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deutlich am Beethovenschen Vorbild orientiert und doch eigenständig. Wirk lich tragische Gedanken Anden in dem ergreifenden Werk Ausdruck. Nicht die Zerwürfnisse mit dem Vater bilden, wie vielfach angenommen wurde, den Kern des dargestellten Konflikts, sondern seine tragische Lebens erfahrung, daß seine humanistische Lebensverbundenheit unvereinbar war mit den sich unaufhaltsam durchsetzenden kapitalistischen Produktions verhältnissen, wenn ihm auch diese Ursache zu seinem Konßikt mit der Welt letztlich undurchschaubar blieb. Halten wir uns an seine Worte: „Wollte ich Liebe singen, ward sie mir zum Schmerz. Und wollte ich Schmerz nur singen, ward er mir zur Liebe. So zerteilte mich die Liebe und der Schmerz“ — darin liegt auch der Leitgedanke seiner „Unvollende ten“ beschlossen. Das der Sinfonie in den Bässen gleichsam mottohaft vorangestellte düstere achttaktige Thema, das in der Durchführung und der Coda des ersten Satzes (Allegro moderato) eine große Rolle spielt, läßt diesen Leitgedanken deutlich werden. Nach einem schmerzlichen Klagegesang in Oboen und Klarinetten, einem Hornruf stimmen die Celli, dann die Violinen eine wunderbare Ländlermelodie an, die so recht die Herzlichkeit, Wärme und Volkstümlichkeit demonstriert, deren Schubert fähig war. Aber dieser Ge sang von der Liebe wird von brutalen Fortissimo-Schlägen des Orchesters unterbrochen, bis die Melodie wieder Kraft Andet, sich durchzusetzen. Wie schon die Exposition spiegelt auch der weitere dramatische Verlauf des ersten Satzes die „Zerteiltheit“ in Schmerz und Liebe wider. Das fatalisti sche Mottomotiv verwandelt sich in ein heroisches Kampfmotiv. Doch den heftigen Kämpfen und Auseinandersetzungen ist kein Sieg beschieden. Mit drei gebieterischen Schlägen scheint der Schmerz über die Liebe zu siegen, der Tod über das Leben. Der zweite Satz (Andante con moto) versucht, fern von den Kämpfen des ersten Satzes einen Märchenfrieden zu gestalten, seine träumerische Ruhe vor dem Einbruch des Schmerzes, der Realität zu bewahren. Eine friedvolle Kantilene vermag denn auch im ersten Teil den Eindruck tiefer Ruhe und Ergebenheit zu erzeugen. Doch bald kommt es wieder zu einer großen Klageszene. Der Schmerz bricht erneut auf, bis er sich abermals in Liebe verwandelt. In der Reprise scheint dann die Verzweiflung noch gesteigert, bis eine endgültige Besänftigung in Wohllaut und Frieden eintritt. Richard Strauss, dessen 100. Geburtstag wir im vergangenen Jahre begingen, mied in seiner frühen Schaffensperiode zunächst die Opernkom- pösition, mit der er sich später Weltgeltung verschaffte, und widmete sich mit großer Hingabe — in der Nachfolge Franz Liszts, doch in kurzer Zeit über diesen hinauswachsend — der sinfonischen Dichtung, wofür er bald einen Orchesterapparat forderte, der das Wagnersche Instrumentarium weit übertraf. Strauss’ sinfonischen Dichtungen liegen stets „konkrete Pro gramme“ zugrunde: „Aus Italien“, „Don Juan“, „Macbeth“, „Tod und Ver klärung“, „Till Eulenspiegel“, „Also sprach Zarathustra“, „Don Quixote“, „Ein Heldenleben“, „Sinfonia Domestica“, . Eine Alpensinfonie“. Innerhalb dieser an sich höchst ungleichwertigen Werkreihe gehörte die Tondichtung „Ein Heldenleben“ op. 40, 1898 abgeschlossen und im folgenden Jahre unter der Leitung des Komponisten in Frankfurt/Main uraufgeführt, eigentlich nie zu den populärsten Werken. Diese großangelegte, sechsteilige sinfoni sche Dichtung, die eine tönende Auseinandersetzung des Menschen und Künstlers Richard Strauss mit dem Leben, mit seiner Umwelt zum Inhalt hat, gleichsam ein von stärkstem Selbstbewußtsein zeugendes Selbstbildnis in Tönen darstellt, gab durch ihr Programm, durch dessen Gestaltung (und durch den in der Tat in diesem Zusammenhang etwas unglücklich ge wählten Titel!) mancherlei Anlaß zu Mißverständnissen und Angriffen. Heute erscheint uns die Neigung zum Überlauten, Pathetischen, zur Über steigerung, die aus dieser Partitur spricht, als besonders bezeichnend für die Zeit ihrer