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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.07.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020723018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902072301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902072301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-07
- Tag 1902-07-23
-
Monat
1902-07
-
Jahr
1902
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Reck,men mrte, dem Rednetiontstrich (L gespalten) 7» vo, d«, yamtüennach' richte» (6 gespalten) SO H- Tabellarischer and Htffernsatz entsprechend höher. — Gebühren iür Aachwetsnng«, und Offerteaanaahm« LS H (exrk. Porto). Srtra-Veilagen (gefalzt^ nur mit der Morgen-Ausgab«, ohne Postbefördernng ^tl mit Poftdeschcharnns 7(X—» Ännahmeschlnß fir Anzeige«: Abend-Auigaber vormittag» IN Uhr. Morg«»-Aas-aber Nachmittag» 1 Uhr. Anzeige« find stet» di» Srpedttiv» Die Expedition ist Wochentag» annnterdrocheo geöffnet von früh 8 di» Ädead» 7 Uhr. Druck und Verlag von S. Potz t» Leipzig. Nr. 369 Mittwoch dm 23. Juli tS02. 96. Jahrgang. - Die Verteidigungsstellung der französischen Klerikalen. Die französische Regierung geht mit außerordentlichem Nachdruck gegen die Ordensntederlassungen und die von den Orden begründeten Anstalten, insonderheit die von Ordensgcistltche» geleiteten Schulen, vor. Derartige Schulen bestehen zur Zeit nicht weniger al» 2500, von denen ein Theil bereits zwangsweise geschloffen worden ist, während die andere» in nächster Zett zwangsweise ge schlossen werden sollen. Bedenkt man, daß die katholische Geistlichkeit durch diese sogenannten „freien" Schulen einen außerordent lichen Einfluß, auch politischer Natur, ausübte, so begreift mau, daß der ganze Klerikalismus darauf aus ist, den Schlag zu pariren und ihn, wenn möglich, auf denAngreifer zurückfallen zu lassen. Auffällig ist aber die außerordent liche Zerfahrenheit der Klerikalen und ihrer freunde. Ein halbes Dutzend verschiedener Vorschläge wird gleich zeitig gemacht, und kein einziger dieser Vorschläge hat Aus sicht auf großen Erfolg. In einer Versammlung beim Erz bischof von Paris soll beschlossen worden sein, daß am Tage der am Beginne der Sommerferien üblichen Prcisver- theilnng in den mit der Schließung bedrohten Schulen die Eltern der Schulkinder eine große Demonstration veran- ftalten sollen. Ein conservativ-bonapartistisches Blatt schlägt vor, die Geistlichen sollten streiken und die Vor nahme geistlicher Handlungen, eine Taufe, Trauung und letzte Oelung verweigern. Ein von verschiedenen Poli tikern, darunter dem Grafen de Mun und dem Abb« Göraud erlassener Aufruf verlangt, daß die Bevölkerung bei der Schließung geistlicher Anstalten sich in Massen vor den Anstalten ausstellen und den die Schließung ausführen den Beamten durch ihre Haltung ihre Empörung über den Vergewaltigungsact der Regierung ausdrücken sollen, ohne sich aber zu Gewaltthätigketten gegen diese Beamten Hinreitzen zu lassen. Wir möchten hier beiläufig bemerken, daß es nicht ohne Interesse ist, wenn sich der Name des Abbs Gsraud neben denjenigen stockreactionärer Politiker befindet. Abb4 Göraud ließ sich in der zweiten Hälfte der 90er Jahre in einem bis dahin stets ultrareactionär vertretenen Wahl kreise als katholischer Republikaner gegen einen reactio- närcn (Kandidaten aufstellen. Er als Geistlicher war somit die sichtbare Verkörperung der damals vom Vatikan in- scenirten