Volltext Seite (XML)
Erscheinen: DienStag, Donnerstag und Sonnabend mit Ausschluß der Feiertage. Abonnement: Bierteljährlich >0 Ngr. Großenhainer Wech altunzs- und AnWedlatt. Amtsblatt des Königlichen Gerichtsamts und Stadtraths zu Großenhain. Inserakenannahme: Bis Tags vorher spätestens früh 9 Uhr. Insertionsbelräge von auswärts sind in Post- marken beizufügen oder werden durch Postvorschuß erhoben. Redaction, Druck und Verlag von Herrmann Starke in Großenhain. IO L8S4 Sonnabend, den 19. September Vereins- und Wirthschasts-Genossenschasten. Wahrend in den untern Schichten der Arbeiterbevölkerung eine Agitation mehr und mehr Boden zu gewinnen sucht, welche die Arbeiter ihrem eigentlichen Ziele: etwas Tüchtiges in ihrem Berufe zu leisten und sich dadurch eine auskömmliche Existenz zu schaffen, durch einseitiges Parteitreiben entfremdet, ist es als ein erfreuliches Zeichen der Zeit zu betrachte«, daß dem gegenüber von der andern Seite ein vernunft gemäßes Gegengewicht errichtet wird und immer mehr an Bedeutung gewinnt. Das sind namentlich die von Schulze- Delitzsch begründeten Erwerbs- und Wirth schafts- Genossenschaften. Vermögen sie auch zur Zeit noch nicht die Kluft zu überbrücke«, welche die heutige Gesell schaft in socialer Beziehung in zwei große Hälften theilt, so ist doch vor der Hand ein Mittel gefunden, unter dessen Zuhilfenahme ein Ausgleich vielleicht einmal möglich wird. Denn diese Genossenschaften schwärmen nicht — und dies ist einer ihrer bedeutendsten Vorzüge — für ein Schla raffenland, was von den Leitern der Socialdemokratie in hohlen, sinnenverwirrenden Phrasen angekündigt wird, sondern sie nehmen die gegebenen Verhältnisse, wie sie nun einmal sind, zur Grundlage, um von hieraus eine stetige und wirk same Thätigkeit zu entwickeln. Denn dadurch griff Lassalle und mehr noch sein Anhang fehl, daß er nicht eine Re organisation der bürgerlichen Gesellschaft ans sich heraus zu erstreben suchte, sondern durch traumhafte Vorschläge nur bessern wollte und zwar in einer Art und Weise, welche den anderen Staat und die derzeitige Gesellschaft vollständig über den Haufen werfen würde. Die sociale Frage ist nun und nimmermehr mit einem Schlage zu löse«; hier gilt es, sich mit Abschlagszahlungen abzufinden, durch welche das sociale Uebel gelindert wird. Das will die Genossenschaft. Sie will namentlich dem kleinen Gewerbe und dem Kleinhandel eine Stütze sein; was dem Einzelnen bei seinen beschränkten Mitteln und seinem engbegrenzten Credit zu er reichen nicht möglich ist, soll Jedem dadurch, daß in der Genossenschaft Alle helfend und bürgend für Einen eintreten, erreichbar werden. Sie will es ferner dem Interessenten ermöglichen, in guter Zeit Ersparnisse auf die sicherste und zweckmäßigste Weise anzulegen; in schlechten Zeiten soll wiederuni das gemeinsame Zusammengehen davor schütze«, daß der Mitgenosse i« die Hände von Wucherern fällt. Hierin beruht die Vortrefflichkeit der von Schulze-Delitzsch verfochtenen Principien. Zahlen beweisen, daß auf diesen« Wege schon etwas erreicht worden ist. Rach den Ausführungen, welche Schulze-Delitzsch Ende vorigen Monats auf dem 15. allgemeinen Vereinstage in Bremen gab, bestanden im Jahre 1872 bereits 2221 Vor schuß- und Creditvereine, während die Zahl derselben im Jahre 1873 auf 2409 augewachsen ist. Statt 490 Er- werbsgenossenschafteu und 905 Consumvereine im Jahr 1872 bestanden ultimo 1873 von ersteren 505 und 973 Consum vereine. Dazu kommen noch die Baugenossenschaften, so daß sich die Gesammtsumme dieser Vereine um 336 erhöht hat. Die Mitgliedszahl stieg auf 1,300,000 Personen. Ebenso sind dem entsprechend die Geschäfte gewachsen. Von Be deutung ist auch, daß die große geschäftliche Krisis den Ruin auch nicht eines solchen Vereins verschuldet