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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«-Preis 22 j Silbergr. (5 Thlr.) vierteljährlich, Z Thlr. für das ganze Jabr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. agazin für die Man pränumerirt auf diese- Literakut' Blatt in Berlin in der Expedition der Mg. Pr. Staats-Zeitung (Friedrichs- Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im AuSlandc hei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. ^4/ 67. Berlin, Montag den 6. Juni 1842. England. Annäherungen zwischen der Englischen und der Deutschen Philosophie. Es ist bekannt, daß sich die seit der Kantischen Epoche eingctretcne Spal tung zwischen der Deutschen Philosophie und der aller übrigen Völker im Verhältniß zu keinem anderen Lande entschiedener ausgebildet und erhalten hat, als im Verhältniß zu England. Frankreich hat früher durch die Ver mittelung von Villers und der Frau von Staöl, später besonders durch die Cousin's, manche Einwirkungen von der Deutschen Philosophie ausge nommen, und so empfänglich ausgenommen, daß jetzt eines der Kantischen Werke nach dem anderen, in ihrer vollen Ausführlichkeit, in Französischem Gewände erscheinen können; in Italien haben Mehrere, und besonders Ga luppi, der Deutschen Philosophie eine ausgedehnte Rücksicht und Kritik zu gewandt; und in den nordischen Reichen hat nicht nur Kant, sondern haben auch Fichte, Schelling und Hegel Anerkennung, ja selbst eifrige Ver ehrer und Fortbildner gewonnen. Nur England hat Alles dieser Art abge- lehnt. Die wenigen Uebertragungen Deutscher philosophischer Werke sind mehr als kalt ausgenommen worden; und ungeachtet einzelner Zustimmungen, an welchen es freilich auch hier nicht gefehlt hat, ist es doch im Allgemeinen bei dem Urtheile geblieben, welches Mackintosh, der die Deutsche philo sophische Literatur sehr genau und aus den Originalwerken kannte, in die Worte zusammengcfaßt hat, die Deutschen seyen mctaphpsisch-toll (metspll;-- «ioallx inaä). °) Diese völlige Entfremdung nun ist unstreitig um so mehr zu beklagen, da Deutsche und Engländer, dem ganzen Grundcharakter ihres Geistes .ach, inniger als andere Völker mit einander verwandt nnd vermöge dessen vor zugsweise geeignet sind, auch in ihren wissenschaftlichen Bestrebungen einander die Hände zu reichen und zu fördern. Auch ist es keinesweges wahr (was man so oft bei uns wiederholt hat), daß in England und Schottland der philosophische Geist gänzlich erstorben sep. Die Werke von Mackintosh, Thomas Brown, Herschel, Abercrombie, Douglas, Hamilton, Whewell und Anderen liefern sehr schätzcnswerthe Beiträge zu einer ge sunden Theorie der menschlichen Erkenntniß; und, was die Hauptsache ist, wenn die Engländer auch nicht so viele, gleich Meteoren aufgegangene und dann wieder untergegangene Systeme, wie wir in den letzten fünfzig Jahren, auszuweiscn haben, und wenn selbst die ersten unter ihren Forschern (wie aller dings nicht zu leugnen ist) bei weitem nicht tief genug eindringen: so ist (wie namentlich mehrere neuerlich bekannt gewordene Briefsammlungen bezeugen) die Philosophie, welche sie einmal besitzen, durch alle Stände verbreitet: ist bei ihnen in weit größerer Ausdehnung in Saft nnd Kraft übergegangcn und für das praktische Leben fruchtbar geworden. Wir könnten uns also einen Verkehr mit diesem uns geistig so nahe verschwisterten Volke immer gefallen lassen. Eben dieser Geistesverwandtschaft wegen aber ist auch mit Sicherheit vor- auszusctzen, daß die Trennung nicht bleibend sepn werde: nur wie ein vor übergehendes Zürnen zwischen Solchen, die ihrem tiefsten Grundcharakter nach bestimmt sind, Freunde zu sepn, und dies auch wieder werden, sobald, von der einen oder von beiden Seiten, die theilweise Verdunkelung des geistigen Blickes einer klaren Anschauung Platz gemacht hat. Hierfür nun hat sich in der neuesten Zeit eine, wenn auch fürcrst nur noch ferne Aussicht eröffnet durch zwei kürzlich erschienene Werke: „Die Philosophie der induktiven Wissenschaften" --) von Whewell, und Benekes „System der Logik als Kunstlehre des Denkens"""). Nicht nur, daß die philo sophische Forschung beider Völker einmal wieder auf Einem Punkt zusammen- trifft, sondern (was besonders merkwürdig ist) bei diesem Zusammentreffen steht der Engländer auf der Deutschen, der Deutsche auf der Englischen Seite. Whewell's „Geschichte der induktiven Wiffenschasten" ist durch Lit- trow's Uebersctzung bei uns allgemein bekannt geworden. Dieser nun hat der Vers, das eben bezeichnete, bis jetzt in Deutschland noch wenig bekannte Werk folgen lassen. Dasselbe hat in England, von verschiedenen Seiten her, sehr verschiedene, ja geradezu entgegengesetzte Beurtheilungen erfahren: 's In einem Briefe an Dugald Stewart; vgl. Nvmoir«, Vol. I, p. >79. "j Db« vlnlv8vphx ok tbe luüuvtivo soionee«, trä »pun tlwlr lü^torv. In L voll. I.onü. 18«. Berlin bei Dümmler, 18«. r Theile. namentlich, während die ftusrtorl)' Heviow (h§. 