Aussöhnung der Kirche mit der republikanischen Staatsform in Frankreich. Wenn er jetzt mit den notori schen Feinden der Republik zusammengeht, so wird dadurch der Beweis des gänzlichen Kiascos der päpstlichen Politik in diesem Falle geliefert. Wir glauben nicht, daß irgend eine der von den Kleri kalen geplanten und theilweise auch schon durchgeführten Kundgebungen einen praktischen Erfolg haben und daß die in einer dieser Kundgebungen enthaltene Drohung, daS Vorgehen der Regierung gegen den Klerikalismus werde das Leben der Republik verkürzen, sich verwirklichen wird. Gerade die Geschichte Frankreichs ist reich an heftigen Zu- sammenstößen der Staatsgewalt mit der Kirche. Schon im Mittelalter ließ König Philipp IV. den Papst Boni- facius VIII., der eine Oberhoheit des Papstthums über das Königthum feststellen wollte, einfach gefangen nehmen. Ob er ihn auch mißhandelt hat, wie behauptet wird, sei dahingestellt, jedenfalls starb der Papst kurz darauf, während Philipp IV. noch eine geraume Zeit kraftvoll re- gierte. Die erste französische Republik schaffte kurzerhand die katholische Religion ab. Bonaparte brandschatzte im Jahre 1797 gründlich die päpstliche Schatzkammer und con- fiscirtc einen Theil des Kirchenstaates. Damit nicht ge nug, wurde der Papst Pius VI. im Februar 1798 gefangen genommen und im darauffolgenden Jahre nach Frankreich geschleppt, wo er in der Gefangenschaft starv. Man ging also in früheren Zetten sehr viel rücksichts loser mit Kirche und Papstthum in Frankreich um, als eS heute geschieht. Trotzdem sind die erste französische Re publik und nachher Napoleon Bonaparte sicherlich nicht an ihrer Rücksichtslosigkeit gegen die Kirche zu Grunde ge gangen, sondern aus ganz anderen Gründen. So paradox eS klingen mag, so ist es doch richtig, daß die Regierung eine» ganz katholischen Lande» schärfer gegen den Klert- kalt-muS vorgehen kann, als die Regierung eines kon fessionell gemischten Staate», wie beispielsweise Preußens. Denn den Protestanten gegenüber hält die katholische Be völkerung viel fester zusammen — und darum auch fester an der Kirche —, als wenn sie sozusagen ganz unter sich sind. Dann zerfallen sie sehr leicht in eine klerikale und eine antiklerikale Gruppe, und die letztere ist, zur Zeit wenigstens, in Frankreich die stärkere. Braucht also die französische Regierung die Demonstrationen des Klerika- lismus auch nicht zu fürchten, so sollte sie doch auf jeden Fall von unnöthigen Härten und Ueberetlungen Abstand nehmen. Der Klerikalismus versteht sich von je auf die Märtyrerrolle, und es wäre unklug, ihn darin dadurch zu unterstützen, daß man ihm den Schein des Rechts verleiht. Deutsches Reich. -i- verli«, 21. Juli. (DaSsclbstständtgeVor- gehen der polnischen Soctaldemokratie.) Die polnischen Socialdcmokraten OberschlcsienS haben vor einigen Tagen in dem Grcnzort Oswiecim eine Versamm lung abgehalten, in der für die nächsten Reichs tag s w a h l e n für 8 von den 12 oberschlesischen Wahl kreisen eigene Eandidaten nominirt wurden, ohne daß man es für nöthtg befand, sich irgendwie mit der großen deutschen socialtsttschen Partei in Verbindung zu setzen. Als vor einigen Wochen in Posen ein in polnischer Sprache geschriebenes Organ gegründet wurde, zu dem Zwecke, ein Gegengewicht gegen di« Sonderbcstrebungen der national polnischen Socialdemokratie zu bilden, wurde alsbald hervorgehoben, daß die deutsche Socialdemokratie nicht die