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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 18.06.1912
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1912-06-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19120618025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1912061802
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1912061802
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-06
- Tag 1912-06-18
-
Monat
1912-06
-
Jahr
1912
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Ausl.) * Die Studiengesellschaft für die ge plante transpersische Eisenbahn hat sich konstituiert. lS. Ausl.) * Der Rhein ist in seinem Oberlauf um zwei Meter gestiegen. Stellenweise herrscht bereits Hochwasser. (S. Tagcschr.) Oie Abänderung Les 8 l00q üer Gemerbeorülmng. Wer den kurzen Bericht über die im Beginn dieses Monats im Reichsamt des Innern abgehaltene Handwerkerkonferenz gelesen hat, dem wird aus gefallen sein, daß von den 3 Punkten der Tages ordnung die wichtige Frage über die Abänderung des 8 IMq der Gewerbeordnung überhauvt nicht zur Verhandlung gekommen ist. Der Bericht erwähnt nur am Schluß, daß die Beratung dieses Teils der Tagesordnung einer späteren Ver handlung Vorbehalten wäre. Hieraus könnte man entnehmen, oaß in absehbarer Zeit eine neue Handwerkerkonferenz stattfinden würde, die den übrig gebliebenen Teil des letzten Programms noch zu erledigen hätte. Dem ist aber nicht so. Man muß sich dabei vergegenwärtigen, daß der kurze offi ziöse Bericht auf einer Vereinbarung zwischen den an der Konferenz Beteiligten beruht. Und wer mit diesen Kreisen Fühlung hat, dem ist es kein Ee- heimnis mehr, daß die Beratung über den 8 100g auf ausdrücklichen Wunsch des Hand werks von der Tagesordnung abgesetzt worden ist, ohne daß das Bedürfnis nach einer späteren Erörterung der Frage zum Ausdruck ge kommen wäre. Es hat sich also ein Wandel vollzogen in den Kreisen des Handwerks über die Bedeutung dieser so lange und so heiß umstrittenen Frage. Und dieser Wandel ist eingetreten innerhalb eines Jahres, nämlich seit der vorigen Handwerkerkonferenz im Frühjahr 1911. Damals wurde die Abänderung des 8 100g mit den Vertretern des Handwerks — und zwar mit diesen allein — verhandelt. Schon in den beiden Jahren vorher waren über die Notwendigkeit der Abänderung des Paragraphen auch in Hand werkerkreisen verschiedene Auffassungen zutage ge treten. Man konnte daher gespannt sein, ob die Abänderung noch immer von dem gesamten Handwerk auf der Konferenz vertreten würde. Mit alleiniger Ausnahme des Verbandes Deutscher Gewerbeoererne haben die Vertreter des Handwerks einmütig die Aushebung des Paragraphen, als im Interesse des Handwerks liegend, gefordert. Dabei wurde aller dings nicht verkannt, daß nach einer etwaigen Auf hebung in den meisten Gewerben von dem dadurch gewonnenen Recht kaum Gebrauch gemacht werden könnte. Wenn nun nach Jahresfrist das Handwerk auf die Beratung dieser Frage durch eine Hand werkerkonferenz keinen Wert mehr legt, so geht daraus hervor, daß allmählich die Minderheit, die in dem 8 100g keine lästige Fessel für das Handwerk erblickt, sich inzwischen in eine Mehrheit ver wandelt hat. Dieser oielumstrittene Paragraph bestimmt be kanntlich. daß die Innungen ihren Mitgliedern in der Festsetzung der Preise ihrer Waren und Leistungen oder in der Annahme von Kunden keinerlei Be schränkungen auferlegen dürfen. Zur Klärung dieser Frage hatte die Reichsregierung auf der ersten Handwerkerkonferenz eine Reihe von Unterfragen formuliert, deren lebte lautete: Erscheint