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U»,«gSpr«IS, I AuSgab« L mit 2 Beilagen Dresden und ganz Deutschland ln Oesterreich 4,43 L. »,1V »»- In! et Hau, ».8» AuSaab» » nur mit Feierabend vierteljährlich 1,80 »c. In Dresden und «an» Deutschland srel Hau, »,»» 4t; ln Oesterreich 4,07 L - «inzel-Nummer 10 4 I Wochentags ecicheinl die I iilachmtttagSstunden: die ' :t,'>zel-Nümmer 10 4- lettung regelmätztg in den ersten I 'onnabendnummer erscheint später. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit mit Unterhaltungsbeilage Die illustrierte Jett und Sonntagsbeilage Feierabend Annahme von »eschästSanzefaen bis 10 Uhr, von Ftimtlien- anzetgen bi» II llhr, SretS sür die Petit-Tpaltzcile »0 4, im ReNameleU SO 4-1 Für undeuUtch geschriebene, sowie durch Ferniprecher aus-1 gegebene Anzeigen tonnen wir die Verantwortlichkeit sür die I Richtigkeit des Texte, nicht übernehmen, Redaktions-Sprechstunde: 10 bis II Uhr vormittag», llr Rückgabe etngesandtcr Schriftstücke macht sich die Redaktion I > nicht verbindlich; Rücksendung erfolgt, wenn Rückporto bet- l gefügt ist. Brieflichen Anfragen ist Antwortsporto betzusügen, I Ntr. 28 Geschäftsstelle und Redaktion Dresden»A. 16, Holbeinstrahe 46 Mittwoch den 4. Februar 1914 Fernsprecher 21366 13. Jahrg vor dem dritten Bakankcieg? Die Nachrichten aus dem europäischen Wetterwinkel lauten in letzter Zeit wieder sehr beunruhigend. Obwohl noch ganz unverbürgt, erhalten sich die Gerüchte von netten Geheiinbünden auf dein Balkan mit großer Hartnäckigkeit, und man ist versucht, ihnen Glauben zi« schenken, wenn mail verschiedene Vorgänge der letzten Zeit ins Auge faßt. Und obgleich man in. Europa ziemlich allgemein über die Mög lichkeit eines baldigen neuen Balkankrieges spricht, scheint man doch nirgends diese Möglichkeit, die doch für ganz Europa von weitesttragender Bedeutung und sehr ernsten Folgen sein kann, ernsthaft in Frage zu ziehen. Mit einer gewissen Sorglosigkeit überfliegt man die Meldungen vom ' alkan, die von dem Abschluß eines türkisch-bulgarischen .Bündnisses mit der Spitze gegen Griechenland und Ser bien oder von der bereits weit vorgeschrittenen Mobili sierung der Türkei und dem erstaunlichen Opfermut und der besorgniserregenden Nevanchelust der türkischen Bcvölke- rung berichten. Und doch ist es heute mehr denn je fraglich, ob die bislang mühsam erhaltene Eintracht zwischen den europäischen Großmächten eine Belastungsprobe aushalten würde; seit dem Bukarcster Frieden ist so manches über die vielgepriesene Friedensliebe einiger Großmächte durchge- sickcrt, daß man zum zweiten Mal nur mit großer Skepsis und unüberwindlichem Mißtrauen das Schicksal Europas in den Händen einer europäischen „Friedenskonferenz" schon würde. Die Enthüllungen über das Zustandekommen des Balkanbundes unter russischer Aegide mit der Spitze gegen Oesterreich kamen spät genug, um den Balkanfriedcn lind den Frieden Europas nicht mehr All gefährden, aber doch viel zu früh, um bei neuen europäischen Berwicke- luiigen nicht einen bitteren Vorgeschmack hinterlassen zu haben. Seitdem am Goldenen Horn das Jungtürkentmn unter dm- radikalen Führung Enver Paschas und Talad Vcys das Steuer führt, muß Europa jeden Augenblick ge- wärtig sein, daß der Funken von neuem ins Pulverfaß schlägt und trotz der gewaltigen Erschöpfung der Balkan völker ein neuer Rache- und Nevanchekrieg die verödeten Dörfer und Ländereien nochmals verwüstet. Und wie die Türkei, so steht auch das junge Albanien, das in seiner jetzigen Gestalt nicht leben und nicht sterben kann, auf dem Sprunge, um zurückzuerwerben, was ihnen nach ihrer An sicht gebührt. Mbanien will von Serbien und Griechenland die Städte und fruchtbaren Ländereien, ohne die es nimmer bestehen kann, und die Türkei will wenigstens einen Teil seines ehemaligen Besitzes zurück, den ihm der gemeinsame Feind genommen hat. Die bulgarische Erbitterung und Enttäuschung kommt hier den Türken sehr gelegen; Bul