Volltext Seite (XML)
Wichkntlich erscheint» drei Nummern. Pränumeration«. Prei« 22; Sgr. (j THIr.) vierteljährlich, Z Thlr. jür daß ganje Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man »ränumerirt auf diese« Beiblatt der Illg. Pr. Stam«- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren - Straße Nr. Z4); in der Provinz so ivie im Anstande bei den WshUödl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 29. Berlin, Mittwoch de» 7. März 1838. Rußland. Die Kaukasische Mauer. Eine Reliquie von Marlinski'). So eben vom Pferde gestiegen, schreibe ich Euch. Ich habe die Ruinen der antike» Mauer besehen, welche die alle Well von der unbekannten, d. h. von Europa, «rennte, von den Persern, vielleicht von den Medern erbaut ward gegen unsere, der Bar baren, Uebcrfälle.... Welche seltsame Umwälzung der Begriffe und der Begebenheiten!! . Wer sich im Staube alter Handschriften ergötzt und Haufen nutzloser Bücher gern durchwühlt, dem ralhe ich, Talarisch zu lernen, Derbent-Name und, mit Hülfe seines Lateins, Baer's Werk üv muro kaueaseo zu lesen, einen Blick auf Gmelin zu werfen, es zu bedauern, daß Klaproih nichts darüber schrieb, und noch mehr, daß der Ritter Gamba uns nur Ungereimtheiten darüber mittheiltc, — und endlich noch ein Dutzend Autoren zu Rache zu ziehen, die ich vergessen habe, oder die mir unbekanm geblieben sind, die aber der Kaukasischen Mauer gedachlen oder sie kanmcn — um sich durch unwiderlegliche Beweise zu über zeugen, daß die Zeit der Erbauung dieser Mauer — unbekannt sey. Daß sie jedoch von Chosrcff oder Nuschirwan, oder Jefendiar oderJskendar, d. h- ,Alexander von Macedonien, erbaut ward.... ist klar wie die Sonne in der Stunde ihrer Verfinsterung! — Derselbe Fall ist cs mit der Hypothese, daß diese Mauer zwei Meere verbunden (das Kaspische mit dem Schwarzen) und zwei Welten von einander schied, indem sie Asien gegen die Ucbersäile der Ehasaren, wie die Europäer sie nennen, oder der Uruffen (Russen), wie die Parsischen Chroniken schreiben, schützte. Die Sache verhüll sich dergestalt, daß man, Dank sey es den histo rischen Forschungen, hinsichtlich der Kaukasischen Mauer nur das behaupten kann, daß sie cxistine. Die Erbauer aber, die Erhal ter, die Erneuerer, die Zerstörer derselben — einst berühmte, jetzt namenlose Manner, schlafen lange ihren Heldenschlaf, ohne sich darum zu bekümmern, wer über ihnen einherwandell. Ich will weder ihre Asche beunruhigen, noch Eure Langmuth in Anspruch nehmen; nicht durch die neblige Nacht des Altenhums will ich Euch führen, um ein unbedeutendes Gefäß aufzufinden.... Nein! ich lade Euch nur ein, mit mir an einem schönen Juni-Morgen einen Spaziergang zu machen, um die ehrwürdigen oder, wenn Ihr wollt, höchst ehrwürdigen Ruinen der Kaukasischen Mauer zu betrachten. Gürtel Euer Schwert um, werft ein Gewehr über die Schulter, stöhm, wenn Ihr in den Sattel niedersinki, schwingt die Peitsche — und Marsch in die Berge. Die eisernen Thorflügel Derben,« öffneten sich, als Aurora mit ihren rosigen Fingern kaum die Trommeln berührt halte, und unter dem dröhnenden Wiederhall der alten Gewölbe zogen wir vor wärts. Ich halte mich, dieser malerischen Reise wegen, dem Kommandanten von Derbent, Major Schnimikoff, angcschloffc». Mit uns befand sich noch ein Hauptmann des Äurinskischen Regi ments, und darauf beschränkte sich die Zahl der Russischen Wiß begierigen, und war es ein Wunder? Wißt Ihr, wie oft, seit den Zeilen Perer's des Großen, die Kaukasische Mauer von Russen besuch, worden ist? Nur dreimal! Der Erste war Peter selbst im Jahre 1722; der Zweite der Oberst Werchowsky, der Näm liche, den Ammalat-Bey im I. I8l!> vcrräiherischer Weise um- brachle; — dann traf die Reihe nns. Vielleicht glaubt Ihr, der Weg dahin sey sehr beschwerlich, weit und gefährlich? Nichts da von! Man braucht nur zehn bewaffnete Taiarcn mitzunehmcn, von der linken Seite ein Pferd zu besteigen und vorwärts zu reiten — und dies thaten wir. Der Morgen war wie zu einer Reise ausgesucht. Die Nebel hatten ihren durchsichtigen leichten Schleier über uns ausgcbreiiel, und die durch denselben dringenden Sonnenstrahlen ergossen sich über uns mit linder Wärme und einem den Augen wohlthätige» Licht. Der Weg hob sich bergan und senkte sich wieder in die Tiefe. Unser Zug durch einen wilden Theil des Kaukasus war des Pinsels eines Salvator würdig. Die ausdrucksvollen Phy- ») Marlinski, von dem wir int Maaazin schon manche interessante Skizze an» Kaukasien mitqetljeilt, war bekanntlich in der letzten Zeit der Name, unter welchem der Russische Dichter Bestuscheff auflrat, der