Provinz Posen, wo in Folge der sehr geringen Industrie die Soctaldemokratie auf absehbare Zeit hinaus keine Rolle spielen wird, sondern das industriereiche Ober schlesien zur Abwehr gegen die nationalpolnisch-socialisti- schen Bestrebungen hätte aussuchen müssen. Die Ver sammlung in Oswiecim, die einen Schlag in das Gesicht der deutschen Soctaldemokratie bedeutet, bestätigt diese Auffassung. Werden die polnischen Socialisten dem bis jetzt in Oberschlesien allmächtigen Centrum, andererseits den deutschen Parteien gegenüber Erfolg haben? Wir hal ten dies durchaus nicht für ausgeschloffen. In 5 von den 12 oberschlesischen Wahlkreisen haben die Socialdcmokraten bei den letzten Wahlen zwischen 1200 und 10 000 Stimmen erhalten, in 3 anderen je 800, 600 und 500. Diese 8 Wahl kreise, in denen also ein gewißer Boden für die Social demokratie vorhanden ist, dürften die polnische» Social dcmokraten in Angriff nehmen. Nun ist es sehr wohl möglich, daß bei den besonderen Berhälttnissen Ober schlesiens, bei denen eine Erhöhung der Lebensmittelzölle besonders stark empfunden wird, diesmal das Eentrum viele Stimmen verliert, die der Socialdemokratie zufallen werden. Bet einer Spaltnng der Socialdemokratte in deutsche und nationalpolnische Parteigenossen aber haben die letzteren die viel besseren Chancen, denn die niedere Bevölkerung, aus der sich ja die Socialdemokratie der Hauptsache nach recrutirt, ist vorwiegend polnisch wenn auch nur wasser-polnisch, und ein socialistisch an gehauchter polnischer Arbeiter wird immer lieber einem Eandidaten die Stimme geben, der zugleich Social demokrat und Pole ist, als einem solchen, der nur Social demokrat ist. Die Verhöhnung nationaler Gesinnungen, in der sich die deutsche Socialdemokratie gefällt, könnte also bei der Gegenüberstellung polnisch-soctalistischer und parteiofftcieller Eandidaten auf deutschem Boden empfind lich gestraft werden. Wir halten e» deshalb für sehr wohl möglich, daß die deutsche Socialdemokratte, um eine offen kundige Blamage zu vermeiden, den „Rebellen" keine eige nen Eandidaten gegenüberstellt und der Sache die Wen dung zu geben suchen wird, daß diese polnisch-socialistischen Bewerber auch gute „Genoffen" seien. Obwohl also die polnischen Socialdcmokraten diesmal einerseits dem Centrum viele Stimmen abnehmen dürften, andererseits voraussichtlich die Unterstützung der deutschen socialisti- schcn Partei erhalten werden, ist es doch nicht sehr wahr scheinlich, daß sie schon bei diesen Wahlen einen ihrer Can- dtdaten durchbringen werden, sofern es nicht etwa zwischen dem Eentrum und den bürgerlichen Polen Oberschlesiens zum offenen Conflicte kommt — Anzeichen dafür sind immerhin vorhanden — und die letzteren dann in der Stichwahl zwischen einem Centrumömann und einem nattvnalpolnischen Socialisten für den stammesver- wandtcn Socialdcmokraten stimmen. * Berti«, 22. Juli. lDtePolitikundGesetz- gebnngKarl'sdesGrotzen.s Die „Post" schreibt: In der Festversammlung, welche der Aachener Verein „Constantia" zu Ehren der zur HeiligthumSfahrt er schienenen Ccntrumsabgeordnetcn am 15. d. M. veran staltete. hielt der Aachener Kanonikus Prälat Bcllesheim eine politisch bedeutsame Rede, die auf die Ziele uud Be strebungen der Centrumspartei ein eigenartiges Licht warf. Prälat Bellcsheim sagte unter Anderem: „Unter den Tausenden von Pilgern, die unsere Heilig- thümer in diesen Tagen geehrt und damit ihrem alten, un