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Die „Vtlendvifer Kettung" erscheint Dienstag, Donners- tag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich 1 Mark. Durch die Post bezogen 1,20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode." Annahm« von Inserat« bi» »»»mittag 10 Uhr. Inserat« werden mit 10 p siir di« Spaltzetl« berechn« LabellarischeHSatz nach b«sond«rem Taris Druck und Verlag vor. Hermann Rühle m Hroß-GkrMa. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Gkrilla No. 23. Freitag, den 22. Februar 1907. 6. Jahrgang. Oertliches und Sächsisches. Vttcndorf-Vkrilla, den 2h Februar iyor. -X. Päpstlicher wie der Papst. In unserem lieben Ottendorf passieren gar wunderbare Dinge; tagte da kürzlich eine Versammlung de» „Großen Rate»", in welcher der Papst — pardon der Partei- papst der hiesigen Sozialdemokraten, einen Bannstrahl vom Stapel ließ wider die bescheidene „Ottendorfer Zeitung", weil, nun weil dieselbe nicht nach dem Geschmacke des „großen Schülers" der Parteischule ge schrieben haben soll. Wie der Papst im Mittelalter feine Bannbullen in die Welt schmetterte, wenn irgend Jemand nicht nach dem Geschmacke Roms handelte, so donnert der Parteipapst von Ottendorf, der „große Gernegroß", Acht und Bann über alle Die jenigen, die nicht in da» bekannte Horn tuten. E» ist wirklich zum Lachen; in einem Wortschwall wird Freiheit gepredigt, d. h. Freiheit für die Genossen, aber jede andere Meinung soll mundtot gemacht werden. Und solche Leute wollen sich als Weltverbesserer aufspielen und kennen nicht einmal die elementarsten politischen Regeln, nach welchen es eben Jeden unbenommen sein muß, seine Meinung zu äußern. Daß solche politische Kinder noch Nachbeter finden, ist ein Beweis dafür, wie sehr die politische Unreife in diesen Kreisen noch grassiert. Der denkende Arbeiter müßte doch längst begriffen haben, daß solche Unduldsamkeit und Hetzarbeit jede Partei mißkreditiert und daß derjenige nicht ernst genommen zu werden verdient, der durch fein Auftreten die ganze Partei blamiert. Große Worte im Munde führen und ent gegengesetzt handeln, das kann eben nur der jenige, der aus den politischen Kinderschuhen noch nicht heraus ist, aber dennoch eine Rolle spielen möchte. Der „große Gewaltige" hat sich auch darüber aufgeregt, daß die OrdnungS- Parteien auch einmal eine Versammlung ab gehalten haben, als ob die Sozialdemokraten nur allein das Privilegium dazu hätten, und e» sich nicht versagen können, die bekannten persönlichen Angriffe vom Stapel zu lassen. E» ist an der Zeit, daß solchen poli tischen Dilletanten da» Handwerk gelegt wird, damit sie nicht noch weitere Kreise vergiften. Hoffentlich richtet die ins Leben gerufene Organisation der reichstrcuen Parteien auch hierauf ihr Augenmerk, sie würde sich ein Verdienst damit erwerben. —* E» scheint mit Machl Frühling werden zu wollen — wenigstens durchrasen heftige Stürme da» Land, die offenbar den Winter vertreiben und dem jungen L>nz den Weg frei machen wollen. Der Sturm hat manchen Schaden ungerichtet- —* Briefsendungen nach außereuropäischen Orten werden häufig so spät zur Post gegeben, daß sie bei unaufgehaltener Beförderung gerade noch durch die Zeitungen bekannt gegebenen letzten AbsendungSgelegenheiten der deutschen Au»wechselungS-Postanstalten, die Schlußoer sande erreichen können. Bei Störungen im Gange der Eisenbahnzüge kommt es aber nicht selten vor, daß entweder die Sendungen diese Schlußversande verfehlen, oder das letztere, wenn sie nicht von deutschen Häfen abgehen, in den fremden Hafenorten den Anschluß an die abgehenden Dampfer nicht erreichen Zur Sicherstellung des Anschlußes auch bei solchen Zugverspätungen werden von den deutschen Auswechselungs-Postanstalten bereits mit