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Nummer 187 - 25. Jahrgang »mal wöch. Bezugspreis für August 3,00 «inschl. Nellellgelo, Anzeigenpreise: Die Igesp. Peiitzelle »0L, sieilenpesuche SO L, Die Petitreklamezeil«, 8S Milli- neier breit. 1 Oisertengebühren für Seldsiadholer zu ^ bei UedersenLurig durch di« Post außerdem Puna?,ulcklag, Einzel-Nr 10 L. Sonniags-Nr 15 L tzeschästlicher Teil: I. Hillebrand in Dresden XoI,I vroscien SllllVSSttlSl 7 o keste <)u»IiiLten blieOrigste Preise SilÄftsctie Freitag, 20. August 1926 Im Aast« höherer Gewalt erlischt jede Verpflichtung auf Lieferung sowie Erfüllung v, Anzeigenaufträgen u. Leistung v. Schadenersatz Für undeutl, u, d. Fern-i ruf üdermitt. Anzeigen übernehmen wir keine Be« antwortung. Unverlangt eingesandte u. m, Rückportt nicht versehene Manuskripte werd nicht aiifbewahrh Sprechstunde der Redaktion L—Z Uhr nachmittags, Hauptschristleit.: Dr. Joseph Albert Dresden, eS«»chai»efteUk, ^ruit nnd Verlag! Saroiua- Buchdru-kerei GmbH-, Drcsden-A. I. PoU-rltratze 17. zernr»' SlvIL. PoIUckeckkonlo Dresden >4797 Bankkonto: Dresdner Bank, Dresden Für christliche Politik un- Kultur Iiedaktio» der Lachspche» Volk-^e«lu»g Dresden-Attstndl l. Polierslrake >7, ,;ernrn> Älkll 7N!>2. Stefan Radic Der kroatische Bauernführer und seine Methoden. Ein gelegentlicher Gewährsmann, der Zagreb, Ke.gr ad und die Woiwodina zu, informativen Zwecken bereiste und klaren Blick für Tatsachen hat, gibt uns folgende interessante Details über den bekannten ,'roatischen Bauernführer Stefan Nadic. Wenn der Name Stefan Nadic fällt, so kann inan daran nicht voriibergehen, ohne das Problem, das dieser Mann vorstellt, des näheren zu erörtern. Stefan Radic ist sicher eine der interessantesten, wenn auch nicht sympatischsten Erscheinungen des politischen Lebens. Europäischen Augen muh er kurzweg als Demagoge übelster Sorte erscheinen. Dieser Eindruck wird durch die persönliche Bekanntschaft noch verstärkt: um ihm aber gerecht zu werden, musz man die Wurzeln seines Wesens aufdechen. In Stefan Nadic verbinden sich die mystischen Ele mente der slawischen Seele mit dem ausgeprägten Ge schäftsgeist. Dementsprechend schwankt er zwischen Ex tremen, Leute, die mit seinem Wesen vertraut sind, ver sickern, daß er stets tief überzeugt sei von dem, was er augenblicklich sagt. Daß ihn dies aber nicht daran hin dere, aus Geschäftsrücksichten in der nächsten halben Stunde init der gleichen Ueberzeuaung das Gegenteil zu behaupten. Nadic dichtete zur Zeit des Weltkrieges Hymnen auf das Haus Habsburg. Gleichzeitig hatte er seine Finger in den frühzeitig angesponnenen Fäden der slawischen Verschwörung. Als es galt, die Sympathien der amerikanischen Kroaten für die Mittelmächte zu ge winnen, schrieb er gegen ein Entgelt von 3600 Friedens kronen eine Propaganda-Broschüre, gleichzeitig aber auch Hetznrtikel gegen den österreichischen Staat. Und heute ist sein politisches System das, in jedem Orte so ;u sprechen, wie es der betreffende Bevölkerungsteil zerade zu hören wünscht, Diese Anpassungsfähigkeit an )ie Mentalität der Landbevölkerung, von der ja bekannt ist, daß jedes Dorf seine eigene politische Meinung hat, ist die eine Quelle seiner außerordentlichen Popularität. Die andere Quelle liegt darin, daß er es versteht, dem Selbstgefühl des Bauern zu schmeicheln. Man muß sich vor Augen halten, daß in den Ländern Jugoslawiens, je weiter man nach Osten und Süden kommt, desto weniger soziale Gliederung besteht, Bon den Städten abgesehen, herrschen über eine gleichförmige, arme Schicht von klei nen Bauern und Pächtern verhältnismäßig wenige reiche Grundbesitzer. Das Verhältnis ist ein mehr