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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.07.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020730013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902073001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902073001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-07
- Tag 1902-07-30
-
Monat
1902-07
-
Jahr
1902
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In einem Augenblicke, wo der boShaft-hinterwälderischen Anstürmerei der »Patrioten* gegen Kunst, Wissenschaft und selbst da öffentliche Gesundheitswesen Über die Grenzen Deutschlands hinaus der Zoll gebührender Verachtung entrichtet wird, muß die vollkommene praktische Uebereinstimmung der Betätigung bei der Partei der Socialdemokratie natürlich Besorgnisse einflößen und sie versucht, einen Unterschied zu construiren. Daß ein solcher nicht besteht, haben wir dargethan. Es ist für eine Culturangelegenheit in der Thal ganz gleichgiltig, ob sie bei einer Einzelabstimmung isolirt oder bei der Ab stimmung über den Gesammtetat in Gesellschaft ausgebracht wird. An dem »Vorwärts*, der eine natürliche Verschieden heit deS Versagens der Socialdemokratie und deS bayerischen CeutrumS nachzuweisen unternahm, bewährt sich mit seltener Sicherheit die Regel: qm s'exousv, s'uoeuso. Der Selbst- vertheidiguug des Organ- der socialdemokratischen Parteileilung kommt aber noch eine über daS Praktische weit hinau«- reichende Bedeutung zu. Da» Blatt hat» wie wiederholt sein mag, geschrieben: „Die Socialdemokratie stimmt gegen das Budget, weil sie in unversöhnlicher Feindschaft gegenüber den regierenden Ausschüssen de» capitalistischen Elaffenstaate» verharrt; aber sie bewilligt zugleich alle Einzelausgaben für Culturzweck». Gerade umgekehrt verhält sich daS Centrum". Beiläufig bemerkt, reicht die Sophistenkunst de» »Vorwärts* nicht einmal au», um den Zweck der Täuschung seiner Leser lediglich mittels Gedankcnverwirrung zu erweisen. Der an geführte Satz enthält — die Wendung von „regierenden Ausschüssen deS capitalistischen ClassenstaateS* mag noch als Urtheil passiren — eine thatsächlicb falsche Angabe. Die Socialdemokratie »bewilligte* im Reichstag und in einer großen Anzahl von Einzelstaaten, speciell in Bayern, gar nichts, sie giebt nur in gänzlich unverbindlicher Weise hier und dort eine Zustimmung, um sie im entscheidenden Augenblick zurückzuziehen. Aber nicht mit der Praxis der Socialdcmokratie haben wir eS hier zu thun, sondern mit der sittlichen Perversität, die der Vertheidigungsversuch der Parteileitung in ihrem Organ zu Tage treten läßt. Die grundsätzliche Verwerfung des Budgets, das die gesetzliche Voraussetzung für jede Lebensäußerung deS Staates bildet, kann man bei einer Partei, die diesem Staate, sowie Allem und Jedem in ihm den Untergang geschworen bat, Wohl begreifen. Es ist ja eine wenig ernsthafte Demonstration, da die Social demokratie fast überall durch kleine Minderheiten rcpräsentirt ist — und Jedermann weiß, daß, wenn sich ihr Gelegen heit bieten würde, da» Budget wirksam zu verweigern, sie eS bewilligen würde, wie nur irgend ein Theilchen der einen „reactionären Masse." In Bayern z. B. mußte die Social- demokratie schon Rücksicht auf die Zehntausende von Unter beamten, namentlich