veränderlichen katholischen Glauben Ausdruck verliehen haben, dürfte es keine Gruppe geben, die unser Interesse mehr in An spruch nähme, als die der Gesetzgeber des deutschen Reiches und des Königreiches Preußen. Das Münster ist lange Zeit ge wesen eine Stätte echt christlicher Gesetzgebung. In den Hallen des Münsters haben sich unter der Leitung des großen Kaisers Karl, des Stifters des abendländischen Kaiserthums, Bischöfe und Aebte, Herzöge und Grafen versammelt, um des Reiches Mehrung und Wohl zu berathen. Da haben sie jene christlichen Gesetze erlassen, welche die Grundlage des ganzen Mittelalters gebildet haben. Ob Schwabenspiegel, ob Sachsenspiegel, ob Wcisthümer, ich erlaube mir, sie zurückzusühren auf den Geist christlicher Gesetzgebung, die ihren Ausgang genommen hat von der Münsterkirche. Auch die Abgeordneten der Centrumspartci sind bestrebt, den göttlichen ewigen Rechten in der Gesetzgebung Ausdruck zu leihen, und haben jene gesetzgeberischen Maß nahmen gefördert, welche den Frieden zwischen Kirche und Staat wicderherstclltcn." Nach diesen Ausführungen hat also die Politik und Gesetzgebung Karl's des Großen, die ihren AuSgang von der Aachener Münsterkirche genommen hat, den ewigen göttlichen Rechten Ausdruck geliehen, so zwlar, daß sie als Muster und Vorbild für die Eentrumspolitik dienen kann und dienen soll. Nun mutz man ja der Politik und Gesetzgebung Karl's des Großen vom politischen Stand- puncte aus alle Anerkennung zollen, ihr wenigstens Ge rechtigkeit widerfahren lassen, allein, sie eine echt christliche, vom Geiste christlich geläntcrter Religiosität eingegcbcne zu nennen, widerspricht aller geschichtlichen Wahrheit. Tie gewaltsame Bekehrung der Sachsen entsprang vielleicht einer politischen Nothwcndigkcit, sic hat ohne Zweifel zum Siege der christlichen Cultur über heidnische Barbarei wesentlich mitgewirkt, aber eine christliche Politik war eS deswegen nicht im Mindesten. Ebenso wenig kann man die karolingische Gesetzgebung eine christliche nennen, welche die Ketzer mit den Heiden und Juden auf gleiche Linie mit den Ehr- und Rechtlosen, den sogenannten In famen, stellte. Auf dieser karolingischen Gesetzgebung, welche die Politik der letzten Kaiser des untergegangencn römischen Reiches wieder aufnahm, baute sich die barba rische mittelalterliche Gesetzgebung auf, die ihren Anfang mit den Keyergesetzen Kaiser Friedrich'? II. ans den Jahren 1231 und 1238 nahm, in denen bereits Vcrmögcns- confiScation, Ehren- und Aemterverlust und Todesstrafe für die Ketzer festgesetzt war. Diese barbarische Gesetz gebung setzte sich durch alle folgenden Jahr hunderte fort bis ins Jahrhundert der Re formation, und der Sachsenspiegel sowohl, als der Schwabenspiegel bestimmt, daß die vom geistlichen Richter überführten Ketzer dem weltlichen Gerichte zur Ver brennung zu übergeben sind. Wenn also ein christlicher Priester solcher Gesetzgebung im 20. Jahrhundert unein geschränktes Lob erthcilt, sie in mehrfach wicderkehrcnden Wendungen als eine echt christliche preist, und hervor ragende Vertreter der CentrumSpartei dem Beifall spenden, bann darf man sich auf jener Seite nicht beklagen, wenn behauptet wird, daß der Ultramontanismus nur die Parole kennt: Zurück zum Mittelalter! D Berlin, 22. Juli. (Telegramm.) Bon der Nord- lanöretse des Kaiser» wird gemeldet: Drontheim, LI. Juli. Die „Hohrnzollern" verlieh heute Mittng bei schönem, aber kühlem Wetter Molde und