hat — ein Beweis, wie fest und solide die Organisation der selben sein muß. Die Hauptaufgabe des 15. Vereinstages bestand darin, das Vereinswesen noch mehr und gründlicher zu ordnen und Schutzwehren aufzubauen, um betrüglicher Verwaltung und mangelhafter Controls vorznbeugen. Na mentlich wurde auch der sittigende Einfluß des Genoffen- schaftswesens betont, welcher darin besteht, daß die kleineren Gewerbetreibenden und Geschäftsleute sich zu festem Bunde vereinen und Gelingen und Mißlingen gemeinsam tragen; daß Jeder mit dem Andern vereint dasjenige Vertrauen genießt, welches man ihm allein nicht gewähren würde. So sind die Genossenschaften zu einer gar nicht zu unterschätzenden Macht herangewachsen, welche nicht nur unserm Volke in wirthschaftlicher Beziehung einen ungeheuren Nutzen gewährt, sondern dadurch zugleich auch dem ganzen Vaterlande zu Gute kommt. Und so stimmen wir von Herzen in die Wünsche für eine weitere gedeihliche Fort entwickelung des Genossenschaftswesens mit ein. Lagesnachrichten. Sachsen. Das „Dr. I." schreibt unterm 16. Septbr.: „Das neueste Stück des Gesetz- und Verordnungsblattes bringt die schon seit einiger Zeit mit Spannung erwarteten Ausführungsverordnungen zu den neuen organischen Ver waltungsgesetzen nnd zu dem Gesetze über das Volköschul- wesen. Da bis zu dem Inkrafttreten dieser Gesetze nur noch die Frist eines Monats gegeben ist, so werden sich die be- theiligten Kreise alsbald mit den gegebenen Bestimmungen bekannt zu machen haben. Von einigen Seiten ist dem Vernehmen nach der Erlaß besonderer Ausführungsverord nungen zu den revidirten Gemeindegesetzen erwartet worden. An maßgebender Stelle ist man jedoch zu der Ansicht gelangt, daß hierzu keiu ausreichendes Bedürfnis' vorliege. Dagegen ist Veranstaltung getroffen, daß ein von einem Beamten des Ministeriums des Innern bearbeiteter Leitfaden für die Gememdevorstände und die Bürgermeister in mittleren und kleinen Städten, welcher denselben für ihre künftige Amts führung Weisung und Rath crtheilt, demnächst im Druck erscheint. Uebrigens wird das nächstfolgende Stück des Ge setz- und Verordnungsblattes die ergangenen Verordnungen noch nach einigen Seiten ergänze«. Namentlich wird eine Verordnung des Justizministeriums die Uebersicht der künf tigen Eintheilung des Landes nach Gerichtsbezirke« unter Angabe der einzelnen zu jedem Gerichtsbezirke gehörigen Ortschaften in ähnlicher Form, wie dies seinerzeit im Jahre ! 1856 geschehen ist, veröffentlichen. Ferner stehen «och eine ' Ausführungsverordnung zu dem Gesetze über das Verfahren > in Verwaltungsstrassachen, sowie Specialverordnungen über i das Verfahren bei der Aufhebung von Leichname«, über j die Abänderung der die Competeuz der Elbstromgerichte - betreffenden Vorschriften, über die Medicinal-, Chaussöe- JnspeclionS- und dergl. Bezirke in Aussicht." In Berggießhübel bei Pirna ist am 15. Septbr. Mit- tags die Kirche nebst Thurm nicdergebrannt. Bei Reichenbach wurde am 14. Septbr. Abends ein Hilfsbahnwärter, als er seine Strecke beging, vom Zuge überfahre« und getödtet. Das am 10. Septbr. in den Promenadenanlagen zu i Freiberg von eiuer unbekannten Frau ausgesetzte Kind ist am 15. gestorben. Der Mutter desselben soll man auf! der Spur sein. Aus Augustusburg werden dem „Dr. I." zwei be- ! llagenöwerthe Unfälle berichtet, die sich in dasiger Gegend i ereignet haben. In Eppendorf sprang am 13. Septbr. die Tochter eines Gutsbesitzers in der Scheune von der Tennen wand so unglücklich herab, daß sie sich an einem Wagen eine sogenannte Runge in den Leib spießte und eine halbe Stunde später starb. Am folgenden Montage Abends stürzte in Falkenau ein Mann auf dem Wege nach Oederan von einem Fclsabhang herab und zerschlug sich an dem Gestein die Hirnschale, so daß der Tod