im staatlichen Verkehrsdienst, nehmen, die sich wahrscheinlich in nicht sehr comilianten Formen bei den Herren v. Vollmer und Frhrn. v. Haller zu Tische laden würden, wenn der Staat den Spaß für Ernst nehmen und keine Gelder für die Gehälter bereit halten wollte. Bei alledem, die Verwerfung de« GesammtetatS ist die Einnahme eine» grundsätzlichen StandpuncteS, auf dem sich eine intransigente Partei sehen lassen kann. Man verstoßt wenigstens nicht gegen die Moralbegrisfe, von denen sich auch die Socialdemokratie nicht losgesagt zu haben behauptet. Aber man erklimmt den Gipfel frecher Schwindelei wenn mau, wie der „Vorwärts" und seine Partei thun, sich brüstet, mit der Befriedigung von staatlichen Bedürfnissen, die die An hänger der Socialdemokratie offenbar nicht unbefriedigt sehen möchten, rin Gaukelspiel getrieben zu haben. Wer einem hungernden armen Kinde ein Stück Brod mit der Ge berde deS Schenkenden binhält und die Gabe zurückzicht, so bald der Darbende nach ihr greisen will, der handelt rob; wer aber nach so vollbrachter Helbenthat über den Markt schreit : Ich habe diesem Kinde den NahrungSzustand verbessert, weil ich ihm ein Stück Brod gezeigt habe, — der nsird sich nicht beklagen dürfen, wenn er als ein jeglicher Scham barer Spötter der Noth gebrandmarkt wird. Und wie ein solcher Mensch handelt die Socialdemokratie gegen die bedürftige Kunst und Wissenschaft — nach dem Zcugniß deS „Vor wärts", ihres amtlichen Organs. Deutsches Reich. /S. Berlin, 29. Juli. (Centrum und Socialdemo kratie.) In einer Besprechung der Schrift KautSky'S „Die sociale Revolution* nimmt daS führende bayerische CentrumSorgan einen scharf antisocialistischen Stand- punct ein. Sie vergleicht diese Schrift mit der Verherr lichung deS Wilnaer Attentats durch die focialistische Presse und meint, sie bewiese von Neuem, daß alle die schönen Reden von einer Mauserung der Social demokratie zu einer radicalen Bürgerpartei nicht» als Humbug seien. An demselben Tage bespricht da» führende preußische Organ der CentrumS- partei, die „Kölnische Volkszeitung*, ebenfalls die KantSky'sche Broschüre und wettert gegen die Scharf macher, die immer und immer wieder die Thatsacke zu leugnen suchten, daß die Socialdemokratie in der Umwand lung zu einer radicalen Bürgerpartei begriffen sei. In einer der wichtigsten innerpolitischen Fragen steht also das Hauptorgan deS preußischen Centruins auf einem Stand punkte, der von dem Hauptorgan des bayerischen CeutrumS als „Humbug" bezeichnet wird. In dieser Frage ist demnach das Centrum ebensowenig einig, wie eS im letzten Jahrzehnt in den Fragen der Wehrmacht und der Zollpolitik gewesen ist. Und diese Partei nimmt sich heraus, bei jeder Gelegen heit von den Nationalliberalen als einer total auSeinander- gefallenen Partei zu sprechen. * Berlin, 2V. Juli. Die vorläufigen Haupt ergebnisse der Erhebung über die Volks schule n i n P r e u ß c n , die im Jahre 1901 stattgcfundcn hat, wird jetzt veröffentlicht. Dazu wird bemerkt, daß die endgiltigen Ergebnisse von den vorläufigen wohl kaum wesentlich abweichen werden, so daß sie ein zuverlässiges Bild über die Entwickelung der Volksschule in den letzten 15 Jahren geben, wenn man die Ergebnisse der gleich artigen Erhebungen von 1886, 1891 und 1896 zum Ver gleich heranzieht. Die