eine Abänderung des 8 100g für alle Handwerks betriebe zweckmäßig und durchführbar, und wie soll die Durchführung der etwa geänderten Bestimmungen der Gewerbeordnung gewährleistet werden? — An dieser Fragestellung scheint der An sturm gegen den vielbefehdeten Paragraphen ge scheitert zu sein. Denn sobald man in die Untersuchung eintritt, ob die Berechtigung der Innungen, ihren Mitgliedern in bezug auf Preise, Leistung und An nahme von Kunden Verpflichtungen aufzuerlegen, auch nur für die Mehrzahl der Handwerksbetriebe durchführbar ist, wird man naturgemäß stets zu dem Ergebnis kommen, daß die Aufhebung der Beschrän kung tatsächlich ganz überwiegend ohne jede praktische Bedeutung wäre. Das war jedoch nicht die ein zige Erwägung, aus der heraus die Reichsregierung ebenso wie das preußische Handelsministerium sich der Aufhebung des Paragraphen gegenüber ab lehnend verhalten haben. Vor allem erblicken die amtlichen Stellen in dem Zugeständnis einer Preis festsetzung durch Zwangsinnungen einen mit der Ge werbefreiheit nicht zu vereinbarenden Eingriff in die Erwerbsfreiheit. Bei den freien Innungen können sich die Mitglieder, die sich durch derartige Festsetzung von Preisen für Waren und Leistungen von seiten der Innungen in ihrer Existenz bedroht fühlen, dem Zwange durch Austritt aus der Innung entziehen. Das ist bei Zwangsinnungen aber nicht möglich. Auch dieses nicht von der Hand zu weisende Argument gegen die Aufhebung des 8 100g scheint sich in Handwerkerkreisen allmählig durchgesetzt zu haben. Wenn nicht alles täuscht, ist eine der um strittensten Fragen des deutschen Handwerks in zwischen von der Tagesordnung verschwunden. Und das ist ein Verdienst des Handwerks selbst. Die ischlilche Regierung unü Lle Reichsbelitzlteuer. -s- Durck den bekannten Antrag Bassermann- Erzberger im Reichstage ist die Einführung einer Besitzsteuer im Reiche beschlossene Sache. Nicht nur der Reichsschatzsekretär, auch .der Bundesrat find im Prinzip mit einer Reichsbesitzsteuer einverstan den. In dem zuständigen Reichsressort soll man bereits mit der Ausarbeitung eines Gesetzentwurfs besästistigt sein. Bei der Besprechung der neuzu schaffenden Besitzsteuer in der Öffentlichkeit hat man auch wieder auf den alten Vorschlag zurück gegriffen, eine Besteuerung des Besitzes für Reichs zwecke in der Weise vorzunehmen, daß die Matri- kularbeiträge erhöht, nach einem veränder ten Maßstabe auf die Bundesstaaten umgelegt und von diesen Lurch Zuschläge zu den direkten Landes- steuern aufgebracht werden sollen. „Um das Problem der Reichsbesitzsteuer nicht wieder von vornherein auf ein totes Gleis laufen zu lassen", wendet sich hiergegen die „Leipziger Zeitung" in einem aus- jährlichen Artikel, der vom Standpunkt der sächsi schen Regierung gegen diesen Stcuerplan folgende Gründe anführt: „1. Nachdem das Reich alle ergiebigen indirekten Steuern mit geringen Ausnahmen ausschließlich in Anspruch genommen hat, sind die Bundesstaaten schon im Interesse ihrer Selbstcrhaltung gezwungen, die direkten Steuern, d. s. die fortlaufenden, termin- weise zu entrichtenden Abgaben vom Einkommen oder Vermögen oder von Teilen des Einkommens oder Vermögens, sich zu reservieren. Sie müssen sick die unbeschränkte Verfügung über diese ihr finanzielles Rückgrat und ihre' letzte Reserve bilden den Steuern ungeschmälert erhalten und deshalb unbeugsamen Widerstand jedem Versuche entgegen setzen, der darauf abzielt, sei es direkte Reichs- steuern einzusühren, sei cs die Bundesstaaten auf dem Wege der Matrikularbeiträge oder in sonstiger Weise zur