traf nach guter Fahrt Abends in Drontheim ein. Vor der Abfahrt fand ein Wett rudern der Boote der „Hohenzollern" und der Begleitschiffe statt. Die Sieger der verschiedenen Classen erhielten Preise, die Mann schafte» Geldgeschenke. An Bord Alles wohl. — Die Zahl der Klöster und Ordensnieder lassungen ist besonders im nordwestlichen Deutschland in außerordentlicher Zunahme begriffen. In der Nähe von Osnabrück wird ein großes Kloster der Ursulinerinnen er baut, ein mächtiger Bau; bei Münster hört man mit dem Bauen überhaupt nicht auf und jetzt ist in dem Orte bei Leer bei Burgstrinfurt ein große« Kloster der Genossenschaft der Schwestern von der göttlichen Vorsehung, genannt „Haus Loreto", fertiggestellt worden. („Tgl. Rvsch.") — Die Tendenzen der Sokolvereine (polnische Turnvereine) baden soeben das Kammergericht beschäftigt. Es handelte sich darum, ob die Sokolvereine als politische Vereine anzusehen seien und deshalb der Versammlungs anmeldepflicht unterliegen. DaS Landgericht verurtheilte in zweiter Instanz die Angeklagten, die eine Versammlung nicht angemeldet hatten. Es gewann auf Grund der Bekundungen Les PolizeicommissarS Günther ans Posen, der mit der Ueber- wachung der Sokolvereine betraut ist, die Ueberzeuaung, daß die zu jenem Verbände gehörenden Vereine in erster Linie bestrebt seien, national-polnische Agitation zu betreiben und die Hoffnung auf die Wiederherstellung des Königreichs Polen neu zu beleben, wie auch die Polen in diesen VereioS- mitgliedern die Kerntruppen in einem dereinstigen, einer solchen Wiederherstellung geltenden Kampfe erblickten. Gegen das Urtheil deS Landgerichts legten die Angeklagten Revision ein. Der Strafsenat des Kammergerichts bat in seiner Eigenschaft als höchster Gerichtshof in Landesstrafsachen das Rechtsmittel mit der Begründung zurückgewiesen, daß das Vorderurtbeil einen RechtSirrtbum nicht erkennen kaffe. Posen, 21. Juli. In Sachen der kirchlichen Feier der Schlacht bei Tannenberg in der Erzdiöcese Gnesen- Posen bringt der „Wielkopolanin" heute einen großen Artikel. Er druckt darin die bekannten Ausführungen der „Germania" und anderer Blätter ab und schreibt, daß der Erzbischof Dr. von StablewSki diese Feier nicht angeordnet habe. Vielmehr sei dieser Gottesdienst auf Veranlassung deö PolenkönigS Jagiello gleich nach dem Sieg durch den damaligen Erzbischof von Gnesen (Nikolaus Tromba» für „ewige Zeiten" festgesetzt worden. Der„Wielkopolanin" schließt dann seinen Artikel folgendermaßen: „Wir fragen, wer soll diese Vorschrift abschaffen? Tie Regierung? Wenn die „Germania" der Regierung das Recht, sich in kirch liche Angelegenheiten zu mischen, einräumen will, könnt: ja der Eullurkampf von Neuem beginnen. Gestattet dem Staate, nur eine Vorschrift der Kirche anzu tasten, und alsbald werdet ihr euch überzeugen, daß er völlig die Macht über die Kirche an sich reißen würde. Schließlich Meilen wir mit, daß in unserer Kirche auch noch andere Gedenktage aus der polnischen Geschichte gefeiert werden. So sind Fonds verbanden, um den Sieg bei Chocim zu feiern und in einer Posener Kirche werden am Jahrestage der Schlacht bei Eecora (in Ungarn) die Glocken für die dort gefallenen polnischen Kämpen geläutet." — Viel leicht bat Herr Nikolaus Tromba auch den Bestand des polnischen Reiches „für ewige Zeilen" festgesetzt. (D Essen, 22. Juli. (Telegramm.) Prinz Komatsu von Japan ist auf Villa Hügel eingetroffen und wird die