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Nr. LLS — V. Jahrgavtz Sonntag den LS. Mai 1V1V »scheint täglich nachm, mit Ausnahme der Sonn- und Festtage. >«aabe t., Mil .Die ZeU in Wort und B»d- dierteltLhrltch- »,1« In Dresden durch Boten 8,40 X. In ganz Deutschland nret HauS 8,88 Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit Inserat« werden die Kgeivaltcne Petitzeilc oder deren Raum mit 48 4, Reklamen mit 8t« ^ die geile berechnet, bet Wiederholungen entsprechenden Rabatt, Vnchdrnileret, Redaktion und tsleschäst-ftellei Dresden, Pillattzer Strafte 48. — Fernsprecher ISS« gür Rückgabe unverlauat. SNirts,stücke keine iverbindlichkett RedaktionS.Sprechstunde: ll —18 Uhr, Oio dsstsn ^vfr>8Ls>Ur>A8-6or>bor>8 ^ pfuricl 15 unct 20 Pfennigs, unsntbsvl-IIov suk fZsIssn urrci ^usAüksn, sntisiisn 81s dsi: HerÜng 8- sioctz5troti, ftresäen. siiscistlsASn In »IIsn Stsclttsilsn. E, Die Inkohärenz der Politik der Schuhmächte in der kretafrage. Dresden, den 2i. M>t 19W. Die Kretafrage ist wieder akut geworden. .Ihre Aktu alität scheint jedoch den ruhigen Schlaf der vier Schutzmächte nicht im mindesten zu stören. Mit ihrer unglückseligen Politik des Allenrechtmachens haben die Schntzmächte diese heikle Frage nur noch schwieriger und gefährlicher gemacht. Ein hoher Diplomat, der in Wiener diplomatischen Kreisen ein hohes Ansehen besitzt, hatte die Liebenswürdigkeit, un seren Wiener Mitarbeiter zu empfangen und ihm über die Kretafrage folgende interessante Mitteilungen zu machen: „Schon lange war man gewöhnt, den umfangreichen Notenwechsel, die unzähligen Aide-memoires, den türkisch- europäischen Meinungsaustausch gleichmütig zur Kennl- nis zu nehmen. Man nahm an, daß die „Cunctatorpoli- tik", die 13 Jahre lang sich bewährt hatte, auch weiterhin imstande sein werde, die Frage all inkinitum zu verschlep pen. Und nun, da vorigen Montag der Präsident der kreti schen Nationalversammlung die Deputierten aufforderte, dem Könige der Hellenen den Treueid zu leisten und mit diesem Akte die Aspirationen auf eine Annexion zu bekräf-' tigen, da griffen sich die Diplomaten an den Kopf, standen vor einem völlig neuen Rätsel und waren der Meinung, daß die Frage in ein neues Stadium getreten sei. Aber auch vor der Eröffnung der Nationalversammlung und der bei dieser Gelegenheit vorgekommenen Aeußerungen der Griechen, mußten die Schutzmächte doch wissen, daß die türkische Regierung bereits am 20. April eine Zirkular- note ausgeschickt hatte, um im voraus gegen die Annexions bestrebungen der Kreter zu protestieren. Die Schutzmächte hatten hierauf in einer Gcgennotc an den türkischen Mini ster des Aeußern ausdrücklich erklärt, daß die Rechte der Pforte in keiner Weise verletzt werden dürfen. „Nach den Ereignissen am Eröffnungstage der Natio nalversammlung verlangte die Pforte sofort eine Erklärung und Nifaad Pascha erklärte, daß die Eidesleistung im Namen des Königs der Hellenen eine grobe Verletzung der türkischen Rechte sei; er fügte hinzu, daß die Antwort der Schutzmächte nicht befriedigen könne, um so mehr, als sie kurz vorher erklärt hatten, daß die Rechte der Türkei nicht verletzt werden würden. Noch Freitag abend beantwortete die Pforte eine Kollektivnote der Schutzmächte, in der be hauptet wurde, daß die Eidesleistung im Namen eines frem den Souveräns keine Verletzung des Status guo bedeute, mit einer Gegennote, in der die türkische Regierung die Meinung äußerte, daß gerade die geschehene Eidesleistung den Status qno verletze und daß hierin eine Verkürzung der Rechte des Sultans zu erblicken sei. Die Pforte kündigte gleichzeitig an, daß sie entschlossen sei, der zweideutigen Situation ein Ende zu machen. Diese energische Erklärung der türkischen Regierung veranlaßte die Schutzmächte, etwas zu unternehmen, um die Pforte zu beruhigen, und sie fan den wieder eine Ausflucht: sie erklärten nämlich, daß die Schutzmächte die Eidesleistung