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Zchönburger Tageblatt Erscheint tLglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge find erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster- schrinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. «nd Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. SO Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Amtsblatt für de» Stadtrath zu Waldenburg. ^158. Mittwoch, den 9. Zuli 1884. "Waldenburg, 8. Juli 1884. 8 Es scheint, als ob dieColonialsrage, nachdem sie durch die große Debatte im Reichstage aufgerollt ist, durch aus nicht wieder zur Ruhe kommen soll. Sie wird allem Anschein nach sogar bei den bevorstehenden Wahlen eines der Hauptschlagworte sein, die für den Standpunkt der Parteien kennzeichnend sind. Nicht ganz mit Unrecht hat s. Z. im Reichstage ein nationalliberaler Redner es bedauert, daß jedes Pro- ject, das in der deutschen Volksvertretung auftauche, sofort durch die Parteibrille angesehen werde. Es liegt darin recht viel Wahrheit, wenigstens war es speziell bei der Colonialfrage durchaus nicht noth wendig, daraus schon jetzt eine Parteisache zu ma chen. Ein Bedürfniß dafür lag in der That nicht vor, und liegt auch bis heute noch nicht vor. Der Volksmund nennt so etwas sehr richtig den Streit um „ungelegte Eier." Es liegt im Allgemeinen im Fühlen und Denken einer jeden mächtigen Nation, wie die Deutsche es ist, ihren Namen in den fernsten Ländern nicht nur geachtet und respectirt zu wissen, sondern auch eine sichere Stätte für Stammesgenofsen zu erstreben, die ihr Glück in fremden Ländern versuchen wollen. Der Drang und das Verlangen nach Colonialbesitz ist natürlich, und deshalb wird es auch nicht gelin gen, die mächtige Bewegung, die sich auf diesem Gebiete geltend macht, einzuschränken oder zu unter drücken. Wir fühlen, daß wir aus den Kinderschu hen herausgetreten sind, und daß wir uns ernstere Aufgaben stellen können. Dazu gehört aber die vernünfsige Regelung der Colonialfrage, die einmal doch erfolgen muß. Geschieht es jetzt nicht, sondern nach Jahren erst, so können sich vielleicht noch weit mehr Verwickelungen entspinnen, als jetzt dem schlimmsten Pessimisten vor Augen schweben. Im Allgemeinen ist aber anzunehmen, daß eine Colo- nialpolitik, wie sie der Reichskanzler im Auge hat, ohne jede Störung verläuft. Was befürchtet man nun von der Schaffung von Colonialbesitz durch deutsche Reichsangehörige? Ver wickelungen mit anderen Mächten! Für jeden Aben teurer wird sich das deutsche Reich in keinem Falle engagiren und übrigens hat die Reichsregierung, so wie so die Pflicht, das angetastete Recht deutscher Unterthanen zu schützen. Wollten wir überhaupt politische Verwickelungen vermeiden, so müßten wir auf unfere Machtstellung in Europa verzichten. Ein Staat wie Deutschland ist stets Conflicten mit an deren Staaten ausgesetzt, zu Wasser oder zu Lande bleibt sich ganz gleich, und Sache der Reichsregie rung ist es eben, aus den bewegten Zeitströmungen das Staatsschiff in ruhigere Verhältnisse zu leiten. Blicken nur bis anno 1871 zurück; uns däucht, trotz aller bekannten Friedfertigkeit Deutschlands war die Situation doch oft ernst genug. Will Jemand ernstlich nut uns Friede halten, so wird er es trotz der Colonien thun, will er eg nicht, wird er auch ohne Colonien Krakehl anfangen. Wir können wohl sicher fein, daß sich auf dem Gebiete der Colonial politik die Reichsregierung von vornherein nicht in zweifelhafte Geschichten einlassen wird. Man hat dann noch die Befürchtung ausgesprochen, der