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Amtsblatt M die königlichen und städtischen Behörden zu Freiberg und Brand. Verantwortlicher Redakteur Iuliu- Braun in Freiberg. —- 31. Jahr-««,. -A >» ü Erscheint jeden Wochentag Abend- «Uhr für dm , l Inserate werdm bis Vormittags 11 Uhr angenom- - ^70 ! Domcrstag, dm 20. November. § 1879. Vie Reise des Großfürst-Thronfolgers. Das alte Fragespiel: „Er liebt mich" konnte Frau Germania, wie einst Faust'S Gretchen, in diesen Tagen in Bezug auf den russischen Czarewitsch recht oft wiederholen. Nicht gerade im eigentlichen Sinne, denn daß der Thron folger Rußlands an einer leidenschaftlichen Zuneigung für Deutschland leidet, wird Niemand behaupten wollen. Man ist sogar vom Gegentheil überzeugt. Es ist über seine po litischen Anschauungen ja schon hinlänglich viel gesprochen und geschrieben worden. Da der Großfürst als zweiter Sohn*) nicht zum Throne bestimmt erschien, ist er auch nicht speziell für den Herrscherberuf erzogen worden, son dern erhielt eine vorwiegend militärische Ausbildung. Man hat daraus den Schluß gezogen, daß seine Regierung eine kriegerische sein werde. Und dies ist wohl ein Hauptgrund, weswegen diejenige Richtung in Rußland, welche demselben auf Grund russischer Waffensiege über die westlichen Nach baren die Stellung der herrschenden Macht auf dem Kon tinent bereiten möchte, auf den künftigen Kaiser Alexander III. ihre Hoffnungen setzt. Nächstdem gilt der jetzige Thronfolger als ein der west lichen Bildung gerade nicht zugeneigter, dagegen von national-russischen Anschauungen beherrschter Mann. Dem Kaiser Alexander erscheint es dem gegenüber nicht als ge nügend, daß er blos, so lange er lebt und herrscht, den Frieden mit Deutschland und Oesterreich-Ungarn trotz aller zum Kriege drängenden Einflüsse am Hofe und im Volke thatsächlich zu erhalten vermag ; er möchte über sein Leben und seine Regierung hinaus ein gutes Einvernehmen zwischen den drei Kaiserreichen sichern. In diesem Streben hat ihm sein Sohn, der Großfürst-Thronfolger, nicht nur nicht zur Seite gestanden, sondern es haben sich auf diesen erwartungsvoll die Augen aller Gegner der Friedenspolitik des Kaisers gerichtet. ES begreift sich leicht, daß das Herz des Kaisers Ale xander sich betrübt, wenn es von dem Gedanken an einen jähen Wechsel jener Politik, sobald es zum Stillstand ge langt ist, beschlichen wird. Nächst dem Gedanken an bas Aufhören der eigenen Existenz ist für den Menschen nichts schmerzlicher, als die Furcht, das, was man in Liebe hegte und pflegte, alsbald nach dem eigenen Ende der Verwer fung und Vernichtung überantwortet zu sehen. Kaiser Alexander hat heute aber erreicht, daß sein Sohn und Erbe es wenigstens über das Herz gebracht, den Kaiser Franz Josef und den deutschen Kaiser persönlich zu be grüßen und die Gerüchte zu widerlegen, welche seine poli tischen Antipathieen schon bis zur persönlichen Abneigung gegen die Tynastteen der beiden Kaiserreiche entwickelt sein ließen. Ueber den politischen Charakter der Reise ist kaum eine Meinungsverschiedenheit möglich. Der Besuch bedeutet die Annäherung Rußlands an die deutsch-österreichische Allianz und h«t jedenfalls eine weit in die Zukunft hin reichende Bedeutung, deren wir uns nur herzlich freuen können. Ob bestimmte Verabredungen getroffen worden, mag zweifelhaft sein; die Thatsache aber, daß ein Rath der russischen Botschaft in Berlin, Baron Budberg, dieser Tage i» eigener Person die für den Thronfolger bestimmten Schriftstücke nach Wien brachte und darauf die Antworten des Thronfolgers wieder mit zurück nach Berlin nahm, läßt vielleicht darauf schließen, der Großfürst-Thronfolger sei ausersehen gewesen, im Namen des Czaren Besprechungen in Wien und Berlin zu pflegen, deren Resultat gerade durch *) Der erstgeborene Sohn und Thronfolger, Großfürst Nicolaus, starb am 24. April 1865, wo also der jetzige Thron folger, Großfürst Alexander, bereits das 20. Lebensjahr voll endet hatte. die Person des Kontrahenten als ein dauerndes und auch auf längere Zeit hinaus bindendes bezeichnet werden soll. Es