Krupp'sche Fabrik besichtigen. Feuilleton. Die Puppe. Bon Maxime Audouin. Nachdruck »«rd»N». I. Ter Sceleutnant Jean d'TScoublac, ber nach fünfzehn- monatigem Feldzuge aus China zurückgekehrt war, schlief noch den Schlummer des Gerechten, als sein Bursche, der Matrose Pelo, heftig mit der Kaust an die Thür donnerte, so daß er entsetzt im Bette auffuhr. Da er glaubte, eS brenne, so sprang er au» dem Bette und sah sich Pelo gegenüber, der in beiden Händen einen mit Papieren vollgestopften Korb trug. „Na, Kerl, was gtebt's denn?" „Entschuldigen Sie, Herr Leutnant, es ist wegen der Post, die ich Ihnen doch heut' Morgen holen sollte." „Na, es ist gut ... stelle Alles auf den Tisch . . . Donnerwetter, ist das 'n Posten!" Neugierig zog der junge Mann die Vorhänge aus- einander, kleidete sich schnell an und machte sich an die Lectüre der umfangreichen Post. Zeitungen, Revüen, Prospekte warf er ohne Weitere» in den Papierkorb, um sich die Arbeit zu vereinfachen, al» er plötzlich unter einem Haufen von Couvert» ein impo- lautes Schreibe» aus Pergamentpapier bemerkte, daS mit einem breiten Wachssiegcl verschlossen und an den Herrn Grafen Joscphtn d'Escoublac, Rue de Barenne in Part», adressirt war. Nun war aber Joscphin d'Escoublac, der Vater de» Leutnants, schon vor zwei Jahren zu einem besseren Leben hinübcrgeschlummert. Neugierig öffnet« daher Jean den Brief und laS: Lieber Vetter! Ich fühle, meine Tage sind gezählt, und darum möchte ich Sie, bevor ich sterbe, bitten, mir eine große Sorge abzunehmen. Ich habe eine Verwandte, eine Waise, zu mir genommen, und eS würde mir sehr wehe thun, müßte ich sie ohne Schutz auf der Welt zurücklaffen. Dieses Kind — denn es ist noch ein Kind — wird Ihnen nicht zur Last fallen; es besitzt etwas persönliches Vermögen, und ich hinterlasse ihr Alles, was ich habe; vom mate riellen Gtandpunct auS kann ich über ihr Schicksal also beruhigt sein; doch ich frage mich, was aus ihr werden soll, wenn ich nicht mehr bin, was bald der Fall sein dürfte. Ich bin überzeugt, Sie werben Ihrer alten Freundin diesen letzten Dienst nicht abschlagen Entschuldigen Sie die Kürze dieses BilletS, lieber Vetter, ich kann nicht mehr gut sehen, und das Schreiben fällt mir schwer. Senden Sie mir bitte gleich nach Empfang dieses Schreibens Antwort nach Schloß Vtllc-MarS bei CHLtillon-en-VcndelatS (Jle-et-Bilante). Tante Vtllc-Marö? . . . Aber wie kam eS denn, baß sic von dem Tode des alten Herrn nichts wußte? Ein an derer Brief mit breitem Trauerrand, der einen Monat später dattrt war, theilte ihm mit, daß die Befürchtungen seiner Tante sich bald darauf erfüllt hatten. Bille-Mars! Dieser Name erinnerte Jean an einen Ferienmonat, den er dort — wie lange war daS doch her! — in einer reizenden Gegend, in dem am Rande eines SeeS gelegenen Schlosse verlebt hatte! In diesem See wäre er beinahe einmal ertrunken, als er sich al» zu künftiger Seemann in einem lecken Boote versuchen wollte! Er sah da» Schloß, einen pittoresken Edelsitz, mit seinem Epheugerank und seinem blauen Dache, auf dem Hunderte von Taubenfamilien herumschwtrrten, wieder vor sich; er sah auch einen Schrank mit eingemachten Früchten und die Milchkammer, die Domäne Perrine», einer brummigen, aber treu ergebenen Magd, die den „kleinen Pariser", mit frischer Sahne vollftopfte. - Sie war also tobt, die alte Tante, und hatte dem lustigsten aller Marinclcutnants ein Mündel hinterlassen! Ein Mündel! ja, ja, denn