Zahl der öffentlichen Volksschulen in Preußen hat im Jahre 1901 36 734 betragen gegen 36 138 im Jahre 1896. Davon waren in den Städten 4402 (1896 4242) und auf dem Lande 32332 (31 896). Die Zahl der Schulen hat also in den letzten fünf Jahren in den Städten um 160 und auf dem Lande um 436 zugcnommen. Besser als aus der Zahl der Schulen ersieht man die Entwickelung auö dem Anwachsen der Schulclasscn. Es wurden im Jahre 1901 104 084 Schulclassen gezählt gegen 92 001 im Jahre 1896, 82 746 im Jahre 1891 und 75 097 im Jahre 1886. Hiernach hat in den letzten fünf Jahren ein Zuwachs um 13,13 Procent stattge funden gegenüber einem solchen von 11,18 im voraufgegangcnen Jahrfünft. Auf die Städte entfallen 35 735 Schulclasscn gegen 30 154 im Jahre 1896, so daß hier eine Zunahme um 18,51 Procent erfolgt ist, während auf dem Laitde die Zahl in dem gleichen Zeiträume von 61 848 auf 78 349 oder um 20,51 Pro cent gestiegen ist. In den Städten entfielen auf jede öffentliche Volksschule durchschnittlich 8,12 (1896 7,11 und 1886 6,28) Schulclasscn, auf dem Lande nur 2,11 (1,94 und 1,71). Die Zahl der auf die Schulen entfallenden Classen ist also in den Städten fast viermal so groß als auf dem Lande, wo sie über dies nur sehr langsam steigt. Die Zahl der vorhandenen Lehrer stellen ist im Ganzen auf 90 206 (1896 76 431 und 1886 64 750) fcstgestellt, wovon 35 978 (29 990 und 22 419) auf die Städte und 54 228 (49 531 und 42 331) auf das Land entfallen. Die Zunahme der Lehrerstellen betrug im letzten Jahrfünft im Ganzen 13,57 Procent, in den Städten 20,33, auf dem Lande 9,48 Procent. Die Zunahme war also auf dem Lande noch nicht halb so groß wie in den Städten und blieb dort hinter der Zunahme der Schulclasscn wesentlich zu rück. Während in den Städten jetzt die Zahl der Lehrer die der Classen um 243 übertrifft, sind auf dem Lande über 14 000 Schulclassen mehr vorhanden als Lehrer. Auf jede öffentliche Volksschule entfiel im Durchschnitt in den Städten 8,17 (1896 7,05 und 1886 6,03 Lehrer st ellen, auf dem Lande nur 1,68 (1,55 und 1,40). Von den Stellen waren im Jahre 1901 nicht weniger als 1863 unbesetzt gegen 472 im Jahre 1896. Von den besetzten Stellen waren 74 585 (im Jahre 1896 68 688 und 1886 57 902) mit Lehrern und 13 758 (10 271 und 6848) mit Lehrerinnen besetzt, so daß der Antheil der Lehrerinnen von 10,58 Procent im Jahre 1896 auf 15,57 Procent im Jahre 1901 g e st i e g e n ist. In den Städten ist der Antheil der Lehrerinnen in diesen 15 Jahren von 18,27 auf 25,47 Procent, auf dem Lande von 6,50 auf 8,94 Procent gestiegen. Das durchschnittliche Gesammteinkommen d er Volksschullehrer betrug 1901 1942 gegen 1583 im Jahre 1896, 1446 im Jahre 1891 und 1292 im Jahre 1886. Es hat also in den letzten 15 Jahren eine Steige rung des Einkommens um 650 oder mehr als 50 Procent stattgefunden. In den Städten betrug das Durchschnittsein kommen 2401 gegen 2049 im Jahre 1896, 1812 im Jahre 1891 und 1635 im Jahre 1886, so daß die Steigerung hier 766 oder 47 Procent betrug. Auf dem Lande ist das Durchschnitts einkommen in der gleichen Zeit von 1133 über 1264 und 1357 auf 1689 also um 560 oder 50 Procent gestiegen. DaS Durchschnittsgehalt der Lehrerinnen betrug 1901 1503 gegen 1279 im Jahre 1896, 1171 im Jahre 1891 und 1108 im Jahre 1886, so daß in