Gründung«- und Spekulationsschwindel werde sich bald der Colonialpolitik bemächtigen, oder viel mehr unter ihrem Schutze sein sauberes Handwerk auf Reichskosten in dieser oder jener Weise treiben. Daß der Versuch einmal gemacht werden kann, warum soll das bestritten werden; findigen Geld leuten ist noch ein ganz Stück mehr zuzutrauen. Die Hauptsache aber ist: Noch ist es nicht so weil, und es leben doch wohl eine ganze Menge Leute in Deutschland, die offene Augen haben und sich nicht scheuen, zur rechten Zeit eine Sache beim rechten Namen zu nennen, und vor solchen Schwin delgeschichten zu warnen. Weshalb aber all' dieser Streit, wo es sich nur um ganz reelle Unterneh mungen handelt? Sollte, was wir nicht hoffen wollen, einstmals auch hier das Börsenspiel sich breit machen, dann gesprochen; aber bis dahin kann man schon Besseres thun, als um des Kaisers Bart zu streiten. "Waldenburg, 8. Juli 1884. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Wie aus Koblenz gemeldet wird, ist das Befin den der Kaiserin ganz vortrefflich. Sie unter nimmt täglich im Schloßgarten zu Koblenz Spazier gänge von oft mehrstündiger Dauer. Der kaiserlich deutsche Gesandte in Washington, Herr von Eisendecher, ist aus Washington in Berlin eingetroffen. Ueber den neuen amerikanischen Gesandten in Berlin, John Kasson, verlauten folgende nähere Notizen: Er ist 1822 in Burlington geboren, steht also im 62. Jahre. Er studirte Jura und prak- tizirte bis 1857 in St. Louis. Dann trat er zum höheren Postfach über, wurde 1861 erster Assistent des Generalpostmeisters, der ihn im Jahre 1863 zum internationalen Postcongreß nach Paris schickte, wie er überhaupt später zu fast allen internationalen Postcongreffen delegirt wurde. 1862 wurde er als Republikaner in den Congreß gewählt, in den folgen den Jahren wieder gewählt. In der diplomatischen Karriöre ist Kasson kein Neuling mehr, da er von 1877—1881 die Vereinigten Staaten in Wien ver trat. Er wird als ein Gentleman in jeder Rich tung und von gewinnenden Formen bezeichnet. Der deutschen Sprache ist er mächtig. Die unvermuthet rasche Wiederbesetzung des Berliner Posten's darf mit der Nothwendigkeit einer Betretung angesichts der chinesisch-französischen Verwicklungen in Zu sammenhang gebracht werden. Die „Weser-Ztg." veröffentlicht eine genaue Be gründung des Rechtes der Bremer Firma Lüderitz auf Angra Pequenya, das ja nun auch von Eng land anerkannt ist. Es heißt zum Schluß: „ Aus den vorgelegten Dokumenten hat Lüderitz klar gelegt, daß er der alleinige und rechtmäßige Be sitzer der von ihm gekauften ca. 900 deutschen Quadratmeilen von Groß-Namaqualand ist — — die bisherigen Ansichten über die Beschaffenheit des Landes sind falsch; selbst die bis jetzt vorhandenen Karten sind unzuverlässig und daher noch genaue Forschungen nothwendig. Indem Ehescheidungsprozeß des Großherzog» von Hessen ist vor dem Oberlandesgericht zu Darm stadt Termin auf den 9. Juli angesetzt. Die Ver handlung findet unter Ausschluß der Oeffentlichkeit statt. In den jüngsten Berathungen des preußischen Staalsministeriums ist der „Magdeb. Ztg." zufolge der Termin für die Reichstagswahlen zu einer vorläufigen Erörterung gelangt. Es ist dabei in Aussicht genommen, daß die Wahlen in der ersten Hälfte des October stattfinden und der neue Reichs tag alsdann zu Anfang November einberufen werden solle. Der Zusammentritt de« preußischen Landtages soll dagegen erst im Januar nächsten Jahres erfolgen. Aus Elberfeld wird vom Juli gemeldet: Gestern Morgen begaben sich der Erste Staatsan walt des