wird nicht an Skeptikern fehlen, welche weder an solche Besprechungen noch an einen Einfluß dieses Besuches auf den Gang der Politik glauben. Die Ansicht dürfte zahlreiche Anhänger finden, der Grobfürst-Thronfolger habe jetzt wohl oder übel die bittere Pille hinuntergeschluckt, aber er wolle von einer Versöhnung nichts wissen und werde eines schönen Tages seiner wahren Gesinnung freien Lauf lassen. Aber gerade solchen Anschauungen gegenüber liegt in dieser Reise des Czarewitsch etwas ungemein Tröst liches; sie zeigt uns nämlich, daß die Verhältnisse zuweilen doch viel stärker sind, als der Wille der Mächtigen und daß selbst die auf des Lebens Höhen Stehenden nicht immer so handeln können, wie sie gern möchten. Die Beruhigung, die für uns in diesem Gedanken liegt, brauchen wir nicht besonders hervorzuheben. Was jetzt eingetreten ist, kann sich noch oft, wenn auch in anderer Weise, wiederholen; hat sich der Großfürst-Thronsolger jetzt vor einer über ihm stehenden Macht gebeugt, so kann er sich später noch sehr oft einer Nothwendigkeit, wenn auch in anderer Gestalt- fügen müssen. Die Fälle sind ja nicht so selten, wo ein Fürst unter dem Zwange der Verhältnisse ganz andere Wege einschlug, als er als Kronprinz geträumt. Daß wir bei dem Gedanken an die Zukunft die persönlichen An schauungen der zum Herrschen Geborenen nicht allein in Rechnung ziehen, sondern erkennen lernen, wie die Politik auch noch durch andere Faktoren bestimmt wird, darauf weist uns dieser Besuch recht deutlich hin. Und gerade hierin liegt, unserer Ansicht nach, seine größte Bedeutung. Tagesschau Freiberg, 19. November. Das preußische Abgeordnetenhaus verwies gestern in erster Lesung vier einzelne, auf die Eisenbahnangelegen heiten bezügliche Vorlagen an die Budgetkommission und das Schanksteuergesetz an eine besondere einundzwanzig- gliedrige Kommission. Bei Beralhung der letzteren hob der Finanzminister hervor, der Entwurf beruhe auf den jahrelangen Erwägungen der Regierung und auf dem un bestreitbaren Bedürfntß. Die Zahl der Schankstätten gehe weit über das Bedürfntß hinaus, dieselben dienten der Spe kulation auf schlechte Eigenschaften. Der Staat habe die Pflicht, energisch dagegen einzuschreiten, etwaige Bedenken gegen einzelne Bestimmungen würden sich innerhalb der Kommission ausgleichen lassen; er betrachte die etwa 13 Millionen ergebende Vorlage als einen Theil der Steuer reform und als ersten Schritt der Regierung zur Entlastung der Kommunen. Er hoffe, die Regierung werde in ihrem Vorgehen nicht gehemmt werden. — Bezüglich der Erklä rung des Aeltesten-Kollegiums der Berliner Kaufmannschaft, betreffend die bekannte Landtagsäußerung Maybachs, schreibt der „Reichsanzeiger", es sei bedauerlich, daß sich die Ver tretung einer so hervorragenden Korporation zu solcher, nach Form und Inhalt so befremdenden Kundgebung hin- reißen ließ. Befremdend sei zunächst, daß sich das Aeltesten- Kollegium der Börse in einer Weise annahm, als ob die selbe identisch mit der Berliner Kaufmannschaft sei, während doch ein großer Theil der Letzteren Börsengeschäfte über haupt nicht treibt. Befremdend sei ferner, daß die Aeltesten auf die erläuternde, die erste Aeußerung richtigstellende Be merkung Maybachs keine Rücksicht nahmen. Das Kollegium hätte richtiger gehandelt, wenn es gemäß eines Antrages des Börsenkommissariats „amtlich an betreffender Stelle" geeignete Schritte gethan hätte. Durch sein Verfahren jedoch verschloß sich das Aeltesten-Kollegium selbst den Weg, welcher behufs befriedigender Aufklärung zur Lösung des eingetretenen Mißverständnisses hätte beschritten werden können und sollen. — Die „Norddeutsche Allgem. Zeitung" schreibt: Die Meldung verschiedener Blätter, von Seiten Preußens sei Uebertragung der Leitung des Reichseisen bahnamtes an den preußischen Eisenbahnminister beabsich tigt, entbehre jeder Begründung. — Bet den Wahlen zum 'Landesausschub für den Landkreis Straßburg in den Reichstag wurde Abgeordneter North mit 78 Stimmen ge wählt. Für Mülhausen-Land ist Winterer (klerikal) mit 37 gegen Kempf (Autonomist) gewählt. Für