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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.01.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-01-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19050118025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1905011802
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1905011802
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-01
- Tag 1905-01-18
-
Monat
1905-01
-
Jahr
1905
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Die Nationalisten behaupten, das Schreiben werde andeuten, daß der Präsident nur Mitglieder des Blocks mit der Bildung eines neuen Kabinetts betrauen möge, und nennen ein solches Vorgehen verfassungswidrig. * Dem AuSstanb der Arbeiter an den Putilow werken in Petersburg haben sich die Arbeiter mehrerer Werke angeschlossen. (S. Ausland.) * Die „Australia" fuhr gestern mit dem General Stossest an Bord von Nagasaki ab. (S. rufs.-jap. Krieg.) ver Seneralrttettr ärr vergarbeiler im studnevter. An positiven neuen Nachrichten aus dem Streikaebiet liegt heute nicht viel vor. Die Zahl dec Ausständigen wächst aber weiter und nähert sich bereits 200 000. Das Bochumer Revier liegt fast ganz still, ebenso das Gelsen kirchener, wo gestern eine von öOOO Bergleuten besuchte Versammlung den Streik beschlossen hat. Ter Kohlen versand ist infolge dessen gestern fast auf Null gesunken, und bei Gladbeck, unweit Hagen, sind bereits 1800 Mann von zwei Stahlwerken wegen Kohlenmangels abgelohnt worden. Ruhestörungen durch die Streikenden sind bis jetzt wenig vorgekoinrnen, nur in Essen, Altenessen und Canrap gab es solche. Die Vertreter der Regierung sind unterdessen fortgesetzt bemüht, eine Einigung zwischen den streitenden Parteien herbcizuführen. Ter Qberpräsident der Rhempromnz, Naste ',f''iei acstern in Essen mit dem Bürgermeister und öesuchre auch Ober- Hausen, während er heute in Dortmund mit der Ministc- rialkommission und den Vertretern der Bergarbeiter zu- sammentrifst. Ucbcr die gestrige Konferenz des Regie- rungSkommissars mit den Arbeitcrvertrctcrn in Dort mund wird der „Frkfrt. Ztg." mitgeteilt: Es wurde über die 19 Forderungen der Arbeiter verbandelt. Oberbergliauptniann v. Velsen liest im wesentlichen die Arbeiter reden, um sich zu informieren. Besonderen Mert legte er auf die Länge der Seilfahrt, da die Führer aber kein schriftliches Material hierzu belasten, wurde verabredet, dast sic bei der nächsten Konferenz am Donnerstag solck>cs bereit halten möchten. Sodann kon ferierte der Negicrungskoiiiniisiar mit den Vertretern des Bergbaulichen Vereins. Bei der Entlassung der Arbeiterdelegierten sagte Herr v. Velsen: „Vielleicht werden wir mit jenen Herren am Donnerstag konfe rieren, vielleicht aber auch wieder allein", was offenbar bedeutet, dast Velsen nicht viel Hoffnung auf eine Ver ständigung, auch nur bis zur Herbeiführung einer Zu sammenkunft beider Parteien, liegt. Es wäre dies nur im höchsten Grade zu bedauern, denn eine Beilegung dec Streitigkeiten ist nur von einer offenen Aussprache zwischen den Vertretern beider Parteien zu erwarten Es dürfte angebracht sein, hier an die Ansprache Kaiser Wilhelms zu erinnern, die er am l6. Mai 1889 an eine Abordnung der Grubenbesitzer richtete, und worin er u. a. sagte: „Ich möchte Sie bitten, dafür Sorge zu tragen dast den Arbeitern Gelegenheit gegeben werde, ihre Wünsche zu