sofort eintrat. Bei Abhaltung eines Gesellschafts-Tanzvergnügens in Dresden hatte, wie der dortige Anzeiger berichtet, ein ge ladener Gast des Vergnügens genug, ging in die im zweiten Stockwerke gelegene Garderobe und fiel, nachdem er sich angekleidet hatte, ein Fenster mit der Thür verwechselnd, in den Garten herab. Der Schreck war allgemein, zumal als man den Herabgestürzten an einem Zaun fand, auf welchem er sich aufgespießt hatte. Allein die Vorsehung hatte über ihm gewaltet, denn er war nur mit de« Kleider«, ohne sich am Körper zu beschädige«, hängen geblieben. Nachdem man ihn von dem abgebrochenen Zaune befreit und er durch die kalte Nachtluft wieder erfrischt worden war, nahm er abermals am Tanzvergnügen Theil und war der Löwe deö Abends. Preußen. Zu den Unionsconferenzen aller christlichen Confessionen, welche am 14. Septbr. in Bonn unter Vorsitz DöllingeckS eröffnet und bis 16. fortgesetzt wurden, waren berühmte Theologen aus Deutschland, Dänemark, Frank reich, Rußland, England, Griechenland und Nordamerika, im Ganzen über 40, darunter mehrere Bischöfe, erschienen. Die Verhandlungen mit den Anglikanern und Amerikanern wurden in englischer, diejenigen mit den Orientalen in deut scher Sprache geführt. Das Resultat war nach beiden Seiten sehr günstig und höchst bedeutsam Döllinger'S län gerer Vortrag über das Verhältniß der abendländischen und der morgenländischen Kirche. Oesterreich. Die Landtage sind am 15. September eröffnet worden. Die im Landtage Böhmens erschienenen sieben tschechische« Abgeordneten überreichten eine Erttärmig, wonach sie an dem Staatsrechte Böhmens zwar fcsthalten, jedoch überzeugt sind, daß nur durch einträchtiges Zusammen wirken aller liberalen Elemente dauernde Völkersreiheit sicher gestellt werden könne. Im Innsbrucker Landtage sind die uatiouailiberalen Abgeordneten Wälschtirols und im Czerno witzer Landtage die Abgeordneten des Großgrundbesitzes nicht erschienen. Schweiz. Der am 15. Septbr. in Bern eröffnete internationale Postcongreß erwählte den Nationalrath Borel (Vorstand deö eidgenössischen Posldepartements) zum Präsi denten und genehmigte das von der Schweiz vorgelegte Geschästsreglement. Sodann wurde zur Vorberathung des Postvertragsentwurfs eine aus Vertretern Belgiens, Deutsch lands, Aegyptens, Italiens, Oesterreichs, Portugals, Ruß lands, Schwedens und der Schweiz zusammengesetzte Com mission gebildet. Zu den wichtigsten Vorschlägen, welche dem Congreß gemacht werden, gehören: daß jede Post- verwaltung ihre Einnahmen sowohl aus der Frankinmg wie aus der nachträglichen Portoeryebuug für sich behält und der Transit nicht vergütet wird; daß für die Sendungen stets die schnellsten zu Gebote stehenden Routen gewählt, daß Streitigkeiten zwischen den einzelnen Postverwaltungen durch Schiedsgerichte geschlichtet und daß zur weiteren Aus bildung des Weltpostvereins periodische Conferenzen ab gehalten werden sollen. Italien. Wie die Zeitungen berichten, sind alle in der Villa Ruffi bei Rimini verhafteten Republikaner von Spoleto nach Perugia gebracht werden, wo sie vor Gericht gestellt werden sollen. Der Ausbruch des Aetna auf willen gilt als beendigt, nur einige Erschütterungen werden noch erwartet. Frankreich. Der Marschallpräsident Mac Mahon ist am 15. Septbr. Abends in Amiens eingetroffen und sehr sympathisch empfangen worden. Die zur Begrüßung ge haltenen Ansprache« gaben sämmtlich dem Wunsche Aus druck, die Nationalversammlung möge die Vollmachten des Marschallpräsidentcu organisiren, damit derselbe sich in umfassenderer Weise der Regeneration und der Förderung der Wohlfahrt des Landes widmen könne. Wie man aus Grasse meldet, deponirte im weiteren Verlaufe des Bazainefichen Entweichungsprocesses der Ge- fängnißdirector von St. Marguerite, Marchi, er