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Wöchentlich erscheint» drei Nummern. PränumerationS-PreiS 22z Silbergr. Thir.) viertelsähriich, z Thlr. für dai ganze Jahr, Lhne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden non leder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Jägerstraße Nr, 25), so wie von allen König!. Post-Aemtein, angenommen. Literatur des Auslandes. *4^ 76. Berlin, Donnerstag den 20. Juni 1843. Frankreich. Die apostolisch- (deutsch-) katholische Kirche in Frankreich. Die Bestrebungen der deutschen Vernunft, im Gebiete des katholischen KirchcnregimcnteS aufzuräumen, finden auch in Frankreich eine immer größere Theilnahme. Zwar hat fich diese bis jetzt weniger in äußerlichen Thatsachcn dargestellt, aber fie zeigt fich in der Literatur, sie beweist, wie die in Deutsch land entsprungene Bewegung mit den Ansichten der gebildeten Franzosen über einstimmt und dem wahren Heile Frankreichs entspricht. ES ist mit Recht namentlich darauf hingedeutet worden, daß die Annahme der Prinzipien der deutsch.katholischen Kirche allein die Möglichkeit gewähre, den Kampf gegen die Jesuiten siegreich zu beendigen , denn die Jesuiten (ober besser der JesuitismuS) und der römische Hof stehen gegenwärtig mehr als je in der engsten Wechsel, bcziehung, ihr Daseyn ist so ineinander verwachsen, daß mit dem Bestehen oder Aufhören des einen auch das Bestehen oder Aufhören des anderen, wenigstens für da» gebildete Europa, nothwendig verbunden ist. Daher der hartnäckige Kampf, der Frankreich in diesem Augenblicke bewegt, und, wenn nicht im Bewußtseyn, so doch im Gefühl dieser Wahrheit mit solchem Nachdruck ge- führt wird. ES scheint uns zeitgemäß, unseren Lesern einige französische Betrachtungen über dieses Thema vorzuführen. — Ueber die beiden Glaubensbekenntnisse, das BreSlan.Leipziger und das Schneidemühler, äußert sich der Sßmeur zu- nächst in folgender Weise: „Sie find in keinem wesentlichen Punkte verschie den. Indem man aber für das allgemein gültige Bekenntniß nur eine geringe Anzahl von Sätzen als bindend angenommen hat, hat man weislich einer jeden Gemeinde die Freiheit gelassen, fich durch Zusätze ein für ihre besonderen Bedürfnisse geeignetes Bekenntniß aufzustellen. Denn nur auf diese Weise läßt fich die nothwcndigc Offenheit und Ehrlichkeit wahren, nur auf diese Weise kann fich die wahre Ueberzeugung der Einzelnen und der Gesammt- massen aussprechen. Weit entfernt, die Verschiedenheiten der Glaubens- bekenntnisse zu beklagen, betrachten wir sie vielmehr als eines der glücklichsten Anzeichen jener Bewegung, deren Fortschritt wir mit solcher Theilnahme ver- folgen." Darauf zeigt er in weiterer Ausführung, wie das allgemeiner ge haltene und für den, durch den steten Umgang mit Protestanten, und durch seine Stellung in einem gebildeteren Volke, schon weiter fortgeschrittenen deutschen Theil passende Leipziger Bekenntniß in Rücksicht auf die Bedürfnisse der Slawen jene Veränderungen erfahren mußte, die in Schneidemühl gemacht worden sind, und vergleicht die unter den Slawen wirkende reformatorische Bestrebung mit der des Johann Huß, die ihr im Prinzips so ähnlich sah. Diese Bemerkungen über das Leipziger Glaubensbekenntniß müssen den Beifall eines jeden Unparteiischen gewinnen. Wir haben eS freilich selbst von Protestanten tadeln hören, und zwar wegen seines Mangels an positivem