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MsomfferTageblatt für Bürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter. Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft, Da« »Wil druffer Tageblatt" erscheint täglich nachm. 5 Uhr für den folgenden Tag. Bezugspreis: Bei Abholung in der Geschäftsstelle und den Ausgabestellen 2 Mk. im Monat, bei Zustellung durch die Boten 2,30 Mk., bei Postbestellung L Md. zuzüglich Abtrag- .. ... gebühr. Einzelnummern IKPfg. Alle Postanstalten Wochenblatt für Wilsdruff u. Umgegend Postboten und unsere Aus. träger un» vefchästsstellen - - > - > nehmen zu jeder Zeit Be ¬ stellungen e^g*g7».. Im Falle höherer Gewalt, Krieg oder sonstiger Betriebsstörungen besteht dein Anspruch auf Lieferung der Zeitung oder Kürzung des Bezugspreises. — Rücksendung eingesandter Schriftstücke erfolgt nur. wenn Porto beiliegt. s-rn,»r°<h-r- Am, Wilsdruff Nr. s durch Frrnrus übermittrl.eu Adrigen üdmtthmen wir keine Gnrnnne. Jeder Rnd°„°n,pruch »lisch,I wem, der D-K-u durch Klage eingezogen werden mutz oder der Ausiraggeber in Konkurs gerii!. Anzeigen nehmen alle Vermittlungsstellen entgegen Das Wilsdruffer Tageblat' enthält die amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschast Meißen, des Amtsgerichts und Stadtrats zu Wilsdruff, Forstrentamts Tharandt, Finanzamts Nossen Nr 278 — 83 Jahrgang Telegr.-Adr.: „Amtsblatt* WtlsdrAff-Dresden Posticheck: Dresden 2S40 Freitag, 28. November 1924 Merundzwanzig Marteren. Wer die Wahl hat, hat die Qual, — und das deutsche Volk wird am 7. Dezember ganz gehqrig gequält werden: - „nur" 24Neichswahlvorschläge sind amtlich zuge- l lassen (nach den ersten Angaben sollten es 25 sein) und ! nur „19" auf der Landesliste fürPreußen. Glaube aber ja nicht, lieber Leser, baß damit die Zahl der Parteien und Parteichen erschöpft ist, die um eine Stimme — man j verzeihe das harte Wort — buhlen. Tenn in einer ganzen Reihe von Einzelkreisen gibt es wieder Sonderlisten, die ! sich dann mit anderen zu einem gemeinsamen Reichswahl- Vorschlag geeint haben. Sie bringen es ja selbst nur selten dazu, einen Kandidaten in den Reichstag entsenden zu können; gewöhnlich fallen alle diese Stimmen unter den i Tisch. Bei den vorigen Wahlen waren es etwa 800 000 Stimmen, die infolgedessen unvertreten blieben. Aber der Deutsche lernt ja nichts dazu im politischen Leben. Schon die Manie des Deutsche, für seine Privat- meinung gleich eine neue Partei zu gründen, weil er sich in irgendeiner Kleinigkeit von einer der bestehenden Par teien unterscheidet, wird es auf absehbare Zeit verhindern, daß wir zu solchen Parteiverhältnissen kommen, die ein wirkliches innerpolitisches Leben ermöglichen. Das soll nicht etwa ein Lobgesang auf die alleinseligmachenden großen Parteien sein; vielmehr wäre der Deutsche, wenn er ein politisch denkender Mensch wäre, schon lange zu der Einsicht gekommen, daß man ruhig ein paar kleine und un bedeutende Meinungsdifferenzen gegenüber den Zielen dieser oder jener Partei in Kauf nehmen muß, daß man dieser oder jener Partei durch Stimmabgabe bei der Wahl für sie die Zustimmung für ihre Politik zum Ausdruck bringen muß, auch wenn man mit Liesen oder jenen Kleinigkeiten nicht einverstanden ist. So denken wenigstens die Völker, bei denen das politische Verständnis etwas Lebendiges ist. Aber nein! Wenn kleine Meinungsdifferenzen be stehen, wird schleunigst eine neue Partei gegründet und ein paar Tausend mißvergnügte Geister finden sich dazu. Der Erfolg ist dann natürlich der beinahe vorauszu sehende: durch die Parteichenbildung verlieren Hundert tausende von Wählern die Möglichkeit, vertreten zu sein und damit auf die Geschicke Deutschlands den ihnen ver fassungsmäßig zustehenden Einfluß auszuüben. Das passiert