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Rr 21 — 88. Jahrgang Telegr-Adr „Amtsblatt' Wilsdruff-Dresden Postscheck: Dresden 2640 Sonnabend, den 25 Januar 1830 Vie Not cler Oftprovinxen Die Kehrseite. Nein, es fehlt wirklich nicht an Fragen der „großer. Politik"! Konferenz folgt auf Konferenz und tagelang, wochenlang debattiert man über gewiß weltbewegende Probleme, deren Lösung das durch den Krieg und die Kriegsfolgcn verzerrte Antlitz dieser Welt wieder glätten soll. Man verhandelt so lange, so ausgiebig und ein gehend, verliert sich derartig in Einzelheiten, daß selbst der politisch regsame und interessierte Mensch nachgerade die notwendige Aufmerksamkeit dafür nicht mehr aufzu bringen vermag. Das gleiche gilt auch für die Unzahl der Programme, der Vorschläge, Anregungen und Be- trachtungen, die wahllos und zahllos, oft nur zu kurz lebigem Dasein das Licht der Welt erblicken, — alle mit der an sich löblichen Absicht, Deutschland aus seiner finanziell-wirtschaftlichen Not herauszubringen. Leider stecken wir aber immer noch in dieser Ära des Herum tastens, des Debattierens, des Streites nm den einzu schlagenden Weg derart tief drin, daß die große Masst immer mehr spürt, um wieviel näher ihr das Nessus- hemd der täglichen Not ist als der Rock einer zukünftigen, aber ungewissen Besserung. Das ist die Kehrseite jener „großen Politik", ist die Rot des Tages, die Sorge vor dem Morgen, die so stark ist, daß man für das über morgen oder eine noch spätere Zukunft kaum ein größeres Interesse aufzubringen vermag. Natürlich brennt dieses Nessnshemd der Not ganz besonders schmerzhaft auf dem Leib der Bewohner unserer Grenzländer. Nicht bloß in der einzigen „Kolonie", die Deutschland besitzt, in „Ostpreußen", sondern auch in den Hommerschen, brandenburgischen, schlesischen, sächsischen Grenzgebieten. Es ist ja jetzt gerade zehn Jahre her, seit der Jrsinn der Ver sailler Grenzziehungen Wirklichkeit wurde, der Pole vor allem einrücken durste in jene Gebiete, die ihm die Ahnungslosigkeit und der Deutschenhaß der „großen Vier" zusprachen. Aber diese Grenzziehung wurde nur die Voraussetzung zu Schlimmerem, das mit dem kurzen Hin weis auf den Handelskrieg mit Polen und die prohibitionistische Zollpolitik der Tsche choslowakei genügend gekennzeichnet ist. Ostpreußen und die anderen Grenzgebiete leiden furchtbar darunter, daß sie von ihrem Hinterland abgeschnitten sind, und ein nur geringer Trost ist cs, daß es in Polen wirtschaftlich finanziell auch nicht zum besten bestellt ist, daß auch die tschechische Währung durchaus nicht zu den Edelvaluten gehört. Daß eine Stadt wie Breslau in größten finanziellen Schwierigkeiten ist und man don nicht mehr aus noch ein weiß, — das allein spricht ebenso Bände wie die Tatsache, daß selbst Sachsens Hauptstadt, Dresden, zu den verzweifeltsten finanziellen Maßnahmen greift, um aus gleicher Not herauszukommen. Aber m i 1 gefesselten Händen steht auch des Deutschen Reiches Präsident da, an den sich eine Deputation der deutschen Grenzmarken, die Landeshauptleute der östlichen Provinzen gewandt haben. Er, der einst der Befreier Ostpreußens war, soll helfen und — kann doch nicht wirk sam helfen. Kann nur an der Hoffnung festhalten, daß eine spätere Zukunft es ermöglichen mag, die Korridor frage in einem für Deutschland günstigeren Sinne zu bs reinigen. Und ebensowenig bedeutet es ja unmittelbare Hilfe in der Not der Gegenwart, wenn der preußische Ministerpräsident — selbst ein Ostpreuße — seinem Willen und seiner Überzeugung Ausdruck gab, daß der Preußische Staat — und er tut dies für das