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WpMr Tageblatt Anzeiger. AMiblaN dcs Sönill. SkziilSicrichtS Md des Raths dcr SIM LlWg. M 22. Dienstag den 22. Januar. Ml. Prolog zur Lessing-Feier von Hermann Marggraff, gesprochen von Fräul. Ledner vor der Aufführung der „Emilia Galotti" am 21. Januar. Auf Deutschlands Gaun lag trübe, schwere Nacht! Kaum gab es noch ein deutsches Volk — nur Höfe Und ernm Schwarm von höfisch glatten Schmeichlern, . Betreßt, besternt, den steifen Zopf im Nacken, Fremdlinge fast im eignen Vaterland. Kaum gab es einen Glauben noch — nur starre Buchstabensatzung, nur ein hohles Dogma, Nur Zelotismus, der dem Gegner fluchte Und Haß statt Chriftenliebe predigte. Kaum gab es eine deutsche Sprache noch; Denn so mit fremdem bunten Putz und Flitter Verunziert war ihr Prachtgewand, daß man Den echten Stoff kaum noch herauserkannte. Kaum gab es eine deutsche Dichtkunst noch. Das Herz war eng — wie könnt' es fröhlich singen? Der Geist gedrückt — wie könnt' er zwanglos bilden? tatsch der Geschmack — wie könnt' ihm Echtes munden? pariser Mustern geistlos nachgeahmt, iornehm und steif, verschnörkelt und verschnitten, Glich sie der Taxuswand im Herrenpark, Die Schatten nicht und Frische nicht gewahrte. Was Ein Mann werth zu sein vermag in trüber, Gedrückter Zeit, ließ damals sich erkennen. Lsffimg, das Sachsenkind, aus kleiner Stadt Und dunkler Häuslichkeit erwachsen, ganz Auf sich gestellt, von Fürsten nicht gefördert, V-n Vielen arg geschmäht, von Wen'gen nur Zm Leben recht erkannt, ein Märtyrer Der Wahrheit und des echten Menschenfinns — Lessing aus Kamenz trat als Retter auf Und säuberte das Feld der deutschen Dichtung Und reinigte den Tempel deutschen Denkens Und stürzte nieder in den Staub die Götzen Des Auslands und die falschen Wahngebilde Des mißverstandnen Christenthums, und gab Gesetze der Kritik, und feinen Schliff Und körn'ge Kraft der deutschen Sprache wieder. Was wäre selbst die Halle, die uns heut Festlich umschließt, die Bühne, ohne ihn? Was war sie, eh' sie Lessing umgebildet? Ein Tummelplatz der Stegreifkomöoie, Voll abgeschmackten Witzes, preisgegeben Der Willkür jedes sthnöden Lustigmachevs, Entfremdet bürgerlicher Zucht und Ordnung, Unfähig ihres hohen Amts, die Geister Durch Hehre Bilder aus der edleren Vergangenheit zur Thatkraft zu entzünden, Unfähig, dem mitlebenden Geschlecht Em ernstes Spiegelbild der Gegenwart Zur Lehr' und Buß' und Warnung vorzuhalten. Lessing zuerst griff in das Innerste Häuslichen Seins und schlichten BürgerthumS. Er thüt'S in „Sara Sampson" und in „Minna" Und in „Emilia Galotti", die, (Ein Kmner, Goethe, sagt'-- „der erste Schritt, Und der entscheidende, zum Ankampf war Entgegen fürstlicher Despotenwillkür." Und seine „alte Kanzel" — also nannte Der große Mann von Kamenz gern die Bühne — Betrat noch einmal er in seinem „Nachan" Und predigte da- Evangelium Der Menschenliebe und des Menschenthums, Das unvergänglich uns ins Herz und nicht Auf mürbes Pergament geschrieben ist, DaS nicht des Eids bedarf und nichts von Trennung In Orthodoxe, Ketzer, Secten weiß. Vor Gott ist angenehm — weß Stands, weß Lands, Weß Volks er immer sei — wer Rechtes thut Und sich bekennt zum reinen Menschen Kunde. ^ Doch ist dies hohe Ziel erreicht? sind wir Seit Lessing schrieb, ihm näher nur gekommen ? Ernst ist die Zeit, am Horizonte blitzt es Bald hier, bald dort; die Völker stehn in Waffen; Von Rissen klafft's am alten Leib Europa's, Und schwer nur athmet sich's in dieser Luft. Und doch stehn wir noch immer hadernd da, Nicht einig wie wir sollten! Denkt an Lessing, An Lessings Minna und an Lessings Tellheim, Die sich die Hand zum Ehebunde reichten, Die Sachsentochter und der preuß'sche KriegSmann, Versöhnung feiernd zwischen Gachsenland Und Preußenland. So mahnte Lessing uns! O laßt die Mahnung nicht verloren sein! Rückt näher, immer näher nur zusammen, Ihr Völker, die aus deutschem Blute stammen! Seid enge, wie es Brüdern ziemt, umflochten, Dann wird der Kampf auch wacker ausgefochten! Getrennt, hat euch das Ausland bald im Netze — Vereint, gebt ihr der ganzen Welt Gesetze! Den ganzen Lessing fetern wir. Am 22. Januar 1729 wurde in einem sächsischen Städtchen, in Kamenz, in einem bescheidenen Hause dieses Städtchens, ein Knabe geboren. An demselben Tage ging an Deutschlands nacht umhülltem Himmel ein leuchtender Stern auf. Das Knäblein wuchs heran in Kraft und Muth, in HerzenSadel und Seelen- hoheit, in Geistesmacht und Menschenliebe, in Wahrheit und Gerechtigkeit. Der Stern breitete sein Licht immer Heller und klarer aus und wurde zur großen Aewaltlgen Sonne, die ihre brennenden, verzehrenden Strahlen überallhin smdete, wo Nebel und Finsterniß das Menschenauge umfangen hielten, und mit ihrem wärmenden Feuer den gesunden Mmschensinn kräftigte und seine edlen Triebe wachsen und sich entwickeln ließ. DaS Knäblein und der Stern, sie waren Lessing und sein GeniuS! Man nennt die Deutschen ein Volk von Denkern. Wer hat Deutschland groß gemacht, wer hat ihm seine unvergänglichen Siege errungen, wer es hingestellt an die Spitze der Nationen an Kraft des Geiste- und Hoheit der Empfindung, an edler Sitte und Einfalt de- Herzens, an wissenschaftlicher Tiefe und geläutertem Kunstsinn, an hochherziger Opferwilligkeit, wenn es große Zwecke, an begeistertem Patriotismus, wenn es das Vaterland gilt? Waren eS seine Soldaten, seine Feldherren, seine Fürsten, seine Könige und Kaiser? ES war« seit« Ehilossphen und Dichter, seine Künstler, seine Schriftsteller, es waren seine Denker! Von Gutten- berg herab bis auf unsere Tage sind sie eS, die Deutschlands große Schlachten schlagen. Lessing aber ist der gewaltigste Streiter vor dem Ewigen; dmn was Deutschlands Denker jeder einzeln gewesen, da- vereinigt sich in ihm zum zündenden Brennpunkt. Der Eine, Lessing, ssk der ganze, große deutsche Volkscharakter in feiner böchstenDollenduna. Es ist gleichsam als wenn die Mannich- salrigkeit des Nationalgeistes sich in diesem einen Menschen krystalli-