Erhebung direkter Landesstcuern für Reichszwecke zu zwingen. Das eine wäre für die Bundesstaaten und für die gleichfalls in der Haupt sache auf die direkten Steuern angewiesenen Ge meinden so verhängnisvoll wie das andere. Der zweite Weg wäre in gewissem Sinne noch bedenklicher als der erste, weil er es dem Reichstage nur allzu bequem machte, Erhöhungen des aufzubringenden Steuerbvdarss zu beschließen, ohne das mit der Art der Aufbringung verbundene Odium auf sich zu nehmen. Weiter aber würde es durchaus dem verfas sungsmäßigen Wesen der Matrikular beiträge widersprechen, wenn das Reich dazu vorschreiten wollte, den Bundesstaaten die Aufbringung der Matrikularbeiträge durch direkte Steuern vorzuschreiben. Tenn die Matrikular beiträge sind nicht Steuern, die die Bundesstaaten an das Reich zu zahlen und auf ihre EinwolMer umzulegen haben, sondern sie find Mit- aliedsbeiträge der Bundes st aaten an das Reich. Sie werden deshalb von den Bundes staaten aus der allgemeinen Staatskasse entnommen, in die nicht bloß die Steuererträgnisse, sondern auch die sonstigen Staatseinkünfte, ins- besondere die Ueberschüsse der Eisenbahnen, Forsten und Domänen, Berg- und Hüttenwerke usw. fließen. Wollte Las Reich im Gegensätze hierzu den Bundes staaten künftig zur Pflicht machen, die Matrikular beiträge oder einen Teil derselben in ganz bestimmter Weise, nämlich durch direkte Steuern auf den Besitz, aufzubringen, so würde dies den Charakter der Matrikularbeiträge und damit das Verhältnis der Bundesstaaten zum Reiche in folgenschwerer Weise verschieben. Denn dürfen die Bundesstaaten ihre Matrikularbeiträge nicht mehr nach eigenem Er messen aufbringen, wie dies souveränen Staaten und freien Mitgliedern eines Bundes zukommt, so werden die Matrikularbeiträge zu einer neuen Art von Reichssteuern, und den Bundesstaaten geht wiederum ein wichtiger Teil ihrer Finanzhoheit und staatlichen Selbständigkeit verloren. 2. Aber schon die bloße Erhöhung der Matri- kularbeiträge — ohne Bevormundung der Bundes staaten durch das Reick hinsichtlich der Art ihrer Aufbringung — wäre ein verhängnisvoller Schritt auf dem Wege zur finanziellen und damit politischen Schwächung der Bundesstaaten. BiS zum Jahre 1909 galten 40 Pf. auf den Kopf der Bevölkerung als das Höchstmaß dessen, was die Bundesstaaten unter normalen Verhältnissen dem Reich aus ihren Mitteln darbringen könnten. Im Jahre 1909 entschloß sich der Bundesrat Unter dem Drucke der Verhältnisse, dieses Höchstmaß zu verdoppeln. Soll ihm nun jetzt schon wieder eine Erhöhung der Landeszuschüssc an das Reick angesonnen werden? und wenn dies geschieht, Wer bürgt dafür, daß nicht bei künftigen Vermehrungen des Reichsbedarfs immer und immer wieder die Finanzquellen der Bundesstaaten durch Erhöhung der Matrikularbeiträge angezapst wer den, bis sie sich erschöpfen? Sehr scharf kennzeichnet der Berliner Staatsrechtslehrer Bornhak diese Rich- tung der Reichssinanzpolitik folgendermaßen: „Er höhte Matrikularbeiträge sind gegenüber direkten Reichssteuern eine anständigere Form. Sie ent sprechen ungefähr der Zusendung einer seidenen Schnur, damit die Einzelstaaten sich selbst um bringen, statt daß das Reich sie durch direkte Reichs- steuern erdrosselt." 