garien hat durch den blutigen Krieg vor allem Mazedonien gewinnen wollen, und dies ist ihm zuni^roßen Teile von den Serben entrissen worden. Thrazien der Türkei und Mazedonien den Bulgaren, so rechnen und verteilen jetzt die Staatsmänner in Konstantinopel und Sofia. Daß diese Annahme nicht bloße Mutmaßung ist, erhellt aus der Tatsache, daß Bulgarien noch nicht alle Teile Thraziens besetzt hat, die ihm nach dem letzten Friedensschlüsse zuge fallen sind, daß vielmehr in diesen Teilen immer noch tür- kisches Militär steht. Das legt die Vermutung sehr nahe, daß im Ernstfall die Türkei ohne weiteres ihre Truppen über die griechische Grenze rücken zu lassen in der Lage fein soll, ohne vorerst mit Bulgarien wegen Durchquerung bul garischen Gebietes Verhandlungen Pflegen zu müssen. So viel steht jedenfalls fest, daß zwischen der Türkei und Bul garien ein Einverständnis vorhanden ist, das entweder schon zu Geheimabmachnngen geführt hat, oder doch sehr leicht führen kann und wird. Wie sich bei einem Neuausbruch des Krieges der Balkan formieren und wie Europa sich als dann verhalten wird, das ist die bange Frage an die Zu kunft. Der Konflikt zwischen Türken und Griechen scheint bereits nahe bevorzustehen. Ob dann Bulgarien mit seinen Forderungen an Serbien herantreten wird, ob dann auch die Albanier den Griechen und Serben ihre Rechnung Präsentieren werden, ob dann Rumänien sein Balkan- Prestige zu wahren suchen wird, ob der russische Bär seine begehrlichen Pranken auf Armenien schlagen und Frankreich sich in Syrien nicderlassen wird, das alles sind Fragen, die vielleicht schon die nächste Zukunft aufwerfen wird. Darum tun auch wir Deutschen gut, die mögliche Entwicklung der Dinge auf dem Balkan zeitig ins Auge zu fassen, damit wir nicht wieder so verdutzt und ratlos den Geschehnissen im Orient zusehen müssen wie vor Jahresfrist. Sächsischer Landtag Dresden, den 3. Februar 1914 Zweite Kammer. Die Zweite Kammer trat heute nachmittag 2 Uhr zu ihrer 36. öffentlichen Sitzung zusammen, der die Staats- minister Graf Vitzthum von Eckstädt und Dr. Nagel, sowie .zahlreiche Kommissare beiwohnten. Die Tribünen waren stark besetzt, da neben einigen Rechenschaftssachen und Etat kapiteln auch die Fortsetzung der Beratung über die Inter pellationen und Anträge betreffend den Arbeitswilligen- schutz auf der Tagesordnung stand. Abg. Sammler (Kons.) referierte zunächst namens der Nechenschaftsdeputation über Kapitel 38 bis 41 des Rechenschaftsberichtes betreffend Justizministerium, Ober landesgericht und Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandes- gerichte, Landgerichte, Amtsgerichte und Staatsanwaltschaf ten, allgemeine und unvorhergesehene Ausgaben im Ge schäftsbereiche des Justizministeriums. Er beantragte, die bei den Kapiteln Justizministerium, Oberlandesgericht und Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandcsgericht, sowie Land gerichte, Amtsgerichte und Staatsanwaltschaften vorgekom menen Etatüberschreitnngen und außeretatmäßigen Aus gaben nachträglich zu genehmigen. Abg. SchönfeId (Kons.) referierte an zweiter Stelle über Kapitel 56 a bis 61 des Rechenschaftsberichtes, betref fend die staatliche Schlachtviehversicherung und staatliche freiwillige Viehversicherung, das Landarmen- und Fürsorge- crziehungswesen, die Armenkrankenpflege und sonstige Aus gaben ini öffentlichen Interesse, die Landesgrenze, die Aka demie für graphische Künste und Buchgewerbe zu Leipzig, die Kunstgewerbeschule mit Zeichenschule (Vorschule) und Kunstgewerbemuseum zu Dresden, sowie Kunstschule für Textilindustrie zu Planen mit Zweigabteilungcn, die Tech nischen Staatslehranstalten zu Chemnitz, das elektrische Prüfamr Chemnitz, die Bauschulen zu Dresden, Leipzig, Plauen und Zittau init Tiefbauschule in Zittau, Landwirt schaftliche, gewerbliche und Handelsschulen, sowie allgemeine Ausgaben für Landwirtschaft und Gewerbe, sowie Landstall- anit zu Morihburg. Der Berichterstatter