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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.10.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-10-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981022019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898102201
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898102201
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-10
- Tag 1898-10-22
-
Monat
1898-10
-
Jahr
1898
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Reklamen unter dem RedartionSstrich (4gs« spalten) 50/4, vor den Familiennachrichtei (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis- vrrzrichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morge«.Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an dk -rpedttia» zu richten. Druck und Verlag von E. P olz in Leipzig 92. Jahrgang. Die Novelle zur Invaliditiitsverficherung. ii. Die dem Bundesrathe zugegangene Vorlage zur Revision der Jnvaliditäts- und Altersversicherung erstrebt, wie mitgetheilt worden, den oermögensrechtlichen Ausgleich zwischen den verschiedenen Trägern der Ver sicherung. Die ungünstige Vermögenslage eines Theiles der Versicherungsanstalten wird in der Vorlage fast ausschließlich auf Verhältnisse zurückgeführt, auf welche die Verwaltung der einzel nen Anstalt keinen Einfluß gewinnen konnte, nämlich auf die ungünstige Gruppirung der Altersklassen der Versicherten. Die so entstandenen Verschiedenheiten müssen ausgeglichen werden, wenn nicht in den für die einzelnen Anstalten zu erhebenden Bei trägen sehr erhebliche Unterschiede entstehen sollen, die mit der Natur der Invalidenversicherung als einer für alle Reichsangehö rigen gleichen und gemeinsamen Reichslast unvereinbar sind. Der Ausgleich soll in der Weise erfolgen, daß jeder Träger der Versicherung drei Fünftel seines Vermögens und der ihm künftig zufließenden Beiträge buchmäßig als Gemeinvermögen aus sondert, welches zur Deckung der aus den Grundbeträgen der Invalidenrenten und der Altersrenten bestehenden Gemeinlast be stimmt wird. Die übrigen zwei Fünftel des Vermögens und der Beiträge verbleiben als Sondervermögsn, aus welchem die Steigerungssätze der Invalidenrenten, die Beitragserstattungen, die Kosten der vorbeugenden Krankenpflege und sonstige Ver waltungskosten zu bestreiten sind, den einzelnen Trägern der Ver sicherung zur freien Verfügung. Den zweiten Hauptpunkt der Reform »bildet die Er richtung von örtlichen Renten st eklen, welche einer decentralisirten Verwaltung der einzelnen Anstalten dienen und als Beschlußbehörden unter Zuziehung von Beisitzern aus dem Stande der Arbeitgeber und der Versicherten über die Rentenansprüch« befinden. Die Rentenstellen sichen den örtlichen Verhältnissen nahe und sind den Rentensuchern persönlich jeder zeit leicht zugänglich, sollen ihnen auch in Angelegenheiten der In validenversicherung Auskunft ertheilen. Gegen die Entschließun gen der örtlichen Rentenstelle soll der Versicherungsanstalt und dem Rentensucher die Berufung an das Bezirksschiedsgericht offen stehen. Die Revision an das Reichsversicherungsamt bleibt unverändert bestehen. Aus dem sonstigen Inhalt der Vorlage heben wir noch Fol gendes hervor: Die V e r s i ch e r u ngs p f l i ch t wird auf den Betriebs beamten, ähnliche sonstige Beamte, sowie auf (männliche oder weibliche) Lehrer und Erzieher, denen eine Pensionsanwartschaft nicht zusteht, ausgedehnt. Die Befreiung vorübergehender Dienst leistungen von der Versicherungspslicht wird in weiterem Umfange, wie bisher, zugelasten. Die Wartezeit (5 bezw. 30 Beitragsjahre zu je 47 