diesen 15 Jahren eine Zunahme um 395 oder 33 Procent stattgefunden hat. In den Städten ist das Durchschnittsgehalt der Lehrerinnen von 1216 auf 1599, also um 383 auf dem Lande von 946 auf 1321, also um 375 gestiegen. — Im Reichstag« sind zwei prachtvolle Bildwerke zur Ausstellung gekommen: zwei Hermen von Bismarck und Moltke aus carrarischem Marmor, jene im Vorsaale zu den BundcScaths- zimmer», diese im Vorfaale der Präsidialzimmer. Die Büsten, deren Lebenewahrheit überraschend ist, sind von Prof. Riemann in München geschaffen. * Aua SchlcSwtg-Holftetn. Ein bemerkenSwerthes Zu- geständniß, daS wenigsten» eine leise beginnende Aus gleichung der nationalen Gegensätze im nördlichen Schleswig andeutet, machte der ehemalige Führer der Protestpartei und Herausgeber der „Dannevirke*, Thier arzt Björnshauge, indem er dieser Tage im mittel- schleSwigschen Landbauverein erklärte: »Ich war einst Untertbau Christian's IX., und ich darf Wohl sagen, daß ich meinem König redlich und treu gedient habe. Ich bin auch überzeugt, im Geiste meines alten Königs zu bandeln, wenn ich meinem neuen Landesherrn gegenüber, an den König Christian mich abgetreten hat, ebenso loyal denke und handele*. Björnshauge hat erkannt, daß nur gemein same Arbeit der Deutsch- und Dänischgestnnten das Wohl der NordschleSwiger fördern kann. Er ist freilich noch ein weißer Rabe in der Dänenpartei. (Köln. Ztg.) D Schleswig, 29. Juli. (Telegramm.) Amtliches Wahlergebniß. Bei der Landtagsersatzwahl im Wahlbezirke 6 (Schleswig) sind 120 Stimmen abgegeben, sämmtlich für den Amtsvorsteher Paulsen in Erfde (freicons.), der somit gewählt ist. Ein Gegeacandidat ist nicht aufgestellt worden. * AuS Norderuey. Der Reichskanzler Graf v. Bülow empfing in den letzten Tagen ben preußischen Gesandten in Oldenburg und Braunschweig, Graf Henckel von Donnersmark, ferner den Oberpräsideuten der Provinz Hannover, Graf Stolberg-Wernigerode, und den Regierungspräsidenten von Aurich, Prinz zu Ratibor. (-) BrunSbüttclkoog, 29. Juli. (Telegramm.) Die „Hohenzollern* mit dem Kaiser an Bord passirte beute früh 9 Uhr auf der Fahrt nach Emden dre hiesigen Schleusen. (-) Hamburg, 29. Juli. (Telegramm.) Der Kaiser richtete an den Bürgermeister vr. Mönckeberg heute aus Brunöbüttelkoog folgende» Telegramm: „Vom Norden zurückgekehrt, spreche Ich Ihnen von hier aus angesichts der Elbe herzlichste» Beileid für das schwere Unglück aus, das Hamburg jüngst durch den Untergang des „Primus" betroffen hat. Das beklagenswerthe Schicksal der zahlreichen Ver unglückten hat Mich tief erschüttert. Möge die traurige Katastrophe einen erneuten Anlaß geben, daß Alles gethan werd«, einem ähn lichen Unglück auf der Elbe für di» Zukunft vorzubeugen. Wilhelm l. L." * AuS der Ostmark. In allen Kirche» des ErzbiStbums Poseu-Gnesen ist am Sonntag statt der Predigt ein Rund schreiben des Erzbischofs Florian v. Stablewski verlesen worden, das dem verstorbenen ehemaligen Oberbirten der Diöcese, LedochowSki, galt. Als Probe jenes geschickten Stils, in dem der Erzbischof zu reden pflegt, sei folgende Stelle hier wiedergegeben: „Aus verschiedenartigen Ursachen und der Kirche feindseligen politischen Strömungen hatten sich die Verhältnisse so gestaltet, daß die Selbstständigkeit der Kirche untergraben und das Band zwischen den einzelnen