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Sonnabend, 6. Oktober 1W6. Rr. 31. Erster Jahrgang. 5luer Tageblatt und Anzeiger Mr das Erzgebirge Ncmn tworNicher Rrsaktenr: Fritz Arn hold: FUr »le Inserate verantworNict': Albert Fachsct, beide in Aue. mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes ^onntagsblatt. -prechstnnde der Aedaltio» n>it Aiisnahmr der Aomttagr nachinittagr >'«>» 4—s Uhr. — Telegramm-Adresse: Tageblatt Aue. — Fernsprecher 202. Für iinvcrlangi eingesandtc Manuskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. Druck und Verlag: Gebrüder Beuthner (Ink.: Paul Beuthner) i» Aue. Bezug» preis: Durch uusere Boten srei ins tsaus monatlich 5>n Pfg. Bei der Geschäftsstelle abgeholt monatlich ^0 Psg. und wdchentlich «o Pfg. — Bei der Post bestellt und selbst abgcholt vierteljährlich «.so Ink. — Durch den Briefträger frei ins lsaus vierteljährlich I.Y2 Mk. - Eiuzelne Nummer 10 pfg. — Deutscher postzcilungs- kalalog Nr. — Erschein« täglich in den Mittagsstunden, mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen. Annahme von Anzeigen bis spätestens g>/, Uhr vormittags. Für Aufnahme von grdßcreu Anzeigen an bestimmten Stellen kann nur dann gebürgt werden, wenn sie am Tage vorher bei uns einaehen. Jnsertionspreir: Vie siebengespaltene Aorpuszeile oder deren Raum «o Pfg., Reklamen 25 pfg. Bei grätzeren Aufträge» entsprechender Rabatt. Viese Nrnir««* trinfntzt 10 Seiten Das Illustrierte Sonntagsblatt wird ausnahmsweise erst einer der nächste» Nummern beigelegt werden. Das Wichtigste vom Tage. Dcr braunschweigische RcgentschaslSrat hat den Be schluß gefaßt, dein braunschweigischen Landtage die Wahl des Prinzen Friedrich Wilhelm von Preußen, des jüngsten Sohnes des verstorbenen Regenten Prinzen Albrecht, zum Re genten vorzuschlagcn. Der Landtag soll zum 1». Oktober rinberuten werden. * Die Bergarbeiter Deutschlands verlangen eine Lohn erhöhung von Del Reichsbankkassicrer Born in Würzburg wurde telegraphisch vom Kolonialdirektor als Hilfsarbeiter für die Kolonialabteilung berufen. Ter Aufenthalt der Zarcnfamilic in Pclcrhvs wird nur von kurzer Dauer sein. Sic wird nach ZarSkoje-Selo, wo bereits alle Vorbereitungen für den Empfang getroffen werden, übersiedeln. O Das Nonnenkloster von Zichiu ist wegen Mißhand lung von Nonnen und Pfleglingen seitens der Aebtc auf Grund eines Verbotes dcr Inspektion geschlossen worden. Wie verlautet, ist ein Trust in der Bildung begriffen, dcr beabsichtigt, den gesamten Getreidehandcl der Vereinigten Staaten an sich zu ziehen. * Näheres stehe unten. 8plencliä kolation. Zu den in den lehten Tagen mit aller Bestimmtheit auf getauchten Meldungen, daß zwischen Frankreich und Eng- la nd eine Militärkonvention abgeschlossen wurde, ha ben unsere Ossiziosusse bisher verlegen stillgeschwiegen. Nur die Grenzboten, die intime Beziehungen zur Wilhelmstraße unter halten, finden darin nichts Aufregendes, ebenso, wie sie die welsche Flottenentrevue in Marseille sehr optimistisch mit den Worten charakterisieren: „Thampagnerstimmung, die gegen die wirklichen Interessen nicht auskommt." Es scheint wirklich, daß sich die hohe Politik in den Köpfen jener Journalisten, die sich von unserem Auswärtigen Amt inspirieren lassen, ganz anders malt, als in den Gehirnen Halbwegs logisch denkender Menschen, denn sonst würden sie nicht so leichtfertig über hochwichtige po litische Vorgänge urteilen, die das ernsteste Nachdenken ver dienen. Aber Schwarzseherei ward bei uns in Deutschland nicht geduldet! Fürst Bülow hat als toleranter Ehemann den Extratouren der Frau Italia so lange freundlich lächelnd zu gesehen, bis aus dem Flirt mit dem gallischen Hahn eine ernst hafte Liaeson wurde, sodaß heute der Dreibund keinen Schuß Pulver mehr wert ist. Fürst Bülow hat es trotz aller Bemühun gen nicht verstanden, das Verhältnis zwischen Berlin und Pe tersburg