Wochen) wird auf eine runde und niedrigere Summe von Bei tragswochen, nämlich für die Invalidenrente auf 200, für dir Altersrente auf 1200 Beitragswochen herabgesetzt, und die Wartezeit für die im Falle vorübergehender Erwerbsunfähigkeit zu gewährende Rente von 52 auf 26 Wochen verkürzt. Die den Versicherungsanstalten gestattete vorbeugende Krankenpflege wird weiter ausgestaltet und den Versiche rungsanstalten die Vefugniß zur Einleitung eines geeigneten Heilverfahrens auch zu dem Zwecke eingeräumt, um dem Em pfänger einer Invalidenrente die Erwerbsfähigkeit wieder zu verschaffen. Die Aufnahme der Rentenempfäger in ein Jnvalidenhaus auf Kosten der Versicherungsanstalt wird zugelassen. Die Markenverwendung, deren Ueberwachung den örtlichen Rentenstellen obliegen soll, wird namentlich durch Ein führung von Marken für größere Zeiträume erleichtert. Durch die Ausscheidung einer fünften Lohn elasse für diejenigen, bisher in die vierte Lohnclasse fallenden Versicherten, bei denen der anrechnungsfähige Jahresverdienst den Betrag von 1150 übersteigt, wird hochgelohnten Arbeitern und Betriebsbeamten der Erwerb einer ihren Verhältnissen ent sprechenden höheren Rente gegen Entrichtung höherer Beiträge er möglicht. Die freiwillige Versicherung in einer höheren als der maßgebenden Lohnclasse wird wesentlich erleichtert. Während gegenwärtig erst nach langer Dauer der Versicherung eine wirksame Steigerung der Rente eintritt, wird künftig durch Abstufung des Grundbetrages der Rente eine für die Versicherten günstigere Berechnung der Renten stattsinden. Die jetzt nach besonderen Bestimmungen zu berechnende Altersrente wird einheitlich auf den Grunövetrag der Invalidenrente bemessen. Das Verfahren bei Rückerstattung von Beiträ ge n an weibliche Versicherte, welche eine Ehe eingchen, und an hinterlassene Wittwen und Waisen Versicherter wird erheblich vereinfacht. Zur Vereinfachung des Renienfeststellungs- versahrens wird bei ordnungsmäßiger Verwendung der Beitragsmarken zu Gunsten der Versicherten die gesetzliche Ver- muthung aufgestellt, daß die Beitragsentrichtung auf Grund eines bestehenden Versicherungsverhältnisses erfolgt ist. Im Hinblick auf die Gesetzesunkunde vieler Versicherter wird davon Abstand genommen, daß die Berufung oder die Revision, um als rechtzeitig zu gelten, binnen der vorge- schriebenrn Frist gerade bei der richtigen Stelle eingegangen sein muß; die Frist wird zur Uebereinstimmung mit anderen Gesetzen von vier Wochen auf einen Monat ausgedehnt. Bei Selbstentrichtung der Beiträge wird allen Versicherunqspflichtigrn durch das Gesetz rin Erstattungsanspruch gegen den Arbeitgeber auf dessen Beitragshülfte eingeräumt. Die bei der freiwilligen Versicherung gegen wärtig erforderliche Beibringung theurererDoppel- marken, bei denen der Werth des Zusatzbeitrags dem Reiche zufließt, fällt fort; die freiwillige Versicherung wird nicht mehr auf die Lohnclasse II, wohl aber zeitlich aus das beim Einkleben der Marken abgelaufene letzte Kalenderjahr beschränkt. Die Befugniß zur freiwilligen Versicherung, verbunden mit einem Erstattungsanspruche gegen den Arbeitgeber bezüglich eines Theiles der freiwillig geleisteten Beiträge, wird auch denjenigen Personen eingeräumt, welche zwar gegen Entgelt beschäftigt, aber aus besonderen Gründen der Versicherungspslicht ausnahmsweise nicht unterworfen sind. Die Nach b ring ung SonBeitragensür die Dauer versicherungspflichtiger Beschäftigung wird auf die Zeit von vier Jahren seit der Fälligkeit beschränkt. Es wird ausdrücklich ausgesprochen, daß bei Streitig keiten über dieBeitragsrntrichtungden