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MlsdmfferTageblatt Sonnabend, den 18 Januar 1930 Nr 15 — 89. Jahrgang Wilsdruff-Dresden Telegr.-Adr.: „Amtsblatt" Postscheck: Dresden 2640 Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschaft Meißen, des Amts gerichts und des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt. für Bürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter. K-r»!«r°»«rr Am, WU-druff Nr. « annadmcbis rorm.IVUKr. — — ' " durch Fcrnruf Lbermttl-ttcnAnz-igkn übernehmen wir keine Daran«-. JederRabaltanspruch erlisch«, wenn derBekagdwr» Wage eingezogen werden mutz oderd-rAustragg-berin Konkurs gerät. Anzeigen nehmen alle Vermttttungkstellen entgegen. Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft, Das .Wilsdruffer Tageblatt» erscheint an allen Werktagen nachmittags S Uhr. 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Und der end gültig, unabänderlich sein soll, anders also wie der Lon doner Dawes-Vertrag von 1924, anders selbst als das politische Abkommen von Locarno. Nun ist's so weit, daß an den Ergebnissen dieser Schlußtonferenz mehr oder weniger scharfe Kritik geübt wird. Wie ein gutes Theaterstück baute sich diese Konferenz auf: wachsende Spannung, sich zuspitzender Dialog und, als Höhepunkt, der Vorstoß Dr. Schachts — und dann der Ausklang des Dramas in den beiden Akten, in denen die Fragen der Mobilisierung und des Sanktionsrechtes geregelt werden. Und besonders diesem Spiel sah die deutsche Kritik mit sehr gemischten Gefühlen zu und nur wenige Hände regten sich zum Beifall. * Von großer innenpolitischer Bedeutung auch für die spätere Kritik sind zwei Vorkommnisse: das Berliner Z e n t r u m s o r g a n, die „Germania", kritisiert in zurückhaltender, aber ganz unzweideutiger Form das Verhandlungsergebnis der Konferenz im all gemeinen und das der Regelung des „Sanktionsrechts" im besonderen. In diesem vielbeachteten Artikel läßt die „Germania" durchblicken, daß sie Dr. Schachts Ansichten über die großen Unterschiede zwischen dem Pariser Sach verständigenbericht und den Endergebnissen im Haag sachlich keineswegs für unrichtig halte und man deswegen diese Ergebnisse „ernsthaft und gewissenhaft, auf das sorg fältigste bedenken und abwägen" müsse. Vor allem gebe die Einigungsformel über das Sanktionsrecht „zu den allerstärksten Bedenken Anlaß": wieder seien rein wirt schaftliche Fragen mit militärischen Methoden verknüpft und am allerbedenklichsten sei es, daß bei einer Ent scheidung des Haager Gerichtshofes gegen Deutschland lebe einzelne Gläubigermacht die volle Handlungsfreiheit für jede Sondermaßnahme erhalten würde. Die deutsche Delegation stehe wohl auf dem Standpunkt, daß solche „Sondermaßnahme" nur im Nahmen des allgemeinen Völkerrechtes liegen dürfe, also z. B. des Locarnover trages und des Kollegg-Paktcs —, aber das ist deutsche „Auffassung". Die Gegenseite möge anders denken, und darum müsse man „eine eindeutige, offizielle, schriftliche Interpretation" verlangen, nm „uns vor Auslegungen zu schützen". Und am unzweideutigsten lautet der Schluß dieses Artikels: „Es will uns jedenfalls scheinen, daß der Norma-Plan noch nicht unter Dach nnd Fach ist." * War dieses „SankUonsrecht" der eine, der politische Brennpunkt der Haager Verhandlungen, so war die Frage der Mobilisierung der deutschen Zah lungen bald der zweite, der finanzielle. Wegen seiner Rückwirkung auf die allgemeine deutsche Anleihepolitik. Bekannt ist es ja, daß Deutschland—ebenso die „öffentliche Hand", also Reich, Länder und Kommunen, wie die Privatwirtschaft — im Jahre 1929 viel, viel weniger langfristigen ausländischen Kredit in Anleihe- oder Obligationenform erhielt als noch im Jahre 1928, nur 350 Millionen gegen 1,5 Milliarden. Auf die Gründe