so enger zu gestalten, daß wir politische Vorteile hät ten daraus ziehen können, er wußte aber auch nicht, uns die Freundschaft Japans zu erwerben, trotzdem es seiner Zeit ein Leichtes gewesen wäre, den Engländern die schöne ostasiatische Allianz vor der Nase wegzuschnappen. Wir haben den Buren krieg ungenutzt vorüberstreichen lassen, anstatt der englischen Weltherrschaft das Genick zu brechen, und wir deckten Rußland selbstlos den breiten Rücken, wofür es uns in Algeciras in schänd lichster Weise verriet. Aber unserem einzigen Freunde, Oesterreich-Ungarn, haben wir mit unser „genialen" auswärtigen Politik nur schlechte Dienste erwiesen, denn es ist doch ein offenes Geheimnis, daß der alle Welt überraschende Frie densschluß zwischen Kaiser Franz Josef und der magyarischen Koalition, wobei Krone, Oesterreich und die habsburgische Ge samtmonarchie gleichmäßig verraten und verkauft wurden, nur auf Einflüsterungen von Berlin aus erfolgte. Die Marokko-Kon ferenz hatte nämlich gezeigt, wie von aller Welt ver lassen Deutschland dasteht, und da unser einziger zuverlässiger Aliiertrr, der schwarz-gelbe Kaiserstaat, infolge der ungarischen Obstruktion mit seinen militärischen Rüstungen arg imRiickstande geblieben war, riet man in dcr Wiener Hofburg zum Nachgeben gegenüber den magyarischen Forderungen. Nun, Kaiser Franz Joses bekommt zwar jetzt wieder aus Ungarn feine Rekruten, aber welch eine deutsch-feindliche Klique durch dieses diplomatische Stückchen in Budapest ans Ruder kam, das hat die vor einigen Tagen erfolgte englisch-magyarische Verbrüderungskomödie un ter der Patronanz dcr Apponyi und Kossuth wohl deut lich genug gezeigt! Dabei haben wir unsere eigenen Stam- mesgenossen in Oesterreich, die genau wissen, aus welcher Jn- lavieren versteht, aber die Schönfärberei der in seinen Diensten den, gegen uns aufgebracht. Es fällt uns nicht ein, Fürsten Bülow für das ganze Sünden register unserer auswärtigen Politik verantwortlich zu machen, denn seine Ursachen liegen in einer Zeit, wo der gegenwärtige Reichskanzler noch nicht viel zu sagen hatte. Wir anerkennen vielmehr gerne, daß er mit außerordentlicher Geschicklichkeit zu lavieren versteht, aber die Schönfärberei der in seinen Diensten arbeitenden Federn vermag uns nicht darüber hinweg zu täu schen, daß sich Deutschland in einer unheimlichen Verein- famung befindet, welche es der überlegenen Politik des Kö nigs Eduard zu verdanken hat. Wie ein glänzender Schach, spieler hat er uns Zug um Zug in die Enge getrieben und wenn cs ihm jetzt noch gelingt, mit Rußland ein Uebereinkommen zu schließen, dann sind wir diplomatisch einfach matt gesetzt. Groß britannien steht mit Japan in einem viel engeren Alliauzver- hältnisse, als Deutschland mit Oesterreich, es hat mit Frankreich eine Militärkonvention abgeschlossen und das Pariser Kabinett hat unfern anderen verbündeten Italien schon so gut wie in der Tasche. Serbiens bockbeiniger Widerstand gegen die habsbur gische Großmacht ist einzig aus englische Einflüsse zurückzusühren, und sogar in Konstantinopel hat der englische Botschafter jetzt mehr zu sagen als der deutsche. Wenn schließlich England auch mit Rußland noch ins Reine kommt, so ist der Ring um Deutsch land geschlossen. Nur in einer politischen Kinderstube könnte man vielleicht naiv genug sein, zu glauben, daß der gute König Eduard alle diese Verträge einzig deshalb abschließt, um seinem Lande den Frieden zu erhalten. Es handelt sich um nichts anderes, als um das Zustandebringen einer gewaltigen Koalition, die das deutsche Reich erdrücken soll. England will den einzigen Konkur- re n t e n, der seiner industriellen und kommerziellenVorherrschaft in der ganzen Welt ernstlich gefährlich werden kann, zu Boden ringen, selbst um den Preis eines furchtbaren Krieges. Auf dieses Ziel steuert die englische Politik seit einem Jahrzehnte unermüdlich