3. An der Tatsache, daß die Matrikulärbeiträge nach der Kopfzahl der Bevölkerung zu entrichten sind, kann nur ein Politiker Anstoß nehmen, der die Matrikularbeiträge irrtümlich als eine Art vor» Rcichssteuern ansieht, deren Tragfähigkeit durch ver änderte Verteilung auf die Pflichtigen gesteigert werden möchte. Für alle, die auf dem Boden der Neichsvcrsassung stehend in den Matrikularumlagen lediglich Mitgliedsbeiträge der Bundesstaaten er- blicken, welche nach guter Bismarckscher Tradition möglichst niedrig zu halten und am besten ganz zu beseitigen sind, ist eine veränderte Umlegung — so genannte Veredelung — der Matrikularbeiträge völlig indiskutabel. Wollte man aber auch, was ganz unmöglich ist, über die grundsätzlichen und ver- sassungsmäßigen Bedenken gegen eine solche Maß nahme hinwegsehen, so würde es doch ein vergebliches Bemühen sein, einen Maßstab zu finden, der gerechter wirkte, als die Kopfverteilung, und der die Bundes staaten wirklich nach ihrer Leistungsfähigkeit träfe. Insbesondere ist das Ergebnis der direkten Steuer veranlagung in den einzelnen Bundesstaaten hierzu ungeeignet. Sollte aber auch eine Formel, die wenig stens in roher Annäherung den wirklichen Verbätt- nissen gerecht wird, gefunden werden, so entstände sofort die staatsrechtlich hochbedeutsame Frage: Würde nicht die veränderte Lastenvertei- lung Ansprüche auf veränderte Ver teilung der Rechte nach sich ziehen, vor allem also auf eine Revision des Verhältnisses der Stimmen im Bundesrat? Es eröffnet sich da eine Perspektive, die es schon aus staats politischen Gründen dringend geboten erscheinen läßt, die BerteilungSart der Matrikularbeiträge als noli ms taaxero zu behandeln. 4. Nun könnte gefragt werden: Ja, wie soll die Besitzsteuerfrage gelöst werden, wenn weder direkte Reichssteuern, noch direkte Landessteuern für Reichs zwecke, noch eine Erhöhung der Matrikularbeiträge, noch ihre veränderte Umlegung in Frage kommen? Die Antwort lautet einfach: Durch eine indirekte Reichsbesitz st euer, mit anderen Worten, durch eine Steuer, die das Bermögentrifft, und zwar das bewegliche nicht minder als das unbewegliche, die aber beiderlei Ver- mögen nicht in Form einer fortlaufenden, termin- weise zahlbaren Abgabe trifft, sondern in der Form einer Auflage, die sick an bestimmte Vorgänge an- knüpft. Hierfür kann aber lediglich der Ausbau der Reichserbschaftssteuer in Frage kom- men. Dabei wird selbstverständlich das Ziel sein müssen, diese Steuer gerecht auszugestalten und durch geeignete Vorschriften dafür zu sorgen, daß das mobile Kapital nicht durch die Maschen deS Gesetzes schlüpfen kann. Für solche Vorschriften praktische, „i Wer bist L«? Roman von Marie Diers. Wolfs schlechte Laune von gestern abend war längst überwunden. Das wußte Marianne schon: schlechte Launen hatten bei ihm nie ein langes Leben, sie liefen ihm gegen seine starkwillige, tätige, allem Negativen feindliche Natur. Aber es war heute etwas Eisernes in seinem Gesicht, etwas Unverständ liches und Unzugängliches, das ihn ihr wieder ferner rückte, vor dem sogar die sehnsüchtige Weichheit des gestrigen Abends wie beschämt verstummte. Er sprach trotzdem zu ihr, mehr sogar als sonst. Er zeigte iyr durch die Kutschfenster, was von der Gegend zu sehen war, benannte ihre Höhenzüge und Wälder, erzählte ihr von seinen Knabenerlebnissen auf diesem und auf jenem Platz. Sie hörte zu und bemühte sich, aufzufassen und zu behalten. Aber sie fühlte unbestimmt, ohne es zu denken, daß solch eine Fahrt miteinander über Land noch schöner sein könnte — Er ist kühl und stolz, ich muß um seine Liebe dienen! dachte sie erglühend. Die Kutsche fuhr um das Rasenstück und hielt vor dem Pfarrhaus. Ein Mädchen in weißer Schürze kam heraus, drinnen stand der gedeckte Kaffeetisch, und die Familie bis zum Kleinsten war im Sonntagskleid. Ja, man hatte das Ehepaar erwartet. Marianne konnte nicht herzlich und