Theilen derselben und dem vom Heilande selbst eingesetzten Oberhaupte gelöst, wenn nicht ganz zerrissen werden sollte. Es schlug FvuNletsi». Krisen. t-tachdruck »ertötens Wenn früher Jemand auf die Reise ging, so geschah eS zumeist, um sich zu bilden, wenn man von den Geschäfts reisen absieht. Nach würdiger Vorbereitung und Aus- staffirung ging die Reise von Statten und als «in wich tiges Stück der Ausrüstung konnte bei einem jungen Manne das Tagebuch gelten, in da- alle wichtigen und un wichtigen Vorfälle eingetragen wurden. Ob der junge oder älter« Reisende nun etwas erlebte oder nicht, oder ob er gewissenhaft in sein Tagebuch eintrug oder nicht, auf alle Fälle kam ihm die Verschiedenheit von Land und Leuten zum Bewußtsein und nötbigte ihn zu Vergleichen. Andere Kleidung, andere Sprache, wenigsten» anderer Dialect, andere Verfassung, andere Regenten, andere Sitten und Gebräuche, andere« Essen, anderes Trinken kamen genug sam bei einer Reise durch Mitteleuropa vor. Heutzutage ist da« freilich ganz ander«. Von der politischen Verfassung eine« Landes merkt der Reisende nicht-, die Polizei läßt ihn völlig unbehelligt, kaum daß sie einmal nach seiner Paßkartq fragt, im Gegentheil, der Reisende gilt ihr ein wenig ex territorial, al« ein »Rühr mich nicht an*. Die Polizei drückt vornehme« Reisenden gegenüber bei einem Versehen gern ein Ange »u, »er wußte e« nicht ander«*, und selbst der süße Pöbel läßt gewohnheitsmäßig bei Straßenaufständen und Unruhen di« Hotels in Ruhe. Da« haben wir in letzter Zeit in Belgien und Spanien wieder gesehen. Die Reisenden bleiben außer dem Spiel. Eine andere Kleidung siebt der Reisende auch kaum, denn die „europäische* ist überall gang und gäbe und Nationaltrachten sind so verwischt, daß man sie nicht mehr erkennt. Höchsten» geben einzelne Stücke, die sich al« unausrottbar erweisen, weil sie praktisch sind, von ihnen Kenntniß. Ist in der Kleidung «ine Ebnung eingetreten, so auch vielfach in Sitten uud Gebräuchen. Man hat sich die alten Gebräuche zu FesttagSzeiten aufgehoben, gerade wie die Nationaltracht, dir man bei besonderen Gelegenheiten wieder hervorfucht. Im Allgemeinen ähneln sich dir Sitten und Gebräuche. Wenn man von dem fundamentalen Unterschied der Bedeutung der Cullen absteht, wird man alltags von Petersburg bi« Lissabon, von Stockholm bis Neapel kann» einen großen Unterschied entdecken. Der große Factor Gold, dessen einzelne Stücke nicht nur einseitig rund sein sollten, sondern die man in Kugeln gießen müßte, um auch bildlich die Flüchtigkeit de» Edelmetalle« zu kennzeichnen, hat viel gleichgemacht. Der sogenannte Fortschritt klopft an alle Thüren und dringt in die abgelegensten Orte, weckt Bedürfnisse und Quellen zu ihrer Befriedigung und macht damit die Menschen im Kampf umS Dasein gleich. Damit streift sich aber der Flaum de« Ursprünglichen ab und die Politur wird international. Wo sollen da noch eigenthümliche Sitten und Gebräuche bestehen bleiben, wenn der Hunger heute den Menschen hier, morgen dorthin treibt? Der Verkehr ist gewiß ein großer Nutzen für die Menschheit, für daS Gemüth, für die con- servative Gesinnung ist er da« Grabscheit. DaS läßt sich nun nicht ändern. Wa« der Reisende noch findet, da« ist, wenn er sucht, andere Sprache, anderes Essen und Trinken. Aber er