hierfür soll nicht eingegaugen werden, aber diese auf den etwa fünften Teil zusammengeschrumpfte Neuaufnahme von langfristigem Auslandskredit ist eine der Ursachen für die Fehde, die in schärfster Form von der Sozial demokratischen Partei und den auf ihrem Boden stehen den Gewerkschaften dem Reichsbankpräsidenten Dr. Schacht angesagt worden ist. „Fort mit Schacht!" wird dort ver langt unter schärfsten Angriffen auf den Neichsbank- präsidenten. Weil er der Hauptschuldige vor allem dafür sei, daß die deutsche Wirtschaft neues Blut in Gestalt aus ländischer Kredite nur tropfenweise erhallen habe. Man darf aber nicht daran vorbeigehen, daß im Jahre 1929 eine ungleich stärkere Ausländsbeteiligung an deutschen Aktiengesellschaften, an deuischen, meist mehr oder weniger notleidenden Unternehmungen erfolgt ist als im Vorjahre. Nämlich etwa in der gleichen Höhe wie dic der deutschen Anleihen im Ausland. Ein völliger Aus gleich ist das natürlich nicht, weder dem Umfang nach noch den deutschen Wirtschaftsnotwendigkeiten gemäß; denn Aktienpakete sind ebenso schnell gekauft wie — ver kauft und der ausländische Besitzer solcher Pakete wird in die Lage versetzt, einen mehr oder minder entscheiden den Einfluß auf die Gestaltung und Betriebsführung des deutschen Unternehmens auszuübcn. Diese Art der Überfremdung ist daher besonders unerfreulich, weil sie bisweilen sogar zur völligen Stillegung deutscher Be triebe geführt hat. * Wenn also am 23. Januar der Reichstag zu der entscheidenden Beratung und Beschlußfassung über den „Reuen Plan" zusammentritt, wird es — das voraus zusagen, bedarf wohl kaum einer größeren Prophezeiungs gabe; hierfür genügt schon ein „kleiner Prophet" — sicher lich zu schweren parlamentarischen Kämpfen kommen, so bald der Volksvertretung der Plan selbst und die deut- Iss Endspiel ans der Hanger MOrenz Förmlicher Vertragsschlutz beabsichtigt Mit der Überprüfung der juristischen Formulierung für den Abschluß der ganzen Haager Arbeiten beschäftigtl sich die Sitzung der sechs einladenden Mächte am Freitag Für das Gesamtabkommen wird voraussichtlich nicht nur, wie anfänglich beabsichtigt eine Protokollierung gewählt sondern ein vollständiger vertraglicher Akt Damit soll erreicht werden, daß den nicht an allen Teilen des Abkommens interessierten Mächten, also der S chwe tz und Amerika, die Mitwirkung ermöglicht wird. Ent sprechend dem deutschen Standpunkt soll in der Mobili- sicrungsfrage eine allgemeine Einschränkung des Rechts zur Ausgabe deutscher Anleihen nicht gemacht werden Es besteht vielmehr die Absicht einer Verständigung in der Weise, daß für den ersten Abschnitt der Mobilisierungs- anleihe das Feld für Deutschland frei gelassen wird. Dies soll geschehen bis zu einem äußersten Termin, der sich bei früherer Durchführung der Anicihebcgebung entsprechend nach vorn verschiebt. In Erörterung ist ein Verfahren, nach dem dic Anlcihebedürfnisse der Reichsbahn nnd der Neichspost im Zusammenhang mit der Mobili sierung einer Rcparationsanleihe befriedigt werden sollen. In irgendeiner geeigneten Form will man diese Bedürfnisse zusammenfasscn und sic möglichst gleichzeitig und in Übereinstimmung dem Anleihemarkt zuführen An den Erwägungen über die notwendige Form nehmen die Vertreter der Reichsbank, Reichsminister Schätzel und Generaldirektor Dorpmüller, die im Haag ein getroffen sind, teil. Für den Abend war eine neue Sitzung der Mächte angesagt. Die Frage der Liquidation der Vergangenheit ist, wie offiziös mitgeteilt wird, in befriedigender Weise geregelt. Bezüglich des deutsch-polnischen Liquidations- abkommens war durch Hinterlegung des bezüglichen Teils des deutsch-polnischen Abkommens im Haag der Wunsch be kundet worden, es zu einem Teil des Haager Vertrags werks zu machen. Polen hat auf diesen Wunsch verzichtet. Das zunächst sehr zweifelhafte Abkommen mit Neuseeland und dasjenige mit Italien sind in einer Besprechung zwischen Reichsminister Dr. Curtins und den italienischen Delegierten Mosconi und Pirelli zu einem Abschluß ge kommen. Von italienischer Seite wird noch ein kleiner Überschuß (fünf Millionen Lire) ausgezahlt wer den. Der Wegfall der besonderen Verzichtsklausel hat zwar keine große materielle Bedeutung, ist aber s.