für null und nichtig betrach ten. Das ist das alte Spiel. Es ist die Bestätigung jener unglücklichen Politik der halben Maßregel der Verschlep pung, der Zweideutigkeit, die das berüchtigte europäische Konzert der Schutzmächte charakterisiert. Die Mächte ver suchen nun eine unangenehme Last abzuschütteln, sich eines gegebenen Versprechens zu entledigen und gleichzeitig der neuen Türkei gegenüber den „Wohlwolleirden" zu spielen. Es fehlt aber an Kraft, an Entschlossenheit, gutem Willen und Eintracht: mit dem bisherigen System der halben Maß regel ist nichts zu erreichen. Um die öffentliche Meinung auf den notwendigen Schritt vorzubereiten, sagen die Schutz mächte, daß sic den Kretensern nie etwas versprochen hätten und daß die Kretenser die Noten der Mächte an die Türkei falsch aufgefaßt hätten. Mir scheint es nun, daß diese ge wollte Zweideutigkeit der Situation, die nunmehr länger als zwei Jahre dauert, nicht der phantasievollen Auslegung der Kreter, wohl aber der zweideutigen Haltung der Mächte zuzuschreiben ist. Denn als am 25. Oktober 1908 der Präsi dent Micheliolakis die Nationalversammlung im Namen Georgs I. eröffnete und den König aufforderte, von -er Insel Besitz zu ergreifen, antworteten die Schutzmächte am 28. Okt. niit folgender Note: „Die Schutzmächte betrachten die Annexion Kretas an Griechenland abhängig von der Zu stimmung der Mächte, welche diesbezüglich ein Abkommen mit der Türkei abgeschlossen haben. Nichtsdestoweniger würden die Mächte — nach Rücksprache mit der Türkei und nach Garantien für die Freiheit und persönliche Sicherheit der Mohammedaner einer Annexion sympathisch gegenüber stehen." Die Kreter versprachen dies zu tun und hielten auch ihr Versprechen bis zum 27. Februar 1910, wo sie von LW-" I Lssts LsruAuquslIs! „o Mp V«r-ü«ItoI»v I QSUS nod gsdrauedts, kllv ttolr- und Lrilardvo 8 8vvdv QLCIl LsLvkQUQK N8 voll 60 Llark an > I Rissi^o tzÜQ8tixs 2tt1i1vsi8e, koksi T» I TkssvQradLtl.! Mst-Plsao» l I »VOLLLZl»«»« : » I lokello-asorxeil-INe« I» den Mächten eine Lösung der Frage heischten. Als die poli tische Umwälzung in der Türkei stattfand und als die poli- tischen Verhältnisse geboten, den Kretern die Unmöglichkeit der Erfüllung ihrer Forderungen klar zu machen, geschah nichts dergleichen. Man erlaubte ihnen, die griechischen Fahnen an allen öffentlichen Gebäuden zu hissen, gestattete ihnen, Briefmarken mit dem Namen „Hellas" zu drucken, die öffentlichen Quittungen durften die Aufschrift „Helleni con basilion" (Griechisches Königreich) tragen, und die Kassationsrekurse wurden dem „Areopad" nach Athen geschickt. „Wenn also heute noch eine Kretafrage existiert, ist dies nicht Schuld der Inselbewohner, die von ihrem Standpunkte aus recht haben, noch weniger sind die Jungtürken schuld daran, sondern es ist dies nur der unentschlossenen zweideu tigen Politik der Schutzmächte zuzuschreiben. Die haar sträubende Nachricht einer italienischen Zeitung (es war die römische „Tribuna". D. R.), daß an der Verschleppung der Kretasrage die Zentralmächte schuld seien, ist zu absurd und zu lächerlich, um darüber mehr Worte zu verlieren." Politische Rundschau. Dresden, den 2 t. Mal 19tv. — König Georg V. von England wird außer der Chesstelle des 8. Kürassierregiments, die er bereits inne hat, auch die des 1. Gardedragonerregiments, dessen Chef sein verstorbener Vater war und bei dem er L ln snito steht, erhalten. — Ersatzwahl in Frirdberg. Das Zentrum hat im RetchStagSwahlkreise Friedberg - Büdingen beschlossen, für den Kandidaten des Bundes der Landwirte v. Helmholt schon tm ersten Wahlgange einzutreten. Damit dürfte dieser in die Stichwahl kommen. Am kommenden Sonntag findet in Friedberg eine große Versammlung statt, aus welcher LandtagSabgeordncter Dr. Schmitt-Mainz und Reichstagsabgeordneter Erzberger reden werden. Die Anmeldungen für den Besuch der Versammlung sind sehr zahlreich. — Eme Reihe von