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RIMlniM'i TllgtlAit und Waldenburger Anzeiger Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. Donnerstag, den 8. Januar 1880 Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten sür die nächster- scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich L Mk. 50 Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. "Waldenburg, 7. Januar 1880. Die Wanderlager und Waarenauetioncn. I. Das in der Ueberschrift berührte Thema ist schon Gegenstand mannichfacher Erörterungen gewesen. Das Uebel ist auch längst erkannt worden und auch dem gegenwärtigen preußischen Landtage liegt ein Gesetzentwurf behufs communaler Besteuerung der Wanderlager vor. So recht eingehend wird dieser sociale Uebelstand vom „Dr. Journ." m zwei Ar tikeln behandelt, dessen ersten wir un Nachstehenden folgen lassen. Noth macht erfinderisch," sagt das Sprichwort. Aber nicht die Noth allein, die Gewinnsucht auch. Eine gewisse Klasse von Geschäftsleuten ist uner schöpflich in Kunstgriffen, mit denen arglosen Leuten ihr redlich erworbenes Geld abgelockt oder sonst ein nicht gerechtfertigter Gewinn in die Tafche ge steckt wird. Den Beweis dafür liefern die Wan derlager und Waarenauctionen, diese Schmerzens kinder des heutigen, ohnedies nicht erfreulichen Ge schäftslebens. Der Unfug der Wanderlager und Waarenver- steigerungen hat allenthalben laute Klage hervorge rufen. Der Ursprung dieses Unfugs wird nicht mit Unrecht auf ß 8 des Freizügigkeitsgesetzes vom 1. Novbr. 1867 zurückgeführt, eine Bestimmung, die unzweifelhaft in wohlmeinender freisinniger Absicht, aber leider ohne die gegen den Mißbrauch nöthige Vorsicht ausgestellt wurde. § 8 des Freizügigkeitsgesetzes lautet: „Die Gemeinde ist nicht befugt, von neu Anziehenden wegen des Anzugs eine Abgabe zu erheben. Sie kann dieselben, gleich den Gemeindeeinwohnern, zu den Ge meindelasten heranziehen. Uebersteigt die Damr des Aufenthalts nicht den Zeitraum von 3 Monaten, so sind die neu Anziehenden diesen Lasten nicht unterworfen." Diese Bestimmung mochte ihre Berechtigung haben, wenn es sich wirklich um „neu Anziehende" handelt, d. h. um solche, welche in einer Gemeinde, der sie bisher nicht angehörten, Aufenthalt nehmen, um daselbst einen dauernden Erwerb zu suchen. Diesen wird durch obige Bestimmung bei der ohnedies mit Kosten verknüpften Niederlassung eine Erleichterung gewährt, welche ihre Erwerbsfähigkeit unterstützen kann. Aber darin, daß sie in den ersten 3 Monaten nach ihrem Anzuge zu den Gemeindelasten nicht hinzugezogen werden sollen, liegt eine Begünstigung der neu Anziehenden vor den am Orte seßhaften Gemeindegliedern. Der schwache Punkt dieser Be stimmung ist darin enthalten, daß sie keine Merk male an die Hand giebt, um die „Anziehenden," d. h. Diejenigen, welche sich auf die Dauer am Orte niederlassen wollen, von den Umherziehenden zu unterscheiden, welche von vornherein keinen längeren, als einen höchstens 3monatigen Aufenthalt beabsichtigen. Eine gewisse Art von Geschäftsleuten — in der Regel solche, die nicht selbst Gewerbtreibende sind, sondern nur den Gewerbfleiß Anderer für ihre Zwecke ausbeuten - begriff sofort, daß sie einen Vorsprung vor den an einem Orte seßhaften Ge- werbtreibenden gewinnen konnten, wenn sie an dem betreffenden Orte für die Zeit von längstens drei Monaten einen Geschäftsbetrieb eröffneten, um nach Ablauf dieser Zeit ihr Zelt abzubrechen und an einem andern Orte wieder aufzuschlagen. Dieser Vorsprung ist gleich den