immer in den Fällen, wo man zur Gründung einer Partei irgendeinen isolierten, vielleicht an und für sich ganz vernünftigen Gedanken benutzt, der aber nur «inen Teilausschnitt aus dem gesamten politischen Leben der Nation behandelt. Also etwa bei Parteigruppen für eine bestimmte wirtschaftliche oder ideale Forderung oder gar etwa bei Nationalitätenvertretungen für Dänen, Polen oder Masuren. Das sind eben keine politischen Par teien im eigentlichen Sinne, weil ihr Ziel nicht ist, die gesamte Nation zu umfassen, sondern nur kleine Teile von ihr. Statt daß sie versuchen, innerhalb der wirklichen politischen Parteien ihre Interessenvertretung durchzu führen, gründet man lieber eine eigene Partei, mit dem Erfolg beispielsweise, daß sie wahrscheinlich im Reichstag überhaupt nicht vertreten ist. Schließlich muß man, selbst wenn diese Parteichen cs zu ein paar Vertretern im Reichstag bringen, sich doch mit anderen Parteichen zusammentun, um eine Fraktion zu bilde« und dadurch praktische politische Arbeit leisten zu können. Also im Parlament müssen diese sogenannten Gegensätze überbrückt werden. Vielleicht schließt sich der Vertreter einer abgcsplitterten Partei als Hospitant der Mutterpartei an, wobei dann nun erst recht nicht einzu- fehen ist, weshalb die Absplitterung eigentlich erfolgt ist. Jedes Volk hat die Regierung und die parlamentari- lche Vertretung, die es verdient. Wenn soviel über die Zu stände im Deutschen Reichstag, über die Art, wie dort die Negierungen zusammengekuhhandelt werden, über die Schiebungen, unter denen heutzutage dort irgendein Gesetz zustandckommt, so trägt einen Teil der Schuld daran ge wiß der Reichstag selbst. Aber zur Hälfte trägt das deut sche Polk, trägt der Wähler die Schuld daran. Denn er schafft die Voraussetzung für all dies Geschiebe und Ge triebe seiner Vertretung und das Parlament ist haarscharf genau so, wie es gewühlt wird. Leistet sich der deutsche Wähler also wieder das Amüsement, wie bas vorige Mal für etwa 16 Parteien Vertreter in den Reichstag zu ent senden, so darf er sich nicht wundern, was dort für Unfug getrieben wird. Hätten wir nur fünf, sechs große Parteien im Reichs tag — auf zwei bis drei, wie in anglo-amerikanischen Staaten, wagt man ja bei uns gar nicht zu hoffen — dann wäre ein großer Teil jener Gründe zum praktischen Ver sagen unseres politischen Lebens beseitigt und der Deutsche Reichstag jedenfalls weit arbeitsfähiger, als er bisher War. Aber wer wagt es denn, zu hoffen, daß der Deutsche temaiS ein politisch denkendes Wesen wird! — Die letzten Gefangenen entlassen Essen, 27. November. Auf Grund des Londoner Ab- s kommens wurden am 12. November die letzten acht politischen i befangenen aus dem französischen Gefängnis entlassen. MWU über die WWW Abgabe mit EnM London, 27. Novemoer. Wie von zuverlässiger Stelle verlautet, ist bei den Verhandlungen zum Abschluß eines deutsch- englischen Handelsvertrages eine Formel gefunden worden, durch die die Erhebung einer 26prozentigen Ausfuhrabgabe auf deutsche Waren durch eine andere Methode ersetzt worden ist. Groß britannien ist ferner bereit, den deutschen Banken wieder zu ge statten, in London Filialen zu errichten. Auch können deutsche Seeleute wieder in der britischen Handelsmarine Stellung neh men. Dis Zugeständnisse heben die letzten Kriegsbestimmungsn gegen Deutschland auf. Die deutsch-französischen Wirtschasts- verhondiungsn Paris, 27. November. Die Darstellung der französischen Mvrgenpresse von dem gegenwärtigen Stand der deutsch-fran zösischen Wirtschaftskvnfersrz könnte den Eindruck erwecken, dost eine Unterbrechung in den Verhandlungen eingetreten sei. Diese Darstellung ist nicht richtig. In den nächsten Tagen wird das ursprüngliche Programm wieder ausgenommen