einem früheren Zuge Vorversande abgefeitigt Im eigenen Interesse des Publikums empfiehlt es sich, Briese nach überseeischen Orten möglichst zeitig zur Post zu liefern, damit sie noch mit den Voroerssnden befördert werden können und so den Anschluß an die Dampfer, für die sie bestimmt sind, auch bei unvorhergesehenen Vorkommnissen sicher erreichen. —* Ueber die Personenlarifreform hat sich der Eisenbahnminister Breitenbach in der Judgetkommisfion des preußischen Abgeordneten- sauses geäußert: Die Reform ist ein Ausgleich ür den namentlich Süddeutschland Opfer ge bracht hat. Der neue Gepäcktarif wird noch ermäßigt werden und zwar sollen 25 Kilogramm n drei Zonen, 20, 50 Pfg. und 1 Mark kosten, ferner wird eine Zwischenstufe von 26 bi« 35 Kilogramm eingeschoben. Eine Er mäßigung der Personentarife ist unmöglich, zu mal die Reform so wie so schon einen noch nicht gedeckten Ausfall von l4 Millionen Mk. ningt und die Reichssahrkartensteuer neben der Verschiebung nach den niedrigen Klaffen Minder einnahmen verursacht. Was die Zuschläge an- lelangt, so sollen als Schnellzüge die bisherigen D-Züge und solche Schnellzüge gelten, die auf angen Strecken verkehren Die Lokal-Schnell züge dagegen, ein Drittel aller, bleiben frei. Die gleichzeitige Lösung einer Hin- und Nück- ahrtkarte steht frei, wenn die Rückfahrt inner- lalb zweier Tage angetreten wird. Bei Hohm Beträgen über 50 Mk. kann man sich durch die Rundrcisehefle gegen eine doppelte Be steuerung Helsen. —* Die O-Züge, so wurde berichtet, werden aus dem Sommersahrplänen verschwinden. Die Badischen StaalSbahnen haben in ihren Fahrplan, der am I. Mai mit dem neuen PeisoN'Nlarif eingeführt werden sollen, keine Angaben darüber gemacht, welche Schnellzüge aus Korridorwagen bestehen Wir hatten den Wunsch angeschloffen, das Angaben über die O Züge in den Fahrplänen der deuschen Eisenbahnen auch nack der Tariffesorm bei- behalten werden. Wir können mitteilen. daß dieser Wunsch jedenfalls in der preußisch-hessischen Eisenbahngem.inschast und wohl auch bei anderen Verwaltungen erfüllt werden wird. Zwischen dem preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten und dem Reichspostamt ist vereinbart worden, die schnellfahrenden Züge in folgender Weise zu kennzeichnen. Von allen Schnell- und Eilzügen werden die AbfahrtS- und Ankunftszeiten fett gedruckt. Die Schnell züge, für deren Benutzung Zuschlag zu ent richten ist, erhalten links von den Fahrzeiten jenen aus kurzen Strichen bestehenden Streifen, mit dem bisher die V-Züge bezeichnet wurden. Soweit die Schnellzüge auö Korridorwagen be stehen, behalten die Züge ihre bisherige Be zeichnung als V Zug. Es ist ueuerdings zwar fraglich geworden, ob gerade diese Kennzeichnung der O-Züge, die der bisherigen entspricht, in Zukunst beibehalten werden kann. Jedenfalls aber wird man aus dem amtlichen Fahrplänen und aus dem ReichS-KurSbuch ersehen können, welche Schnellzüge DurchgangSwagen haben. Für diese werden auch jedenfalls bei den preußisch-hessischen Eisenbahnen Platzkarten zum Belegen von bestimmten Plätzen ausgegeben. Medingen. Am morgenden Freitag be geht das Gutsauszügler Haase'sche Ehepaar da« goldene Ehejubiläum. Dresden. Das Kriegsgericht der 39. Division verurteilte am Dienstag den Unteroffizier Scholze von der 6. Kompagnie des 13. In fanterie-Regiments Nr. 178 in Kamenz wegen Mißbrauchs der Dienstwaffen und mangelhafter Beaufsichtigung von Untergebenen zu sieben Wochen zwei Tagen Gefängnis. — Die Baufälligkeit der alten Augustus- brücke tritt mehr und mehr zutage. Schon bei den Anschlußarbeiten für die Notbrücke lösten sich in ähnlicher Weise wie im Winter des Jahres 1905 einzelne der großen, die Gangbahn tragenden Kragsteine aus dem Ver bände und stürzten ab. Am Mittwoch stürzte