habe Anweisung gehabt, die Ueberwachung des Marschalls in schoneudster Weise anszuführen, und danach im Einver nehmen mit den Militärbehörden seine Maßregeln getroffen; dein Oberstlieutenant Villette habe er die Verpflichtung ab gefordert, keine Fluchtversuche zu befördern. Der Capitän Doineau läugnete jedes Einverständniß betreffs der von ihm an den gefangenen Marschall beförderten Depeschen. Villette stellte die Uebernahme einer auf etwaige Flucht versuche Bazaine's bezüglichen Verpflichtung ebenso in Ab rede, wie jegliche Kenntniß von der Ausführung der Flucht und die Theilnahme an derselben. Am 16. Septbr. begannen die Plaidoyers der Vertheidiger, welche am 17. fortgesetzt werden sollten. Die vom Staatsprocurator verlesene An klageschrift erörtert die Details der Flucht, besonders die Frage, ob die Flucht mittelst einer Strickleiter oder durch eine heimliche Pforte bewerkstelligt worden sei und gelangt ! zu dem Schluffe, daß unter Mitwirkung Villette's die Flucht mittelst einer Strickleiter bewirkt und durch die Nachlässigkeit der Wächter erleichtert worden sei. Der Procurator be merkte schließlich, die Flucht sei gerade im Interesse Ba- zaine'S bedauerlich; die Hand, welche den Marschallstab geführt, dürfe nicht znr Strickleiter greifen, Bazaine hätte den Tod vorziehen müssen. Spanien. Die „Politica" erklärt, die Regierung werde niemals auch nur das kleinste Stückchen Gebiet deö Festlandes oder der Colonien abtreten. Der Wiener „Neuen freien Presse" schreibt man aus Madrid, daß die Unterstützung der Carlisten mit Kriegs bedarf :c. von Frankreich aus nach wie vor im umfang- reicksten Maße geschieht. Amerika. Infolge einer von der Liga der Weißen erlassenen Proclamatio«, in welcher der Gouverneur Kellog für einen Usurpator erklärt und die Wiedereinsetzung des Gouverneurs Mac Henry verlangt wurde, ist es in New- Orleans zu Unruhen gekommen. Der Theil der Bevölkerung, welcher der Partei der Liga angehört, bewaffnete sich, er richtete Barrikaden und bemächtigte sich des Stadthauses. Der General Longstreet rückte mit 500 Mann Polizei soldaten, größtentheilö Farbigen, gegen die Aufständischen au und forderte sie, jedoch erfolglos, auf, auseinanderzugehen. Es entspann sich darauf ein heftiger Kampf, wobei sechs Bürger und 30 Polizeisoldaten getödtet wurden. Letztere mußten sich schließlich zurückziehen, und die Stadt befindet sich jetzt in den Händen der Liga der Weißen, die außer dem Stadthause auch die Polizeistation, das Telegraphen gebäude und das Arsenal besetzt haben. Der Gouverneur Kellog befindet sich auf dem Zollhause unter dem Schutze der Bundestruppen, die bisher neutral blieben. Präsident Grant hat infolge des vom Gouverneur Kellog an ihn ge richteten Ersuchens um Schutz eine Proclamation erlassen, in welcher er seinem großen Befremden über die Vorgänge in New-Orleans Ausdruck giebt und die Aufständischen auffordert, binnen fünf Tagen auseinanderzugehen. Gleich zeitig weroen alle Bürger ermahnt, zur Wiederherstellung der gestörten Ordnung mitzuwirken. An die Militär-Com- mandanteu ist der Befehl ergangen, sofort die zur Herstellung der Ruhe erforderlichen Maßregeln zu treffen. — Nach einer weiteren Nachricht aus New-OrleanS begaben sich am 15. Septbr. die der weißen Partei angehörigen Bürger, zehntausend an der Zahl, nach dem Palast des gesetzgeben den Körpers und setzten Pence als Gouverneur eiu. Die selben beantragten gleichzeitig beim Präsidenten Grant, Pence als Gouverneur anzuerkennen. Weitere Unruhen haben nicht stattgefunden, die Geschäfte waren jedoch noch nicht wieder ausgenommen worden. Die Bewegung der Weißen beginnt sich über ganz Louisiana auözudehneu. In Green (Grafschaft Alabama) haben die Weißen einen Trupp Neger angegriffen und gesprengt; mehrere wurden getödtet.