Mitgliedern des höchsten deutschen Gerichtshofes hat sich zu einer Erläuterung des Bürger- licheu Gesetzbuches vereinigt. Das Werk soll tm Manuskript nahezu vollendet vorliegen und bereits nach den diesjährigen Gerichtsferten als abgeschlossenes Ganzes erscheinen. — Der Natioualliberale Verein zu Köln hat an die nationalliberale Fraktion des preußischen Abgeordneten hauses die dringende Bitte gerichtet, der Wahlrechtsvorlage in der Fassung, die ihr das Herrenhaus gegeben hat, nicht zuzustimmen. — Mit der Pcnsionsversichcrnng der Angestellten beschäf tigte sich zu Pfingsten in Hannover der Delegiertentag des Werkmeistcrverbandes. Einstimmig hieß man folgende Ent- schließung gut: „Die außerordentliche Delegiertenversamm lung des deutschen Werkmeisterverbandes begrüßt das von der Regierung gegebene Versprechen, dem Reichstage schon im Herbste dieses Jahres den Gesetzentwurf über die Pen- sionsversicherung der Privatangestellten vorznlcgen. Sie rechnet daraus, daß der Entwurf auf die Angestellten im höheren Alter Rücksicht nimmt und für diese Uebergangsbc- stimmungen schafft, damit auch sie der Wohltaten des Ge setzes teilhaftig werden. Der außerordentliche Delegiernn- tag erwartet von dem Reichstage, dem er gleichzeitig für das einmütige Eintreten für die Angestellten dankt, baldige Beratung und Verabschiedung des angekündigten Gesetzes. Er erwartet von dem Reichstage ferner, daß er den Wim- scheu der Angestellten Rechnung trägt und dafür sorgt, daß ihnen und ihren Hinterbliebenen ohne allzu große Be lastung eine ausreichende Versorgung gewährleistet wird. Gleichzeitig fordert er in der Reichsversicherungsordnung Versicherung aller Angestellten ohne Rücksicht auf das Ein kommen in der Unfall-, Kranken- oder Invalidenversiche rung, hier unter gleichzeitiger Anfügung weiterer Beitrags, klaffen." — Dernburg gegen die Erbschaftssteuer. Der Kolonial staatssekretär hat sich am 30. April 1910 im Reichstage da gegen gewehrt, daß in Südwestafrika eine außerordentliche Vermögenssteuer eingeführt jverde, dabei aber hat er recht scharfe Wendungen gegen die Erbschaftssteuer gebraucht: er führte nämlich u. a. aus: „Darauf werden Sie sich doch nicht verlassen, daß alle diejenigen Leute, die im Schutz gebiete Aktien haben, so patriotisch sind, zu sagen: „Ja, hier sin- unsere Aktien, wir behalten sie hier und zahlen unsere Steuern," sondern sie werden sie eben nach Berlin schicken, wo sie nicht versteuert werden. Ich wenigstens habe zu den Slldwestasrikanern kein besseres Zutrauen als zu meinen hiesigen Landsleute n." (Große Heiterkeit. Sehr gut!) Meinen Sie denn, daß die Waren schulden im Lande bleiben. Die werden doch einfach nach Hamburg verlegt. Wo der Mann etwas schuldig bleibt, ist gleichgültig, ob bei Karl Meyer in Hamburg oder bei Karl Meyer in Windhuk. Dann aber hat Karl Meyer in Wind huk keine Forderungen mehr, sondern der Mann in Ham burg hat sie. Sie sind also auch aus dem Wege. Es bleibt Herrn Lattmann (Antragsteller) zur Besteuerung nichts anderes übrig, als gerade der Grund und Boden von dem gesamten Vermögen und die darauf errichteten Minen unternehmungen. Denn das ist das einzige, was man nich twegbrin genkann. Daraus kommt mein Bedenken, nicht etwa, daß ich den Leuten Vorwürfe machen will. Deswegen sage ich, wenn Sie 36 oder 80 Millionen Mark Steuer erheben wollen, kriegen Sie sie im wesent lichen nur von den Farmern und Minengesellschaften. (Zu ruf aus der Mitte: Wie bei der Erbschafts st euer.) Welche Parallelen Sie in Bezug auf die deutschen Verhält nisse da ziehen wollen, das kann mich in dem Moment nicht berühren. Gegenwärtig bin ich ganz Afrikaner." (Stür mische Heiterkeit.) Schärfer konnte die Erbschaftssteuer nicht verurteilt werden: es bleibt eben nur Grund und Boden und die gewerblichen Unternehmen — so drüben — so hüben. Gerade Dernburg als Bankmann kennt seine Leute und weiß, wie es gemacht wird. So wird also heute