muß beides suchen. Im Hotelleben kommt er mit einer der drei Hauptsprachen au» und kaum wird der Durchschnitts reisende, der „zum Vergnügen reist", gewillt sein, den vorgeschriebenen Weg zu verlassen und etwas Anderes kennen zu lernen, als was die Reise bücher vorschreiben. DaS liegt schon in der Bequemlichkeit, die der Reisende jetzt auf der Reise sucht. Er will gar keine Besonderheiten, da« ist ihm schon zu viel. Warum soll er sich Mühe geben, einen VolkSdialekt zu verstehen, den er vielleicht nimmer wieder hört? Dazu hat er ja auch gar keine Zeit. Da ist ganz gegen da« Programm. Nein, damit ist nicht» zu machen. Eigenheiten hat er schon genug zu Hause zu kosten, damit will er auf der Reise verschont sein. Wa- man von fremdem Volk« auf der Promenade, in der Restauration, im Theater, im Tingeltangel und in Balllocaleo sieht, daS genügt ihm zur Beurtheilung de« Volke« vollkommen, er wird, wenn er sich darauf stützt, kaum jemal« eine Anfechtung seine« Urtheil« erfahren, denn Alle stützen sich darauf, die am Bier tisch oder sonst mit ihm über die „Reiseerlebnisse" reden. Darum ist ihm auch die Gesellschaftsreise am liebsten, die nimmt ihm sogar noch da« Denken und die Wahl der Speisekarte ab. Mit den Speisen ist eS nämlich auch so eine Sach« und mit dem Trinken, wie mit der Sprache. Noch giebt r« gewisse nationale Speisen, die da« Volk gern ißt und an deaeu e« hängt. Der Magen ist überhaupt consrrvativ. Natioualspeisea haben sich bi« heut« in ihrer Ursprüng lichkeit erhalten. Der SmörgarSbord in Schweden, der Pudding und daS Roastbeef in England, Kaninchen in Frank reich. Kohlsuppe in Rußland, Pilaw an der Donau, Polenta in Italien und Schweinsknochen und Klöße im lieben Vater land« werden immer bleiben. Solche Speisen genießt man mit der Muttermilch, verlangt nach ihnen iu der Jugend, kann sie im Alter nicht entbehren und bat an ihnen nicht nur für die Zunge, sondern auch für daS Auge Entzücken. Auch die Wohnungen sind natürlich verschieden, daS richtet sich nach dem Klima. Die Hotel» freilich gleichen sich wie ein Ei dem anderen. In Italien findet man gar keine Oefeu in den Stuben, in Frankreich und England nur selten. Man rechnet in den Durchschnittsgasthöfen überall darauf, daß die Bewohner der Zimmer mit den Betten auch daS Zimmer verlassen und richtet für sie lieber Schreibzimmer und AufentbaltSräume neben den Gastlocaliläten ein. Die Hotels oder Gasthöfe in den kleineren Städten haben sich, soweit sie alt sind, noch eher etwas Originelles bewahrt. Es giebt da noch große Vorhallen, dabei mächtige Küchen und nredrige lauschige Gasträume, Alles von der Diele au» zu erreichen. Und oberhalb der Wand zieht sich eine Galerie hin, an der die Gastzimmer in bunter Mannig faltigkeit liegen. Von dem prächtigen Heuduft und dem weniger prächtigen Duft des Misthofe«, der in kleinen Städten die Räume durchzieht, wollen wir nicht reden. Diese charakteristischen Gasthöfe entschwinden immer mehr uud wenn ein neuer kommt, baut man ihn nach dem neuen Recept. Die Gespanne fahren womöglich durch eine andere Straß« in den Hof, denn die Fassade soll auch in den Mittelstädten schön frei bleiben. Da kommt dann die obligate Treppe aus drei bi» vier Stufen, wenn man nicht den ftraßenebenen Eingang vorzieht, ein kleiner Raum, wo sich der Käfig des