Inhalte, aber wir können nicht umhin, den Standpunkt, von welchem dieses Urtheil ausgeht, als einen einseitigen und unproteftantischen zu bezeichnen. Dem Einzelnen muß es natürlich unbenommen bleiben, so viel Positives zu glauben, als sein Gefühl von ihm verlangt, aber die Gesammtheit kann doch Mit keinem anderen Maße gemessen werden, als mit dem, das die Gegenwart eben historisch bietet. Wenn sich nun aber einmal nicht leugnen läßt, daß die Mehrzahl der denkenden Theologen und der gebildeten Laien einen großen Theil deS früher allgemein gültigen Positiven thatsächlich aufgegeben hat, so folgt mit logischer Nothwendigkeit, daß die alle umfassende Formel um eben so viel erweitert werden muß, wenn man nicht Heuchelei oder Spaltungen Hervorrufen will; die Fortgeschrittenen aber auf einem überwundenen dogma tischen Standpunkte zurückzuhalten, ist unprotestantisch. Wir stellen als pro- testantischc Laien vom rein historischen und schlechthin vernünftigen Gesichts, punkte die Frage: Was folgt daraus, wenn Eraminatoren, die oft selbst nicht an die symbolischen Bücher glauben, junge Theologen, von denen sie wissen, daß sie eben so wenig daran glauben, dennoch auf dieselben vereiden? Der Lemeur fährt fort: „Der neuen Kirche ist es glücklich gelungen, in zwei außerordentlich wichtigen Punkten die Gefahren zu vermeiden, welche ihr aus der herrschenden Richtung unseres Jahrhunderts erwuchsen: Erstens hat sie bei der Abfassung ihres Glaubensbekenntnisses nur das reine Evangelium zu Grunde gelegt. Kein philosophisches System hat hin. eingespielt, sondern die heilige Schrift allein ist einmüthig als Regel ange- nommcn worden. Zweitens haben alle Berathungen, alle Gemeinden bis jetzt der weltlichen Macht die höchste ehrerbietige Achtung bewiesen. Weit entfernt, auf die Um triebe der Kommunisten einzugehen, Hai die neue Kirche bei jeder Gelegenheit ihren festen Entschluß ausgesprochen, dem Herrscher unerschütterliche Treue und Gehorsam zu bewahren. Und bei den Mißhellizkeiten, welche zwischen dem römischen Hofe und den protestantischen Regierungen Deutschlands bereits entstanden waren und noch zu entstehen drohen, freut fich die neue Kirche um so mehr, daß sic keine Verpflichtungen weiter gegen Nom hat und in ihrem Unter- thanen-Verhältnis gegen ihre angestammten Fürsten nicht mehr gestört wird." Aber dennoch sind die Deutsch.Katholiken des Kommunismus beschuldigt worden. Der Lemeur weiß eS und begegnet der Anklage vortrefflich: „Die Deutsch-Katholiken", sagt er, „Haden recht gethan, daß fie diesen Vorwurf zurückwiesen. Denn kein Mann von Ehre und Gewissen hört eine Verleum- düng an, ohne seine Stimme zu seiner Rechtfertigung zu erheben, zumal wenn die Verdächtigung für die Religion selbst so traurige Folgen haben kann. Die Personen, von denen diese Anklage ausgegangen ist, sind von den Jesuiten beherrscht, mithin intolerant, und zwar gegen die neuen Katholiken weit mehr als gegen die alten Protestanten. Die Intoleranz aber hat zu allen Zeiten und unter allen RcgierungSformen Sorge getragen, die Verleumdung vor- auszusenven, um nicht gar zu niedrig und zu ehrlos zu erscheinen. Wenn auch die Jesuiten noch so geschickt find, die einfachsten Grundsätze von Recht und Unrecht umzukehren, so giebt es dennoch im menschlichen Gewissen etwas, was sich gegen die bloße und reine Intoleranz auflehnt. Man fürchtet, den