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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«-Prei« 22^ Silbergr. Thlr.) vierteljährlich, Z Lhlr. für hä« ganze Jahr, ohne Erhöhung, i» alten Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Hägerstraße Nr. 2d), so wie von allen Konigl. Post Acmiern, angenommen. Literatur des Auslandes. 1/ u?» Berlin, Donnerstag den 8- August 1844. Holland und Belgien. Niederländische Dichter. Von Louise von Ploennies. °) In einer Zeit, wie die unsrigc, wo der geistige Verkehr der Nationen, beinahe eben so lebhaft wie der materielle, die verschiedensten Produkte aus- tauscht und würdigt, ist eS gewiß auffallend, daß die Literatur eines stamm- verwandten Volkes, der Niederländer, beinahe ganz davon unberührt geblieben ist. Wir haben uns schon lange mit der Idee beruhigt, daß in Holland, dem Lande der Prosa, nichts Poetisches zu suchen und zu finden scy. Früh schon hat man uns erzählt, die Muse habe in der feuchten Atmosphäre der Nebel und Kanäle ihre Schwingen nie frisch und freudig entfalten können; vor dem riesigen Flügelschwung der Windmühlen erschrocken, habe sie einen mitleidigen Blick auf das arme Land geworfen und sep ihm für immer entflohen. Mußten wir auch gelegentlich den schimmernden Farbcnbogen bewundern, welchen die Muse der Malerei über diese monotonen Nebelflächen ausgcspannt hat, so waren wir doch alsbald bereit, diese lebendige Farbenpracht mit dem südliche» Glanz und der tieferen Gluth der italiänischc» Malerei zu vergleichen und sie dagegen kalt und matt zu finden. Und doch ist es gerade die Eigcnthümlich- kcit einer Nation, die sich in ihren Kunstwerken offenbart, welche diesen ein besonderes Interesse verleiht- Die Malerei der Niederlande besitzt so viel wirkliche Schönheit, Kraft und Originalität, daß sic schlagend auf unsere Ueberzeugung wirkt, wenn sic auch nicht immer im Stande ist, uns auf Flügeln der Begeisterung in das Reich der Ideale zu tragen. Die nieder- ländischen Maler sollten darum keine Götter und Heiligt, keine idealen Ge stalten durch Farbenbann zu beschwören suchen, aber sie sollten dagegen die wirkliche Welt, namentlich die historische» Momente, verewigen. Wie sehr sie dieser Aufgabe gewachsen sind, haben uns in der neuesten Zeit die herr lichen historischen Bilder bewiesen, welche so allgemeine Anerkennung in Deutschland fanden. Die Geschichte der Niederlande ist so reich an Ereig nissen, in welchen die hohe moralische Kraft, Einfachheit und Aufopferung dieses Volkes hcrvortritt, daß ihnen dieser tiefe Schacht der Vergangenheit unerschöpflichen Stoff darbietet. Ungefähr eben so verhalt cs sich niit ihrer Poesie. Das Ideale, Sentimentale gelingt ihr festen, dagegen weiß sie das rein Menschliche, das ursprünglich Wahre und Ekle mit einer Kraft und Gluth, das Kindliche und Gemüthlichc mit einer Naivetät und Innigkeit dar- zustellcn, welche ergreifend auf jedes reine Herz wirken müssen. Der größte Dichter der Holländer, Vondel, bei uns kaum dem Namen nach bekannt, wird mit Recht der holländische Shakspcare genannt. Geboren 1578, übertrafen seine lyrischen Dichtungen Alles, was gleichzeitig bei uns die schlesische Dichterperiode lieferte, und die Trauerspiele, welche ein Jahr hundert später die tragische Muse in Deutschland inö Leben rief, stehen den Tragödien Vondel's bei weitem nach. Auch die holländische Sprache, obgleich Eines Ursprungs mit der unseres