patriarchalisches, wobei der gute Sinn, der in dem Worte liegt, oft recht wenig zur Geltung kommt. In dieser dumpfen Masse von bäuerlichen Arbeitern, die gewisser maßen noch im Zeitalter des Heldenepos lebt, deren Sänger zum Beispiel die Taten des Weltkrieges auf der Guzla besingen, ist dir Erinnerung an die Bauernkriege des 16. Jahrhunderts noch wach. Im Nahmen dieser großen Bewegung wurde 15,73 eine selbständige Bauern- gcwalt für die slowenischen und kroatischen Gaue in Agram aufgerichtet, um die Verwaltung des Landes und die gerechte Ausschreibung der Steuern zu beeinflussen. Die Erhebung fand ein blutiges Ende. Der Bauernkönig Matija Gubec, der grausam zu Tode gemartert wurde, ist zu einer Gestalt der Sage geworden, an die sich alle Hoffnungen der Unterdrückten auf endliche Befreiung vereinigen. An diese Gestalt und an den Inhalt der in ihr verkörperten Ideen knüpft die Tätigkeit des Stefan Radic' an. Er predigt dem Bauer, daß er der eigent liche Herr im Lande sei, weil seine Arbeit dem Boden die Mittel zum Leben abringe. Einige Beispiele sollen nähere Erläuterungen bringen. In einer Versammlung am Fuße des Avala Berges bei Belgrad sagte Stefan Radic: „Ich heiße Nadic, Mein Name stammt von Na- diti (arbeiten) und von Nado (lieb), d. h. ich habe alle lieb, die ihr tägliches Brot durch Arbeit verdienen müs sen. Schon der erste Mensch war ein Bauer, und Gott hatte recht, ihn aus dem Paradiese zu vertreiben, als der übermütige ein Herr werden wollte. Unser Staat aber ist ein Bauernstaat und braucht eine Banernregie- r»ng. Ich weiß sehr wohl, daß auch der Bauer ein Esel sein kann, aber wenn er es ist, dann wird er vom ganzen Dorf als solcher erkannt und behandelt. Bei den Herren aber heißt es: Je größer der Esel, desto größer der Herr!" — Und in einer anderen Versamm lung, vor der er beim Pfarrer des Ortes zu Gast ge laden und glänzend bewirtet worden war, leistete er sich folgendes: Mitten aus seiner Rede heraus fragte er einen seiner bäuerlichen Zuhörer: „Was hast du heute zu mittag gegessen?" — „Brot mit Zwiebeln." — „Du bist ein Trottel, daß du nur Brot und Zwiebeln zum Essen hast. Schau mich an, ich habe beim Pfarrer ge gessen. der hat mir Suppe und Braten und Hühner und vielerlei Gemüse und Mehlspeisen und Wein aufgetischt. Dem Pfarrer geht's gut. Warum kann der so essen? Weil deine Arbeit ihn ernährt. Du aber mukt mit Brot k»» Der 0 Zug Berlin—Hannover-Köln in -er Nachk enkgleisl - Der Zugführer uno fünf Reisende als Tole geborgen — Diele Schwerverwundele — Bahnfrevel als Arfache Berlin. 19. August (Drahtb.) Hw -r0hSU-e LllgS M TMIgLk Wie die Reichst ahndirektion Berlin soeben mit teilt, ist der D-Zug Nr. 8. der von Berlin über Hannover nach Köln fährt, heute nacht gegen 2 Uhr auf freier Strecke zwischen Isenbüttel und Lehrte mit der Lo komotive und sieben Wagen entgleist. Ein Teil des Zuges stürzte den t^> Meter hohen Damm hinunter und legte sich aus die Seite. Der siebente D- Wagen hat sich auf den sechsten hinausgeschoben und ihn vollständig zertrümmert. Bisher sind der Zugführer und fünf Reisende als Lot und elf Reisende und zwei Zugbedienstete als schwer ver letzt festgsstellt worden. Ursache des Unfalles ist offen kundig Bahn frevel. Die RstL-rnasarbciten sind sofort ausgenommen worden. Eine Anzahl Aerzio und die Hilfszüge von Oebisfelde, Lehrte und Hannover waren in kürzester Zeit zur Steile. Der Präsident der Neichsbahndirektisn hat sich unverzüglich zur Unsattstelle begeben. Zu dem Unglück wird noch ergänzend mitgeteilt, daß um neun Uhr heute früh der Verkehr eingleisig wieder ausgenommen werden konnte. Soweit bis jetzt festgestellt worden ist, waren die