88, ckime HI, p. 177—2Z8) seines Lobes voll ist, stellt es die Ldinlmrgb Hoviszv (ssmiur)' 42, p. 205— .107) als ein durchaus mißlungenes dar. Ein Theil dieses Gegensatzes möchte wohl, wie bei Allem in England, auf die Rechnung der politischen Parteiungen zu setzen sepn: indem sich Whewell, besonders in seinem Buche über die Englische Universitäts-Erziehung"), sehr entschieden als Konservativen kund- gegeben hat. Hierzu sind dann naturwissenschaftliche Gegensätze gekommen: namentlich der zwischen der Emissions- und der Undulations-Theorie, wo sich Whewell gegen Newton erklärt hat. Allem dem schloß sich endlich noch der sogleich näher zu bezeichnende Gegensatz der Erkenntniß-Theoric an: für welche Whewell, so viel uns bekannt geworden ist, selbst unter seinen wärm sten Lobrednern keine Zustimmung gefunden hat. Die Opposition, in die Whewell zu der sonstigen Englischen Philosophie tritt, ist um so interessanter, da sie gerade die Punkte trifft, welche man als die Hauptpunkte der von Ba co und Locke her ununterbrochen verfolgten Rich tung betrachten kann: die Jnductioncn und die angeborenen Ideen. Wir nehmen über die Theorie des Verfassers einen kurzen Ueberblick. Nach derselben machen die Auffassung und die Ansammlung der Thatsachen nur den passiven Theil des Jnductionsprozesses aus, geben nur die Materie dafür; der aktive Theil aber, oder die Form desselben, muß aus einem Dem ent gegengesetzten Urquelle, aus dem ursprünglichen Besitzthume des Geistes, ab geleitet werden. Schon für die Bildung der Wahrnehmungen macht sich das gleiche Verhältniß geltend. Die Sensationen liefern für dieselben nur die Ma terie; aber wie keine Materie ohne Form cristiren kann, so können auch die Sensationen nicht Wahrnehmungen werden ohne eine formal bildende Kraft des Geistes (»,iue tvrmsxivo Power <rf Ge miack), oder bestimmter, eine in tellektuelle Anschauung snloa), welche dieser in die Wahrnehmungen hineiu- bildct (inforn>8). So sehen wir nur Schatten und Farben und Gestalten ; aber die Umrisse, durch welche sie in bestimmte Objefte getheilt, die Eonception, vermöge deren sie als solide Körper betrachtet werden, in verschiedenen Ab ständen von uns: diese erhalten wir nicht durch die Sinne. „Und indem wir die Umrisse der Körper ziehen, indem wir sie in verschiedene Abstände von uns versetzen, verfährt der Geist in Einstimmung mit gewissen nothwendigen allge meinen Verhältnissen, welche in der intellektuellen Anschauung °°) des Raumes enthalten sind. In gleicher Weise, wenn wir, beim Anblick der Bewegungen der Nadel gegen den Magnet, die Ausübung einer anziehenden Kraft auffassen, bilden wir diese Auffassung, indem wir diese Bewegungen auf die Idee der Ursache zurückführen. — Unsere sinnlichen Empfindungen für sich haben ohne einen Akt des Geistes, welcher dasjenige cinschließt, was eine Idee genannt worden ist, keine Form. Wir können keinen Gegenstand sehen ohne die Idee des Raumes; wir können nicht zwei sehen, ohne die Idee der Aehnlichkcit oder Verschiedenheit, und Raum und Verschiedenheit sind keine sinnliche Empfin dungen". — Eben dieses Verhältniß nun wendet der Verfasser auch auf die Bildung der Jnductioncn an. Diese sind keineswegs zu begreifen als bloße Summirungcn der Thatsachen ; sondern es muß dabei ein neues gei stiges Element ihnen ausgebildet werden («upermüucoä). Aus den in tellektuellen Grundanschauungen (fumlilinenxal ick«-:,«) nämlich ent wickeln sich abgeleitete intellektuelle Anschauungen (nies! eon- eoptionx), d. h. bestimmte abstrakte Vorstellungen, welche die Subjekte unserer allgemeinen Erkenntniß, die Grundlagen der demonstrativen Wahrheit sind. So ist die intellektuelle Anschauung des Zirkels abgeleitet aus den Verhält nissen der Grundanschauung des Raums; die der gegenseitigen Anziehung aus denen der Ursachen rc. Haben wir nun diese erworben, so trifft es sich oft, daß wir die durch unsere Sinne gelieferten Thatsachen vermöge ihrer verbinden können; und dann sagt man, daß die Wahrheit, zu welcher wir in dieser Art geführt werden, aus den beobachteten Thatsachen durch Induction gewonnen sey. Vorher sind zwar Thatsachen da ; aber sie sind viele und unverbun den; und erst die intellektuelle Anschauung, welche der Entdecker dar auf anwendet, giebt ihnen Verbindung und Einheit. — Was endlich die Anzahl und den Schematismus dieser eingeborenen Ideen betrifft, so entscheidet sich der Verfasser weder für eine früher entworfene Kategoricen- tafel, noch unternimmt er eine eigene Dcduction aus irgend einem Prinzip, sondern bestimmt sie (hierin ist er wieder entschieden Engländer), wie er sie "1 Da« Englische lüe» ist weder nnsee „Begriff" noch nnsere „Anschauung". Wir haben c» daher durch „intellektuelle Anschauung" anSzudruüe» gesucht; im Folgenden werden wir dasür, der Kürze wegen, da« Wort „Idee" brauchen.