warm werden bei diesem Besuche. Gewiß lag es an ihr, oder sie bildete es sich sogar nur ein, aber die ganze Zeit über schien ihr eine Gespanntheit und unnatürliche Stimmung auf den Leuten hier zu drücken. Frau Pastor Bärenwendsr war außerordentlich freundlich zu ihr und sehr gesprächig, aber Marianne ward das quälende Gefühl nicht los, als sei kein einziger echter Ton in ihrem Gewese. Der alte Pastor dagegen war still und gedrückt, als ob er sich krank fühle. Er sah auch sehr schlecht aus. Nur wie mit Anstrengung beteiligte er sich an der Unterhaltung, die das Gebiet des Alleräußer lichsten qar nicht verlassen wollte. Marianne sah ein paarmal auf ihren Mann. Kannst du hier nicht einen andern Ton hinein bringen? Sie war ihn so anders qewöhnt. Aber er machte ein gleichgültiges, gelangweiltes Gesicht und redet« von Wea und Wetter. Dann war da noch ein schlanker, sehr schöner Mann, der junge Pastor Walter Bärenwender, der, wie er erzählte, jetzt eine Pfarrstelle an der Ostsee küste erhalten habe und gekommen sei, seine Schwester Else dorthin abzuholen, damit sie ihm die Wirtschaft führe. Dies alles aber, diese ganz einfachen Tat sachen, erzählte auch er nicht etwa einfach und natür lich, sondern in einem sonderbar scharfen und hoch fahrenden Tonfall, nur zu Wall gewendet. „So", sagte Wolf nur, so gleichgültig und schläf rig, daß es an dieser Stelle zu einer bodenlosen Un höflichkeit wurde. Marianne wurde es heiß und kalt. Was war das nur mit diesen Leuten? Um das Betragen ihres Mannes auszugleichen, ging sie jetzt, obwohl nicht angeredet, auf des jungen Pastors Bericht ein. „Solche Geschwisterwirtschaft kann sehr traulich sein", sagte sie zu diesem jungen Mädchen, das Else hieß. „O gewiß!" rief diese lebhabt. „Und das Meer ist ja so schön!" Nun hatte Frau Pastor Bärenwender wieder allerlei über das Meer zu sagen, was im Grund jeder selbst wußte und dann ihres Sohnes neue Heimat Hochzupreisen. „Else hat es sich schon immer als ihr Schönstes gewünscht, dem Bruder einmal die Wirtschaft zu führen." Marianne dachte: Diesem Bruder? Er hatte einen harten Zug um den Mund, vor dem man sich fürchten konnte. Aber gewiß hatte er auch seine guten Seiten. Ueberdies bot er trotz seiner roten Backen nicht den Anblick eines Gesunden. Es ist ja aber für uns Frauen alle das Schönste, einen lieben Menschen zu hegen und zu pflegen — träumte sie weiter. Dies wußte sie eigentlich so ganz klar und stark erst seit oestern abend. Schade! Wolf war so gar nicht des Pflegens und Hegens bedürftig. Sie sah von ihm auf Else. Das Mädchen rührte sie. sie wußte nicht warum. Etwas Hilfloses hatte dies junae Gesckövf und war dabei so hübsch mit ihrem Blandköpfchen und den frommen, blauen Augen. Dies Kind tut alles, was sie soll! mußte Marianne bei sich denken. Mutter und Bruder scheinen mir hier die Tyrannen de- Hauses zu sein. Als die Besuchszeit glücklich abaesessen war stand, man "uf. Es war, als ginge durch alle ein Seufzer der Erleichterung. Auch hier habe ich wieder miß- fall-n! dochte Marianne bedrückt. Der Magen bielt schon vor der Tür. die frühe Dunkelheit war längst hereingefallen, und der junge Pastor leuchtete mit einer großen Stallaterne zum Einsteigen. Auf der Treppe wandte Marianne sich um, um zu sehen, ob Wolf schon bei ihr sei. Er stand noch an der Haustür, und an diese gelehnt, in «in graues Tuch gewickelt, die kleine, blonde Else. Ihre Schultern zogen sich zusammen, als ob sie fröre. Sie sah keinen an. sondern an Wolf vorüber ins Dunkle. Walter hob die Laterne hoch, da er wohl glaubte, Wolf könne den Weg