schon vom Regiernngstische aus zugegeben, daß die Erb schaftssteuer das mobile Kapital gar nicht getroffen hätten Was sagen die Liberalen zu dieser Leistung ihres Wort helden? — Internationales Arbeitgebcrkartell im Bnngcwerbe. Bereits vor einigen Wochen konnten wir berichten, daß sich die Arbeitgeber in verschiedenen Branchen zu internatio nalen Kartellen vereinigt haben. Insbesondere gilt dies für die Arbeitgeber in: Baugewerbe. Aus der letzten Hauptversammlung des deutschen BauarbeitgeberverbandeA waren Delegierte der Arbeitgeberverbände von Schweden, Norwegen, Dänemark und Oesterreich erschienen, um zu nächst an den Verhandlungen als Gäste teilznnehmen, dann -aber auch, um eine engere Verbindung zwischen den Orga nisationen der verschiedenen Länder zum Abschlüsse zu bringen. Ein besonderer Ausschuß wurde mit der Aufgabe betraut, die bezüglichen Verträge auszuarbeiten. Nach diesem Vertrage verpflichten sich die beteiligten Verbände zur gegenseitigen, tatkräftigen Unterstützung bei Streiks und Anssperrungen. Besonders wurde auch die Nicht- einstellnng streikender oder ausgesperrter Arbeiter aus den Kartcllverbänden vereinbart. — Zur Einigung im Baugewerbe. Der „Dr. Anz." schreibt: Nachdem es gelungen ist, die Bereitwilligkeit des geschäftssührenden Ausschusses des Deutschen Arbeitgeber bundes für das Baugewerbe sowohl als auch der Zentral- Vorstände aller beteiligten Gewerkschaften und des Zentral verbandes christlicher Bauarbeiter zum Eintritt in neue Verhandlungen über die Beendigung der Ausschließung im Baugewerbe herbcizusühren, hat Donnerstag, wie wir von zuständiger Seite erfahren, das Reichsamt des Innern den Vorsitzenden des Arbeitgeberbnndes wissen lassen, daß das Reichsamt des Innern die Verhandlungen einleiten wolle. Daraus hat Herr Oberbürgermeister Geh. Rat Dr. Beutler, der die Präliminarien bisher geführt hatte, die Einladung zu einer ersten gemeinschaftlichen Verhandlung der Parteien, die heute hier in Dresden stattfinden sollte, zurückgezogen. Es wird in weiten Kreisen mit Genugtuung begrüßt werden, daß durch die von Dresden eingeleiteten Verhandlungen nunmehr die Aussicht auf Beilegung der Krisis günstiger geworden ist. — Das Märchen von drr „ultramontancn Herrschaft iu Bayern" zerpflückt das letzte Heft der „Allstem. Rundschau" in trefflicher Weise, wenn dort der Herausgeber, Herr Dr. Kausen, schreibt: „Das Zentrum und der sogenannte ..Ultramontanismus" sind heute trotz der absoluten Kam mermehrheit so wenig „herrschend" in Bayern, daß der Liberalismus, wenn er mit Hilfe der Sozialdemokratie morgen ans Ruder käme, selbst bei hochgespannten An sprüchen in den leitenden Staats- und Verwaltungstellen, von den Hochstellen ganz abgesehen, nur sehr geringe Per- sonaländernngcn anzustrcbcn brauchte. Die bayerische Bnreankratie ist bis ans diesen Tag vom Geiste des Libe ralismus durchtränkt, und leider nur zu oft täuscht man sich auch in Zentrumskreisen über sporadisch anftretende Wandlungen der äußeren Verkehrsformen in Fällen, wo nur die Krallen vorsichtig eingezogen sind, um je nach Zeit und Umständen sofort wieder hervorgekehrt zu werden. Mit wohlberechnetem Vorbedacht schlägt der Liberalismus auch schon bei der kleinsten Scheinkonzession an das Zentrum ohrbetänbenden Lärm, um jede ernsthaft ins Gewicht fallende Minderung der immer noch bestens konservierten liberalen „Personalien" durch Einschüchterung der maß gebenden Stellen zu verhindern. In Bayern wäre es zur zeit noch ganz undenkbar, daß ein namhafter Zentrums- Parlamentarier iu eine seinen Fähigkeiten entsprechende leitende hohe Staatsstellung berufen würde, wie es soeben wieder in Württemberg dem nationalliberalen NcichstagS- und Landtagsabgeordneten Prof. Dr. Hicber, einem aus gesprochenen Kulturkämpfer, widerfahren ist, der von der Negierung zum Direktor des durch die Volksschulreform geschaffenen evangelischen Oberschulrates ernannt wurde,