die Vormundschaft über dieses Kind gehörte mit zu der Erbschaft des verstorbenen Herrn Josevhin d'Escoublac. Aber was sollte er, der sich auf Kindererziehung doch gar nicht verstand, denn mit diesem kleinen Mädchen an fangen, das ihm so unerwartet vom Himmel herunierfiel? Die Situation war in der That schwierig. II. Einige Tage .später, an einem schönen Junimorgen, stieg der Graf Jean d'Escoublac bet der Station CHLtillon auS, in Begleitung seines treuen Pelo, der eine Kiste trug, die mehrere Kilo Bonbons und eine Puppe enthielt — eine prächtige Puppe mit vollständiger Ausstattung. Nachdem er sich erkundigt hatte, wies er dem Matrosen den Weg und ging selbst am Ufer des Sees entlang. Er ging bummelnd, mit langsamen Schritten, und freute sich über die Schönheit dieses herrlichen Fleckchens der Bretagne, in dem er vor zwanzig Jahren so schöne Tage verlebt hatte. Da bemerkte er unten, mitten auf dem See, vom Schilfrohr halb verdeckt, das Ziel seiner ersten nautischen Ausflüge, seine wüste Insel, wo er als Junge mit tiefstem Ernste Robinson gespielt hatte, und plötzlich wandelte ihn der Wunsch an, diesen Ort wieder zu be treten. Allerdings fehlten die Transportmittel, doch der junge Mann kannte das Versteck, wo der Fischpächter eines seiner Boote anzurammen pflegte; er begab sich nach der Stelle und entdeckte in dem ihm wohlbekannten Winkel zwischen dem Schilfrohr ein schöne», ganz neues Boot, grün und weiß angestrtchen, mit Rudern und prächtigen Stahldullcn versehen. Dieser Luxus setzte ihn ein wenig in Erstaunen, aber nicht lange, denn ohne wettere Umstände begann er das leichte Fahrzeug loSzumachen. , In diesem Luaeubltck vernahm er ein wvthendeS Ge bell, und ein großer schwarzer Hund sprang hinter ihm von der Böschung herab, dann erschien ein junges Mädchen, das nach dem Thtere die Anhöhe herunterkam. Sic blieb bestürzt stehe», als sie sich so plötzlich einem Fremden gegenüber sah, der allerdings auch die Fassung verlor und verlegen wie ein Rccrut, mit dem Hute in der Hand sich tief verneigend, vor ihr stehen blieb. Der Hund übernahm es, die Lituation zu klären, indem er mit recht beunruhigendem Gekläff Herrn von Escoublac beschnupperte. Seine Herrin rief ihn zurück und sagte lächelnd: „Seien Tie unbesorgt, mein Herr, Phanor ist nicht boshaft; er liebt cs nur nicht, daß man sein Boot anrührt." „Sie machen mich zur rechten Zeit daraus aufmerksam, mein Fräulein, daß ich eine Indiskretion begehen wollte." „Wieso?" „Ich hielt dieses Boot für das Eigenthum des Pächters und wollte damit nach der Insel fahren, die Sie da unten bemerken. Sie haben mich rechtzeitig auf mein Versehen aufmerksam gemacht." „Nun, mein Herr, ich würde mich freuen, Ihnen die Erfüllung Ihres Wunsches ermöglichen zu können." „Aber Sie selbst?" „Das ist eine Idee!" rief sie keck. „Können Sie rudern?" „Ein ViSchen", — er biß sich auf die Lippen, um ernst zu bleiben. „Das ist ein Talent, das man von uns in der Marine gewöhnlich verlangt." „Sie dienen bet der Marine?" „Als SchlsfSlentnant, gnädiges Fräulein." „Ah, ich habe einen Vetter ber auch Sceleutnant ist. Sie kennen ihn vielleicht?" „Wie heißt er denn, wenn ich fragen bars?" .Herr von E-coublac!". Jean fuhr zurück. „Dann gestatten Sie mir, gnädiges Fräulein, Ihnen in meiner Person Ihren Vetter vorzustellen und Sie zu fragen, ob ich vieleicht bie Ehre habe, mit einer ver-
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