am Orte üblichen Ge meindelasten. Dazu kommt der weitere - Vortheil, daß dergleichen Unternehmer, weil sie nicht selbst Arbeitende sind, sondern nur mit den Arbeitserzeug nissen Anderer Geschäfte treiben, die Einrichtungs kosten gewerblicher Niederlassung ersparen. Endlich können sie sich wegen ihres kurzen, immer wechseln den Aufenthalts um so leichter der Verantwortung für die Güte und Preiswttldigkeit der von ihnen vertriebenen Waaren entziehen. Ein eigenthümliches Gemisch von Erzeugnissen des Gewerbfleißes stellt sich in den Wanderlagern und Waarenauctionen dar. Ein kleiner Theil viel leicht nicht schlechter Waaren ist armen Gewerb- treibenden, welche um baares Geld verlegen waren, noch unter dem wahren Verkaufswerth abgedrückt worden; ein anderer Theil besteht aus aufgeputzten Ladenhütern, die im reellen Geschäftsverkehrs nicht mehr verkäuflich sind, ferner aus beschädigten, oder fehlerhaft gearbeiteten Waaren, die eigens für diesen Geschäftsbetrieb aus unsolidem Stoffe oder in un solider Ausführung bestellt worden sind. Hat sich an einem Orte ein Local für das Wan derlager oder die Waarenversteigerung gefunden, dann wird das Publicum mit pomphaften Ankün digungen zu Abnahme der Waaren eingeladen. Die abenteuerlichsten Vorwände, alle möglichen Familien- und Naturereignisse, Heirathen, Todes fälle, Erbschaften, Glück in der Lotterie, Frost und Hitze, Ungewitter, Erdbeben, Seestürme rc. werden erfunden, uni glaubhaft zu machen „daß es mit rechten Dingen zugehe, wenn so „kostbare" Waaren „spottbillig, „um jeden Preis" losgeschlagen weiden, und daß es wohlgethan sei, eine so „seltene Gelegenheit" zn vortheilhaften Einkauf nicht unbe nutzt zu lassen. Aber was die Ankündigungen durch die Tagesblätter und Maueranschläge nicht aus- richlen, das müssen die vor dem Waarenlager auf der Straße aufgestellten Zutreiber besorgen, welche als anscheinend Unbetheiligte durch Vorzeigung blen dender Schaustücke, die sie unglaublich billig erkauft oder erstanden haben wollen, Vorübergehende heran locken. So werden die Gemeinden um die Abgaben verkürzt, die am Orte der seßhaften redlichen Ge- werbtreibenden in ihrer Nahrung geschädigt und das auf den Verkauf oder die Versteigerung sich einlassende Publicum um sein Geld betrogen. Meistens aber ist, ehe vom Publicum der Betrug wahrgenommen oder nachgewiesen werden kann, der schlaue Unternehmer über alle Berge; er war nicht in dem Ort geboren, man wußte nicht, woher er kam, und schnell war seine Spur verloren, sobald er wieder Abschied nahm. Daß solches Treiben einen bis zur Erbitterung steigenden Unwillen hervorruft und das dringende Verlangen nach Abhilfe erzeugt, kann nicht Wunder nehmen. Politische Rundschau. "Waldenburg, 7. Januar 1880. Deutsches Reich. Der Bundesrath überwies in der Sitzung vom 5. d. die Mittheilungen des Präsidiums über die Verlängerung der Handelsverträge mit Oesterreich und Belgien den Ausschüssen, mit dem Auftrage, mit Rücksicht auf den seitens Oesterreichs angeord neten Appreturzoll Vorschläge wegen Regelung des Veredelungsverkehrs vom 15. Februar ab zu machen. Seitens des Präsidiums wurde die Vorlegung von Gesetzentwürfen wegen Erhöhung der Brausteuer und Einführung einer Börsensteuer angekündigt. Die beiden jungen Grafen Bismarck sind aus Varzin in Berlin eingetroffen und haben im Reichs kanzlerpalais Wohnung genommen. Graf Wilhelm Bismarck sah sehr leidend aus und konnte sich nur mühsam, gestützt auf den Arm seines Schwagers und auf einen Krückstock fortbewegen, da