vor kurzem unter de» Mauern von Jekaterinodar durch die Kugel eines Tschcrkessen den Tod ge sunden bat. siognomiecn der Tataren, mit ihren lief ins Gesicht gedrückten Mützen, ihren von Silber glänzenden Waffen und leichten Rossen, und die Berge, die Felsen, das Meer in der Ferne — Alles war so neu, so wild, so malerisch — ein wahres Gemälde. Der Kommandant wollte zuerst alles Merkwürdige der Umgegend sehen, und wir begannen mit Aufsuchung der Diwen-Höhle, un gefähr fünf Werst von Derbent nach Süden in einem Fclsen- jchlunde, vor alten Zeiten genannt Koge-Kaff (Kaff — Paß, Defil«; Äoge — Geister). In der Nachbarschaft von Dasch-Kesse» (Sicinbruch) wühl ten sich Bergquellen durch Felsen hindurch ein geräumiges Vette, auf dessen Grunde jetzt nur ein bescheidenes Bächlein plätscherte. In diese Tiefe versetzte eine alte Sage die Diwcn, ein Riesen- geschlechl, erzeugt von Engeln und Menschen — nicht Weibern, weil die morgenländische Goiterlchre die Engel selbst zum weib lichen Geschlecht zahlte (0, glückliche Zeil!). Muhammed erhob sich voll Eifer gegen diese Lehre und führte doch etwas Achn- lichcs ein: er bevölkerte sein Paradies mit ewig jungfräulichen Houris von hellgrüner, hellblauer und rosenroiher Farbe. Wie viele Zauberschlöper erbaute die Indische und Parsische Poesie aus den Träumen der Fabelivcli! Wie Milton's Satan, dessen einer Flügel bereits das Gewölbe der Hölle durchschnitl, während der andere sich noch im Himmel befand — verbanden sie Paradies und Hölle auf der Erde und bevölkerten sie mit göttlichen Wesen, deren Gesichiszüge und Thate» nur Insofern Irdisches an sich trugen, als sie der menschlichen Einbildungskraft ihr Daseyn ver dankten. Die Semitische Poesie, der Erde wie eines goldenen Käfigs überdrüssig, stürzte, mit kräftiger Ferse von dem Scheitel der Gebirge sich losstoßcnd, mit ausgcbrcilclen Filtigen in diese vor ihr liegenden endlosen Räume, durchschwebte alle Regionen, kleidete sich in lichtes Blau und in die Farben des Rcgenbogens, wehte sich mit Wolken Kühlung zu wie mit Fächern, erquickte ihre Stirn im Schooß der Stürme, trank dem Thau von den Sternen, pflückte Sonnen wie Beeren, zog dann, dem Paradies vogel gleich, vom Fluge ermüdet, die Flügel wieder ein und ruhte sich, mit Wunder» geschmückt, auf der Erde aus. Wir kötme» die Schönheiten der Arabischen Gedichte nicht begreifen mit ihrer fast kindischen Einfachheit, ihren bis zur Raserei gestei gerten Leidenschaften, ihrer bis zur Unmcnschlichkeit getriebenen Grausamkeit, während doch das-Ganze eine erhabene jungfräu liche Natur athmel!.... Woran liegt dies? — Wir sind ge glättet und abgerundet vom Strome der Jahrhunderte wie Kiesel; sind deshalb aber gezahnte Granittrümmer minder schön? Für uns Jünger der Logik und Arithmetik gicbt es keine Wunderwelt Hindostan's und Parsistan's; die Nibelungen und die nordischen Saga's erscheinen uns nur wie interessante Karrikaturen; wir haben das Gefühl verloren, das in der Vorzeit den Volksgöttern Leben einhauchte — wir glauben an keine Wunder! In der Zauber-Poesie erblicken wir nur einen schöne» Leichnam, und eine Entschleierung der Schönheiten derselben dünkt uns nichts mehr und nichts weniger, als ein anatomischer Kursus. Ein wissenschaftliches Erstaunen ersetzt uns nicht jene Ausbrüche des Entzückens, als noch bei den Mensche» Herz und Verstand eines und dasselbe waren; als die Wissenschaft noch eine Frucht der Begeisterung, und nicht die Begeisterung eine Frucht der Wissenschaft war. Der Schöpfer begabte das kindliche Menschen alter mit einem Vorgefühl alles Wahren und Schönen, erlaubte ihm, sich alles Zaubers der Jugend zu erfreuen und von der einstigen Mannheit zu borgen — wir aber verloren die Fähigkeit, uns vom Vergangenen loszureißei»- und zu glaube», was uns beliebt! Dessenungeachtet liebt cs eine nicht völlig erstarrte Einbil dungskraft und strebt danach, sich wenigstens halb zu täuschen und aus Trümmern, wenn nicht ganze Schlösser, so doch male« rische Ruinen derselben aufzubaucn. So erging es mir auch, als ich, meine Gefährten verlassend, längs der abschüssigen Tiefe hinritt. Bis dahin ging freilich mein Gedankenschwindel nicht, um mich mitten in einer Schöpfung der erhitzten Phantasie mor genländischer Dichter zu glauben,' indessen erinnerte ich mich einiger mir bekannter Stellen orientalischer Gedichte, wie eines schönen Ballets, wie der wunderlichen Bilder eines Kaleidoskope?, wie schwindender Gestalten eines Zaubcrschlafcs. Ucbcr mir schwebte ein Adler in großen Kreisen; unsichtbar murmelte ein Felsenbach tief unter meinen Füßen, und im Osten schimmerte