formulieren, und sich vor allen Dingen immer vor Augen zu halten, dast diejenigen Gesell schaften. welche einen grosten Teil Meiner Untertanen beschäftigen und bei sich arbeiten lassen, auch die Pflicht dem Staat und den beteiligten Gemeinden gegenüber haben, für das Wohl ihrer Arbeiter nach besten Kräften zu sorgen .... Ich betrachte es als Meine Königliche Pflicht, den Beteiligten, den Arbeitgebern sowohl wie den Arbeitern, Meine Unterstützung bei vorkommenden Meinungsverschiedenheiten in dem Maste zuzuwenden, in welchem sie ihrerseits bemüht sind, die Interessen ihrer gesamten Mitbürger durch Pflege ihrer Einigkeit unter einander zu fördern und vor Erschütterungen, wie diese, zu belvahren." Wenn jetzt der Streik durch die Grubenbesitzer zu einer „Kraftprobe" gestempelt wird und man sie gewisser- masten auszuhungern versucht, so dürfte dies die Erbitte rung unter den Bergleuten nur steigern und bei nächster Gelegenheit einen neuen Ausstand Hervorrufen Uebriaens scheinen die Streikenden auf reichliche Geld unterstützung rechnen zu können, so wurden z. B. gestern allein in Essen auf Sammellisten der Streikenden 30 000 gezeichnet. Der „Vorwärts" fordert im An- schlust an den gestrigen Aufruf zur Sammlung von Unterstützungen für alle Streikenden, ohne Unterschied der Organisation, also auch die Arbeiter von Hirsch- Duncker und aus Zentrumskreisen, das Zentrum und den Freisinn auf. ebenfalls die ihnen angeglicderten Organisationen zu unterstützen. Zur Lohnfrage. „Wer vermag die Leiden der Arbeiter zu schildern? Nach den eigenen Angaben der Zechenbesitzer sind die Löhne der Bergleute m den Jahren 1900 bis 1902 um 201 .4! »urückgcgangen." — So schreibt der „Dorlvarts", um bei dem Leser die Vorstellung zu erwecken, als ob das Einkommen der Bergarbeiter des Ruhrgebietes besonders schlecht sei und durch die Äe'serung der wirtsäiaftlichen Konjunktur gar nickt berührt worden wäre. Zur Kritik solcher Tendenzniachc sei zunächst auf die Darstellung ver wiesen, die der ehemalige Reichstagsabgeordnete Richard Calwer. ein Sozialdemokrat und Parteiführer, in seinem Buche „Das Wirtschaftsjahr 1903" (Jena, Gustav Fischer) von den Verhältnissen der Bergarbeiter gibt. Dast die Bergarbeiter!ohne den grosten Ausfall vom Jahre 1902 iin Jahre 1903 noch nicht wieder eingcholt haben, betont allcrüittgs auch Ealwer. Dann aber fährt er fort: „Während nach der amtlichen Lohnstatistik für die preußischen Bergarbeiter die Gesamtsumme der im Jahre 1902 gezahlten Nettolöhne um zirka 36 Millio nen Mark gegen 1901 abgcnonimen hat, betrug die Zunahme im Jahre 1903 37.4 Millionen Mark. . . . Von dem Mehr im Jahre 1903 entfallen nun etwa 17 bis 18 Millionen Mark darauf, dast die ,Zahl der Arbeiter sich wieder vermehrt hat. Während im Jahre 1902 die Bergleute in Prcusten einen Ver- dienstauSsall von 36,1 Millionen Mark hatten, beträgt unter Weglassung der Lohusuinmc für die neu hinzu gekommenen Arbeiter im Jahre 1903 die Lohnsumme eigentlich nur erst 19 bis 20 Millionen Mark." Calwer führt hierauf an, dast das jährliche Durch- sck'»Ol<--inko'iuiien im Jahre 1903 sich auf 1047 .