Be theiligten, abgesehen von Ausnahmefällen, Kosten des Verfahrens nicht zur Last zu legen sind. Denjenigen Personen, welche wegen irrthümlicher An nahme einer Versicherungspslicht oder einer Be rechtigung zur freiwilligen Versicherung Beiträge entrichtet haben, wird ein Anspruch auf deren Erstattung zugestanden. Das Vermögen der Versicherungsanstalten soll in größerem Umfange, wie bisher, für die Verbesserung der Wohnungsverhältnisse der Arbeiter und für andere Ein richtungen zum Vortheil der oersicherungspflichtigen Bevölkerung nutzbar gemacht werden können. Die in der Praxis vielfach beklagten Härten der Straf vorschrift bezüglich der unzulässigen Eintragungen und Ver merke in den Quittungskarten 'werden beseitigt. Durch Fortfall des Aufsichtsrathes, der Vertrauensmänner und des Staatscommissars ist die Organisation vereinfacht. Die UebergangsLestimmungen des Gesetzes sind einfacher gestaltet. Insbesondere wird der für die Alters renten noch erforderliche Nachweis einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als Berussarbeiter kurz vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zu Gunsten der Versicherten erheblich erleichtert; unter bestimmten Voraussetzungen soll dieser Nachweis überhaupt er lassen werden können. Aus dieser kurzen Aufzählung der wichtigeren Abänderungen erhellt, daß die Durchführung der Jnvaliditäts- und Alters versicherung erleichtert und die Lage der Versicherten günstiger ge staltet werden wird. Italien in Afrika. Man schreibt uns aus Rom, 19. Oktober: Als Ferdinands Martini sich Ende vorigen Jahres zur Uebernahme seines Postens als Gouverneur von Erythräa von seinen Freunden verabschiedete, sprach er das große Wort ge lassen aus: „Diejenige Colonie ist die beste, von der man im Mutterlande am wenigsten hört." Etwa ein Jahr lang hat die Entwickelung der Dinge dieser seiner bescheidenen Auffassung entsprochen: man hörte höchstens, daß die Truppenzahl der Colonie namentlich auf Kosten des weißen Elements immer mehr verringert würde, daß auch sonst die Mittel gesucht würden, um mit dem Budget von 7 Mill. Lire auszukommcn, oder daß die Erwägungen noch nicht abgeschlossen seien, ob die Eisenbahn Massaua-Saati aufs Hochland als Schmalspurbahn oder als elektrische Trambahn fortzusetzen sei. Jetzt aber ist die Rubrik „Afrika" oder „Colonie Erythräa" in den Zeitungen wieder bedeutend angeschwollen. Es handelt sich nicht mehr um innere 'vlonialpolitische Erwägungen des bedächtigen Gou verneurs, der, wir s. Z. Baratteri, in wichtiger Zeit auf Urlaub in Italien weilt, eine Gefahr von außen ist in den letzten Tagen mit beängstigender Schnelligkeit wie ein Ungewitter am Hori zont emporgestiegen, die eines Entscheidungskampfes zwischen dem Ncgus Mcnelik von Abessinien und seinem Vasallen, dem Fürsten von Tigre, Mangascha, dessen Gebiet nach Norden gegen Erythräa seit dem Frieden von Adis-Abeba noch immer nicht fcstgelegt und begrenzt ist. In letzterem Um stände liegt der Kern der Gefahr! Seit einem Jahre weilt der diplomatische Vertreter Italiens, Capitain Ciccodicola am Hofe von Adis- Abeba, seit einem Jahre dringt über sein« Thätigkeit nichts weiter nach Italien, als „daß er in den besten Beziehungen zum Negus stehe." Wir lassen das Demüthigende eines solchen Zu standes für Italien bei Seite, wir gehen nicht darauf ein, daß englische und französische Abgesandte 14 Tage nach ihrer An kunft von Menelik empfangen sind und sich ihrer Aufträge ent ledigen konnten, wir weisen nur darauf hin, daß Menelik's Vor gehen nicht gerade von Sehnsucht nach endgiltigem Frieden mit Italien spricht, daß Mangascha's