Entstehung, können wir das Werk vor allem als ein unge mein charakteristisches Zeitdokument der Jahrhundertwende und ihrer Kunstideale betrachten, wenngleich das subjektiv-gesteigerte Selbstgefühl des „Heldenleben“ natürlich auch aufschlußreich für gewisse Seiten der Persönlichkeit des Komponisten selbst, für sein kraftvoll-stolzes, tempera mentvolles und sich seines Wertes wohl bewußtes Künstlertum ist. „Sein künstlerisches Wollen suchte nach der strahlenden, pompösen Klangkulisse einer tatenübermütigen Epoche, in deren Mittelpunkt er den schaffenden Künstler, verkörpert durch sein eigenes Ich, rückte“ (Ernst Krause). Übri gens distanzierte sich Strauss später selbst durchaus etwas von dieser Kom position („Ich mag’s gar nicht so besonders“, äußerte er einmal), wie er auch die Überschriften der einzelnen Sätze nachträglich aus der Partitur ent fernte. Auf jeden Fall anzuerkennen aber sind die großen musikalischen Qualitäten des Werkes, seine glänzende Instrumentation, seine formale Geschlossenheit, die Prägnanz und die kunstvolle, meisterhafte Verarbei tung der einprägsamen Themen. Ohne Einleitung beginnt der erste Teil der Komposition („Der Held“) mit dem energischen, kühn-entschlossen auffahrenden Hauptthema des Helden, in Hörnern und tiefen Streichern erklingend. Die Entwicklung dieses Tei les, in dem noch drei weitere, für den Verlauf des Werkes bedeutsame Themen vorgestellt und auch bereits kombiniert werden, bestimmt insge samt ein schwungvoller, kräftiger Zug. — Der zweite Satz, „Des Helden Widersacher“ überschrieben, bringt eine ganz neue Episode, etwa in der Art einer Scherzo-Groteske. Mit den „Widersachern“, die vor allem durch Holzbläserßguren, näselnde Oboen-, scharfe Flöten-, kreischende Klari netten- und grunzende Fagott-Töne sowie durch leere Quinten im Blech (Tuba) charakterisiert werden, sollten kleinliche, nörgelnde Kritiker und dümmliche, aufgeblasene Spießer als Gegner des Helden karikiert und ge troffen werden. Doch sie vermögen ihm nichts anzuhaben, strahlend klingt sein Thema endlich wieder empor. — Ein großes lyrisches Intermezzo bildet den dritten Teil des Werkes, „Des Helden Gefährtin“. Die Solovioline spielt hier die dominierende Rolle. „Meine Frau ist es, die ich darstellen wollte“, bemerkte Strauss Romain Rolland gegenüber. „Sie ist sehr kompliziert, ein wenig pervers, ein wenig kokett, sich selbst niemals ähnlich, von Minute zu Minute wechselnd.“ So erscheint auch das melodische Thema der Vio line, das die kapriziöse Pauline schildert, ein wenig unbeständig-launen haft, weich und doch auch selbständig. Nach der oft unterbrochenen Wer bung des Helden um die Gefährtin kommt es zu einer weitgesponnenen Liebesszene, zu einer innigen Zwiesprache. — Doch ferner Trompetenklang ruft den Helden zur Tat. Im folgenden Satz („Des Helden Walstatt“) wer den mit großem Aufwand durch eine recht pompöse, blechgepanzerte Schlachtmusik gewaltige Kämpfe geschildert, die schließlich mit dem Sieg des Helden über seine Gegner mit überschwenglichen Siegesklängen be endet werden. — „Des Helden Friedenswerke“ ist der fünfte Teil betitelt. Hier stellte Strauss seine bisherige schöpferische Lebensarbeit vor, zitierte er seine früher geschaffenen Werke (u. a. „Don Juan“, „Zarathustra“, „Tod und Verklärung“, „Don Quixote“, „Macbeth“, die Oper „Guntram“, das Lied „Traum durch die Dämmerung“), deren Hauptthemen er mit größtem satz technischen Können in bewundernswerten, farbenprächtigen Kombinatio nen mit denen der neuen sinfonischen Dichtung verband. — Als friedvollen, milde verklärten Ausklang gestaltete der Komponist endlich den Schluß satz („Des Helden WeltAucht und Vollendung“). Nur noch ferne Stimmen erinnern an die überstandenen Kämpfe. Ein nach innen gekehrtes Idyll von großer melodischer Schönheit beendet das Werk, an dessen Schluß noch einmal das Heldenthema in den aufsteigenden Dreiklangstönen der Trompeten in starker Verbreiterung mächtig erklingt. Urte Härtwig / Dr. Dieter Härtwig 8.ZYKLUS-KONZERT 1964/65 111/9/14 EMZ 365 2 It-G 009/24/65