los, und befand sich das stolze Albion noch vor einem Lustrum in „splendid ifolation", so hat es jetzt an jedem Fin ger einen Freund oder sogar Verbündeten, während wir uns glücklich isoliert haben. Ob wir aber auch von uns sagen können „Splendid ifolation", das ist eine andere Frage! Wie Friedrich dcr Große so stehen wir jetzt einer Welt von Feinden gegenüber, und wenn sich auch augenblicklich am politischen Himmel keinerlei unmittelbar drohende Wcttcranzeichen zeigen, so ist doch die Si tuation trübe genug. Ja, es gibt sehr viele Schwarzseher, die da meinen, cs werde schließlich nichts anderes übrig bleiben, als an den Gott der starken Bataillone zu appellieren. Allerdings die Optimisten, und die allein dürfen nur in Deutschland das größte Wort führen, sagen mit dem seligen König von West falen: Immer lustig! Zur braunschweigischen Thronfolgesrage. In den amtlichen Braunschweigischen Anzeigen wird jetzt der ganze Briefwechsel zwischen dem Ministerium und dem Reichskanzler sowie dem Herzog von Cumbcr- laud aus Anlaß der vom Landtage beschlossenen Resolution ver öffentlicht. In dem Schreiben des Ministeriums an den Reichs kanzler vom 25. September heißt es nach Anführung dcr seit dem Tode des Regenten geschehenen amtlichen Schritte sowie dcr Rcso- lntiou, das Ministerium müsse die nachteiligen Wirkungen der provisorischen Regierung auf die politischen Verhältnisse, namentlich bezüglich der Partcilnldungen anerkennen nnd könne die Befürch tung nicht abwciscn, daß der nachteilige Eiusluß sich verschärfen würde, wenn jetzt ohne weiteres derRcgentschastSrat und die Landes versammlung die Wahl eines neuen Regenten bewirkten, ohne zuvor alles getan zn haben, daß an Stelle des Provisoriums ein Definitivuin, d. h. llcbcrnahme der Regierung seitens des zur Thronfolge im Herzogtum berufenen Agnaten gesetzt werde. Die herzogliche Landesregierung sei nicht im Zweifel, daß letzteres aus geschlossen ist, wenn dir Tatsache, die den Bundesrat zn dem Beschluß vom 2. Februar 1885 bestimmten, noch jetzt unverändert sortbestehcn und ihre Beseitigung zurzeit unüberwindliche Hinder nisse sich cntgcgenstcllcn. In jüngster Zeit sei stets beh-uptci worden, daß jene Hindernisse unverändert sortbeständc», daß ins besondere dcr Herzog von Cumberland seine Ansprüche aus Ge bietsteile Preußens nicht nachdrücklich und zweifellos anfgcgcbcn habe. Es mußte dem Herzog daran liegen, eine Erklärung darüber zu erhalten, ob in der Tal die in dem BundcSratSbcschlnssc be kundeten Tatsachen augenblicklich sorlbeständen. Wenn ja, so knüpfe eö daran die in dcr Resolution zum Ausdruck gebrachte wichtigste Frage, ob nicht eine Beseitigung jener Tatsachen möglich sei. Das Herzogtum sei seit dem Bestehen des NcgentschastSzustandcü stets seinen Pflich ten gegen das Reich eingedenk gewesen und habe bei seinen Be mühungen zur Erfüllung dieser Pflichten stets die Unterstützung der Ncichsvr-'ane gesunden. Es glaube sich daher auch in dcr gegenwärtigen Lage des Herzogtums an die Reichsrcgicrung wenden zu sollen. Das Ministerium bittet den Reichskanzler um Mit teilung, ob die Tatsachen, aus welche dcr BundesratSbeschluß sich stützt, sortbestehcn und, wenn dieses dcr Fall ist, ob sich den Organen des Reiches Mittel und Wege bieten würden, auf einen Ausgleich der Gegcnsäße zwischen der Krone Preußens und dem Herzog von Cumberland hinzuwirken. Es bitte um Auwendung dieser Mittel und um Mitteilung des Ergebnisses. Der Bundesrat werde bei der Prüfung der Legitimation des BundeSratSbevollmächtigten Braunschweigs Gelegenheit zur Stellungnahme haben. Da ferner die Behinderung des Herzogs von Cumberland in dessen Verhältnis zu dem Bundesstaat Preußen seinen Grund habe, mithin die Ent schließung dcr preußischen Staatsregicrung in Betracht komme, so habe das Ministerium die Resolution mit einer Abschrift dieses Schreibens und einem