gesamte deutsche Volk — mit größter Aufmerksamkeit auf die wirtschaftliche Ent wicklung, die steigende Not in den Grenz gebieten achten müsse. Ob dies und anderer Minister Zusicherungen Worte bleiben oder Wirklichkeit werden, wird eine nahe Zukunft entscheiden: dann näm lich, wenn der den ganzen deutschen Osten bis in die tief sten Tiefen erregende Vertragsabschluß mit Polen durch einen handelspolitischen Frieden ergänzt und nun dieser ganze Fragenkomplex der Beschlußfassung des Reichstages vorgelegt wird. Dabei könnte — allerdings auch nur ein geringer Trost — die Not des Augenblicks noch größer sein. Die Arbeitslosenziffer ist auf eine Höhe gestiegen, die etwa gleich ist jener durch die furchtbare Kälte im Vorjahr hochgetriebenen. Das läßt die Hoffnung schüchtern auf keimen, daß vielleicht doch die wirtschaftliche Entwicklung sich zum Bessern wendet. Sind doch seit dem Vorjahr etwa 350 000 junge Menschen neu in das Wirtschaftsleben ein getreten und haben dort wenigstens zum Teil Lohn und Beschäftigung gefunden. Dies geschah, obwohl die Linst der Wirtschaftskonjunktur unaufhaltsam nach unten ging. Trotzdem hleibt das Problem des Tages die drohende Tatsache, daß es zurzeit mehr als zwei Millionen Arbeits lose in Deutschland gibt. Rechnet man die Familien angehörigen dazu, so darf man wohl sagen, daß minde stens ein Zehntel des deutschen Volkes durch staatliche Unterstützung über Wasser gehalten wird. Das schrei: lauter, gellender, bedrohlicher als die Haager Konferenz, die Londoner Abrüstungsverhandlungen und alle mög lichen innenpolitischen Auseinandersetzungen, Klagen und Vorwürfe der Parteien gegeneinander. Und selbst eine Regierungskrise berührt den verhältnismäßig wenig, dem die Not des Augenblicks unmittelbar die wirtschaftliche Existenz, das Leben bedroht. Dr. Pr. Schicksal der Ostmark ist Schicksal der Nation. — Die unsichtbare Besatzung. Von den Landeshauptleuten der preußischen Ostpro vinzen wurde, wie gemeldet, dem Reichspräsidenten, dem Reichskanzler, dem preußischen Ministerpräsidenten, dem Reichsinnenminister, dem preußischen Innenminister und den Präsidenten des Reichstages und des Preußi schen Landtages eine Denkschrift über die Not des vreußi- fchen Ostens überreicht. Zu dieser Aktion haben sich die Landeshauptleute der Provinzen Ostpreußen, Grenzmark Posen-Westpreußen, Pom mern, Brandenburg, Niederschlesien und Oberschlesien zu sammengeschlossen, um die Aufmerksamkeit ver verantwort lichen Stellen und der gesamten Öffentlichkeit von neuem aus die ansteigende wirtschaftliche Bedrängnis und die schwere nationale Gefahr im Osten zu lenken und Mittel zu ihrer Abhilfe in Vorschlag zu bringen. Die Denkschrift ist eilt elementarer Ausdruck der Notlage, von der die Ostprovinzen in allen ihren Teilen erfaßt find. Opservoll — so heißt es in dem Vorwort — habe der deutsche Osten bisher sein schweres Los getragen. Lastete auf Deutsch lands Westen bisher eine sichtbare Besatzung, so auf dem deutschen Osten die unsichtbare Besatzung schwerster Wirtschaftsnot, die die Bewohner dieser Landesteile im Ringen für das gemeinsame Wohl zermürbt, eine dem Stäatsganzen abträgliche Resignation ge schaffen habe. An das gesamte deutsche Vaterland richtet sich der Appell, dem deutschen Osten diejenige Beachtung und Hilfe zuteil werden zu lassen, die eine Reorganisation der gesamten deut schen Ostgebiete aus die Dauer gewährleisten. In umfassenden Darlegungen wird ein Bild von der wirtschaftlichen Lage der sechs Ostprovinzen gegeben und mit eindringlicher Schürfe aus die vernichtenden Folgen der Grenz Ziehung für die