Schletistadt wurde vr. Rühlmann mit 51, gegen Heckmann-Stintzy (Protestler) mit 29 Stimmen gewählt. Für Colmar- Stadt wurde Fleischhauer von 21 Abstimmenden mit 12 Stimmen gewählt. Für Colmar-Land ist Johann Kiner mit 34, gegen Simonin mit 33 Stimmen, gewählt. — Der Statthalter von Manteuffel hat aus Anlaß deS Hinscheidens seiner Gemahlin von Kaiser Wilhelm einen vier Seiten langen Betletdsbrief erhalten. — Das kaiser liche Ministerium für Elsaß-Lothringen hat durch Verfügung vom 10. d. das früher ausgesprochene Verbot der Ein führung und Verbreitung der Germania in Elsaß-Lothringen aufgehoben. — Die vom Reichs Eisenbahn-Amt aufge stellte Uebersicht der Verunglückungen auf deutschen Eisenbahnen im Jahre 1878 verglichen mit der dem englischen Parlament vorgelegten Uebersicht der Verun glück «gen auf englischen Bahnen in demselben Jahre er- giebt Folgendes: Auf den deutschen Bahnen bei einer Länge von 26 868 Kilometer verunglückten 1641 Personen, von denen 4(0 getödtet wurden; auf den englischen mit einer Länge von 27 931 Kilometer 5000 Personen, von denen 993 getödt-t wurden. Von den Verunglückten in Deutsch land waren 88 Passagiere, 1244 Beamte, 279 andere Personen; in England 1877 Passagiere, 2547 Beamte, 576 andere Personen, und zwar verunglückte in Deutsch land je ein Passagier von 2 058 980 und England je Einer von 301 025. Allerdings ist der Verkehr, welchen die eng lischen Bahnen zu vermitteln haben, ungleich größer, als der der deutschen. Diese beförderten 181190 918 Passa giere und 125361468 Tonnen Güter, jene 565024455 Personen und 206 735556 Tonnen; mithin ergiebt sich, daß die Sicherheit des Betriebes in Deutschland nicht ge ringer ist, als in England, während die geringere Anzahl erheblicher Unfälle in Deutschland ein Zeugniß zu Gunsten Deutschlands ist. In Oesterreich hielt am Montage der Wehrausschuß des Abgeordnetenhauses seine entscheidende Sitzung. In derselben gelangte das Wehrgesetz nach der Regierungsvor lage unverändert zur Annahme und wurde die Verlängerung des Wehrgesetzes für zehn Jahre mit einer Kriegsstärke von 800 000 Mann bewilligt. Die Annahme des Wehrgesetzes erfolgte mit 14 gegen 9 Stimmen der verfassungstreuen Ab geordneten. Gegen das Gesetz stimmten die Abgg. Baron Hackel berg, Lohninger, Schöffel, Czedik, Streernwitz, Rechbauer, Klier, Banhans, Ruß. Alle Gegenanträge, auch der An trag Czedik, die Verlängerung des Wehrgesetzes für zehn Jahre zu beschließen, doch die Friedens-Präsenzstärke auf 230000 Mann herabzusetzen, wurden abgelehnt. Des gleichen fand ein Antrag Rechbauer's, im Paragraph 13 die Bestimmung einzufügen, daß auch dem Parlamente während der zehn Jahre das Recht zustehe, Anträge auf Herabminderung der Kriegsstärke zu stellen, — ein Recht, das blos dem Kaiser im Gesetze gewahrt wird — nicht die Majorität. Nachdem Zeithammer zum Berichterstatter ge wählt worden war, meldeten Rechbauer, Czedik und Schöffel ihre Anträge als Minoritäts-Boten an. — In Bezug auf die gestern erwähnte Audienz der Czechenführer beim Kaiser wird nachträglich noch gemeldet: Der Kaiser sagte, nachdem Rieger kurz die Bitte des Czechenklubs vorgebracht hatte, „es freue ihn, die czechischen Abgeordneten im Reichsrathe zu sehen" und fügte bei, daß er von der Loyalität des böhmischen Volkes überzeugt sei und daß er das Memo randum dem Kabinet übergeben werde. In Kreisen der Abgeorgneten erzählt man sich, vr. Rieger habe die per sönliche Berührung mit dem Monarchen deshalb angestrebt, weil er die Absicht hatte, die Wünsche des böhmischen Volkes in Betreff der Krönung des Kaisers zum König von Böhmen zum Ausdrucke zu bringen. Wenigstens hat vr. Rieger in letzter Zeit wiederholt Veranlassung ge nommen, auf diesen Herzenswunsch der Bevölkerung Böh mens hinzuweisen. Von der inneren Politik Frankreichs ist nicht viel zu bemerken. Die Blätter ergehen sich in Vermuthungen darüber, was in der parlamentarischen Session geschehen wird. Je näher die Session heranrückt, um so weniger glaubt man daran, daß sie zu unruhigen Auftritten oder heftigen Debatten führen werde. Es scheint sich schon jetzt