abermals ein solcher in den zur Aufbewahrung von Möbel dienenden Anbau im Hofe des Grundstücks 4 ab, wodurch unter dem ein gestellten Tischlerwaren erheblicher Schaden an gerichtet wurde. — Während einer Gerichtsverhandlung vor dem hiesigem Schöffengericht benahm sich der 18 jährige Kupferschmied Winzheimer, der mit mehreren anderen halbwüchsigen Burschen im Zuschauerraum saß, so ungebührlich, daß er zu nächst aus dem Sitzungszimmer gewiesen und dann auch noch in eine sofort vollstreckbare Haststrase von einem Tag genommen werden mußte. Bei der Abführung des Burschen be- merkte man bei ihm einen zweischneidigen, scharf geschliffenen Dolch und einen Schlagring mit spitzen Dornen. s Kamenz. Am Sonntag vormittag wurde hier die Frau eines FeuermannrS erhängt auf gefunden. Da an der Toten blutende Ver letzungen wahrgenommen wurden, so entstanden bald Zweifel on einem Selbstmorde und es wurden Gerüchte laut, die den Ehemann mehr oder weniger schwer belasteten. Bei seiner poliz iiichcn Vernehmung erklärte er, daß er die Frau, mit der er schon länger in Unfrieden ebte, bei einer in der Nacht zum Sonntag 'tätig fundenen heftigen Auseinandersetzung ge- chiagcn habe. Mit der Angelegenheit be schäftigt sich jetzt die Staatsanwaltschaft Bautzen. Radeburg. In einer am Freitag unter dem Vorsitz des Herrn Stadtrat Berg stait- gefundenen Sitzung des StadtgemeinderaieS wurde Herr Bürgermeister Moritz Richter in Anerkennung seiner ersprießlichen Tätigkeit zum Wohle unserer Stadl auf Lebenszeit gewähl!. Weinböhla. Am Montag abend in der 7. Stunde ereignete sich in Weinböhla ein schwerer Unglöcksfall. Die Pferde eines dortigen Bierhändiers waren durchgegangen und jagten in rasenden Tempo die Dresdner Straße ent lang, aus der gerade lebhafter Verkehr herrschte, da die Leute aus den Fabriken heimkehrten. Ein Arbeiter wurde von den wildgewordenen Tieren zu Boden geschleudert und überfahren. Er erhielt dabei so schwere Verletzungen an den Beinen, daß er noch am Abend in das Meißner Krankenhaus übergeführt werden mußte. Meißen. Das „Meißner Tageblatt" meldet: Im Hause Ploffenweg 2 wurde ein etwa zehnjähriger Knabe, der Sohn der dort wohnenden Familie Saalbach, in der Wohn stube vor der Tür tot ausgesunden. Die ärztliche Untersuchung hat ergeben, daß der Knabe eines gewaltsamen Todes gestorben sei. Die behördlichen Erörterungen sind im Gange. — Von anderer Seite wird noch mitgetcilt: Der Verstorbene ist ein Sohn einer seit Jahren von ihrem Mann verlassenen Fabrik arbeiterin, die in der fraglichen Zeit außerhalb ihrer Wohnung an ihrer Arbeit gewesen ist- Er ist früh gegen dreiviertel acht Uhr, als seine 14 Jahre alte Schwester zur Schule ging, und ihn allein in der Wohnung ließ, noch am Leben gewesen und soll über Leibschmerzen ge klagt haben. Zur Schule hatte er nicht zu gehen, weil er an einem offenen Beinschaden erkrankt war. Bei Rückkehr der Schwester hat diese die Leiche ihres Bruders vor der Tür liegend aufgefunden. Riesa. Eine seltsame Naturmerkwürdigkelt ein sogenannter Rattenkönig, wurde in einem hiesigen Grundstücke gesunden. Vier beinahe völlig ausgewachsene Ratten waren mit ihren langen Schwänzen so ineinander verwachsen oder verflochten, daß diese Schwänze einen kaum entwirrbaren Knäuel bildeten. In dem Knäuel waren auch kleinere Teile von Schwänzen zu bemerken, so daß man annehmen kann, daß der Rattenkönig erst noch mehr Köpfe zählte, als bsi seiner Auffindung. Siebenlehn. In die Untersuchung über die das höchste Aufsehen erregende Brand stiftungen werden immer mehr Personen ver wickelt. Erst in den letzten Tagen der ver gangenen Woche sind wieder zwei weitere Personen in Haft genommen. Die freiwillige Feuerwehr hat nach Ablauf der vierteljährigen Kündigungsfrist einem im Januar gefaßten