Anderen, man crröthet, sich selbst zu bekennen, daß man religiöse Ueber- Zeugungen verfolgt, daß man sich herausnimmt, den freien Verkehr des Ge- schöpfeS mit seinem Schöpfer zu unterdrücken. Man muß also einen Umweg suchen, Mittel ausfindig machen, um sich selbst und die Anderen zu täuschen. Diese Mittel findet man in der Verleumdung. Ma» bürdet seinen Gegnern Verbrechen auf, und unter dem Deckmantel dieser selbstfabrizirten Verbrechen vernichtet man den gehaßten Glauben." „Dies Verfahren ist schon von den Heiden reichlich angewendet worden, und der Papst hat ihren Weg getreulich fortgesetzt. ES ist ein merkwürdiges, aber noch weit mehr ein trauriges Studium, zu sehen, wie die Verketzerer, die Henker der Religionen, jederzeit die Kunst verstanden haben, gerade dir» jenige Beschuldigung zu erfinden und zu verbreiten, die zu einer bestimmten Zeit die größte Wirkung hervorbringcn mußte. In den ersten Jahrhunderten wurden die Christen vorzüglich der Majestätsbeleidigung und der Auflehnung gegen die Kaiser bezichtigt: das war ein vortreffliches Mittel, diese Despoten zur Errichtung von Schaffoten anzureizen. Die Kaiser waren damals all- mächtig und auf sie mußte man wirken. Zu den Zeiten der Albigenser, in einem frommen und abergläubigen Jahrhunderte, wurden die Sektirer des mittäglichen Frankreichs schrecklicher Gotteslästerungen und abscheulicher Gott losigkeiten von den Päpsten angcklagt: ein prächtiges Mittel, um einen Kreuz, zug von Würgern aufzubringen. Im sechzehnten Jahrhunderte schrieb der heilige Vater nach Deutschland, Frankreich und den übrigen Ländern, daß die Protestanten alle Unterschiede des Ranges und der Stände aufhebcn wollten: das war eine Adresse an den Adel und die Parlamente, und man weiß, wie ihr, namentlich in Frankreich, geantwortet ward. Heute hat fich der Tert der Predigt verändert, die Treulosigkeit der Intoleranten aber ist dieselbe ge- blieben. Da der Glaubenseifer sehr mittelmäßig und lau geworden ist, da der Adel und die Obrigkeiten nur noch eine beschränkte Gewalt ausüben, muß man sich an die besitzende Klaffe richten, um zu Gunsten der Verfolgung die Stütze der öffentlichen Meinung zu gewinnen; sie sucht man jetzt zu er. schrecken, indem man die neuen Katholiken des Kommunismus beschuldigt, und mit Hülfe dieses Schreckes hofft man die antirömischen Ideen bequem zu unterdrücken." „Die Berechnung ist schlau: sie ist von den Jesuiten gemacht. Wir hoffen aber doch, daß sie vor den offen daliegendcn Handlungen und Erklärungen der deutsch.katholischen Kirche zusammenfallen wird. Auch diejenigen, welche Rom treu geblieben find, können fich nicht lange täuschen kaffen. Man konnte wohl die Völker täuschen in jenen Zeiten der Rohheit, als die Presse noch nicht be- stand, als die Verbindungen zwischen den verschiedenen Provinzen desselben Landes schwer und selten waren: aber wäre es auch heute noch möglich?" „Wenn übrigens die neue Kirche Deutschlands berufen ist zu dulden, so wird sic eS ohne Zweifel mit männlicher Beharrlichkeit thun; fie wird fich er. innern, daß die Wahrheit stets Opfer fordert, und sich nur unter Schmähun. gen und Verfolgungen von Seiten ihrer Feinde Bahn bricht. Welche edle und heilige Sache hat nicht ihre Märtyrer gezählt? Man wäre unwürdig, die Wahrheit zu besitzen, ja man würde sie selbst nicht besitzen, wenn man nicht den Muth hätte, fich für fie zu opfern."