ein altes rheumatisches Leiden ihn in Varzin abermals über' fallen hatte; dasselbe hat sich übrigens so bedeutend gesteigert, daß er weder stehen noch gehen kann und deshalb im Reichskanzlerpalais bis auf Weiteres an das Bett gefesselt ist. Um den mit Neujahr eintretenden neuen, resp. höheren Zöllen zu entgehen, sind in den letzten Tagen des December ganz enorme Massen von Ge treide (namentlich aus Rußland) nach Deutschland eingeführt worden ; ebenso Halb- und Ganzfabrikate, Garne und Gewebe aller Art, Droguen und Che mikalien, Glas und Glaswaaren aus Böhmen, Klei der und Kurzwaaren aus Frankreich und Oesterreich, ferner Oele, Kaulschuk, Haare, Stroh, Stein- und Sleingutwaaren, Papier und Papierwaaren, Leder und Lederwaaren, Pelzwerk, Seife und Parfümerien. Gerüchtweise verlautet, daß man einem älteren Project, der Einführung einer Wehrsteuer, von der man sich nicht unbedeutende Erträgnisse verspricht, demnächst wieder näher treten will. Es sollen dar nach diejenigen Personen, welche in der Armee nicht dienen und vom Militärdienst befreit sind, zum Er sätze mit einer entsprechenden Steuer belegt werden. Die Idee ist nicht so unrecht. Es scheint sicher, daß die Vorlage betr. Einfüh rung der zweijährigen Etatsperiode und vier jährigen Wahlperiode im Reichstage eine geschlossene Mehrheit finden wird. Nach Berichten aus Rio de Janeiro ist die kaiser lich brasilianische Regierung zu einiger Steuer ung der daselbst in unbotmäßiger Weise betrie benen Prostitution zu der Maßregel ge schritten, eine Anzahl der notorischsten Kuppler und Mädchenhändler, unter denen sich leider auch ein starkes Contingent deutscher Staats-Angehöriger be findet, Landes zu verweisen. Demnach sind be reits unterm 27. Oct. v. I. elf dieser Indivi duen mit dem Steamer der französischen lUsssasseriss Äckartimss u^siULtour" von Rio de Janeiro expedirt worden. Da es nicht unwahrscheinlich ist, daß ein Theil der gemeingefährlichen Personen nach Deutschland zurückkehrt, um hier als Agenten ihre Thätigkeit durch Begleitung junger Mädchen zur Aus wanderung nach Brasilien fortzusetzen, so sind die Polizeibehörden angewiesen, dieselben eventuell streng zu überwachen. Die Namen dieser Persönlichkeiten nachweislich deutschen Ursprungs sind: Moritz Sil bermann (Alias David Alkme oder Ana oder Ultem), Markus Weinbach, Moses Redam (oder Redom oder Rednnn alias Silberstein), Markus Freemann, Mo ritz Hermann; die übrigen Deportirten (anscheinend auch Deutsche) heißen: Benjamin oder Hermann Fischer, John Fund, Moritz Eisenberg, Markus Schooner, Markus Schwarz, Gerson Baum. Nach den Namen zu urtyeilen, dürften fast alle Juden sein. Frankreich. Wie man eine Ermahnung recht hübsch in rin Lob kleidet, das zeigen die beim Neujahrsempfange zwischen dem päpstlichen Nuntius und dem Mi nisterpräsidenten Herrn de Freycinet, der Protestant ist, gewechselten Reden. Ich freue mich, sagte der Nuntius, an der Spitze des Cabinsts einen Mann zu sehen, dessen breite und versöhnliche Anschauungen, erhabener Charakier und Gefühl der Duldung zu gut bekannt sind, dem wir vertrauen können, daß er die Macht in gerechter und wirklich liberaler Weise handhabe und in dem wir sicher sind, eine streng unparteiische Unterstützung zu finden. In seiner Er widerung sagte Herr de Freycinet u. A.: „Ich kann Ihnen versichern, daß ich von den reinsten und ge wissenhaftesten Absichten erfüllt bin. Ich bin weit davon entfernt, feindselige Gesinnungen gegen die ka tholische Religion zu hegen, die ich hochachte. Alles