Entwicklung des deutschen Wirtschaftslebens nach dem Kriege hingewicsen. Eine hart um ihre Existenz kämpfende Landwirtschaft, schwer ringende Industrien, eine Abdrängung des Handels von den alten Absatzgebieten, steigende Arbeitslosigkeit und hohe Abwanderungszifscrn, das sind die Symptone eines wirtschaftlichen Niederganges, wie ihn in ähnlichen Ausmaßen kein anderer Teil des Vaterlandes seit dem Kriege durchgemacht hat. Die Lage der Kommunal sinanzen ist allenthalben so erschüttert, daß die Ausgaben der Selbstverwaltung aufs schwerste gefährdet sind. Hier helfend einzugreifen, wird als das Ziel einer einheiiltchen und umfassenden Staatspslege angesehen, ohne die eine Gesundung der Wirtschaft und damit die Wiederher stellung der Lebensfähigkeit des deutschen Ostens nicht erreich: werde»: kann. * Es wird ferner überzeugend nachgewiese», welche große Bedeutung den preußischen Ostprovinzcu im Rahmen der deutschen Volkswirtschaft zulommt. Im Bewußtsein der Öffentlichkeit müsse sich immer mehr die Überzeugung durch setzen, daß das Schicksal der Ostmark auch das Schicksal der Nation ist. Unter den Forderungei:, die als Inhal! und Ziel eine', notwendigen Staatspflege für den Osten gelten müssen, werde:, genannt: 1. Erschließung des Ostens durch Schaffung neuer Kunst straßen und Verbindungswege sowie durch Erweiterung des Eisenbahnnetzes. 2. Ausbau der östlichen Wasserstraßen im gleichen Schrill wie im Westen. 3. Stärkste Verkürzung der Frachtbasis für den Osten. 4. Maßnahmen zur Wiederherstellung der Rentabilität der Landwirtschaft. 5. Höhere Zuweisung von Mitteln für die Wirtschafts Verbesserungen im deutschen Osten. 6. Förderung der Bauern- und Landarvcttersicdlung. 7. Maßnahmen zur Erhaltung der ostdeutschen Industrie, des Handels und des Handwerks 8. Zusammcnsassung und wesentlich verstärkte Hmleituw der Reichs- und StaalSanflräge sowie der Reichsbahn und Reichspostaufträge in die Ostprovinzen. Die erhöhte Be teiligung des Ostens an den Staatsaufträgen »nutz ins besondere den durch den Zollkrieg mit Polen an» meisten gc Moldenhauer zur Kaffensage. Das Zündholz Monopol. Im Haushaltsausschutz des Reichstages begann Frei tag die Beratung des Zündholzmonopolgesetzes. Reichs fiuanzminister Dr. Moldenhauer gab einleitend eine über sicht über die Kassenlage des Reiches. Der Minister stellte fest, datz es mit Hilfe des Überbrückungs kredits in Höhe von 350 Millionen Mark gelungen sei, den Ultimo Dezember ohne weitere Schwierigkeiten zu über winden. Inzwischen sei durch die im Januar fälligen Steuereinzahlungen eine Verbesserung der Kassenlage ein getreten, so daß im Augenblick keine Schwierigkeiten bestehen. Der am 31. Januar zur Rückzahlung fällige Bankkredit von 200 Millionen Mark sei inzwischen auf etwa sechs bis nenn Monate verlängert worden. Für Januar sei mit einem Überschuß von 117 Millionen zu rechnen. Für Februar rechnet der Minister mit einem Fehlbetrag in gleicher Höhe, so daß sich diese beiden Monate ausglcichen würden. Für März werde ein weiterer Fehlbetrag von 140—150 Millionen Mark entstehen. Zur Deckuna dieses Ende Märr bestellenden Febl- schävlglen Promnzcu zuguierommcn 9. Starke Kulturpolitik von Reich imv Staat im Osten 4V. Erheblich weilerpeheudc Berücksichtigung aller Kom munen der Ostprovinzen im Finanzausgleich. 11. Sondcrdodalion für Vie östlichen Provinzialverwal tungen, um die Grenzzerrcißungs- uud Befctznngsschäden zu heilem 12. Stärkere Berücksichtigung der Ostprovinzen bei der Verteilung der Krastfahrzeugfteuer. 13. Mehrzutcilung von Hauszinsstcnermitteln, insbeson dere auch zum Ausgleich der Flüchtlinaslast. 