< gegen 1076 Mark im Jahve 1901, belief. Dias er klärt Calwer mit der steigenden Zahl der verfahrenen Schichten und reduziert die wirkliche Lohnzunahme auf rund 4,5» Millionen Mark oder auf 3 Pfg. pro Schicht. Calwer deutet schließlich aus die Möglichkeit bin. dast der berechnete höhere Lohnsatz bei einer Berücksichtigung der Sckicktdauer noch eine weitere Modifizierung erfahren würde. Mit Calwers Einwänden dürste alles erschöpft sein, was von: sozialdemokratischen Standpunkte aus gegen die unbestreitbare Tatsache einer Zunahme des Bergarbeitereinkommens im allgemeinen gesagt werden kann. Angesichts der Stellung Calwers gegenüber den Lohnverhälinlssen der Bergleute aber fällt es doppelt ins Gewicht, wenn derselbe Autor bezüglich der Verhältnisse im Ruhrgebiet wörtlich schreibt: In den Bezirken des Steinkohlen bergbaues ist das Durchschnittsein kommen im Oberbergamtsbezirk Dort mund am meisten in die Höhe ge- gange n." Dabei beziffert Calwer Las Durchschnittseinkommen im Dortmunder Bezirke auf 1131 im Jahre 1902 und auf 1205 im Jahre 1903. Dieses Durchschnitts- einkoinnren begreift aber Lie Arbeiter insgesamt, die jugendlichen unter 16 Jahren mit eingeschlossen. Nach der amtlichen Statistik betrug der durckschnittlickx! Iahrcsverdienst eines unterirdisch be schäftigten „eigentlichen" Arbeiters (im Dortmunder Be zirk) 1314 im Jahre 1902 und 1411 im Jahre 1903: der durchschnittliche Iahrcsverdienst eines „sonstigen" unterirdisch beschäftigten Arbeiters war in den beiden Jahren 955, bezw. 1017 -K. lieber Tage be schäftigte Arbeiter (ohne jugendlacke) batten einen durch schnittlichen Iahrcsverdienst von 1047, bezw. 1094 — An der Hand der vorstehenden Zahlen gelangt man zu einem richtigen Urteil, sowohl über die Angaben Cal wers, wie über die Darstellug des „Vorwärts". Dabei bleibt freilich immer zu bemerken, dast der jetzt ausge- brochene Streik gar nichf in erster Linie ein Streik wegen des Lohnes ist. Ein StimmungtbttH aus dem „Wetterwinkel" des Streikgebietes, den Ort- scliaften Allenessen, Neuessen und Carnap, entwirft der Essener Korrespondent des „L.-A." in folgender Schilde rung: Morgens fiel ein feiner Staubregen. Schwer hing der Rauch an den Schornsteinen, die bald erkalten werden, über der Landschaft. Die Strasten der Ort- schäften und Arbeiterkolonien lagen leer, die Wege zu den Zechen wie vergossen. Nock hatten — es war um 9 Ubr morgens — wenige Häuser ihre Fensterangen geöffnet. Man war ebcu gestern spät zu Bett gegangen, bis Mitternacht und darüber hinaus gingen Boten von .Tür zu Tür, in jede hineinrufcnd: „Morgen wird ge feiert I" Nachmittags uw 2 Uhr, zur Stunde, in der die Moraensckicht aus.fährt, bot sich mir ein anderes Bild: die Arbeiterpolizei batte sich gebildet: zu Fuß und auf dem Rade kamen mir Männer mit Weister Schleife im Knopfloch entgegen . Hier und da blieb einer stehen oder stieg ab, um emc Gruppe von Männern mit der Doppel- reibe von Perlmutterknöpfen ans der Brust anzureden ' Mahnung odc- Waeuünu an sie zu richten. Zwischen den Weißen Gardinen fast jeden schmalen Fensters blinkte solche doppelte Knopfreihe. Oft sah man über ihr einen Kopf, der sich über ein Buch beugte. Dichter und häufiger wurden die Gruppen, je weiter der Wagen nordwärts fuhr. Rote Kopftücher von grauen brachten starke in das Bild. Noch geht die Not in diesen Strasten nicht um. Es langt zu Tabak für die Pfeife des Familienvateirs, und in des jungen Berg manns Munde fehlt die Zigarre nicht. Die Körbe am Arm der grauen sind gefüllt. Die Kinder lachen und denken, es ist ein Festtag. Am Bahnhof von Altenessen stehen mit dem Karabiner am Riemen über der Schulter drei Gendarmen in grauen und zwei Essener Polizisten