ür dic Liquidationsgeschädigten selbst wertvoll, deren Wunsch nach Aufrechterhaltung der Möglichkeiten, die ihnen durch einen Generalverzicht abgeschnitten worden wären, damit erfüllt wird. Von dem weiteren Verlauf der Verhandlungen hängt es ab, ob die Konferenz am Sonnabend bereits zu Ende geht oder ob eine Weiterführung noch notwendig wird. Die letzten Vorschläge der französischen Delegation in der Mobilisierungsfrage wurden auch zwischen Reichsfinanz minister Moldenhauer und dem französischen Finanzminister Ch 6 ron persönlich durchgesprochen. Die Internationale Bank. Die Beratungen des Organisationsausschusses werden fortgeführt und sollen ebenfalls möglichst Sonn abend zu Ende gehen. Reichsbankpräsident Dr. Schacht beteiligt sich an den Besprechungen, ferner auch Präsident Schröder von der Preußischen Staatsbank und Direktor Rietschel von der Reichskreditgesellschaft. Kinanzmänner im Haag. Konferenz des Zündholzkönigs mit dem französische» Mmlsterpräsidenten. — Um die Unterbringung der deutschen Reparationsbonds. Der bekannte schwedische Finanzmann Zwar Kreuger lst rm Haag eingetroffen und hatte bereits eine Unter redung mit Tardieu. Wie bereits gemeldet, ist in den Verhandlungen von französischer Seite an die deutschen schen Gesetze vorgelegt werden, die ihn durchführen sollen. Bis dahin ist aber auch in Deutschland noch Zeit genug, das Für und Wider, die Vor- und Nachteile der Haager Beschlüsse ruhig zu prüfen. Bei den Ausführungen des Germania-Artikels z. B. ist andererseits auch wieder nicht zu vergessen, daß bei Anklage wegen einer angeblichen deutschen Nichterfüllung des „Neuen Planes" als erste Instanz ein unabhängiges Gericht vom Nange des Haager Internationalen Schiedsgerichtshofes eingefügt wird, nicht aber, wie früher, die Reparationskommission zu gleich den Ankläger, den Zeugen und den Richter spielen kann. Und so gibt es noch eine ganze Menge ähnlicher Bestimmungen, wo dem Wider ein nicht zu übersehendes Dafür gegenübersteht. Weswegen der philosophisch ver anlagte Zeitgenosse 'm die tiefsinnige Bemerkung aus- brecheu mag: „Jedes Ding hat seine zwei Seilen, aber der „Neue Plan" hat viel mehr als nur zwei." Dr. Pr. Vertreter Vie Frage gerichtet worden, ob das zwischen Kreuger und der deutschen Regierung geschlossene Finanz abkommen nicht die Unterbringung der deutschen Repara kionsbonds auf dem internationalen Kapitalmarkt bsein trächtigen könne Finanzminister Moldenhauer hat daraufhin ausdrücklick fcstgestelli, daß die Anleihe auf Grund des Zündholzmonopols ausschließlich aus den Fonds der Krcuqcr-Konzernc bestritten würde nnd daß für dic Ausgabe dieser Bonds aus dem inter nationalen Kapitalmarkt eine Sperrfrist von drei Jahren vcr einbart worden sei. Die wenigen Konzcrngcsellschaften, dic einen Teil dieser Bonds übernommen hätten, seien gleichfalls auf die dreijährige Sperrfrist verpflichtet worden. Von unterrichteter Seite verlautet, daß die Franzosen Wert darauf legen, diesen Tatbestand auch in direkten Ver Handlungen mit Kreuger festzulegen. Frankreich besitze selbst weitgehende Finanzabkommen mit dem Kreuger Konzern, so daß in der Besprechung zwischen Tardieu und Kreuger in erster Linie die direkten Frankreich berühren den Finanzfragen erörtert worden seien. Die Anwesenheit von Vertretern des