14. Gerechte Verteilung ver Schullastcn. Hindenburg über Ostpreußen. Die bedrängten O st p r o v i n z e n. Zum Empfang der Landeshauptleute der deutschen Ostprovinzen beim Reichspräsidenten sind in einem Teil der Öffentlichkeit Äußerungen des Reichspräsi denten mißverständlich wiedergegeben worden. Die Unterhaltung, welche bei diesem Anlaß geführt wurde, uud die von den Vertretern der deutschen Ost Provinzen überreichte Denkschrift betrafen ausschließlich die wirtschaftliche Notlage der deutschen Ostprovinzen. Politische Fragen wurden überhaupt nicht berührt. Der Reichspräsident hat zum Aus druck gebracht, daß er der Notlage des deutschen Ostens nnd insbesondere'O st p r e u ß e n s, ein warmes Ver ständnis entgegenbringe und mit allen Kräften versuchen werde, den bedrängten Ostprovinzen eine vnrchgrcifcnd? Hilfe zuteil werde« zu lassen. Ostprcußische Landwirtschastslammcr. Die diesjährige Vollversammlung ver Lanvwinschasill kammer wurde in Königsberg durch den Präsidenten Dr Brandes mil einer eingehenden Darlegung der wirtschaft lichen Notlage der Provinz eröffne!. Dr. Brandes führte u. a aus, daß das vergangene Jahr wieder im Zeichen der Unren tabilität mit allen ihren Folgeerscheinungen gestanden habe. Die Gesamtverschuldung habe um 10,6 Prozent zugenommen. Die durchschnittliche Zinsbelastung sei auf 48,6 Mark >e Hektar gestiegen. Als Vertreter der preußischen Staatsbehörden wies Ober- präsidenl Siehr m a. daraus hiu, daß vre landwirtschaft liche Krise an alle Kulturländer herantrete. In Erkenntnis dieser Lage sei von den zuständigen Stelle« ein weitgehender landwirtschaftlicher Schutzzoll durchgesührl Das Ziel sei, der Landwirtschaft in dieser Schutzzcil eine Grundlage zur wirt schaftlichen Umstellung zu geben Die Venrcler ver Ostprovuizen bei Hmdcnburg. Von links: Direktor Dr. Müller, Landcshauplmann von Thaer (NWVcrschlesieu), LandesVirektor von Winwrjcldt- Menkin (Brandenburg), Landeshauptmann Dr. Caspari (Grenzmark Posen-Wcstpreußcnß Landeskämmerer Werner vor dem Reichsprüsidentcnpalais. betrages würden rund 55—60 Milliönen Mark aus der Abrechnung mit dem Reparationsagenten beziehungs weise mit der R e i ch s b a h n nach Inkrafttreten dec Aoung-Planes verfügbar werden, die jetzt infolge der nachträglichen Zahlung des Neichsbahnanteils an de: Dawes-Zahlung vom Reparationsagenten noch zurückbe halten werden. 20 Millionen würden aus dem Verkam von Effekten flüssig gemacht werden können, über die Deckung des dann noch verbleibenden Fehlbetrages seien erfolgversprechende Verhandlungen eingeleitct worden. Fehlbeträge und Kreuger-Anleihe. Der Minister wies dann ans die Schwierigkeiten der Steuerschätzung und des Bedarfs für die Arbeitslosen Versicherung hin. Wenn die Stenerdepression anhalte nnd die ungünstige Lage des Arbeitsmarktes sich weiter ver schärfe, dann könnten diese beiden Punkte eine Ver schlechterung der Kassenlage um 100—120 Millionen her beiführen. Vor Mitte Februar werde sich das nicht über sehen lassen. Nach dem für das erste Halbjahr dec Rechnungsjahres 1930 aufgestellten Kassenplan ergibt sich für das erste Vierteljahr 1930 ein Fehlbetrag von 273 Millionen und für das zweite Vierteljahr ein Überschuß von 96 Millionen. Dieser Überschuß werde sich durch dic Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschaft Meißen, des Amts gerichts und des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forstreniamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt. für Bürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter. 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