Anträge auf ein Schutzbllndniß mit Italien von dem stellvertretenden Gouverneur Oberst Troya korrekter Weise zurückgewiesen sind und Mangascha also bei den üblichen Razzien zur Verproviantirung seines Heeres gegen Italien kaum an irgend eine Rücksicht gebunden ist — auch im Hinblick auf die Schwäch« der italienischen, wohl nicht allzu zuverlässigen, Truppen—unddaßrndlichMenelikauf die bequemste Weise von der Welt einen Vorwand finden kann, um Italien der Nachgiebigkeit gegen oder des geheimen Einverständnisses mit Mangascha zu bezichtigen und derlei Beschuldigungen wenigstens diplomatisch wohl zu verwerthen vermag. Weiter« Muth- matzungen würden vorläufig noch des realen Bodens entbehren und ferner« Nachrichten aus Gibuti (Djibutil) öder Paris weiden ja nicht auf sich warten lassen. Aus Gibuti oder Paris! Darin liegt ein weiteres Moment für 'den Ernst der Lage. Das italienische Nachrichten wesen hat wieder einmal und ganz wir zur Zeit vom Amba Alagi im Decrmber 1895, worauf die Katastrophe von Adua folgte, ein Fiasko zu verzeichnen. Italien hat, wie erwähnt, einen Vertreter in Adis-Abeba, hat einen solchen in Zeila, einen Kundschafterdienst an der Slldgrenze der Colonie, auf den man wenigstens zu Zeiten Baratieri's sehr stolz war und hat in Italien ein officiöses, staatlich reichlich unterstütztes, allerlei Monopole besitzendes Nachrichtenbureau, die „Agenzia Stefani". Und der Erfolg von alledem ist, daß Nachrichten von äußerster Tragweite für die Colonie entweder durch Privat nachrichten und über Kairo von englischen Agenturen nach Italien gelangen und dann von der Consulta mit ungläubigem Achsel zucken abgethan toerden, oder daß sie über Gibuti und Paris nach Rom gelangen und dann nicht mehr verheimlicht werden können. Und dann giobt die officiöse Agentur sic auch noch mit "dem für das befreundete England beleidigenden den fran zösischen Stempel tragenden Zusatz wieder, daß der Conflict Mangascha-Menelik auf englische Jntriguen zurllckgingc uno Mangascha englische Rückendeckung fände. Der Zufall fügt es, daß die „Tribuna" in diesen Tagen den Muth fand, einen journalistischen Feldzug gegen die „Agenzia Stefan!" zu er öffnen, dessen Einzelheiten das Ausland nicht interessircn können. Die Vorgänge der letzten Tage bieten jedenfalls Grund genug für den Ministerpräsidenten, der schon gegen manche alt- eingewurzelte Mißstände energisch vorgegangcn ist, den Augias stall von Protektionismus und italienischer Mißwirthschaft, den das Nachrichtenbureau darstellt, mit eisernem Besen auszukehren. Der Ministerpräsident di Rudini verhehlte, um auf Afrika zurückzukommen, kaum, daß Erythräa für ilxn nur eine lästige Verpflichtung sei, die er lediglich aus internationalen Rücksichten nicht über Bord würfe oder an -den Meistbietenden losschlüge. Die Stellung des Ministeriums Pelloux zu der Frage ist vor läufig noch nicht geklärt. Wir glauben, daß namentlich militairische Rücksichten, diejenigen auf die Ehre des Heeres und speciell der Colonialtruppen ihm nahe legen werden, dem jetzigen Zustand der Dinge in Erythräa ein Ende zu machen. Daß er ein unhaltbarer ist, zeigt die Erregung dieser Tage, mag sie sich schließlich als begründet Herausstellen oder nicht. Deutsches Reich. Berlin, 21. Oktober. (Ein „Verdienst" des Centrums.) Als nach Aufstellung der Wahllisten aus Altona die Nachricht kam, daß der gestrenge Oberbürgermeister Dank der Drittelung in den einzelnen Wahlbezirken mit seinem Brodträger in derselben dritten Class« stimme, ging ein be friedigtes Rauschen durch die Centrumsblätter. Die Drittelung in den »einzelnen Urwahlbezirken