Otto-Wolf-Kon zerns im Haag, dic auch während der Ersten Haager Kon ferenz im August im Haag waren, wird mit den Vcrhand lnugen über die endgültige Regelung der Sachlei stungen in Zusammenhang gebracht, an denen der Otto Wolf-Konzern interessiert ist. Nochmals die GaMisnsfraHe! Die umstrittene Äußerung Dr. Wirths. Por Beginn der Nachmittagskoi:seren; gab Reichs Minister Dr. Wirth im Einvernehmen mit der englischen Delegation folgende Erklärung ab: Durch Vie deutsche Presse liefen Äußerungen über angebliche Ausf ü h - rungen des englischen Pressechefs Stewart über Be merkungen, die Reichsminister Dr. Wirth anläßlich der Besprechung der S a n k t i o n s f r a g e im Kreise der sechs einladenden Brächte getan haben soll. Die Äußerungen, die in einem Teil der deutschen Presse wiedergegeben sind, sind nicht gefallen. Bei der damaligen Besprechung handelte cs sich nm die Beantwortung der vom Schatzkanzler Snowden gestell ten Frage, ob bei einer etwaigen Diskriminierung einer einzelnen Ration durch Deutschland auch diese ein zelne Nation in dem gegebenen Falle vor dem Ständi gen Internationalen Gerichtshof Klage er heben könne. Diese Frage wurde dem Vertragstext ent sprechend heute wie damals bejaht. Im übrigen betonte am Freitag abend Reichsminister Dr. Wirth, daß eine solche Diskriminierung praktisch nicht in Frage kommen könne, da ja D c u t s ch l a n d nicht die einzelnen Gläubigermächte auszahle, sondern dies Aufgabe der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich sei. Snowden schloß sich der Feststellung des Dr. Wirth in der Abcndsiuung auf das entschiedenste an. Die Einigung in der Mobilisierungsfrage Haag, 17. Januar. In den späten Abendstunden des Frei tag ist es zu einer Einigung in der Mobilisierungsfragc gekom men. Die fünf alliierten Gläubigermächte schließen mit Deutsch land ein Abkommen ab, nach dem zunächst von der ersten Tranche der deutschen Reparationsbvnds eine internationale Anleihe von 1200 Mill, ausgenommen wird. Hiervon erhalten die Gläubiger mächte zwei Drittel, Deutschland ein Drittel. Der hierdurch dem deutschen Reich zufließende Betrag wird der Reichsbahn und der Reichspost zur Verfügung gestellt und entspricht, wenn auch nicht vollkommen, dem von den Sachverständigen beanspruchten Be trag. Ferner ist in dem Abkommen vorgesehen, daß Deutschland bis zum 1. Oktober 1930 keine internationalen Anleihen auf nimmt. Diese Sperrfrist wird bis zum 1. April 1931 verlängert, falls nach dem 1. Oktober die BIZ. der Ansicht ist, daß der Markt für die Mobilisierung der deutschen Reparationen noch »ich: ganz aufnahmefähig ist. Die Sperrfrist fällt jedoch, falls die erste Tranche der deutschen Reparationsbonds vollständig mobilisiert ist. Nach 8 6 dieses Abkommens verpflichtet sich Deutschland, sich nach dem 1. April 1931 bei jeder internationalen Anleihe zuerst mit der BIZ. zu verständigen. In der Sitzung der sechs einladenden Mächte ist seiner von französischer Seite die Forderung gestellt worden, daß die Durch führung der Kreugeranleihe auf das Zündholzmonopol durch die BIZ. erfolgen solle. Diese Forderung ist von Seiten der deut schen Abordnung abgelehnt worden, die ihrerseits eine Erklärung abgab, wonach der Zinfendienst der Reparationsanleihe in keiner Weise durch den Zinsendienst der Kreugeranleihe diskriminiert werden wird. Die Kreugeranleihe hat in den weiteren Verhand lungen sodann leine Schwierigkeiten mehr bereitet. Tardieu über die Einigung Haag, 17. Januar. Tardieu erklärte am Freitag abend auf einem Presseempsang, mit Deutschland sei in der Mobilisierungs frage vollständige Einigung erzielt worden. Die Gläubigermächte hätten zuerst die Befürchtung gehabt, daß die Mobilisierung der ersten Tranche der deutschen Reparationsbonds durch andere