Beschlusse zufolge ihre Auflösung noch nicht vollzogen, sondern wird bis zur Beendigung der nächsten Freiberger Schwurgerichtsperiode, die sich mit der Brandangelegenheiten zu be fassen haben wird, den Dienst weiter versehen. Leipzig. Die Revision des Möbelhändler» Wilh. Meyer, der wegkn Tötung und Be raubung der Frau verw. Vogel vom Schwur gerichte Kassel zu 15 Jahren Zuchthaus ver urteilt worden war, wurde vom Reichsgerichte verworfen. Meyer war bekanntlich nach der Tat nach Amerika geflohen, aber von den Ver einigten Staaten ausgeliefert worden. — Für 40000 Mark Butter al« Wagen schmiere. Ein Anzahl hiesiger Butterfirmen hatte zu Weihnachten bei einer Allgäuer Butterfirma Schmelzbutler im Werte von zirka 40 000 Mk. bestellt gehabt. Da idie hiesige Nahrungsmittelpolizei feststellte, daß die Schmelz butter einen großen Prozentsatz Margarine ent hielt, wurden sämtliche von der Allgäuer Firma stammende Vorräte mit Beschlag belegt und durften später nur noch zu gewerblichen Zwecken, al» Wagenschmiere usw. verwandt werden. Der Inhaber der Allgäuer Firma wurde wegen Nahrungsmittelfälschung und Betrug- unter Anklage gestellt. — Den Gefährten des Einbrechers Köhler glaubt man in den 24jährigen Handlungs gehilfen Paul Schwärzel auö Bernburg, der hier seit längerer Zeit wohnt, ermittelt zu haben. Inwieweit der Verhaftete an dem Einbruch beteiligt ist, muß erst die Untersuchung ergeben. Hainichen. Wegen Verdachtes, ihr zehn Monate alles Kind vergiftet zu haben, wurde hier dis Tischleröwitwe Berndt polizeilich sest- genommen. Am Sonnabend wurde die Leiche des Kindes wieder ausgegraben. Die im Bei sein des Freiberger Staatsanwaltes von dem Bezirksarzte und dem hiesigen Gerichtsarzte vorgenommene Sektion ergab, daß das Kind mit grüner Chromfarbe vergiftet worden ist. Werdau. Ein gewaltiger Sturm tobte hier in der Nacht vom Sonntag zum Montag, der mannigfachen Schaden an Häusern usw- ver ursachte. Die aufgestellten Jahrmarktsbuden stürzten zum großen Teil ein und bildete ein wildes Durcheinander. Die Passage auf den Straßen war während des Sturmes mit großer Lebensgefahr verbunden, hauptsächlich wegen des HerabsallenS von Dachziegeln. Zwickau. Weil er seinen künstlichen Arm verloren hatte, einarmig aber wenig arbeiten konnte und daher stellungslos war, versuchte sich der Fabrikarbeiter Arno Peiler au« Pölbitz zu erschießen. Er brachte sich einen Schuß in den Unterleib bei, der Darm und Leber be- d-mklich verletzte. Der Bedauernswerte liegt im Krankenhause hoffnungslos darnieder. Plauen. Drei Straßenräuber festgenommen. Der hiesigen Polizei ist e« gelungen, drei ge fährliche Straßenräuber. die Plauen und Um gegend unsicher machten, festzunehmen. E» sind die Arbeiter Schrader au« Hof, Marx au» Coswig und Krauß aus Leimitz. Oberwiesenthal. Von dem herrschenden heftigen Schneesturm überrascht wurde am Dienstag auf dem Gebirgskamm ein 18 jährige» Mädchen besinnungslos aufgefunden. Unter großer Anstrengung nach dem „Neuen Haus" gebracht, stellte man Wiederbelebungsversuche an dem Mädchen an, di- glücklicherweise von Erfolg waren. Nur durch Zufall ist da» Mädchen dem Tode des Erfrierens entgangen. Es stammt au» Buchholz und wurde von Buchholzer Ausflüglern aufgefunden. Ebenfalls infolge des Sturmes und Schneetreibens geriet eine Chemnitzer Touristen-Gesellschaft in Lebens gefahr. Sie fuhr mittels einiger Schlitten von Oberwiesenthal nach Annaberg nnd hatte das Glockensignal des herannahenden Eisenbahnzuges überhört. Als die Schlitten sich einem Bahn übergang näherten, kam auch der Zug, und nur mit knapper Not entgingen die Ausflügler einem verhängnisvollen Zusammenstoß. In folge der herrschenden WitlerungSverhältniffe war auf dem Gebirgskamm fast jeder Verkehr zur Unmöglichkeit geworden.