hinüber nach London; man traf ihn auf allen großen Buch- und Kunst-Auktionen, in Stutt gart, in Leipzig, in Amsterdam. Auf allen diesen Versteigerungen war er ein Hauptkäufer, mit dessen Konkurrenz stark gerechnet werden mußte — es war, als ob der Krankheitszustand erst die Fähigkeiten dieses, mit einer seltenen Energie begabten Mannes ausgelöst habe. Ein staunens werter psychologischer Vorgang! Einer seiner Ka taloge, Bücher und Gravüren des achtzehnten Jahrhunderts, sei noch besonders erwähnt wegen seiner künstlerischen