beantragte auch hier die bei mehreren Kapiteln vorgekommenen Etatüber- schrcitungen nachträglich zu bewilligen. Die Kammer schloß sich den Anträgen der beiden Refe renten einstimmig und ohne Debatte an. Abg. Schönfeld (Kons.) berichtete dann über die vom Landtagsausschuß zur Verwaltung der Staatsschulden auf die Jahre 1610 und 1911 abgelegten Rechnungen. Er beantragte die Richtigstellung dieser Rechnungen anzucr- kennen. Auch hier beschloß die Kammer ohne Debatte dem gemäß. Abg. Dr. Steche (Natl.) berichtete nunmehr über Ka pitel 67 betreffend Technische Deputation. Er beantragte, nach der Vorlage die Einnahmen mit 990 Mark zu geneh migen und die Ausgaben mit 13 800 Mark zu bewilligen. Die Kammer beschloß auch hier ohne Debatte demgemäß. Es folgte nun die Fortsetzung der Debatte über den Arbeitswilligsnschutz resp. die Besprechung der Interpellationen der Zlbg. Dr. Kaiser und Castan, sowie die allgemeine Vorberatung über den Antrag des Abg. Tr. Böhme. Außerdem wurde noch der bereits am Donnerstag von dem Abg. Held gestellte Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, betreffend die Sicherung des Koalitionsrcchtes mit beraten . Der Antrag war von dem Abg. Castan gestellt und hatte folgenden Wortlaut: Die Kammer wolle beschließen, die Negierung zu er suchen, im Bundesrate darauf hinzuwirken, daß 1. alle das freie Koalitionsrecht einschränkenden und seine Ausübung erschwerenden gesetzlichen Bestimmungen in Reich und Bun- dsestaaten beseitigt werden; 2. die unbeschränkte Koalitions freiheit durch entsprechende gesetzliche Bestimmungen sicher gestellt, insbesondere die Erschwerung oder gar das Verbot ds Streikpostcnstehens durch lokale Behörden unmöglich ge- macht und 3. das Koalitionsrecht allen Arbeitern und An gestellten gewährleistet wird. Abg. Winkler (Soz.) begründet zunächst den vor stehenden Antrag Castan in zirka zweistündigen weitschwei figen Ausführungen. Er griff u. a. auch die bürgerliche Presse an, die immer gegen die Sozialdemokratie schreibe und Fälle von sozialdemokratischen Terrorismus veröffent liche, die überhaupt nicht wahr seien. Abg. Sekretär Dr. Schanz (Kons.) beantragt zunächst, die Anträge Dr. Böhme und Castan der Gesetzgebnngsdcpu- tation zu überweisen. Die konservative Partei halte den gegenwärtigen Schutz der Arbeitswilligen nicht für aus reichend. Sie sehe in dem Verbot des Streikpostenstehens das praktisch durchführbare Mittel, um den vielen Unzu träglichkeiten bei Streiks usw. zu begegnen. Als ein Allheil mittel betrachte seine Partei ein derartiges Verbot nicht. (Lärm links.) Er sei auch nicht in der Lage, ein durch greifendes Mittel zu nennen, doch würden sich seine Freunde bemühen, Mittel und Wege zu finde», um die Belästigungen und Unannehmlichkeiten bei den jetzigen Lohnbewegungen nach Möglichkeit abzuschwächen. Wer einmal mit angesehen habe, wie die Streikposten monatelang auf der Straße ge- standen und die Passanten belästigt haben, der werde sicher auch für ein Verbot des Streikpostenstehens eintreten. Die Herren von der linken Seite des Hauses müßten die Er fahrung erst einmal am eigenen Leibe machen, dann werde aus dem Saulus ein Paulus werden. (Zuruf des Abg. Fräßdorf: Dann ist es gut, wenn ein geschickter Bürger meister da ist.) Bezüglich der Interpellation Castan be merke er, daß nach seiner Meinung das gesetzlich gewähr leistete Koalitionsrecht vollständig sichergestellt sei, so daß ein weiterer Schutz nicht notwendig werde. Für die Be schleunigung des Strafverfahrens bei Streikvergehen danke er dem Justizministerium. Man könne der Behörde nur dafür dankbar sein, wenn sie für eine schnelle Vollstreckung der Urteile eintrete. Je rascher die Tat begangen sei, um so rascher iiiüsse auch die Sühne erfolgen, denn dadurch werde nur das Gefühl der Gerechtigkeit erhöht. Dem An träge Castan, der heute hier mit zur Verhandlung stehe, könne er nicht zustimnien. Abg. Günther (Fortschr.) bemerkt, daß auch diese Ausführungen