sollte die Plutokratie brechen. So habe es ja das Eentrum 1893 gewollt, und es sei außerdem gut und löblich, daß einmal hohe Herren so viel gelten, wie der Mann, „dem das Herz unterm Kittel schlägt". Die Vater- FenNlets«» Unsere Kaiserin. Ein Skizzenblatt zu ihrem 40. Geburtstage, 22. Oktober 1898. Von E. v. H. Nachdruck veriotm. Seit der Königin Luise ist vielleicht keine deutsche Fürstin so populär gewesen, wie unsere Kaiserin. Es scheint doch, daß oas deutsche Volk einen ganz bestimmten Geschmack in Bezug auf seine Herrscherinnen habe; und ich möchte es als ein Zeichen seines gesunden Empfindens ansehen, daß es an ihnen ^as eigent lich Bürgerliche im besten Sinne am meisten schätzt. Die brillan ten Weltdamen, wie die Kaiserin Eugenie, die glänzenden Er scheinungen, wie die nordische Semiramis, wären bei uns weniger beliebt. Aber die liebenden Mütter, die treuen Gattinnnen, die schlichten, warmen Herzen, die liebreichen Wohlthäterinnen — die erobern sich deutsche Herzen im Nu. Unsere Kaiserin ist ein durch und durch einfacher Charakter. Es ist kein Falsch in ihr, kein Verlangen, mehr zu scheinen, als sie ist. Ihre Natürlichkeit, di« selbstverständliche Wahrheit ihres ganzen Auftretens sind es, die vor All«m und gleich für sie ein nehmen. Diese Eigenschaften sind sozusagen ihre Hüter gewesen, als sie da» schwierige Terrain d«S deutschen Kaiserhofes betrat. Sie hatte damals, aus der ländlichen Still« von Primkrnau und den engen Verhältnissen Gothas kommend, gewiß nicht viel Hof erfahrung. Und doch war (was bereits im Jahre 1884 einem englischen Beobachter auffiel) ihr Betragen bei Hofe von Anfang an stet» ruhig, sicher, freundlich. Sie fand überall das richtige Wort und den richtigen Ton und man sah sie nie verwirrt. Das machte: sie war in all' ihrer Schlichtheit ein Charakter; sie brachte, darf man fast sagen, etwas von der unverbildeten Natür lichkeit eines Landkindes in die Hofluft mit. Denn wie ein« Art Landkind war sie in Primkenau ausgewachsen. Dieser Einfachheit ihrer ganzen Naturanlag« entspricht auch ihr Geschmack. Sie liebt überall da» Schlichte und Harmonisch«. Wir gehen kaum fehl, wenn wir annehmen, daß ihre musikalischen Neigungen von den«n ihres Gemahl» nicht unwesentlich ab weichen. De» Kaiser» Mann ist der pathetisch«, pomphafte, groß artige Wagner; die Kaiserin ist nach Erziehung und Sympathie Classikerin. Beethoven darf ihr Lieblingicomponist genannt werden, und einen hohen Genuß findet sie in der Intimität der Hausmusik. Gern sieht sie tüchtige Künstler in der Stille ihrer Wände und lauscht ihren Vorträgen. Dann geht e» nicht ander» zu, als am musikalischen Abend« eines vornehmen Bürgerhauses, und die Kaiserin ist nur aufmerksame Zuhörerin, liebenswürdige Frau und Wirthin. Nicht anders steht es um ihren Geschmack in den bildenden Künsten. Man hat es wohl erlebt, daß sie, in eine Berliner Kunstausstellung tretend, vor den feurigen Farben phantasien eines Modernen mit dem instictiven Ausruf „Schreck lich!" zurückprallte. Sturm und Drang paßt eben nicht zu ihrer Natur; sie lieht das Harmonische, Reife, Gediegene. Auch die Wahl der Personen ihrer Umgebung, auch ihre Art, sich zu klei den, legt davon Zeugniß ab. Königin der Mode zu werden — dazu hat sie nicht das Zeug. Um ihre Zeit mit der Erfindung neuer Moden auszufüllen, um die Welt durch neue extravagante Toiletten-Jdeen zu verblüffen, dazu ist sie viel zu sehr deutsche Hausfrau. Ja, deutsche Hausfrau ist sie durch und durch. „Mein Mann", „meine Kinder" — das stich ihre zweiten Worte. Gern spricht sie von deren Gewohnheiten, und wenn sie in irgend