Vaterlandes, erfreute sich bei weitem früher einer höheren Ausbildung. Im dreizehnten Jahrhundert begannen einige Dichter, unter welchen Jakob von Macrlant der bedeutendste, in der Sprache, Welche bis dahin nur Volkssprache gewesen, zu dichten. Doch machte die Poesie im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert nur geringe Fortschritte in Holland; dagegen erhob sie im sechzehnten Jahrhundert sich in reicher und duftiger Blüthe. Peter Hooft, der Vorgänger und Freund Vondel's, geboren 1381, war der Vater der holländischen Tragödie und zugleich derjenige, welcher eine regelmäßige Form der Dichtkunst in Holland einführte. Mit ihm zugleich blühten Vondel und die beiden lieblichen Dichterinnen, Anna und Maric Tcssel- schade Vischer. Der unter uns bekannte holländische Dichter Cats ist als '1 Die geschätzte Dichterin, von der unser Blatt bereit« manche sehr gelungene poetische Ucbcrlragung aus dem Englischen und Franzößschen miigeiheilt, hat sich in neuerer Zea auch dem in Deutschland so vernachlässigten oder vielmehr gar nicht gekannten Holländische,, und Vlacmischc» zugewandt, vr. I. W. Wolff, der Herausgeber der auch von un« zur Zeit „„gezeigten „Niederländischen Sagen", schreibt: „Seit der Baier der schlesischen Dichterschule, Opik, de« Genu,er« Heinsius Gesänge in« Deutsche übertrug, blieb Deutschland kalt gegen die vlaemische Poesie." Nicht minder sind auch die holländischen Dichter kaum dem Name» nach unter uns bekannt, llm so mehr freut es uns, ein so schönes Talent, wie das der Frau von PloennicS, den noch so wenig betretene,, poetischen Frucht- und Blumengärten unserer niederländischen Stammverwandten und Nachbarn zu gewandt zu sehen. Möchte doch einstweilen eine poetische Verbrüderung mit denselben herbeizusühren seyn, während die Prosa — bald wegen des ZuckerS und bald wegen deS Eisens, hier wegen der Rhcmsperrc und dort wegen deS SchcldezoUcS — noch manchen Strauß mit ihnen auSzufechten hat. D. R. Volkskichtcr in scincm Vatcrlandc geschätzt, doch gestchc ich, daß seine Dich, tunge» nicht gceignct sind, cin warmcs Jntcrcffe zu erwecken. Ich erlaube mir darum, Einiges über Vondel zu sagen, auf dessen großartige Schöpfungen mich einer der ausgezeichneteren vlaemischen Dichter der Jetztzeit, Prudenö van Duyse, aufmerksam gemacht hat. Die vlaemischen Dichjpr, welche in der neuesten Zeit von einem so schönen und warmen Eifer für ihre National-Poesie be geistert sind, haben sich zu dem ehrenwcrthen Streben vereinigt, ihre Mütter, spräche dem Druck und den Banden zu entreißen, in welchen das Franzosen, thum sie so lange gefangen hielt. Sic sind von einem so heiligen Patriotis mus erfüllt, daß dieser an und für sich schon daö Interesse ihrer germanischen Brüder erwecken müßte. Aber auch die Resultate, welche bis jetzt daraus hervorgegangcn, verdienen in jeder Hinsicht unsere anerkennende Beachtung, und ich kann die Bemerkung nicht unterdrücken, daß ich cs für ci»c Schmach unseres Geschmackes halte, daß die Frivolitäten eines Paul de Kock, nebst so manchem anderen französischen Raketenfcucr, fortwährend das Interesse des deutschen Lcscpublikums in Anspruch nehmen, während wir für die ehren« werthcu Leistungen eines uns stammverwandten Volkes bis jetzt ganz antheil- los geblieben find. Hoffentlich wird eine kräftigere Stimme einst tiefer ans- führcn, was ich nur anzudcutcn wage. L o n d e l. Vondel, wie schon erwähnt, in der