in schwarzen Mänteln. Lachend plaudern sle zusammen. Sie seben aus wie Leute die mit sich und mit aller Welt zusrieden sind, die keine Störung befürchten. Sie wenden kann« den Kopf, als sich auf den Seitenpfaden Männer mit und obne Bündel unter dem Arm der Hauptstraße näbern. Dort, wo die beiden Wege sich kreuzen, stebt jedeSmal ein Streikposten: denn die Seitcnpfade sichren zu Zechen, nnd die Männer mit und ohne Bündel kommen von der Arbeit. Tie einen haben beute morgen nur noch gearbeitet, um sich ihre Sachen abholen zu können. Die anderen sind Streikbrecher. Aber sie werden dank der gerade hier schon organisierten Arbeiterpolizei nicht belästigt: kaum ein Schimpfwort fällt aus den Gruppen, an denen sie vorbeigeben. Gelegentlich dreht ihnen jemand verächtlich den Rücken zu. ... In der Straßenbahn, in der ich sitze, haben unterdessen Kinder ihre Nasen an den Fenstern glatt gedrückt nnd Er wachsene sich beim Schauen den Hals verrenkt. Nun wir aus der Ortschaft hinausrollen, beginnen die Erörte rungen und die Fragen: Wie lauge werden sie es aus- halten? Vier Wochen, meint jemand I Bis in den April, sagt ein anderer. Man einigt sich darüber, Last „sie" ihren Kampf gewinnen sollten. Hier brausten spricht man frei von Ler Leber. Drinnen in der Stadt Essen bekundet man lebhaftes Interesse für den Streik. Aber ganz offen und laut wagen wenige für die Berg leute Partei zu ergreifen. Man must mit jemand im stillen Winkel zusammensitzcn, ehe er einem versichert, dast neun Zehntel der Bevölkerung den Zechenbesidern eine Niederlage und oft Schlimmeres wünschen. Dieses Rnhrrevier ist ein Industriezentrum, in den: jedermann mehr oder weniger von den Grossindustriellen abhängig ist und der harte Taler Hoheitsrechte genießt. Spreche niemand mehr vom allmächtigen Dollar! Auch Lie Mark erfreut sich übermenschlichen Ansehens! Hier wenigstens. Inbrünstiger als im Rnhrrevier ist auch im Nankeeland nie zu Gott Mammon gebetet worden. . . . Meine Fahrt endet in Carnap. Dort ging cs neulich am schlimmsten zu. und deshalb sind die Wirtschaften schon seit 2 Uhr nachmittags gcichlosien. Noch mehr als Len Streikange- leqenheiten wendet sich das allgemeine Interesse zwei Kutschen zu, die vor der Tür eines Hauses halten. Die Pferde tragen bunte .Haarstuben über den Köpfen, und drinnen im Hause feiert man Hochzeit. Vielleicht wird Schmalhans bald in der Küche der jungen Hausfrau Küchenmeister sein. Folgen de» Streik«. lieber die Folgen des Streiks hat La» „B. T." eine Umfrage unter hervorragenden Persönlichkeiten der Bank-, Industrie- und .Handelswelt Vorgenomnien, woraus die Auslassungen eines maßgebenden Herrn deS deutschen Kohlenhandels von besonderem Interesse sind, so daß wir sie nachstehend wiedcraeben. Der betreffcnLe Herr äußerte sich folgen dermaßen: Der KohlenarbeiterausstanL im Ruhrreviere trifft die Kohlenindustrie gegenüber den Wirkungen des Streikes besser gerüstet als 1889. Die Vorräte in den Depots des Kohlensyudikates werden aus zirka 800 000 Tonnen beziffert. Nun beträgt freilich der tägliche Kohlenversand Westfalens durchschnittlich pro Tag 200 000 Toiuien. Immerhin genügen diese Vor räte, um über die erste Verlegenheit Hinwegzuhelsen. Dazu kommt noch, dast für die Eisenbahnen jede Ge- üihr öiues Kohle»! mangels ausgeschlossen ist, da die deutsclKm Eisenbahnverwaltungen seit dem Kohlen- arbeiterstreike des Jahres 1889 sogenannte „Streik vorräte" unterlralten, die auf mindestens sechs Wochen reichen. Ebenso verfügen die Gasanstalten über nam- lxcfte Vorräte. Was die Anshülfe mit Kohlenvor- raten seitens anderer Produktionsgcbiete betrifft, so verfügen die oberschlesijchen Gruben über Bestände in relativ beträchtlickunn Umfange, so dast Oberschlesien Aushülfe leisten könnte — freilich in nur sehr be grenztem Maße. Lberscklesien fördert nur ungefähr ein Drittel der Kohlenmengen Westfalens. Außerdem hat der Kohlenbedarf des Ostens selber infolge des Frostes in letzter Zeit stark zugenomnren. Immerhin dürste Oberschlesien einige Hunderttausend Tonnen zur Verfügung stellen können — wenn man die hohen Frachtkosten tragen will. Nahezu unbegrenzte Quantitäten kann England über Holland liefern. Natürlich würden auch diese Kohlenbezüge mit grosten Opfern für die kohlenkonsumierenden Industrien ver- knüpft sein. Für Süddeutschland käme Las böhmische Kohlenrevier in Betracht, wo die Förderung, die jetzt eingeschränkt ist, erheblich ausgedehnt werden könnte. Als Aushülfe käme ferner die Verwendung von Bri- ketts in Betracht, doch sind die Vorräte hierin, speziell im Senftenberger Revier, infolge des Frostes ohnehin ziemlich knapp. In Verlegenheit dürften in erster Reihe die westfälischen Eisenwerke kommen, die fast durch»veg keine Kohlenvorräte haben, da ihnen die hierfür erforderlichen Lagerplätze fehlen. Eine Preissteigerung ist, soweit der Kohlenhandel im Einklang mit den Verbänden steht, also in West falen, in Oberschlesien und in Niederschlesten, nickt zu befürchten. Tie Verbände »norden ihren ganzen Einflust geltend machen, dast eine Preissteigerung Feuilleton. Um jeden Preis. 19) Roman von Sergei D . . . . «acddrmt derliote«. „Also, dann erzählen Sie niir alles, was Sie wissen!" Und Mike erzählte. Erzählte von dem Bootsunfall und der Beraubung Suwarows. Sich selbst ließ er wohl- weislich aus dem Spiel. Er nannte überhaupt nur Mrs. Hamiltons Namen, und die war — fort. Uebrigens war er klug genug, um zu wissen, Last man ihn für Der- artiges nie zur Verantwortung ziehen würde. Dazu kam noch, daß Claire ihm weitere fünfzig Pfund Sterling ver- sprachen batte für den Fall, dast seine Angaben sich be- »oahrheiteten. „Woher wissen Sie denn das alles?" fragte Claire. „So etwas sagt man nicht", lächelte Sullivan. Claire verstand ihn richtig. „Und Suwarow war ein Russe?" Er nickte. „Ja — aber war sie denn nicht russische Spionin?!" Mike lächelte nur und sprach sich nicht aus. „Und H. B. kennen Sie nicht?" Auch Claire konnte vorsichtig sein. Mike schüttelte den Kopf. »Go'n englischer Lord war drin in der Affäre. Wenn der's ist?" meinte er und sah sie scharf an. Doch keine Muskel ihres Gesichtes bewegte sich. „Weiß noch nicht, erzählen Sie nur weiter!" „Na — also — da war Na , — da war einer, der war sehr eifersüchtig auf einen englischen Lord. Den lachte er dabei immer aus und sagte: Den holt noch mal der Teufel für garnischt, den armen Kerl. Ich glaube, der bekam ihre Briefe." «Ten hat sie also auSgehorcht?" fragte Claire. Mike schwieg in allen Sprachen. Bald darauf verabschiedete sich Claire. Sullivan half ihr in den Magen und war seiner Gewohnheit gemäß drauf und dran, ihr in einem zweiten Wagen zu folgen. Im letzten Moment besann er sich: „Nein", sagte er ganz laut vor sich hin, „der nicht!" Ein Beweis, dast selbst im schlechtesten Menschen noch ein guter