Verbindungslaschen und Verschraubungen der Gleise gelockert, so daß die Ver mutung eines Bahnsrevels berechtigt zu sein scheint. Hilfszüge wurden sofort an die Unglücksstätte entsandt. Der Verkehr wurde durch Umstcigen ausrechterhalten. Die Schnellziige werden Uber Braunschweig umgeleitet. Berlin, 19. August (Drcchib.) Amtlich wird gemeldet: Die Zahl der beim Eisenbuhn- uuglück von Meinersen ums Leben gekommenen Personen be trägt nach den neuesten Feststellungen sechs. Unter ihnen befindet sich der Berliner Zugführer Jordan. Unter den Verletzten befinden sich, der Packmeister Gebert und eine Wartefrau. Die Feststellung der Zahl und Namen der Toten wird dadurch außerordentlich erschwert, daß diese sich in dem Wagen befinden, der durch den nachfolgenden vollständig eingedrückt worden ist. Es scheint nunmehr einwandfrei sestzüstehen. daß es sich um Bahn frevel handelt, da neben den Gleisen losgeschraubtc Laschen und Laschenbolzen gesunden wurden. Der Generaldirektor Dorpmüller wird sich noch heute vormittag an die llnsallstellc begeben. Wie die Hauptverwaltung der Deutschen Reichsbahn zu dem Eisenbahnunglück bei Lehrte mitteilt, ist leider damit zu rechnen, daß sich in einem der entgleisten Wagen noch wei tere Tote befinden. Die Bergungsarbeiten werden mit größ ter Beschleunigung fortgesetzt. Bei der Entgleisung fuhr der letzte, siebente Wagen mit großer Gewalt aus den vorletzten Wagen auf. so daß dieser säst völlig zerstört wurde. Die Staats anwaltschaft ist von dem Unglückssall, der sich auf völlig freier Strecke abgespielt hat, bereits verständigt worden. Eine Unter suchung ist eingelcitet. Kriminalbeamte haben mit Spür hunden die Verfolgung der Täter ausgenommen. London, 10, August (Trahlmeldung). „Westminster Gazette" berichtet aus Tanger über die dort drohende revolutionäre Gefahr. Ein neuer Generalstreik sei für heute angekündigt infolge der allgemeinen Unzufrie denheit der spanischen und der eingeborenen Bevölkerung m i t der Tangerverwaltung. Alle Stämme der Tangerzone n '/»'halb der Stadt hätten ihre Sympathie ausgedrüm: und drohten, heute in Tanger einzudringen, um bei der Stre-kkund- gebung miizumirkcn. Die Verwaltung habe dem Konsulalskomi» tee mitgeteilt, daß die Polizei und Gendarmerie nicht ausreichen würden, um die Ordnung ausrechtzurrhaiten, da alle Eingebore nen und Spanier beivassuet seien. Das Ksnsulatskomiiee hielt! gestern eine Sitzung ab, um Maßnahmen zur Verhütung der Ge fahr zu finden. Es wird gemeldet, daß General Prima de Rivera angedoten habe, spanische Truppen zu entsenden, um die Stadt zum Schutze des Eigentums zu besetzen. Lue bri^ tischen, spanischen und französischen Kriegsschisse, die am Hasen liegen, haben Mitteilung von der kritischen Lage erhalten. Es ist mindestens ein merkwürdiger Zufall, daß die Un- ruhen unter der spanischen Bevölkerung von Tanger gerade zu dem Zeitpunkte ausbrecheu, in dem Spanien Ansprückze aus Einsiigung der Zone von Tanger iir die spanische Marokko- Zone erhebi. Bekanntlich verquickt Spanien die Tangersrage mit der Frage der Ratssitze in Genf. Eine Rnckciideckung für diese spanischen Machipolitiker soll der Vertrag mit Iialien bie ten, der, ivie berichtet, vor einigen Tagen abgeschlossen worden ist. Dem spanischen Außenminister Vangnas iviw wegen dieser „verständigen" Außenpolitik von der Presse seines Landes leb hafter Beisail gespendet. Die Eupener Frage Kein offizieller Protest Frankreichs. — Hindernisse aus Grun des Daivcs-Planes? Brüssel, 19, August, In Rcgierungskreisen wird die Nach, rieht, daß Frankreich offiziell gegen eine Rückgabe Eupeii Mal- medys an Deutschland bei der belgischen Okegierung Protest ein gelegt habe, dementiert. Es ist jedoch als sicher anzunehmen, daß Frankreich seinen diesbezügliche» Standpunkt in Brüssel vor- getragen hat. Man versichert hier, daß die Verhandlungen zwi schen Deutschland und Belgien über Eugen-Maimedy tatsächlich geführt werden und offizielle» Charakter tragen. London. 