einer Wohl- thätigkeitSanstalt oder Schule unter Kindern weilt, dann fließt ihr Herz leicht über von Erzählungen über ihre Kinder. Sie beschäftigt sich mit ihnen kaum weniger, als irgend eine gute Bürgersfrau. Sie überwacht ihre Erziehung, ihre Kleidung, ihren Unterricht auf» Genaueste. Gern wohnt sie, wenn eS ihre Zeit gestattet, den Lehrstunden bei; als sparsame Hausfrau ordnet sie nicht selten an, daß der Anzug eines Größeren für einen Jllng«r«n umgearbeitct werden soll«, (?) und nie, wenn sic da heim ist, verfehlt sie, mit ihren Kindern des Abends selbst zu boten. Den bürgerlichen Zuschnitt ist sie vom Vaterhause her gewöhnt. Im Hause d«S Herzogs Friedrich ging es von je sehr schlicht und einfach zu, und die junge Prinzeß wurde so wenig in aristokratischer Abgeschlossenheit gehalten, daß sie sich vielmehr stets frei und ungezwungen unter den Guts- und Dorf kindern bewegte. Gerade dies hat sie vielleicht so frisch und na türlich erhalten. Man weiß, daß ihr Verhältniß zu Mann und Kindern ge radezu ausgezeichnet ist. Eine reizende Geschichte, die W. C. Bach in seiner soeben bei Hirt in Breslau erschienenen, aller liebsten Lebensbeschreibung der Kaiserin erzählt, mag al» ein Zeugniß für die zärtlich« Liebe der kaiserlichen Kinder zu ihrer Mutter gelten. In einer RrligionSstunv« erklärte der Lehrer, daß alle Menschen Sünder seien. Da» wollte dem Kronprinzen nicht in den Nnn und er fragte: „Papa doch nicht?" Ali der Lehrer daraus auseinandersetzte, daß vor Gott kein Mensch ohne Fehler sei, überzog ein« Wölke das Gesicht des Kronprinzen. Dann aber leuchtete sein Auge auf, und mit vollster Herzens überzeugung erklärte er: „Aber da» weiß ich: Mama sündigt ge wiß nicht!" In dir Politik sich einzumischen hat der Kaiserin von je fern gelegen. Doch hat sie öfter Härten gemildert, freundlich ver mittelt, Wunden, die die leidige Politik geschlagen, geheilt, als man in der Öffentlichkeit weiß. Auch hierin ist sie Frau, ganz und im besten Sinne nur Frau. Sic denkt mit dem Herzen. Man erinnert sich, daß bei der Einsegnung der Leiche de» Fürsten Bismarck in Friedrichsruh sie es war, die mit den leise gesprochenen Worten: „Wilhelm, die alte Schwester des Für sten!" ihren Gatten in überaus zartem Empfinden auf jenen Liebling des Dahingeschiedenrn aufmerksam machte, — ein Zeichen, daß sie jene echte „Höflichkeit des Herzens" besitzt, die man leider so selten findet. Apropos, Bismarck. Ihr Ver- hältniß zu dem großen Kanzler hat sich eigenthümlich genug ent wickelt, um ein paar Worte zu verdienen. In ihrer Jugendzeit war der Name Bismarck in ihrem Vaterhaus« nicht gut ange schrieben. Bismarck war es, dessen Politik dem Herzog Friedrich, ihrem Vater, «inen Thron kostete. Es heißt, daß die französische Bonne die kleine Prinzeß, um sie zur Ruhe zu bringen, mit den Worten erschreckte: „Bismarck kommt!" 8« non ö vero, S b«n trovsto. Denn jedenfalls stand ihr lange die Gestalt des Kanzlers al» etwas Drohendes, Unheimliches vor dem Geiste. Allmählich heranwachsend, lernte sie dann wohl seine Größe um so sicherer schätzen, als ihr Vater seine gut deutsche Gesinnung trotz seines Verlustes nie verleugnet hat. Persönlich aber trat sie dem Fürsten zum ersten Male bei ihrer Verlobung näher. Was er, der leitende Politiker, zu dem in der Familie gehegten Plan« der Verlobung des künftigen Thronfolgers mit der augustenburgischen Prinzessin sagen würde, war doch ein großes Item. Damals war Bi»marck der Erste, der diesem „freudigen Schlußakte eines konfliktreich« Dramas", wie er sich ausdrückte, von Herzen zustimmte; ja, er, der große Feind aller Hoffeste und