PortrerS befindet, dann führt die Treppe un« zu den oberen Räumen. Neben der Treppe liegen die mehr oder weniger prunkvollen Früh- stückSräume, der Speisesaal und da« Schreibzimmer, da» Letztere gewöhnlich daS praktischste von Allen. Im Souterrain liegt die Küche, so unbequem al« möglich, auch die Buffeträume sind, wenn kein« Restauration dabei ist, gewöhnlich weit vom Speisesaal entfernt. Warum da« so ist, da« ist leicht zu sagen. Man giebt viel auf Repräsentation und spart den Raum für da« Notbwendige. Eine gewisse typische Verschiedenheit hat sich die Einrichtung der Zimmer in den verschiedenen Ländern und besseren Geschäften bewahrt. Ja einem deutschen zweifenstrigen Gastzimmer befindet sich zwischen den Fenstern ein Pfeilerspiegel, links vom Ein gang ein primitives Koffergestell. Dann folgt ein Sopha und ein runder Tisch, auch einige Lehnstühle, gewöhnlich zu klein oder mit so viel Schnörkeln, daß man sich nicht gern darauf setzt, ein Kleiderschrank, dessen Thür wackelt und gegenüber ein Schreibtisch mit eingetrockncter Tinte. Neben dem Schreibtisch haben dieBetten nebeneinander mit derStirn- seite an der Wand ihren Platz gefunden und dann folgt rechts vom Eingang den Betten gegenüber der Waschtisch, dem man in letzter Zeit mehr Beachtung schenkt. Oeldruckbilder an den Wänden. In Frankreich sucht man nach aller mög lichen Art daS Bett zu verdecken. Man zieht, wenn nicht schon im Bau durch Einfügung von Zwischen wänden darauf Rücksicht genommen wurde, einen Vor hang, der die Betten abschließt und bildet somit einen Alkoven, der gewöhnlich auch eine Badewanne ent hält. Der größere Theil deS Zimmer» bildet nun den Wolm- raum mit einem Tisch in der Mitte und einigen Lehnstühlen an den Wänden. Ein sehr zierlicher Schreibtisch vervoll ständigt das Ganze. So nett da« Zimmer aussieht, sind doch die Vorwürfe wegen nicht genügender Lüftung der Betten nicht ungerechtfertigt. In Amerika hat man überbaupl weniger Schnickschnack in den Zimmern, vor Allem weniger staubfangende Polstermöbel. Hier ist die Theilung der Woh nung ziemlich strict durchgeführt: Wohnzimmer, Schlafzimmer, Bad, wenn irgend möglich mit durchgehender Lüftung. Selbst verständlich gelten diese Ausführungen nicht für alle Hotels, aber sie sind gewissermaßen typisch. Die Räume passen sich den Wünschen an, die Reiseverhältnisse sind ein Product der Wünsche aller Reisenden, aller Nationen. Daher kann die Landstraße der modernen Reisenden keine große Abwechselung aufweisen, sie wird immer gleichmäßig bleiben und sie wird sich noch mehr langweilig gestalten. Wenn aber daun beim Reisen die Verschiedenartigkeit wegfällt, wenn das Ursprüngliche, daS BolkSthümliche immer mehr verloren geht, dann wird daS Reise« zum Vergnügen recht überflüssig wer den, wie e« da« Reisen zur Erweiterung der Bildung eigent lich schon geworden ist. Immer derselbe Wagen, dieselben typischen Hotelgesichter, dieselben Zimmer, dieselben Gerichte und schließlich dieselbe Sprache, auch die geringe Abwechselung in den Bauwerken der Kunst, dieselbe Zustutzung der Natur in der Sommerfrische, da« wird über kurz oder lang zu einer Reaction führen, zu einer Reactioa, in der man da« schöne Reisegeld zur Ausschmückung des Heims verwenden Wird. Iss. 5.
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