19 .August, Zu der Frage der möglichen Rückgabe Eupen und Malmcühs a» Deutschland gegen sinanziette Gegen- leislung berichtet der diplomatische Korrespondent des „Daily Telegraph, daß sich in diplomatischen Kreisen beträchtliches Iuier- esse zu regen beginne. Bisher sei die Angelegenheit nur insormell durch Schacht und Delacroix behandelt morde». Holländische und deutsche Bankiers hätten sich für ein solches Geschäft ausgespro- chen. das in der Wallstreet und in der City von London mch' ohne Anhänger märe. Die starken Ei »wände Frankreichs seien ossenbar aus der Befürchtung heraus entstanden, die sranzösisch-belgische Solidarität gegenüber Deutschland könne durch eine jo ausgespro, chene Versöhnung zwischen Brüssel und Berlin geschwächt iverden. Außerdem frage man sich, ivie Deutschland, das jetzt bereits be. hauptet, daß die Bürde der Da wes lasten zu schwer sei, den Betrag für die „Besatzungsmark" oder für die Stabilierung des Franken aufbringcn wolle. Weiter sage man, daß, wenn eine solche Dumme in Deutschland verfügbar sei, diese uuier die Alli ierten ans der Basis des Londoner Vertrages verteilt und nicht auf des Konto einer einzigen Macht Iranssericrt iverden dürfe. <!) und Zwiebel vorlieb nehmen." — Und wieder in einem anderen Dorfe fragte er einen Mann: „Wie ist dein Hans gedeckt?" — „Mit Stroh," — „Warum nur mit Stroh? Schau das Haus des Notars an, es hat ein Ziegeldach, Warum kann der sein Haus mit Ziegeln decken lassen? Weil deine Arbeit das Geld schafft. Für dein eigenes Haus aber kannst du nur Stroh haben." Es ist nur zu natürlich, daß das Volk einem Manne, der so spricht, nachläuft. Damit wäre aber die Anhängerschaft van intelligenten Menschen noch nicht erklärt. Die Intelligenzler sehen oder sahen we nigstens bis vor kurzem in der kroatischen Bauernpartei die einzige Möglichkeit, dem Druck der radikalen Serben entsprechenden Gegendruck entgegenzusetzen. Stefan Nadic entschuldigt seine Demagogie damit, daß man nur aus solche Art gegen die Methoden der anderen Bnlkan- politiker aufkvmmen könne. Er sagt: „Ich werde Belgrad betrügen, wie es selbst betrügt. Mit Gaunern — mit diesem Kosewort meint er seine ehemaligen Mi nisterkollegen — kann man nur als Gauner verkehren. Die Wahrheit darf man nur dem Nolk und dem König sagen." Den innerpolitischen Gegensatz zwischen Kroaten und Serben drückt er in seiner drastischen Art so aus: „Unser Staat gleicht einem Wagen, Die Serben sind der dicke, breite Hinterteil. Der schmale Borderteil, das sind mir Kroaten. Wenn aber der Wagen bricht, dann kann man das Hinterteil auf den Mist werfen. Das Vorderteil ist noch immer zu etwas zu gebrauchen. Denn in ihm steckt die Deichsel, und die kann man bei einem neuen Wagen wieder verwenden." Die letzten Jahre der politischen Entwicklung in Jugoslawien'haben nun dazu geführt, daß Stefan Radic infolge seiner merkwürdigen Methoden, die ihn zu einem vollständig unverlüßlichen Menschen stigmatisiert haben, seine politische Bündnisfähigkeit eingebüßt hat. Es wird ihm kaum gelingen, die Position der radikalen Partei in Serbien zu erschüttern lind auch die serbische Bauern schaft in deil Bannkreis seiner Ideen zu ziehen. Die Verschmelzung der jugoslawischen Stämme wird andere Wege gehen müssen, als die des kroatischen Bauernfüh rers sind. Man hofft, daß Ljuba Iovanovic die Weae des inneren Ausgleiches weisen wird