werden, nachdem dis kurzfristig geladenen Sachverständigen der deutschen Schwer industrie in Parks ein getroffen sein werden. Belgien verzichtet auf die 26prozentige Abgabe. Köln, 27. November. Wie die .Kölnische Zeitung" von halbamtlicher belgischer Se'te erfährt, beabsichtigt die belgische Regierung auf die 26prozentige deutsche Einfuhrabgabe zu ver zichten. Amerikas Forderungen für die Teilnahme an der interalliierten Finanzkonferenz. Eigener Fernsprechdienst des „Wilsdruffer Tageblattes". L o n d o n, 27. November. „Daily Telegraph" meldet, bah die Teilnahme Amerikas an -er interalliierten F'nanzminisler- konferenz zwischen London und Washington erörtert werde. Amerika verlangt für sich Reparationsanteile und die Vergütung der Besatzungskvsten. Rückgabe der ehemals russischen Schiffe an Sowjet-Nutzland. Eigener Fernsprechdienst des „Wilsdrusier Tageblattes". Paris, 27. November. Ein amtlicher Bericht des Ma- rinem'msteriums bestätigt die Absetzung des Generals Exelmann. Die Meldung eines Pariser Blat es, wonach Exelmann sich ge weigert hat, die im Hafen von Biserta liegende russische Flotte einer Svwjetkommission zu übergeben, wird in dem Bericht be stritten. Die Abberufung des Admirals ist aber nicht ersichtlich. Lrotzki abberulen? Eigener Fernsprechdienst des „Wilsdruffer Tageblattes". Riga, 27. November. Trotte soll als Verantwortlicher für KriegsangelcLenheiten und vom seinen anderen hohen Posten abberulen worden sein. Man spricht von seiner Verwendung aus einen diplomatischen Posten im Ausland, aber auch von einer Verbannung nach dem Kaukasus. Ägypten an die Welt. Vergeblicher Protest beim Völkerbund. Das ägyptische Parlament ist durch Erlas? des Königs Fuad auf dreißig Tage vertagt worden. In der Pause will der neue Ministerpräsident Ziwor Pascha versuchen, eine Verständigung mit England Herbeizuföhren. Der an die Parlamente der Welt gerichtete Protest der ägyptischen Kammer beschuldigt Großbritannien, daß es ein abscheu liches Verbrechen als Vorwand zur Ausführung seiner im perialistischen Politik nehme. Der Völkerbund wird IN einer an ihn eingelaufenen Note aufgefordert, im Namen einer machtlosen Nation in dem Konflikt zu intervenieren. Weiter wird in der Rote die vollständige Unabhängigkeit Ägyptens und des Sudans betont, da bei voneinander nicht getrennt werden dürfen. In den Kreisen des Bölker- bundssekretariats weist man darauf hin, das? die Note nicht von der ägyptischen Negierung ausgeht, sondern von dem ägyptischen Parlament, der Völkerbund aber nur auf Schreiben der Negierungen einzugehen pflege. Im übrigen enthalte das ägyptische Telegramm nur einen Protest, aber kein formelles Ersuchen nach inem Einschreiten des Völker bundes. Inzwischen verstärkt England seine Truppen in Ägyp ten andauernd. Reuter meldet aus Kairo, daß Truppen aus Suez, Malta und Gibraltar nach Ägypten und dem Sudan unterwegs sind. Eine britische Brigade ist mit aufgepflanztem Seitengewehr durch die Straßen Kairos marschiert. Das erste Bataillon des East-Lancashire-Re- giments wird ebenso wie das in Gibraltar stationierte erste Bataillon der Buffs nach Ägypten abreisen. Es ver lautet. daß mit diesen Truppen schwere Artillerie mitgeht. Lord Chamberlain hatte in London Besprechungen mit dem Chef des Generalstabes sowie mit dem Kriegs- minister. In Negierungskreisen wird dem Vernehmen nach Befriedigung über die Zusammensetzung des nenen ägyp tischen Kabinetts geäußert. Gleichzeitig wird der Wunsch geäußert, daß dem neuen ägyptischen Kabinett Zeit ge- lassen werde, sich mit der Lage zu befassen. Dte Lage in Aegypten ist immer noch kritisch. Lon - on, 27. November. Das neue Sgypt sche Kabinett ist jetzt vollständig. Amul Musa Pascha, der bisher oberster Richter Leim Berufungsgericht