hiesigen Landgerichts, Herr Lützler, der Untersuchungsrichter und Gerichtsschreiber mit dem verhafteten Socialdemokraten Reinsdorfs nach dem Niederwalddenkmal, wo letzterer genau die Stelle bezeichnen wollte, wo das Attentat auf den kaiser lichen Zug beabsichtigt war. In Köln sind gleichzeitig der preußische Eisen bahnminister Maybach und der Kriegsminister eingetroffen. Angeblich handelt es sich um einen Umbau des Centralbahnhofes. Die „Norddeutsche Allgemeine" erklärt die Mit- theilung, daß der einstimmige Protest der Handels kammern gegen das Börsensteuergesetz die Reichs regierung etwas stutzig gemacht habe und daß es scheine, daß jetzt dem Gedanken wieder Raum ge geben werde, wenn auch nicht gerade Erhebungen, so doch eine nochmalige Beurtheilung durch die Handelsorgane eintreten zu lassen, als nach jeder Richtung hin für unbegründet. Es hätten sich über haupt nur einzelne Handelskammern über den ge dachten Entwurf geiußert und von einer Wirkung dieser Aeußerungen auf die Reichsregierung konnte daher wohl nicht die Rede sein. Uebrigens hält es die „Norddeutsche" für unrichtig, daß eine Begut achtung des Börsensteuergesetzes durch die Handels organe beabsichtigt sei. Zweifellos würde der preußische Staatsrath die berufene Behörde sein, um den von Preußen aufgestellten Entwurf, bevor er in den Bundesrath eingebracht würde, zu prüfen. Der Zollanschluß Bremens soll wie der Hamburgs bis zum 1. October erfolgt sein. Ueber die Kostenfrage ist ein Einverständniß dahin erzielt worden, daß der Reichszuschuß die Hälfte der Kosten, höchstens aber 12 Mill, betragen soll. Frankreich. Die Cholera wächst in Toulon und Marseille immer mehr! Ein Telegramm au« Toulon vom Sonntag Abend meldet: Von gestern Abend 6 Uhr bis jetzt starben 19 Personen; in Marseille starben im gleichen Zeitraum 9 Personen. Die letztere Stadt wird ebenfalls von ihren Bewohnern ver lassen. 115 Italiener begaben sich nach Neapel. Aus Rom meldet noch ein Telegramm: In Venti miglia befanden sich am Sonntag 43 Reisende erster Klasse und 266 Arbeiter in Quarantäne. Dieselben sind vollkommen gesund. Durch den Transportdampfer „Cittadi Napoli" sind 255 italienische Arbeiter aus Villafranca nach Varignano gebracht und dort in Quarantäne genommen. In der Nacht zum Montag starben in Marseille 16 Personen. In derselben Nacht wurden in das provisorische Cholerahospital 20 Personen ausge nommen. — In Aix starb ein Flüchtling au» Toulon an der Krankheit. Geh. Rath Koch hat bestätigt, daß es sich um die wirkliche asiatische Cholera handelt, er hofft aber noch, daß es möglich sein werde, die weitere Ausdehnung zu verhindern. Aus Paris wird noch gemeldet: Die französische Regierung ist dem „Temps" zufolge entschlossen, nöthigenfalls mit Waffengewalt den Bruch de» Vertrages mit China zu ahnden. Zwischen Ferry und dem Gesandten Li-Fong-Pao ist es zu sehr erbitterten Wortwechseln gekommen. Capitän Four nier, der den Friedensvertrag zwischen Frankreich und China mit Li-Hung-Chang abschloß, ist in Paris angekommen. England. Die selbstständigen Frauen in England, denen das Unterhaus jüngst die Ausübung des parlamentarischen Stimmrechts verweigerte, fangen jetzt an, diesen Beschluß mit Steuerverweigerung zu beantworten. Fräulein Henriette Müller, eine schon im reiferen Alter stehende Dame, welche zu den hervorragendsten Vorkämpferinnen der Frauen rechte gehört und Mitglied des Londoner Schul- rathes ist, trieb ihren Widerstand gegen die Zahlung der dem Staate gebührenden Steuern so weit, daß die Steuerbehörden zur Pfändung ihres Mobiliar»