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Natürlich schossen nun die Theater-Unter nehmungen wie Pilze aus dem Boden empor. In Paris allein zählte man in der schrecklichsten Zeit der Revolution nicht weniger als vierzig. Diese schrankenlose Freiheit war der Kunst eben so wenig förderlich als der In dustrie. Die dramatische Literatur gcrieth in Verfall, ungeachtet des Erfolges einiger schätzbaren Produkte. Die Konkurrenz unter den Spekulanten richtete Vieler Vermögen zu Grunde. Noch größer war das Uebel in polizeilicher und moralischer Beziehung. Der Minister des Innern sagt in einem Bericht vom 3. März 1806: „Eine Menge von kleinen Theatern in der Hauptstadt macht sich täglich eine schwache Einnahme und die traurige Ehre streitig, die letzte Klaffe des Volks durch rohe Schauspiele anzulockcn und die Jugend durch Schulen zu verderben, welche der Gesellschaft nützliche Subjekte entziehen, ohne würdige Jünger der Kunst zu bilden. In den Departements treten unbekannte Menschen auf, welche Theater eröffnen, Abonnements annehmen und Anleihen machen; bald darauf schließen sie mit einem Bankerott, der unbestraft bleibt, und bereichern sich auf Kosten des Publikums und der Gläubiger." Napoleon wollte diesen Unordnungen ein Ende machen. Im Juni 1806 setzte er fest, daß künftig jede Eröffnung eines Theaters von der Regierung autorisirt sepn muffe; auch sollte dieselbe das Recht haben, jeder Bühne eine bestimmte Klaffe von Schauspielen vorzuschreiben. Im Juli 1807 wurde die Zahl der Theater in Paris auf acht reduzirt, nämlich vier große und vier kleinere. Die übrigen sollten vor dem 15. August geschloffen werden; von diesen wurden zwei bald darauf wiederhergestellt, und so besaß Paris nun zehn Theater. Jede dieser Anordnungen hatte ihren besonderen Zweck. Bei der Autorisation von Seiten der Regierung sollte sich dieselbe überzeugen, daß der Unternehmer die erforderlichen Mittel besitze, und zugleich vermittelst einer Caution die Rechte aller dabei betheiligtcn Personen, so wie die Ausführung der Bedingungen des Privilegiums, sichern. Die Theilung der Gattungen, die jedem Theater eine bestimmte Klaffe von Studien anweist, bereitet dem Publikum würdigere Genüsse und verhindert die Herabwürdigungen klassischer Stücke, welche auf die Bühnen einer höheren Ordnung so entmuthigend wirken. Die Beschränkung der Zahl bringt die Theater in das richtige Ver- hältniß zu den Bedürfnissen der Bevölkerung und beugt dem Eindringen einer maßlosen merkantilischen Konkurrenz in das Gebiet der Künste vor. Der Kaiser hielt es auch für Pflicht, die Oper und das Dsteätre-k'rsnpais unter den besonderen Schutz deS Staates zu nehmen; er betrachtete sie als National- Jnstitute, deren Glanz auf Kosten der gewinnsüchtigen Privat-Spekulation unterhalten werden müsse. Daher unterwarf er die kleineren Bühnen einer Steuer an die Oper, welche den zwanzigsten Theil ihrer Einnahme betrug; dem Dstestre-kran^ aber und der komischen Oper gab er das Eigen thum derjenigen Stücke ihres Repertoire'S, die öffentliches Gut geworden waren, während er bestimmte, daß kein anderes Theater Stücke aus ihrem Repertoire anfführen dürfe, ohne Autorisation der Eigenthümer und ohne ihnen eine nach gegenseitigem Uebereinkommcn festgesetzte Retribution zu zahlen. So stand an der Spitze der musikalischen Theater die große Oper, unter ihr die komische Oper mit der Opera-Buffa. Die Tragödie und die höhere Komödie, die damals in großer Gunst standen, sind gleichsam das Erbtheil des Dkesrre-k'rnnpsi», dem das Odeon nur für die Komödie beigesellt ward. Für die minder Gebildeten öffnen sich die (iaite, das ^mbigu-Ovmigue, welche dem Melodrama, die Vurivlen und das Vauüovisto, die der Gattung gewidmet sind, von der das letzte Theater seinen Namen bekommen; später tolerirte man noch die ?orte-8ainE»rt>n für das ländliche Drama und Ballet und den Oirgue-OIzmpiguo für die Reitkunst. Damals war das Theater in einem blühenden Zustand. Die Oper er regt zwar noch nicht jenen etwas einseitigen Enthusiasmus, woran das Genie Rossini'S das Publikum gewöhnen sollte; ja ihre Unterhaltung legt dem Staat, trotz der verschiedenen Vorrechte, die man ihr eingeräumt, drückende Opfer auf. Auch die Jtaliäner, deren Talente von wenigen Kennern geschätzt werden, sind noch nicht die Lieblinge deS Publikums. Aber dir komische Oper macht das Glück der Gesellschaft, von der sie auSgebeutet wird; sie vereinigt in sich so geschickte Schauspieler, daß man kaum