war, ist IustiMMster geworden. Ali Eumad Emin Pascha, der bis vor einem Monat Unterstaats- sekretär im Innern war, ist wieder in sein Amt eingesetzt worden. Die Räumung des Sudans wird fortgesetzt. Das 4. Bataillon ist Mransportiert und das 3. witd demnächst folgen. Die Eng- lärLer fetzen die Truppentransporte nach England fort. In Kairo ist gegenwärtig alles ruh g. Die englischen Truppen demon strieren weiter in den Straßen, gestern sogar mit aufgepflanzten Bajonetten. In Alexandrien werden zwei Urlauber des Kriegs schiffes „Vvlliant" vermißt. Sie sind vor zwei Tagen auf Ur laub an Land gegangen und man befürchtet, das; sie gewaltsam entführt wurden. In England hofst man immer noch auf eine friedliche Beilegung der Krise. Men betont aber, daß die An sicht der französischen Presse nicht mit der Haltung der sranzö- sifchen Regierung üdere'nstimme, denn Frankreich würde bei einem ähnlichen Vorfall jn Marokko mit denselben Mitten vor gegangen sein. Das enMche Kabinett hat sich gestern erneut mit der ägyptischen Frage beschäftigt. Nathuflus freigelaffen. Berlin, 26. November. Die amtliche Benachrichtigung der französischen Re gierung von der Begnadigung des Generals von Nath«- üus ist heute nachmittag bei der Reichsrcgierung tele graphisch eingetrofsen. Zugleich wird bekannt, daß gleich nach der Verhaftung des Generals v. Nathusius in For. bach am Allerseelentag auf Grund deS vom Lillcr Kriegs- gericht im Jahre 1921 gegen ihn erlassenen Urteils nach Maßgabe des Reichsgesetzes vom 18. Dezember 1919 beim Reichsgericht ein Verfahren gegen den General an hängig gemacht wurde. Wenn auch der General nach seiner Freilassung auf eine Weiterversolgung seines RechtS vor einem französischen Kriegsgericht verzichtet, wird als» der wahre Tatbestand vor dem Reichsgericht fepgestellt werden. — General von Nathusius wurde heute morgen aus dem Untersuchungsgefängnis entlassen und ist nach Forbach abgereist. Der Pariser „Matin" schreibt zu der Begnadigung an scheinend auf Grund von Informationen durch die fron- französische Regierung: Frankreich hat mit diese, Geste keineswegs der Reichsregierung eine besonder« Gunst erweisen wollen. Denn dazu liegt ja keiner- lei Veranlassung vor. Es wollte lediglich dem Nationalismus jenseits LeS Rheins ein wertvolles Pro paganda-Instrument entreißen. Die Ausführung des Urteils des Liller Kriegsgerichts hätte der den», schen Rechten in ihrem Wahl kam Pf in der Tal ein allzu bequemes Mittel geboten, um eine neue Über reizung der Gemüter hervorzurufen. Außer diesen Er wägungen trägt die französische Regierung aber auch den günstigen Erkundigungen Rechnung, die über General von Nathusius eingeholt worden sind, ebenso de« Zweifeln, die wegen der Realität der An klage b e st e h e n." „Ere Nouvelle" sagt: „Wir beglückwünschen Herriot zu dieser Geste. Aber wir dürfen auch nicht vergessen, daß der Präsident der Republik seine hohe Autorität dazu be nutzt hat, um gleichzeitig der Menschlichkeit und der Vernunft zu dienen." * Zurückziehung des KaffationSgesucheS. Wie weiter ans Paris gemeldet wird, ist das Frei lassungsdekret für General v. Nathusius am Dienstag vom Präsidenten Doumergue unterzeichnet worden. Da eine Begnadigung gesetzlich nicht möglich war, solange ein Ver fahren nicht endgültig abgeschlossen ist, bedurfte es vor der Veröffentlichung des Gnadenakts der Zurückziehung des von dem Angeklagten gegen bas Urteil des Liller Kriegs gerichts erhobenen Einspruchs bezw. des Antrags auf Ein leitung eines Kassationsverfahrens. Das ist mit Zustim- mung v. Nathusius' geschehen, dessen vollständige Rehabi litierung nunmehr vor dem deutschen Reichsgericht zu er warten ist, zumal selbst die französische Regierung vaS Liller Urteil als unrechtmäßig bezeichnet.