Funke glimmt, der nur angefacht zu werden braucht. — — — „Nach dem Pentorville Prison!" rief Claire dem Kutscher zu, nachdem sie außer Hörweite von Sullivan »varen. Ein rascher Blick auf die Uhr hatte ihr gezeigt, daß für die Gefangenen noch „Sprechstunde" sei. Und sie mußte daS Gehörte mit Harry besprechen. MrS. Hamilton war für sie jetzt ein offene« Buch. Claire erlebte eine Ueberraschung, — sie mußte sich eingestehen, eine angenehme Ueberraschung. Harry sah bedeutend besser aus und kam ihr mit einer so auf richtigen Freude entgegen, daß es ihrem Herzen wohl tat. Und als sie ihn dann über den wahren Charakter des Weibes, das er so wahnsinnig geliebt, aufgeklärt hatte, da sank er auf die Kniee vor ihr nieder, wie vor einem heiligen Wesen und dankte ihr. Diese beiden Menschen glaubten, das schöne, mysteriöse Weib aus Stoke Newington jetzt zu kennen und zu ver- stehen. Eine Spionin in russischen Diensten, die Liebe geheuchelt und einen Mann ins Unglück gestürzt hatte um ihrer Ziele, das heißt, um Geldes willen. Ein Weib, das um elenden Mammons willen den Mann, von dem sie genau wußte, daß er sic liebte bis zum Wahnsinn, denunziert — und falsch denunziert hatte. Die ihn jetzt vielleicht verspottete. Burton empfand einen unaussprechlichen Ekel. Um dieses Weib hatte er das reine, treue Geschöpf da vor sich auch nur eine Minute vergessen können! Ein Gefühl der Scham beschlich ihn: er konnte Claire nicht in die Augen schauen. „Aber, wer war Suwarow?" fragte Claire. „Ihr Komplize natürlich." „Doch — warum hatte man ihn beraubt?" Hier war ein schwer lösbares Rätsel. Komplizen brauchte man dock nicht zu berauben! — Als der Gefangenwärter eintrot, um zu melden, daß die Sprechzeit abgelaufen sei, da hatten Claire Ashton und Harry Burton einen Plan ersonnen, von dem sie sich viel versprachen. Einen Plan, die Wege dieses elenden Weibes, das Burton jetzt ebenso haßte, wie er eS einst geliebt, zu kreuzen. „Nur Mut, Harrv!" »varen Claires letzte Worte. „Auf den Knieen soll sie noch um Gnade flehen!" Das glaubte Claire nun zwar selbst'nicht, aber sic hätte ebenso irgend etwas anderes gesagt, das geeignet gewesen wäre, Harry Mut einzuflösten. Der betrat seine Zelle eigentlich gedrückter, als er sie verlassen. Mrs. Hamilton war für ihn ein überwundener Standpunkt, — der Gedanke, von einem geliebten Weibe genasfllhrt worden zu sein, »vor gewiß schmerzlich — aber ein Schmerz, mit dem er sich abfinden mußte und der etwas Gutes an sich hatte: er tötete Burtons Liebe zu Ncttie Hamilton zentimeterweise und sicher. Claire Ashton dagegen sah er in einem ganz neuen Lichte. Hatte er einst geglaubt, sic zu lieben, so liebte er sie jetzt wirklich. Nicht mit jener heißen, begehrenden Liebe, die aufflackert wie ein wildeS Stroh- feuer, um bald wieder auSzubrennen, sondern ruhig und ergeben, weniger mit den Sinnen, als mit dem ganzen Herzen: mit der Liebe, die ewig dauert. Und das hatte er Claire Ashton sagen wollen und sie um Verzeihung bitten. Und er war nicht dazu ge- kommen. Bei dem geringsten Versuch hatte ihr Gesicht eine Miene angenommen, daß ihm die Worte in der Kehle stecken geblieben waren. Oh, er konnte sie gut verstehen. So mußte es ja kommen. Durste er denn überhaupt wagen, ihr von seiner Liebe zu sprechen? Nach dem, waS geschehen? — Hatte er nicht eine andere vorgezogen? Und war be-
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