bemerkt, daß sie zugleich sehr geschickte Sänger find. Die Privat-Theater befriedigen die Schaulust der arbeitenden Klassen in anständiger Weise. Die unter der Restauration gegründete literarische Schule pflegt gern die kaiserliche Periode mit Verach tung zu behandeln ; wie es sich auch mit den literarischen Verdiensten jener Zeit verhalten mag, so viel muß man zugeben, daß die damalige Theater- Ordnung einen lebhaften Wetteifer unter den Schriftstellern und Schau spielern entwickelte und zum materiellen Gedeihen der Theater viel beige- tragen hat. Das Gesetz, das dieser Einrichtung zu Grunde liegt, besteht noch heute; denn die Gesetzgebung vom Kcptember 1835 hat nur die Prinzipien bestätigt, welche die Juli-Repslution eiste Zeit lang in Frage stellte. Nur haben in der letzten Zeit neüeWnzcssionen, die man leichtsinnig, und ohne die Bedürfnisse des Publikums und das Interesse der Kunst zu berücksichtigen, bewilligte, das zum Gedeihen der Theater erforderliche Gleichgewicht aufgehoben. Was die Theater der Departements betrifft, so werden die bedeutendsten Städte des Königreichs von 28 stehenden Truppen erploitirt; 18 Arrondissements-Truppen versehen die größeren Städte einer gleichen Anzahl von Kreisen, die eigens hierzu abgesteckt sind; 22 wandernde Truppen durchziehen die kleineren Orte derselben Arrondissements; 4 Truppen endlich stehen außerhalb dieser Katc- gorieen. Die meisten bedeutenden Städte tragen aus ihren Mitteln zur Er- haliung ihrer Theater bei; an manchen Orten belaufen sich diese Beiträge auf 80,000 Franken. Die Stadt Rouen, die sich bisher dieser Last entzogen, wird als eine Ausnahme angeführt. II. Die Thcater-Censur. Trotz der verfassungsmäßigen Preßfreiheit unterliegen sowohl in Frank reich als in England die dramatischen Ausführungen einer präventiven Censur, und obwohl die konstituirende Versammlung hier, wie überall, die unbe schränkteste Freiheit verkündete, konnte sich doch das Theater der Aufsicht der Behörde nicht entziehen. Wo es die Regierung nicht that, übten die Factionen eine furchtbare Censur aus. Am 31. August 1792 erklärte die legislative Ver sammlung, indem sie von neuem die Freiheit der Bühnen-Vorstellungen sanc- tionirte, „daß sie damit keineSwcges den polizeilichen Anordnungen vorgreisen wolle, welche sie wegen des Einflusses der Theater auf die Sitten und die schönen Künste für nothwendig finden könnte". Während der Schreckenszeit mißbilligte der Konvent den Beschluß des Pariser GemeinderatHS, welcher das Stück I'.4mi üetz Ivis verbot, erklärte aber zugleich, daß „jedes Theater, auf welchem Stücke dargestellt würden, die die Tendenz hätten, den öffentlichen Geist irre zu führen und den schimpflichen Aberglauben des Königthums wieder zuruckzurufen, geschloffen und die Direktoren verhaftet und nach der Strenge des Gesetzes bestraft werden sollten", und in demselben Moment billigte er die Schließung d»S Dlieärre-k'rsn^siz, „weil die Schauspieler und das Reper toire desselben aristokratischen Geistes beschuldigt wurden." Niemals wird irgend eine Censur so drückend sepn, als solche Drohungen und in einer solchen Zeit; daher beeiferten sich auch Theater und Schriftsteller um die Wette, die vorauSgehcnde Prüfung der Stücke als eine Gunst nachzusuchen. Wir haben den Brief eines Schriftstellers jener Zeit gesehen, welcher um die Censur der Polizei bat, weil der Direktor des „Theaters der SanScülotten", den sein Titel noch nicht hinreichend beruhigte, kein Stück anders als unter dieser Bedingung annehmen wollte. Bekanntlich hatte das Dekret vom 12. Germinal des Jahres II. die Minister abgeschafft und an ihre Stelle zwölf Kommissionen eingesetzt; die Kommission für den öffentlichen Unterricht hatte die Aussicht über die Schauspiele und Rationalfeste. Diese Kommission erließ am 25sten Floreal ein Edikt, das nicht publizirt wurde und welches ausdrücklich die Censur wiederherstellt, indem es allen Theatern befiehlt, ihr Repertoire mitzu- theilen. Man hat die in Folge hiervon eingcreichtcn Bogen und die Bemer kungen der Administratoren jener Zeit aufbewahrt. Nichts giebt ein besseres Bild von jener Epoche. Binnen drei Monaten werden von I5t censirtcn Stücken 33 verworfen und 25 werden verändert. Das ganze ehemalige Reper toire wird einer Prüfung unterworfen; die Censur erklärt die unschuldigsten Werke für „schlecht", fast alle Komödien Molwrc'S, Nanine, Beverley, de» Prahler, das Spiel der Liebe und des Zufalls, den Verschwender, den Spieler,