Ceremonien, fand sich sogar bei der Verlobungsfeler ein. Seit dieser Zeit hat die Kaiserin ein« aufrichtige Anhänglichkeit an den Fürsten gehegt und sie hat sie in zarter und echt weiblicher Weise zum Ausdruck gebracht an jenem trüben Märzvormittage des Jahres 1890, al» Bismarck sich zum letzten Abschiede im Kaiserschlosse einfand. Damals trat sie ihm unerwartet mit den Prinzen entgegen und legte in ihr Lebewohl eine Wärme, die ihr von Herzen kam. Sehr hübsch hat Jemand gesagt, daß da mals nicht „Bismarck kommt!", sondern „Bismarck geht!" das Wort war, das sie erschreckte. Im Hause «ine echte und rechte deutsche Frau, die für Mann, Kinder und Haushalt sorgt, früh aus ist und in ihrer kleinen Welt aufgeht, fehlt e» ihr doch weder an reichen und vielseitigen Interessen, noch an der Gabe der fürstlichen Repräsentation. Au» der Zeit ihre» englischen Aufenthaltes (vor der Verlobung) stammt «ine Schilderung, die sie vortrefflich charakterisirt. „Was für die Prinzessin im ersten Augenblicke einnimmt", so heißt es da, „ist das gemüthlüche deutsche Element, daß sich in ihrer äußeren Erscheinung wie in ihrem Wesen ausdrückt. Von Ge stalt groß, schlank, hoch, voll edlen Ebenmaßes, Hand und Fuß schön geformt, weiß sie in ihrer Haltung wie in ihren Be wegungen Würde mit Anmuth zu vereinigen. Dieses ovale Gesicht mit den zarten blauen Augen, dem lieblichen Munde mit den schönen Zähnen, mit der Fülle blonden Haares fesselt und gewinnt bei längerem Anschauen von Minute zu Minute. Die Augen niedergeschlagen scheinen sinnend oft inneren Dingen nachzugehen, um so anmuthiger aber ist der Aufschlag, um so herzlicher ihr Heller, strahlender Blick." Gerade diese ihr eigene Vereinigung von Grazie und natürlicher Würde, von sinnendem Ernst« und echter Liebenswürdigkeit hat der schlichten Frau, wohin sie kam, die Herzen erobert. Al» sie ins Äsaß kam, sagten die erstaunten mißtrauischen ReichSländerinnen: ..Lloi-- elis est ctinrmnnto", und „sie ist bezaubernd", riefen überein stimmend die enthusiasnrirten Damen Stuttgarts aus, als sie zum ersten Male der schwäbischen Hauptstadt Besuch abstattete. Für ihr« natürliche Hoheit — eine Hoheit, die der Seelen reinheit, der guten Erziehung und einem einfachen Selbstgefühle entspringt, — ist es auch bezeichnend, daß man sie in Pau, wo sie als junge Prinzeß zwei Jahre bei ihrer Tante, der Prinzessin Amalie von Schleswig-Holstein, lebte, in der Gesellschaft ..Im pvtito keine" zu nennen pflegt«. Die Arbeit der Wohlthätigkeit und socialen Hilfe, die ihr Beruf ihr zuweist, ist der Kaiserin zugleich rin« Herzens sache. Auch hierin verdankt sie dem Elternhause viel, in dem «ine .wahrhafte Menschenliebe, das Empfinden und Leben für Andere von je daheim war. Im Kleinen wie im Großen nach Kräften zu helfen, wurve ihr bald Bodiirfniß, wurde ihre zweite Natur, und viele Viibsche kleine Geschichtchen erzählen davon, wie sie hier einem Mütterchen auf offener Straße die schwere Last abnvhm, dort einem armen Mädchen die Mittel zur Aus bildung zuwies und dergleichen mehr. Alle, die mit der Kaiserin je bei ihren Besuchen in Schulen, Hospitälern, Wohlthätigkeits- instituten und dergleichen mehr in Berührung getreten sind, haben ihren wahrhaft«» Antheil, ihre HerzerrSwärme, ihre natürlich« Menschenliebe empfunden, und gerade der Ruf, der von bissen Kreisen über sie auSqing, hat nicht am wenigsten dazu bei getragen, sie populär zu machen. Die Kaiserin ist trotz Hof und Thron eine echte Frau und ein natürlicher Mensch geblieben; und das hat ihr di« Herzen der Menschen zugewandt.
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