letzten Hälfte des 16. Jahrhunderts geboren, ist noch heute der Stolz seines Vaterlandes. Von niederländischen Aeltern in Köln am Rhein geboren, verlebte er die ersten Jahre in unserem Vatcrlaude. Seine Aeltern zogen später mit ihre» Kinder» nach Holland, und Vondel entfaltete schon früh die reichen Gaben, welche ihn später zur Zierde seines Landes machten. Schon in seincm dreizehnten Jahre wurde er unter die besseren Dichter seiner Heimat gezählt. Doch fehlte es seiner frühesten Jugcnd an klassischer Ausbildung, und erst im Alter von 26 Jahren widmete er sich dem Studium der lateinischen und griechischen Sprache. Virgil wurde sein Licblingsdichter, und seine Werke sollen reich an Nachahmungen des großen Dichters scpn. Seine ersten Dichtungen behandeln meistens Stoffe auS dem alten Testament. Die erste Tragödie Vondel's, welche bedeutendes Aufsehen in seinem'Baterlande machte, war PalamedcS. Unter griechischem Gewand ließ cr in derselben ein Zcitcrcigniß über die Bühne schweben, welches wohl geeignet war, die wärmste Theilnahmc der holländischen Nation zu erwecken. Es war die Enthauptung Olvenbarneveld's, welche cr hier dra matisch behandcltc. Diese Tragödie zog ihm bedeutende Unannehmlichkeiten und eine Geldstrafe zu und gelangte erst nach 40 Jahren zur Aufführung. 1628 machte Vondel eine Reise »ach Dänemark und Schweden, wurde am Hose Gustav Adolph s freundlich empfangen und widmete demselben eine schöne Dichtung. I6Z7 erschien sein Gpsbrecht von Amstel, welche Tragödie sich bis zur heutigen Zeit auf der Amsterdamer Bühne erhalten hat. Bald darauf bestätigte seine Tragödie „die Jungfrauen" seine Hinneigung zum katholischen Glauben, zu welchem cr später wirklich überging. Unter seinen Tragödien werden, nach dem Urthcil der Kritiker, „Lucifcr" und „Maria Stuart" als die bedeutendsten hcrvorgchobcn. Die erste namentlich ist voll reicher Phantasie. Da ich den ersten Akt in diesen Blättern mittheilen werde, so will ich keinem Urtheil vorgreifcn und erlaube mir nur zu bemerken, daß seine reichen Schilderungen deS Paradieses, welche unwillkürlich zu einem Vergleiche mit Milton's verlorenem Paradies ausfordcrn, diesem vorangcgan. gen sind. Ich glaube nicht zu irren, wenn ich die Auffassung Milton's groß, artiger, erhabener und einfacher, dagegen die Schilderungen Vondel's reicher, glühender, vielleicht sinnlicher nenne. Vondel's Werk erscheint mir wie ein Rubens neben einem Raphael. Schon die Vcrsart Milton s, die einfachen Jamben, machen einen großartigeren Eindruck als der von Vondel gewählte Alexandriner, den ich auch in der Ucbcrsctzung beibehaltcn, welcher ich eine kurze Darlegung des Motivs voranzuschickcn mir erlaube. Der Erzengel Lucifcr, einer der mächtigsten Anführer der himmlischen Schaaren, von Hochmuth, Ehrgeiz und Eigenliebe erfüllt, entbrennt in Neid gegen Gottes höchste Macht und den irdischen Herrscher der Erde. Dieser Neid wird gesteigert, als der Erzengel Gabriel, der Herold des höchsten Wil lens, im Himmel das Mysterium des Wortes, welches in Fleisch uud Bein geboren werden soll, bekannt macht. Lucifer, um dieser Erhöhung der mensch lichen Natur zu göttlicher Macht und Größe vorzubeugcn, läßt im Himmel die Fackel des Aufruhrs lodern. Er führt die Schaar der Abtrünnigen gegen die vom Erzengel Michael angeführten trcngcbliebenen Hcerschaarcn des Himmels. Besiegt, reißt er aus Rache den Menschen mit in seinen Untergang, während