von konservativer Seite den Beifall der So zialdemokraten gefunden hätten. (Lachen und Lärm auf der Tribüne.) Präsident Dr. Vogel verlangt energisch Ruhe auf den Tribünen, da er sonst gezwungen sei, dieselben räumen zu lassen. Abg. Dr. Zöphel (Natl.) bespricht zunächst die Stel- lung des Zentralverbandcs der deutschen Industriellen zur Frage des Arbeitswilligenschutzes und betont, daß er es für richtig halte, wenn sich dieser Verband mit dem Verbände der sächsischen Industriellen auf einen gemeinsamen Boden stelle. Er könne dem Zentralverbande der deutschen In dustriellen den Vorwurf nicht ersparen, daß er nach dieser Richtung hin viel versäumt habe, doch habe er sich in letzter Zeit mehr modernen Bestrebungen zugewendet. Merkwür dig sei auch das Bündnis des Zentralverbandes mit dem Bunde der Landwirte. Jedenfalls sei es in der jetzigen Zeit nicht richtig, wenn man die großen Organisationen gegen einander Hetze. Die Nutzlosigkeit des Verbotes des Streik postcnstehens sei übrigens auch teilweise auf konservativer Seite eingesehcn worden. Präsident Dr. Vogel gibt angesichts der vorgeschritte nen Zeit die Tagesordnung für die am Donnerstag mittag lUhr stattfindende nächste Sitzung bekannt. Zur Beratung gelangen die Anträge des Abg. Schönfeld betreffend die Herabsetzung der Vcrpfleggelder für Geisteskranke, sowie die Anträge der konservativen und nationallibcralen Frak- tion betreffend die Förderung des mittleren und kleinen Grundbesitzes. Abg. Biener (Ref.) verbreitet sich, nachdem eine ganze Anzahl Theoretiker über die Frage des Arbeitswilligcn- schutzes gesprochen hätten, als Praktiker, der mitten im Ge werbe stehe, hierüber. Abg. Krauße (Soz.) wendet sich besonders scharf gegen die Unternehmerorganisationen und ihre Maßnahmen gegenüber der Arbeiterschaft. Der Antrag znm Schutze des Koalitionsrechtes sei durchaus notwendig. Weiter wandte sich der Redner gegen das Vorgehen der Gerichte und der Polizei bei Streiks und die nach seiner Meinung zu hohen Strafen. Es gebe sogenannte Arbeitswillige, die nur dann arbeiten, wenn irgendwo ein Streik ansgebrochen sei, bei welcher Gelegenheit sie einige Groschen mehr verdienen woll ten. Gerade durch diese Leute werde in den Kreisen der anderen Arbeiter Erbitterung hervorgcrnfen. Welche Maß nahmen auch ergriffen werden sollten, eins Inüsse jedenfalls bedacht werden, daß die Arbeiterschaft nicht mit sich spa ßen lasse. Abg. Schmidt-Freiberg (Kons.): Nachdem bereits in so ausführlicher Weise über Arbeitswilligensclmtz und Koalitionsrecht debattiert worden sei, erscheine eS sehr schwer, noch weiter darüber zu reden. Hier herrsche ein Aus nahmezustand und es sei auch berechtigt, ein Sondcrgeseh für die viel erörterten Zustände zu erlassen. Wenn heute keine Maßnahmen gegen die Uebergriffc bei Streiks usw. getroffen würden, dann würde noch die gesamte Arbeiter schaft in die Hände der Sozialdemokratie getrieben, welche die Koalitionsfreiheit zu einem Koalitionszwang ansbauen wolle. Die Arbeiterschaft solle lediglich unter das Kom mando der Streikführer gezwungen werden. Eigentlich seien die Konservativen die Schützer des- Koalitionsrechtcs. (Lachen bei den Sozialdemokraten.) Die Rede de? Abg. Dr. Kaiser erscheine ihm wie eine troeckne Pelzwäsche und die Gesichter der Sozialdemokraten seien bei den Ausführungen dieses Redners von Satz zu Satz länger geworden. Den Vorwurf, daß unsere Richter Klassenjustiz treiben, müsse er scharf zu- rückweisen, denn das sei eine Beleidigung des gesamten Nich- tcrstandcs. Der Redner wandte sich dann gegen die Aus führungen des Abg. Held und bemerkte, daß die anderen Redner der /sinken sich mehr mit allgemeinen Dingen be schäftigt hätten, ohne ins Einzelne zu gehen. Wenn man von Syndikaten und Trust spreche, so seien dies freie Ver einigungen, zu denen der Beitritt ein freiwilliger sei, wäh- rend der Eintritt in die Gewerkschaften durch Zwang erfolge. Der Redner besprach dann die Auslegung der Aeußerimg