Begleitschreiben dem preußischen Ministerium des Auswärtigen übermittelt. Hierauf folgt da« Begleitschreiben zu der dem preußischen Ministerium überreichten Abschrift, sowie das Schreibe» an den Reichskanzler, das Schreiben des Ministeriums an den Herzog von Cumber'and vom 26. September und dessen Antwort vom 27. September. In dem ersten Schreiben handelte es sich um ein formelles Begleitschreiben zu der übersandten Reso lution des Landtags und in dem Antwortschreiben des Herzogs von Cumberland um eine formelle Empfangsbestätigung der Reso lution. Hieran schließen sich dann die gestern veröffentlichten Antwortschreiben des Fürsten Bitlow als Reichskanzler und als preußischer Minister der auswärtigen Angelegenheiten. Der Schrift wechsel soll dem Landtage bei seinem für den 18. d. MtS. in Aussicht genommenen Zusammentritt vorgelcgt werden. »SS Infolge der Donnerstag nachmittag in Braunschweig ein gegangenen Antwort des Reichskanzlers trat dcr Regentschafts rat zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen, die bis 2 Uhr nachts währte. Der Regentschastsrat beschloß, den Land tag sofort eiuzuberufcn und ihm die Wahl des Prinzen Fried rich Wilhelm von Preußen, des jüngsten Sohnes des ver- storbenen Regenten Prinzen Albrecht zum Regenten vorzuschlagcn. Prinz Friedrich Wilhelm steht im 27. Lebensjahre. Er ist Haupt mann im Kaiser Alexander-Grcnadicrregiiucnt und zurzeit zur Dienstleistung bei dem Großen Gcneralstab kommandiert. Politische Tagesschau. Aue, 6. Oktober 1906. Der Fleischtrust. v. C. Die preußischen Landwirte sind alle Kaufleute. Sie haben es sich in den Kops gesetzt, bei allen landwirtschaftlichen Produkten den Zwischenhandel völlig auszuschalten. Sehr große Verdienste darum hat sich bekanntlich Herr Landcsvkonomierat Ring erworben, aber seine bisherigen Erfolge waren ziemlich gering. Er ist ja auch auf das heftigste befehdet worden, und von seinem Milchring und seiner VichverivcrtungSzentrale haben Berliner Journalisten sich die Hände blutig geschrieben. Dieser selbe Herr Ning trägt sich nun angeblich, worin in unserem Blatte schon einmal die Rede war, mit dem Gedanken eines deutschen FleischtrustcS nach amerikanischem Geld und mit amerikanischen Mitteln. Dieser Gedanke wird bei den Viehzüchtern natürlich Beifall finden, aber bei dem Teil dcr Presse, die ausschließlich das konsumierende Publikum vertritt, auf weniger Gegenliebe stoßen. Sicher ist, daß über die Geschichte wieder sehr viel zu- sanunengcschrieben werden dürste, und dabei wird natürlich auch der politische Standpunkt der einzelnen Kritiker in den Vorder grund gedrängt werden. Wir meinen unmaßgcblichst, solange man nicht mehr von dem Plane des Herrn Ring hört, solange die deutsche Landwirtschaft sich nicht bedingungslos in das Schlepp tau einer gewissen Klique nehmen läßt, braucht man sich um die Angelegenheit weniger zu kümmern, denn menschlicher Voraussicht nach wird sic nicht verwirklicht. Waö im Lande der unbe grenzten Möglichkeiten sich durchführen ließ, das kann nicht immer ohne weiteres auf deutschen Grund und Boden verpflanzt werden. Bei uns ist für derartige Riescnuntcrnehmungcn kaum ein ge eignetes Feld für Trusts, mögen sie nun industrieller oder land wirtschaftlicher Natur sein. Und die süddeutschen Landwirte und die norddeutschen Junker unter einen Hut zu bringen, das dürfte selbst Herrn Ring schwerlich gelinge». Der Kaiser verläßt heute mittag Eadinen und begibt sich über Marienburg, wo eine Schloßbestchtigung erfolgt, zum Besuch des Offizlerkorps der Leibhusarenbrigadc nach Lang fuhr. Am Abend fährt der Kaiser über Dtrschau, woselbst er mit der Kaiserin und der Prinzessin Luise zusammentrisft, die nach dem Neuen Palais bei Potsdam zurückkehren. Im Dezember wird sich der Kaiser voraussichtlich nach Kiel begeben, um auf der Eermaniawerft dem Stapellauf des Linienschiffes „Q" betzu wohnen.