nicht genau sehen. Ein flackern der Schein blieb aus Elsens Gesicht, gerade in dieser Sekunde. Marianne war es, als habe sie noch nie so bange, so hilflose, todoerzweifelte Augen gesehen. Aber das Gesichtchen war schon wieder im Dunkel, und es mußte Täuschung gewesen sein, denn Wolf verab schiedete sich von dem Mädchen ganz ruhig mit Ver beugung und flüchtigem Händedruck. Dann kam er zu ihr, die Treppe herab. Ein steifer, kalter Gruß von Walter Bärenwender, und der Schlag des Wagens fiel zu. Gleich hinter dem Dorf riß Wolf das Fenster auf und rief den Kutscher an: „Rascher fahren. Ich habe Eile." „Es wird man schlecht gehen, Herr Doktor. Der Weg ist zu stöckerig." „Einerlei. Fahren Sie los." Ein Ruck, und die wilde Jagd ging an. Wolf zog das Fenster hoch und wandte sich zu seiner Frau. „Entschuldige, es wird arg storßen." ,H, das tut nichts." Und geschützt durch das Dunkel sagte sie mutig, aber mit leiser Stimme: „Als Doktorsfrau muß man schon Stöße vertragen Ünnen." „Was sagst du?" fragte er und beugte sich zu ihr. „Ich meine — als deine Frau — mir schadet doch so ein bißchen Stoßen nichts —" sie war schon wie der ängstlich und befangen vor ihm. Wolf nahm Mariannes schmale Hand in dem Lederhandschuh und führte sie an die Lippen. Dann behielt er sie in der seinen, zum ersten Male auf solcher Fahrt! Wie wohl ihr wurde! Wie warm und groß ums Herz! Leise, ganz schüchtern lehnte sie den Kopf an seine Schulter. Aber es stieß fürchterlich. Sie mußte diese Stellung schon aufgeben, wenn ihr Kopf nicht lächerlicherweise auf- und niederfliegen sollte. „Sind diese Bärenwenders immer so seltsam?" fragte sie nach einer Weile. „Ich glaub« ja. Uebrigens treiben sie lauter Unfug. Dieser lungenschwache Walter setzt sich an der See fest, und seine Schwester, die auch nicht von Eisen ist, sekundiert ihm dabei." „Aber Wolf, du bist doch jetzt ihr Arzt. Kannst du nicht ein Wort dazu sagen?" „Ungefragt? Rein. Ein Arzt ist für diese Art Leute nur da, wenn's Matthäi am letzten ist. Walter überdies hat mich nie leiden können." „Das merkte ich." In Mariannens Frauenherzen setzte sich eine tiefe Verachtung für diesen Walter fest, der sich unter stand, ihrem Mann unfreundlich zu begegnen. „Wie ist diese hübsche, kleine Else?" fragte sie dann. ^Jch weiß nicht." Marianne fragte nicht weiter. Wolf war nicht zum Reden aufgelegt, und zudem wurden einem auch durch das Stoßen des Wagens die Worte ost gerade zu vom Mund abgerissen. In dreioiertcl Stunden waren sie zu Hau«. Die Pferde dampften, und der Kutscher grinste. „War's so recht, Herr Doktor?" Er bekam keine Antwort. — Neuntes Kapitel. Auf die Rückseite eines unbeschriebenen Rezept- formulars schrieb Wolf Eggers mit flüchtigen, un- gleichen Zügen sein erstes Gedicht — ein armes, kleines Liebeslied. Der Wind von gestern blies noch durch di« Straße und warf harte Schneekörner an di« Scheiben. Im Raum roch es betäubend nach Jodoform. Eben war ein junger Maurer hinaus, der vom Gerüst gefallen war, und dem er den Kopf verbunden hatte. Noch war die Hausschell« nicht wieder gegangen, «inen neuen Patienten kündend. Wo hast du di« großen Augen her, Du mein verlass'nes Kind? Wird dir di« Trennung denn so schwer, Ist dir zu rauh der Wind? Schleppst du zu hart an deinem Leid, Und stirbst du an dem Schluß, Den mir Moral und Redlichkeit Und Herz gebieten muß? Hast du geweint um mich so viel Zur Nacht beim Eulenschrei'n? Ja, du hast recht: nach jel'gem Spiel, Da geht sich's schlecht allein. (Fortsetzung in der Morgenausgabe.)
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